Entscheidungsdatum
27.09.2018Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13Spruch
W135 2178435-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ivona GRUBESIC über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwältin MMag. Astrid Zörer, gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.10.2017, Zl. 1094912804 - 151783898, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 18.07.2018, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 16.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der darauffolgenden Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 16.11.2015 gab der Beschwerdeführer an, dass er Hazara und schiitischer Moslem sei. Er sei afghanischer Staatsangehöriger und stamme aus der Provinz Maidan Wardak, wo er auch geboren worden sei und acht Jahre die Schule besucht habe. Er sei aus seinem Heimatstaat ausgereist, weil es dort viele Taliban gebe. Diese würden versuchen junge Männer zu rekrutieren und seien sie an einem Tag auch beim Beschwerdeführer zu Hause gewesen. Dem Beschwerdeführer sei zum Glück die Flucht gelungen.
Am 18.09.2017 wurde der Beschwerdeführer von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) und in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer gab dabei an, dass seine Familie, bestehend aus seinen Eltern, vier Brüdern und mittlerweile drei Schwestern, noch in Afghanistan wohnhaft sei. Der Beschwerdeführer halte telefonischen Kontakt zu ihnen. Er habe acht Jahre lang ein Gymnasium besucht und immer nach der Schule seinem Vater mit der Landwirtschaft geholfen. Hinsichtlich seines Fluchtgrundes führte der Beschwerdeführer auf das Wesentliche zusammengefasst aus, die Taliban hätten das Dorf angegriffen und die Familien aus den Häusern gejagt. Sie hätten die Jungen heraussortiert um sie mitzunehmen und als Soldaten einzusetzen. So hätte auch der Beschwerdeführer mitgehen sollen, jedoch habe sein Vater mit einem Kommandanten sprechen können und diesen gebeten, dass der Beschwerdeführer nicht mitgenommen werde. Da sein Vater behindert sei (er habe im Krieg ein Bein verloren), habe man den Beschwerdeführer verschont. Da es immer wieder zu Problemen mit Grupperungen komme, hätten seine Eltern entschieden, dass er das Land verlassen solle.
Die belangte Behörde wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit im Spruch genannten Bescheid bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigte zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 22.10.2018 (Spruchpunkt III.).
Gegen den Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 18.07.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer in Anwesenheit einer Vertrauensperson ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. Die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers und die belangte Behörde nahmen an der Verhandlung nicht teil.
In der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, jedes Jahr würden Kutschis - auch als Taliban bekannt - das Dorf des Beschwerdeführers aufsuchen und wahllos junge Männer in einem bestimmten Alter - ab vierzehn, fünfzehn Jahren - rekrutieren. Die Kutschi-Nomaden seien dieses Mal einen Monat vor der Ausreise des Beschwerdeführers plötzlich gekommen und hätten gleichaltrige junge Männer auf der Straße zusammensortiert, um sie mitzunehmen. Sie hätten auch den Beschwerdeführer mitnehmen wollen, der Vater des Beschwerdeführers, der ein bisschen Paschtu spreche, habe begonnen die Nomaden anzuflehen, den Beschwerdeführer zu verschonen. Sein Vater habe den Nomaden gesagt, dass er behindert und der Beschwerdeführer sein ältester Sohn sei. Nachdem die Nomaden die Behinderung des Vaters gesehen hätten, hätten sie den Beschwerdeführer verschont. Der Beschwerdeführer habe vier Brüder im Alter von vierzehn, dreizehn, neun und acht Jahren. Sie würden nach wie vor mit seinen Eltern in seinem Heimatdorf in Afghanistan leben. Nach dem geschilderten Vorfall sei es zu keinen weiteren Vorfällen mehr gekommen. Befragt dazu, was ihm konkret passieren würde, wenn er nach Afghanistan zurückkehren würde, gab der Beschwerdeführer an:
"Man wird dort verfolgt und verhaftet." Auf die Frage, ob er konkret aufgrund seiner Volksgruppe bedroht wurde, gab er an: "Nein, persönlich ist niemand zu mir gekommen und hat mich deswegen bedroht, weil ich ein Hazara bin. Wie bereits erwähnt, waren wir aber stets unter der Gefahr und Angriffe seitens der Nomaden."
