TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/27 W123 2190668-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.09.2018
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Entscheidungsdatum

27.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W123 2190668-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.02.2018, Zl. 1094927208-151782492, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger von der Volksgruppe der Paschtunen, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 16.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz:

2. Im Rahmen der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass er wegen der Taliban geflohen sei. Vor ca. fünf Monaten seien fünf Männer der Taliban zu ihm nach Hause gekommen und hätten vom Beschwerdeführer verlangt, dass er sie mit dem Taxi nach "XXXX" fahre. Der Beschwerdeführer habe gesagt, dass seine Familie alleine sei und er nicht fahren könne. Die Männer hätten dem Beschwerdeführer mit Gewalt den Autoschlüssel abgenommen, sie hätten ihn mit Gewehren bedroht und sein Auto mitgenommen. Unterwegs seien die Taliban von einem Flugzeug der Regierung angegriffen worden. Alle fünf seien getötet worden. Andere Taliban hätten gedacht, dass der Beschwerdeführer die Regierung informiert habe, dass die fünf das Auto des Beschwerdeführers genommen hätten. Als die anderen den Beschwerdeführer beschuldigten bzw. ihm drohten, dass sie ihn töten würden, habe der Onkel des Beschwerdeführers gesagt, dass er Afghanistan verlassen müsse.

3. Am 20.12.2017 erfolgte die Einvernahme vor der belangten Behörde.

Die Niederschrift lautet auszugsweise:

"[...]

Fluchtgrund:

F: Schildern Sie nochmals die Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen und einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß. Sie werden darauf hingewiesen, dass falsche Angaben die Glaubwürdigkeit Ihres Vorbringens beeinträchtigen können. Soweit Sie auf Ereignisse Bezug nehmen, werden Sie auch aufgefordert, den Ort und die Zeit zu nennen, wann diese stattfanden und die Personen, die daran beteiligt waren. Sie haben jetzt auch Gelegenheit, sich zu den Fragen, die von Ihnen mit "Ja", oder "Nein" beantwortet wurden, zu äußern.

A: Als ich als Taxifahrer tätig war kam ich eines Abends nach Hause. Es kamen 5 Taliban zu uns und verlangten von mir, dass ich sie in die Ortschaft XXXX bringen soll. Ich verneinte dies, ich kann meine Familie in der Nacht nicht alleine lassen. Sie nahmen mir meinen Autoschlüssel mit Gewalt ab und fuhren mit meinem Taxi nach XXXX. Unterwegs, in der Ortschaft XXXX (das liegt zwischen XXXX und XXXX), dort ist eine Art Wüste. Sie wurden dort von einer Drohne angegriffen und sind alle ums Leben gekommen. Am nächsten Tag schickte mein Onkel jemanden zu mir nach Hause und sagte mir, ich solle mit ihm gehen und flüchten. Ich war 2 Monate bei dieser Person, während diesen 2 Monaten sind die Taliban einmal zu uns nach Hause gekommen und haben meine Mutter nach mir gefragt. Sie waren genau am 2. Tag nachdem ich weggegangen bin bei uns zu Hause. Nach 2 Monaten habe ich dannXXXX verlassen.

[...]

F: Worauf beziehen sich die angegebenen Probleme mit den Behörden und die evt. bestehenden Fahndungsmaßnahmen?

A: Die afghanische Regierung glaubt, weil die Taliban mein Taxi hatten, dass ich mit den Taliban zusammenarbeite und, dass ich ihnen mein Auto freiwillig zur Verfügung gestellt hätte. Deshalb habe ich ein Problem mit der Regierung und sie wollen mich festnehmen.

F: Ist das nur Ihre Vermutung, oder gab es diesbezüglich ein Problem mit der Polizei?

A: Es ist meine Vermutung, bei uns in der Gegend, in unserer Ortschaft sind überall Taliban, sie haben dort das Sagen.