Zu dem in der mündlichen Verhandlung dem Beschwerdeführer ausgehändigten und in das Verfahren eingebrachten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018 gab der Beschwerdeführer weder in der mündlichen Verhandlung, noch während der eingeräumten Frist zur Äußerung eine Stellungnahme ab.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam.
Der Beschwerdeführer wurde im Distrikt Markz-e-Behsud in der Provinz Maidan Wardak in Afghanistan geboren. Er lebte bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan in der zweiten Hälfte des Jahres 2015 gemeinsam mit seiner Familie in seinem Heimatdorf. Die Familie des Beschwerdeführers besteht aus seinen Eltern, drei Schwestern, vier Brüdern und seinem Großvater und ist diese nach wie vor in Afghanistan, in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers aufhältig. Zu seiner Familie hält der Beschwerdeführer regelmäßigen Kontakt. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer vorgebracht hat, dass Kutschi-Nomaden bzw. Taliban jährlich das Dorf des Beschwerdeführers, in welchem hauptsächlich Angehörige der Hazara lebten, aufsuchen würden, um wahllos junge Männer in einem bestimmten Alter zu rekrutieren und es einen Monat vor der Ausreise des Beschwerdeführers zu einem Rekrutierungsversuch durch die Kutschi-Nomaden bzw. Taliban gekommen sei, bei welchem der Vater des Beschwerdeführers die Kutschis bzw. Taliban angefleht hätte, den Beschwerdeführer zu verschonen, weil der Vater behindert und der Beschwerdeführer sein ältester Sohn sei und die Kutschis bzw. Nomaden daraufhin eingewilligt hätten, den Beschwerdeführer zu verschonen.
Festgestellt wird, dass es dahingestellt bleiben kann, ob dieses Vorbringen den Tatsachen entspricht; diesbezüglich wird auf die nachfolgenden rechtlichen Ausführungen verwiesen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Religion konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan drohte. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara oder der schiitischen Religion in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt wäre.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 (letzte Aktualisierung erfolgte am 22.08.2018)
Wardak / Maidan Wardak:
(Maidan) Wardak ist eine der zentralen Provinzen Afghanistans (Pajhwok o.D.). Maidan Shahr ist die Provinzhauptstadt. Distrikte der Provinz Wardak sind: Sayed Abad, Jaghto, Chak, Daimirdad, Jalrez, central Bihsud/Behsood und Hisa-i-Awal Bihsud. Kabul und Logar liegen im Osten der Provinz (Maidan) Wardak, Bamyan im Westen und Nordwesten, Ghazni im Süden und Südwesten, sowie die Provinz Parwan im Norden (Pajhwok o.D.; vgl. UN OCHA 4.2014). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 615.992 geschätzt (CSO 4.2017). In der Provinz leben hauptsächlich ethnische Paschtunen, Tadschiken und Hazara; auch Kuchis sind in der Vergangenheit insbesondere in den Distrikt Behsood gezogen (EASO 12.2017).
Die Hauptautobahn (Ring Road) Kabul-Kandahar führt durch die Provinz Maidan Wardak, von wo aus sie die südlichen, aber auch südöstlichen Provinzen des Landes mit der Hauptstadt Kabul verbindet (Khaama Press 6.5.2016; vgl. Tolonews 23.1.2018). Polizisten arbeiten hart daran, die Autobahn von Minen zu befreien, da der südliche Abschnitt der Kabul-Kandahar Autobahn neun Provinzen mit der Hauptstadt Kabul verbindet (Tolonews 23.1.2018).
Mit Stand November 2017 ist die Provinz Wardak zumindest seit dem Jahr 2006 komplett opiumfrei - im Jahr 2005 wurden in Daimirdad noch 106 Hektar Mohnanbauflächen verzeichnet (UNODC 11.2017).
Drei Frauen haben bei der Provinzwahl von Maidan Wardak Sitze für den Provinzrat erhalten (GV 8.3.2018). Im März 2018 hat eine Gruppe junger Frauen in der Provinz die Kunstbewegug "Village Sisters Art Movement" gegründet, wodurch Lyrik-Vorträge organisiert werden. Das Projekt wird vom Kultur- und Informationsdepartment begrüßt (Pajhwok 9.3.2018).
Allgemeine Information zur Sicherheitslage:
Wardak zählt seit einiger Zeit zu den volatilen Provinzen Afghanistans. Regierungsfeindliche, bewaffnete Aufständische sind in unterschiedlichen Distrikten aktiv - speziell in den Distrikten nächst der Autobahn (Khaama Press 11.3.2018; vgl. Khaama Press 1.1.2018, Khaama Press 25.12.2017, Khaama Press 8.12.2017, Khaama Press 23.11.2017, FN 8.11.2017, Khaama Press 21.8.2018, Khaama Press 11.7.2017).
Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 81 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, [...]
Im gesamten Jahr 2017 wurden 83 zivile Opfer (42 getötete Zivilisten und 41 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten/willkürlichen Tötungen und Luftangriffen. Dies deutet einen Rückgang von 35% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).
Militärische Operationen in Wardak:
In der Provinz Wardak werden groß angelegte militärische Operationen durchgeführt (Tolonews 23.11.2017; vgl. Xinhua 18.3.2018, Tolonews 18.3.2018, Tolonews 22.11.2017, Tolonews 1.7.2017 Pajhwok 19.5.2017); Aufständische werden getötet und festgenommen (Xinhua 18.3.2018; vgl. Tolonews 18.3.2018, Tolonews 23.11.2017). Bei diesen Operationen werden unter anderem auch Führer von regierungsfeindlichen Gruppierungen getötet (Xinhua 14.1.2018; vgl. Khaama Press 23.11.2017, Tolonews 1.7.2017). Luftangriffe werden ebenso durchgeführt; bei diesen werden auch Aufständische getötet (Independent 24.11.2017; vgl. Khaama Press 12.8.2017, Pajhwok 10.4.2017).
Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt (Pajhwok 3.3.2018; vgl. Tolonews 7.11.2017, Tolonews 11.7.2017).
Regierungsfeindliche Gruppierungen in Wardak:
Regierungsfeindliche bewaffnete Aufständische sind in unterschiedlichen Distrikten aktiv (Khaama Press 11.3.2018). Dazu zählen u. a. die Taliban (Tolonews 18.2.2018; vgl. Xinhua 14.1.2018, Khaama Press 9.12.2017); Quellen zufolge hat das Haqqani-Netzwerk in einem Teil der Provinz Wardak eine Zentrale gehabt (ATN 23.11.2017; vgl. Tolonews 23.11.2017, Khaama Press 23.11.2017, SP 13.3.2018, UW 3.2012). Das Haqqani-Netzwerk operiert großteils in Ostafghanistan und der Hauptstadt Kabul (Xinhua 18.3.2018).
Für den Zeitraum 1.1.2017-31.1.2018 wurden keine IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet (ACLED 23.2.2018).
Taliban:
Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).
Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).
Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).
Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).
Religionsfreiheit:
Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).
Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).
Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechungnter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).
Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).
Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).
Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).
Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).
Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).
Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).
Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).
Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).
Schiiten:
Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara (USDOS 15.8.2017). Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016). Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (CRS 13.12.2017).
Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 11.4.2018). Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 15.8.2017).
Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30% (AB 7.6.2017; vgl. USDOS 15.8.2017). Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 15.8.2017).
Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen (USDOS 15.8.2017). Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet (CRS 13.12.2017). In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (HRW 2018; vgl. USCIRF 2017).
Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten (USDOS 15.8.2017).
Ethnische Minderheiten:
In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.1.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. CIA Factbook 18.1.2018). Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vgl. CIA Factbook 18.1.2018).
Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.4.2018).
Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5.2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.4.2018).
Hazara:
Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5.2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017).
So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016).
Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018).
Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).