F: Wurden Sie, abgesehen von dem geschilderten Vorfall in Afghanistan je persönlich verfolgt, oder bedroht?

A: Nein.

F: Wurden Ihre Familienangehörigen in Afghanistan je persönlich verfolgt, oder bedroht?

A: Nein.

F: Woher wusste Ihr Onkel, dass die Taliban bei Ihnen zu Hause waren und Ihnen das Auto genommen haben?

A: Er hat es am nächsten Tag erfahren, wir wohnen nicht so weit voneinander entfernt.

F: Wie hat er es erfahren?

A: Ich habe ihn angerufen und ihm von dem Vorfall erzählt.

F: Woher wussten Sie, dass das Auto von einer Drohne zerstört wurde?

A: Es ist nicht weit weg von uns passiert, am nächsten Tag in der Früh, als wir in die Moschee gingen haben wir davon erfahren.

F: Woher wussten Sie, dass es Ihr Auto war?

A: Die Dorfbewohner haben es mir gesagt.

F: Was hat die Person die Sie abgeholt hat zu Ihnen gesagt?

A: Er hat mir gesagt, dass mein Onkel ihn geschickt hat, damit ich mit ihm mitkomme, wenn alles wieder gut ist und sich alles beruhigt hat kann ich wieder zurückkommen.

F: Wohin hat er sie gebracht?

A: Es war gegen Nachmittag und es war weiter weg, als dort wo mein Onkel gelebt hat.

F: Wissen Sie wo das war?

A: Den Namen der Ortschaft kenne ich nicht.

F: Was haben Sie dort gemacht?

A: Er hat mir ein Zimmer zur Verfügung gestellt und hat mir einmal am Tag Essen gebracht. Mehr war nicht.

F: Wie sind Sie dann von dort weg?

A: Sie haben mich mit einem Kastenwagen abgeholt.

F: Warum haben Sie sich dazu entschlossen Afghanistan zu verlassen?

A: Nach diesen 2 Monaten hat mich mein Onkel angerufen und hat gesagt, dass mein Leben in Gefahr ist. Es wird sich nicht wieder normalisieren. Ich kenne die Tradition dieser Menschen, daher ist es besser, wenn ich Afghanistan verlasse.

F: Beschreiben Sie den Vorfall genauer, bei welchem Ihnen die Taliban Ihr Auto weggenommen haben!

A: Sie sind zu mir nach Hause gekommen und verlangten zuerst, dass ich sie fahre. Ich lehnte das ab, ich kann meine Familie nicht alleine lassen. Sie nahmen mit gewaltsam den Schlüssel ab und sind davongefahren. Nach ca. 1,5 Stunden wurden Sie von einem Flugzeug aus angegriffen.

[...]

F: Warum sind Sie nicht in eine andere Provinz Afghanistans gegangen?

A: Erstens, weil die Regierung mich verdächtigt hat und auch die Taliban sind in ganz Afghanistan. Auch in Kabul ist es nicht sicher und die Regierung wird mich dort auch nicht in Ruhe lassen.

F: Hatte Ihre Familie als Sie zuletzt Kontakt hatten Probleme in Afghanistan?

A: Nein, meine Geschwister sind zu jung und den Frauen tun die Taliban nichts.

[...]

F: Sie könnten in eine sichere, derzeit ungefährliche Provinz in Afghanistan gehen. Was sagen Sie dazu?

A: Ich habe auch in den sicheren Provinzen ein Problem, weil dort auch die Regierung an der Macht ist und ich habe ein Problem mit der Regierung.

F: Gab es jemals einen Vorfall, der Sie darauf gebracht hat, dass die Regierung nach Ihnen sucht?

A: Nein, aber ich weiß, dass sie mich suchen.

F: Haben Sie bei der Polizei angezeigt, dass Ihnen von den Taliban das Auto gestohlen haben?