Kutschi:
Die Kutschi sind die Nomaden Afghanistans. Sie sind Angehörige der paschtunischen Volksgruppe und verteilen sich im ganzen Land (Telepolis 2.11.2017). Wenngleich die tatsächliche Anzahl der Nomaden in Afghanistan unbekannt ist, kann deren Anwesenheit als signifikant bezeichnet werden und wirkt sich auf die ländliche Wirtschaft aus (AREU 1.2018). Im Jahr 2004 wurde die Anzahl der "aktiv migrierenden" Nomaden in Afghanistan auf 1.5 Millionen geschätzt (AREU 1.2018; vgl. AA 5.2018). Diese Zahl beinhaltet sowohl alle nomadischen Haushalte als auch aktiv migrierende Mitglieder von teilweise niedergelassenen Haushalten. Dennoch wird angenommen, dass die Zahl der Nomaden heutzutage niedriger ist. Die Anzahl jener vollständig-nomadischer Haushalte, die noch in Zelten leben und kein fixes Heim haben, ist heute wahrscheinlich gering. Viele nomadische Gemeinschaften sind teilweise sesshaft. Manche Mitglieder leben in Häusern und migrieren auch saisonal nicht, während andere Mitglieder mit dem Viehbestand jährlich in grünere Regionen migrieren (AREU 1.2018).
Im Rahmen eines Projektes wurden zwischen 2008 und 2009 die nomadischen Migrationsrouten untersucht. Daraus ging hervor, dass der Großteil der Nomaden während des Sommers in Richtung der Weideflächen des Hazarajats (zentrales Hochland) zieht (AREU 1.2018).
Die Beziehung zwischen Nomaden und Bauern ist komplex - noch vor dem Konflikt existierten zumindest einige symbiotische Elemente: so verkauften die Nomaden in abgelegenen Dörfern Waren, an die man dort nur schwer gelangen konnte. Nachdem sich das afghanische Straßennetz entwickelte, wurden diese Handelsaktivitäten für einen Großteil der ländlichen Gesellschaft überflüssig. Gleichzeitig kam es in bestimmten Gegenden zu Spannungen zwischen Nomaden und Bauern (AREU 1.2018).
Die Wurzeln des Konfliktes zwischen Kutschi-Nomaden und Hazara in Zentralafghanistan reichen bis in das Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Seit 2007 hat sich der Konflikt um das Weideland in den Provinzen Wardak und Ghazni zunehmend verschärft und mündete immer wieder in gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Kutschi und Hazara. Trotz der Mediationsbemühungen von Seiten der afghanischen Regierung und der Vereinten Nationen ist der Konflikt bisher, sowohl rechtlich als auch politisch, ungelöst (365 Tage 28.1.2014).
Trotzdem haben die Kutschi in Fragen um Ländereien einen guten Draht zur Regierung in Kabul. Einige Kutschi wie Hashmat Ghani, der Bruder des gegenwärtigen Präsidenten Ashraf Ghani und Repräsentant aller Kutschi in Afghanistan, sind reiche Geschäftsmänner. Dennoch sind die meisten Kutschi-Nomaden sehr arm, leben in einfachen Verhältnissen und sind als Hirten oder Händler tätig (Telepolis 2.11.2017). Die Regierung verfügt mit dem unabhängigen Direktorium für die Angelegenheiten der Kutschi, über eine eigene Organisationseinheit, welche die Angelegenheiten der Kutschi behandelt (RFE/RFL 18.9.2015).
Der afghanischen Verfassung zufolge ist die Regierung verpflichtet, den Kutschi Land für die permanente Nutzung zur Verfügung zu stellen und ihre Integration in besiedelten Gebieten zu fördern (RFE/RFL 18.9.2015).
Die Verfassung sieht vor, dass zehn Sitze im Unterhaus der Nationalversammlung für die Kutschi-Minderheit reserviert sind (USDOS 20.4.2018). Auch sollen laut Verfassung vom Präsidenten zwei Kutschi zu Mitgliedern für das Oberhaus ernannt werden (AAN 4.2.2016; vgl. CRS 15.1.2015, USDOS 20.4.2018).