A: Nein, wie konnte ich zur Polizei gehen. Nachgefragt: Die Polizei und die Regierung sind gegen mich.

F: Sie hätten doch zur Polizei gehen können und den Diebstahl anzeigen um zu zeigen, dass Sie nicht auf der Seite der Taliban stehen?

A: Ich hätte mich sehr gefreut, wenn das in Afghanistan möglich wäre.

[...]"

4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Beweiswürdigung lautet auszugsweise:

Es ist für ho Behörde nicht nachvollziehbar warum es Ihnen nicht möglich gewesen wäre die fünf Personen selbst mit Ihrem Taxi nach XXXX zu bringen, es Ihnen jedoch möglich gewesen wäre sich für zwei Monate zu verstecken, bevor Sie ausgereist sind. Auch in dieser Zeit waren Ihre Geschwister und Ihre Mutter alleine. Erst nach Ihrer Ausreise hätte Ihr Onkel Ihre Kernfamilie zu sich genommen. In der Zeit in welcher Sie sich versteckt gehalten hätten wären die Taliban einmal bei Ihrer Familie gewesen. Auch hier wäre es zu keinen weiteren Handlungen der Taliban gekommen, diese hätten lediglich gefragt wo Sie sich aufhalten würden. Auch ansonsten brachten Sie keine Probleme Ihrer Familie in Afghanistan vor.

Es ist ebenso nicht nachvollziehbar warum Sie den vorgebrachten Diebstahl Ihres Autos nicht bei der Polizei zur Anzeige gebracht hätten. So hätten Sie den Verdacht einer etwaigen Zusammenarbeit zwischen Ihnen und den Taliban vorbeugen können. Auch, dass die Regierung nun nach Ihnen suchen würde, können Sie nur vermuten. Konkrete Hinweise, welche dies bestätigen würden gibt es nicht. Zusätzlich brachten Sie auch in der Erstbefragung am 16.11.2015 keine Probleme mit den afghanischen Behörden bzw. der Regierung vor. In dieser gaben Sie jedoch an von den Taliban mit dem Tod bedroht worden zu sein. In der Einvernahme vor dem BFA stellte sich im Gegensatz dazu heraus, dass es nie zu einer persönlichen Bedrohung Ihrer Person von den Taliban ausgehend gekommen ist. Bei Ihrem einzigen persönlichen Aufeinandertreffen mit den Taliban hätten diese Sie dazu bringen wollen sie nach XXXX zu fahren, als Sie dies abgelehnt hätten, hätten sie Ihnen den Autoschlüssel gewaltsam abgenommen und wären weggefahren. Ein weiteres Mal wären Sie den Taliban nicht persönlich begegnet. Lediglich Ihre Familie hätte einmal mit ihnen Kontakt gehabt, als sie sie zu Hause aufgesucht und nach Ihnen gefragt hätten. Auch in diesem Zusammenhang brachten Sie keine Bedrohung vor. Sie angaben die Taliban würde Ihrer Familie nichts tun, da Ihre Geschwister noch zu jung wären und Ihre Mutter als Frau auch von den Taliban verschont werden würde.

5. Gegen den obgenannten Bescheid der belangten Behörde richtete sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 20.03.2018. Der Beschwerdeführer beantragte Erhebungen vor Ort zur Überprüfung der Richtigkeit seiner Angaben, da er Probleme mit den Taliban bekommen habe, nachdem diese zunächst verlangt hätten, dass der Beschwerdeführer sie mit seinem Taxi fahren hätte sollen. Während der Fahrt mit dem Auto des Beschwerdeführers seien die Taliban von einer Drohne angegriffen und ums Leben gekommen. Die Taliban würden nunmehr den Beschwerdeführer für den Tod ihrer Mitglieder verantwortlich machen und den Beschwerdeführer verfolgen, da sie ihm die Zusammenarbeit mit der Regierung vorwerfen. Seitens der afghanischen Sicherheitskräfte würde der Beschwerdeführer keinerlei Hilfe erwarten, zumal dem Beschwerdeführer auch zum Vorwurf gemacht werden hätte können, dass er selbst mit den Taliban zusammenarbeiten würde. Dass die Regierung nach dem Beschwerdeführer suche, sei aber lediglich eine Vermutung. Fakt sei auch, dass die Taliban bei der Familie des Beschwerdeführers nach ihm gefragt hätten. Jedenfalls werde aber ersucht, subsidiären Schutz zu gewähren, zumal die aktuelle Sicherheitslage in Afghanistan eine Rückkehr nicht zulasse.

6. Am 22.08.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.

7. In der Stellungnahme vom 04.09.2018 wies der Beschwerdeführer zunächst darauf hin, dass die (im Zuge der mündlichen Verhandlung übermittelten) Länderinformationen vollinhaltlich zur Kenntnis genommen würden. Im Anschluss daran verwies der Beschwerdeführer auf die öffentlichkeitswirksamen Angriffe in städtischen Zentren. Ferner auf das Gutachten von XXXX sowie auf das Referat von XXXX, auf die Präsentation von XXXX sowie auf das Urteil des französischen Asylberufungsgerichts vom 09.03.2018, Nr. 17045561, wonach eine Abschiebung nach Kabul Art. 3 EMRK entgegenstehe. Zuletzt wiederholte der Beschwerdeführer den Beweisantrag auf Einholung einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Fragen, ob ein solcher Vorfall, wie seitens des Beschwerdeführers geschildert, registriert worden sei, ob in Bodhran ein Stützpunkt der Taliban existiere und ob der Beschwerdeführer von der Polizei gesucht werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Fluchtgründen:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger von der Volksgruppe der Paschtunen, ist in der Provinz Kapisa, Distrikt XXXX, geboren und aufgewachsen. Der Beschwerdeführer hat drei Jahre lang die Schule besucht, ca. zwei Jahre als Taxifahrer gearbeitet; ferner war der Beschwerdeführer in der Landwirtschaft tätig. Der Beschwerdeführer war im Zeitpunkt der Befragung vor der belangten Behörde Analphabet. Folgende Familienmitglieder leben in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers: Mutter, zwei Brüder, eine Schwester sowie ein Onkel. Drei Tanten mütterlicherseits leben in Jalalabad. Die finanzielle Situation der Familie des Beschwerdeführers war im Zeitpunkt der Flucht des Beschwerdeführers gut.

Der Beschwerdeführer war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Er ist in Afghanistan weder vorbestraft noch war er inhaftiert.

Es kann in Bezug auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden, dass dieser in Afghanistan aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt wurde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in die Städte Herat, Kabul oder Mazar-e-Sharif ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Bei einer Rückkehr kann er mit finanzieller Hilfe seiner in Afghanistan aufhältigen Familie rechnen und könnte seine Existenz dort auch - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, in den Städten Herat, Kabul oder Mazar-e-Sharif eine einfache Unterkunft zu finden.

Der Beschwerdeführer kann die Städte Kabul bzw. Herat und Mazar-e-Sharif - über Kabul - von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Der Beschwerdeführer ist ledig, unbescholten und hat keine Sorgfaltspflichten. Der Beschwerdeführer verfügt über das ÖSD Zertifikat A2. Der Beschwerdeführer hat ehrenamtliche Tätigkeiten ausgeführt. Der Beschwerdeführer ist im Besitz einer Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter für die Zeit vom 31.05.2018 bis 29.11.2018 im Ausmaß von 20 Stunden pro Woche mit einem monatlichen Entgelt von EUR 680,00 brutto. Der Beschwerdeführer ist nicht Mitglied in einem Verein.

1.2. Feststellungen zum Herkunftsstaat:

1.2.1. Auszug Staatendokumentation (Stand 29.06.2018)

4. Sicherheitslage

[...]