Rekrutierung von Kindern:
Im Februar 2016 trat das Gesetz über das Verbot der Rekrutierung von Kindern im Militär in Kraft. Berichten zufolge rekrutieren die ANDSF und andere regierungsfreundliche Milizen in limitierten Fällen Kinder; die Taliban und andere regierungsfeindliche Gruppierungen benutzen Kinder regelmäßig für militärische Zwecke. Im Rahmen eines Regierungsprogramms werden Schulungen für ANP-Mitarbeiter zu Alterseinschätzung und Sensibilisierungskampagnen betreffend die Rekrutierung von Minderjährigen organisiert sowie Ermittlungen in angeblichen Kinderrekrutierungsfällen eingeleitet (USDOS 20.4.2018).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers (Name und Geburtsdatum) getroffen wurden, gelten diese mangels Vorlage von identitätsbezeugenden Dokumenten ausschließlich für die Identifizierung des Beschwerdeführers im Asylverfahren.
Die Feststellungen zu der Staatsangehörigkeit, der Volksgruppen- und der Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen auf seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden - Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.
Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Geburts- und Aufenthaltsort, seinem Familienstand, seinen Familienangehörigen und deren Aufenthaltsort waren gleichbleibend und widerspruchsfrei, weitgehend chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der bestehenden sozioökonomischen Strukturen in Afghanistan plausibel.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Das Vorbringen des Beschwerdeführers gründet sich auf seine Angaben im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde und im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Hinsichtlich der Feststellung, dass es dahingestellt bleiben kann, ob das Vorbringen des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verfahren den Tatsachen entspricht, wird auf die rechtlichen Ausführungen verwiesen.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bzw. seiner schiitischen Religionszugehörigkeit keiner konkret und gezielt gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt war, gründet sich auf seine eigenen Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht; der Beschwerdeführer hat in der mündlichen Verhandlung explizit verneint, wegen seiner Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit konkret und gezielt bedroht worden zu sein (siehe Seite 10 des Verhandlungsprotokolls).
Hinsichtlich einer behaupteten Gruppenverfolgung der Hazara in Afghanistan wird auf die Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung verwiesen.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die entsprechenden Auszüge aus dem Länderinformationsblatt vom 29.06.2018. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruht und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbietet, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.
Die oben wiedergegebenen Länderberichte wurden dem Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ausgehändigt. Dem Beschwerdeführer wurde Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Der Beschwerdeführer erstattete keine Stellungnahme und trat damit den oben wiedergegebenen Länderberichten nicht entgegen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Einzelrichterzuständigkeit ergibt sich aus § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), wonach das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter entscheidet, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Zu A)
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Wie bereits dargestellt, brachte der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren vor, dass es einen Monat vor seiner Ausreise, in seinem Dorf, in welchem hauptsächlich Angehörige der Hazara lebten, zu einem Rekrutierungsversuch durch Kutschi bzw. Taliban gekommen sei und dass diese, nachdem der Vater des Beschwerdeführers sie angefleht hätte, den Beschwerdeführer zu verschonen, weil der Vater behindert und der Beschwerdeführer sein ältester Sohn sei, eingewilligt und den Beschwerdeführer verschont hätten.
Selbst unter hypothetischer Zugrundelegung dieses Vorbringens - der Beschwerdeführer hätte rekrutiert werden sollen, die Kutschi bzw. Taliban hätten aber eingewilligt ihn wegen seines behinderten Vaters zu verschonen - ist eine aktuelle Verfolgung des Beschwerdeführers aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, zumal sich die Familie des Beschwerdeführers, darunter zwei Brüder im rekrutierungsfähigen Alter von 13 und 14 Jahren, nach wie vor in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers befindet und zu welcher der Beschwerdeführer regelmäßigen Kontakt hat und diese seit dem behaupteten Vorfall nicht mehr von den Kutschi bzw. Taliban heimgesucht wurde; der Beschwerdeführer hat weitere Vorfälle bzw. Rekrutierungsversuche seitens der Kutschi bzw. der Taliban explizit verneint.
Darüber hinaus ist auf Folgendes hinzuweisen:
In seiner bisherigen Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof von der - nicht asylrelevanten - Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei jene Verfolgung unterschieden, die an die tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst kommt es in einem solchen Fall nicht an. Entscheidend ist vielmehr, mit welchen Reaktionen der Taliban die Aslywerber (also auch die Familienangehörigen des von der versuchten Zwangsrekrutierung unmittelbar betroffenen Asylwerbers) aufgrund ihrer Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen müssen und ob in ihrem Verhalten eine - sei es auch nur unterstellte - politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103, mwN).