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

[...]

4.1. Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Informationen und Beispiele zu öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage (allgemeiner Teil)" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).

[...]

4.5. Balkh

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port, Nahra-i-Shahi, Dihdadi, Balkh, Daulatabad, Chamtal, Sholgar, Chaharbolak, Kashanda, Zari, Charkont, Shortipa, Kaldar, Marmal, und Khalm; die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y).

Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (CSO 4.2017).

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35).

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017).

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Reuters 22.3.2018). Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (Tolonews 24.3.2018).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:

Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Balkh

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT 6.3.2018, Pajhwok 10.7.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.3.2018; vgl. Tolonews 7.3.2018, PT 6.3.2018, Tolonews 22.4.2017).

Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 7.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Balkh

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.1.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017).

Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.2.2018).

[...]

4.13. Herat

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe (UN OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o. D.). Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (CP 21.9.2017). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (Pajhwok o.D.; vgl. NPS o.D.).

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz (AJ 8.3.2012). Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion (AJ 8.3.2012; vgl. EN 9.11.2017). Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet (Pajhwok 13.1.2018). Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. (Tolonews 10.11.2017). Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min. 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen (Pajhwok 13.1.2018; vgl. EN 9.11.2017). Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (UNODC 11.2017).

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen (PPG 26.2.2018; vgl. RFE/RL 23.2.2018). Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen (Tolonews 4.3.2018). Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden (Tolonews 14.3.2018).

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (Khaama Press 25.10.2017).

Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern (Pajhwok 21.1.2017).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (AN 18.2.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:

Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Herat

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 15.1.2017). Auch werden Luftangriffe verübt (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017); dabei wurden Taliban getötet (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (AJ 25.6.2017; vgl. AAN 11.1.2017). In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (MdD o. D.).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Herat

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018;

vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren (RFE/RL 23.2.2018;

vgl. Gandhara 22.2.2018, IP 13.8.2017, NYT 5.8.2017). Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an (FAZ 1.8.2017; vgl. DW 1.8.2017). Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen (AF 14.3.2018; vgl. Tolonews 4.3.2018). Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017).

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (UNAMA 2.2018).

ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (ACLED 23.2.2017).

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17.1. Paschtunen

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari (CSR 12.1.2015). Die Pashtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze (USDOS 20.4.2018). Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Ausführliche Informationen zu Paschtunen und dem Paschtunwali, können dem Dossier der Staatendokumentation (7.2016) entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

1.2.2. EASO-Bericht "Afghanistan Netzwerke" aus Jänner 2018

Die Unterstützungspflicht der Großfamilie

Die wechselseitige Verpflichtung, einander innerhalb der Großfamilie zu helfen und zu unterstützen, ist stark, und die Traditionen, Verantwortung für Menschen innerhalb der Gruppe zu übernehmen, sind tief verwurzelt. Je enger die Verwandtschaft, desto stärker ist die Pflicht zu helfen und zu unterstützen. Mehrere Menschen, mit denen Landinfo in Kabul sprach, äußerten die Ansicht, dass es unmöglich sei, Menschen aus dem engsten Umfeld wie Brüder, die Kinder des Bruders des Vaters etc. zurückzuweisen, es sei denn, es besteht ein schwerwiegender Konflikt innerhalb der Familie. Man könne sich unmöglich vorstellen, dass ein Afghane kein Dach über dem Kopf anbietet, wenn die Alternative wäre, dass ein enges Familienmitglied auf der Straße stünde. Es ist kulturell inakzeptabel, eine Person, die um Zuflucht ersucht, abzuweisen, und das gilt insbesondere für enge Verwandte. Die Dauer des Aufenthaltes ist von den Mitteln der Familie abhängig. Die Pflichten gegenüber der Großfamilie gelten für alle Afghanen ungeachtet der ethnischen Zugehörigkeit, unter Paschtunen sind sie aber wahrscheinlich am stärksten ausgeprägt.

Stämme und Clans

Die soziale Organisation in Stämmen und Clans beruht auf der Annahme eines gemeinsamen Vorfahren und somit einer vermuteten Beziehung zwischen den Mitgliedern des Stammes/Clans. Einige Stämme und Clans der Paschtunen sind groß und umfassen Millionen Menschen.

Es wird angenommen, dass die Paschtunen die größte Stammesgesellschaft der Welt bilden; ihre Sozialstruktur besteht aus Stämmen, die ihrerseits in Clans gegliedert sind. Der Begriff Clan wird auch von anderen ethnischen Gruppen verwendet und bilden einen wichtigen Teil der Sozialstruktur in ländlichen Gebieten Afghanistans. So ist die Abstammung zum Beispiel auch für Hazara wichtig und gilt als Grundlage ihrer Sozialstruktur, obwohl die meisten ihre Vorfahren höchstens acht Generationen zurückverfolgen können. Im Gegensatz zu den Paschtunen und Hazara ist die tadschikische Bevölkerung Afghanistans nicht in Stämmen und Clans organisiert, sie hat auch keine Vorstellungen eines gemeinsamen Ahnen.

In Afghanistan besteht eine Tradition der lokalen Selbstverwaltung, und der Stammesführer verfügt in diesem Zusammenhang über große Macht. Die führenden Familien innerhalb der Stämme genießen hohen sozialen und wirtschaftlichen Status. Die Identifikation mit einem Stamm/Clan ist ein wichtiger sozialer Indikator um zu zeigen: ‚Ich bin einer von euch'. Die verschiedenen Stämme/Clans bilden jedoch keine homogene Gruppe, unterschiedliche politische, wirtschaftliche, soziale und wertebezogene Trennlinien können die Mitglieder spalten. Die verschiedenen Regime, die das Land regiert haben, hatten sowohl Anhänger als auch Gegner innerhalb desselben Stammes und Clans. Das gilt auch noch heute, in den meisten Stämmen findet man Anhänger und Gegner sowohl des Staatsbildungsprojektes als auch der bewaffneten Opposition.

Zugang zum Arbeitsmarkt

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gibt es lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarkts. Der Arbeitsmarkt besteht zu einem großen Teil aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder.

Ein Mitarbeiter einer Botschaft vor Ort beschrieb, wie Tagelöhner von der Straße weg angeheuert werden. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Diese Treffpunkte befinden sich an speziellen Orten der Stadt. Hier treffen sich Arbeitssuchende und Anbieter von Arbeit am frühen Morgen und einigen sich über Tagelöhnerschaft und kurzzeitige geringfügige Tätigkeiten, für gewöhnlich manuelle Hilfsarbeit, manchmal auch qualifiziertere Arbeit. Durch das Mitführen seiner eigenen Werkzeuge oder Ausrüstung zeigt der Arbeitssuchende, was er kann. Nach einem kurzen Gespräch und einer Prüfung entscheidet der "Arbeitgeber", wer angeheuert wird. Viele bewerben sich, aber nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt in etwa 300 Afghani (ca. USD 4,3) für Hilfsarbeiter, während gelernte Kräfte bis zu 1.000 Afghani (ca. USD 14,5) pro Tag verdienen können.

Zugang zur Unterkunft

Für Fahrer und andere Reisende, Tagelöhner, Straßenverkäufer, Jugendliche, unverheiratete Männer und andere, die über keine permanente Wohnmöglichkeit in der Gegend verfügen, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität. Dabei handelt es sich um einfache, große Zimmer, wo Tee und einfaches, billiges Essen aufgetischt wird. Um wenig Geld kann man hier auch übernachten. Nach Quellen von Landinfo beträgt der Preis zwischen 30 und 100 Afghani (in etwa USD 0,4 bis 1,4) pro Nacht. Diese Lokale werden örtlich als chai khana bezeichnet - generell bekannt als samawar - oder übersetzt Teehaus. In Kabul und den anderen großen Städten gibt es viele solcher chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden, und es ist nichts Ungewöhnliches, dass Gäste alleine kommen. Der afghanische Forscher Hafizullah Emadi bezeichnet die chai khana als wichtige Treffpunkte und Orte der Sozialisierung.