Abgesehen daher davon, dass eine aktuelle Verfolgung des Beschwerdeführers aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, kann - unter hypothetischer Zugrundelegung seines Vorbringens - im Fall des Beschwerdeführers, in welchem die Kutschi bzw. Taliban selbst eingewilligt hätten, den Beschwerdeführer wegen seines behinderten Vaters zu verschonen, auch keine Weigerung der Familie des Beschwerdeführers, den Kutschis bzw. Taliban weitere Kämpfer bereitzustellen, was als Ausdruck von deren (allenfalls nur unterstellter) politischer und/oder religiöser Gesinnung betrachtet werden könnte, erblickt werden; dafür spricht auch der Umstand, dass die Familie des Beschwerdeführers und insbesondere seine sich im rekrutierungsfähigen Alter befindenden Brüder seit dem vom Beschwerdeführer behaupteten Vorfall von Kutschis bzw. Taliban nicht mehr heimgesucht wurden.
Eine Asylrelevanz der behaupten Zwangsrekrutierung wäre - unter hypothetischer Zugrundelegung dieser - daher auch vor diesem Hintergrund zu verneinen.
Weiters ist im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor dem Hintergrund der getätigten Feststellungen zur Lage der Hazara zu prüfen, ob der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat auf Grund generalisierender Merkmale - konkret wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara - unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre. Eine konkrete, individuelle Verfolgung seiner Person auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara wurde vom Beschwerdeführer - wie oben unter Pkt. II.2.2. dargelegt - nicht vorgebracht.
Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Dass ein Angehöriger der ethnischen und religiösen Minderheit der Hazara im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht finden:
Auf Basis der oben wiedergegebenen Länderberichte ist festzuhalten, dass soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen/Inhaftierung finden. In einer Gesamtschau des vorliegenden Länderberichtsmaterials erreicht diese Gefährdung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes jedoch nicht jenes Ausmaß, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan für gegeben zu erachten.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara - unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit - nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 13.10.2015, Ra 2015/19/0106, eine Gruppenverfolgung der Hazara mit der Begründung nicht ausgeschlossen, dass das Bundesverwaltungsgericht zur Lage der Hazara keine Feststellungen getroffen habe, was jedoch in der vorliegenden Entscheidung nicht der Fall ist. In einer weiteren Entscheidung behob der Verwaltungsgerichtshof ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, weil dieses sich im zugrunde liegenden Fall nicht mit dem Beschwerdevorbringen zu einer Gruppenverfolgung der Hazara in Ghazni auseinandergesetzt hatte (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0171); es wird in diesem Zusammenhang seitens des Bundesverwaltungsgerichtes im Hinblick auf die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers (Maidan Wardak) nicht verkannt, dass Angehörige der Volksgruppe der Hazara dort Diskriminierungen und Gewalthandlungen ausgesetzt sind. Die für die Annahme des Vorliegens einer Gruppenverfolgung von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara nötige Intensität dieser Handlungen ist für das Bundesverwaltungsgericht aus einer Gesamtschau des vorliegenden Länderberichtsmaterials jedoch auch im Hinblick auf die Provinz Maidan Wardak nicht ersichtlich. Auch der Verwaltungsgerichthof nahm in den letzten Jahren keine Gruppenverfolgung der Hazara irgendwo in Afghanistan an, im Unterschied zur Region Quetta in Pakistan (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048).
Da eine Gruppenverfolgung - in Hinblick auf die Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit - von Hazara und Schiiten in Afghanistan nicht gegeben ist und der Beschwerdeführer diesbezüglich auch keine individuelle Bedrohung dargetan hat, lässt sich auch insoweit eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers nicht ableiten.
Da sich auch sonst keine konkrete gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung in seinem Heimatstaat ableiten ließ, war im Ergebnis die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben.
Schlagworte
Glaubwürdigkeit, Gruppenverfolgung, individuelle Gefährdung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W135.2178435.1.00Zuletzt aktualisiert am
14.11.2018