Hilfe aus entfernten Netzwerken

In einer Empfehlung des UNHCR an Asylländer im Juni 2005 heißt es, dass Hilfe und Unterstützung durch Netzwerke auf Gebiete beschränkt seien, wo diese Netzwerke physisch präsent sind. Nach Einschätzung von Landinfo verliert der Faktor geografische Nähe durch technologische Entwicklungen an Wichtigkeit für den Zugriff auf Netzwerke. Wie schon erwähnt, ist der Besitz von Mobiltelefonen "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten.

Geld kann über das Bankensystem überwiesen werden, doch nicht alle Afghanen verfügen über ein Bankkonto. Dies gilt vor allem für die ländliche Bevölkerung. In der Durchschnittsbevölkerung ist das Vertrauen in Banken und den Bankenapparat gering. Wer das Bankensystem nicht nutzen kann oder möchte, kann Geld über ein informelles Geldüberweisungssystem (hawala) überweisen. Es gibt ein gut etabliertes System für grenzüberschreitende Zahlungen und Überweisungen, in das die Menschen Vertrauen haben. Ein gewisser Prozentsatz der transferierten Summe wird als Gebühr verrechnet. Geld kann in alle Landesteile überwiesen werden, auch in die und aus den Nachbarstaaten, etwa Iran und Pakistan.

1.2.3. Auszug BFA (Hrsg.), Dossier der Staatendokumentation AfPak. Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur (2016), "Das Pashtunwali:

Eine Analyse der Lebensweise der Paschtunen"

Das Pashtunwali ist ein gesellschaftlicher, kultureller und gesetzesähnlicher Kodex, der die Lebensführung, den Charakter und die Ordnung der Paschtunen größtenteils regelt, leitet und ausgleicht. Als Pashtunwali wird das Gewohnheitsrecht bezeichnet, das die geistige Lebenseinstellung, die allen Paschtunen gemeinsam ist, widerspiegelt und für die Paschtunen schon seit grauer Vorzeit gilt. Auch, wenn das Pashtunwali nicht das staatliche Recht darstellt, behandelt es alle Sitten, Traditionen, das gesamte Erbe, Gewohnheitsrecht, Brauchtum und die gesellschaftlichen Beziehungen und bildet so das System der sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen des Stammes vollständig ab. Es verkörpert alle Merkmale oder Verhaltensweisen, die man von einem Paschtunen erwartet. Obwohl es nicht schriftlich niedergelegt oder genau definiert ist, stellt es den Kern der sozialen Verhaltensregeln der Paschtunen dar. Es ist teilweise Dichtung und teilweise Realität und manifestiert sich in Erzählungen, Liedern, Sprichwörtern, Metaphern usw. Somit ist es im täglichen Leben allen immer präsent. Viele der grundlegenden Konzepte des Pashtunwali entstammen dem mosaischen Gesetz "Zahn um Zahn" und verfolgen den Grundsatz der Gleichheit.

In der Gesellschaft der Paschtunen wird das Pashtunwali zur Regelung aller gesellschaftlichen und internen Angelegenheiten der Gemeinschaft als zentrale Autorität herangezogen, so wie sie sich in den Vorschriften des Pashtunwali manifestiert. Dieses sind die Folgenden: Melmastiya (Gastfreundschaft), Nang (Ehre), Nanawatai (Abbitte leisten), Ghairat (Würde) usw. Die gesellschaftlichen Institutionen wie die Jirga (Ältestenversammlung zur Lösung von Streitigkeiten), Maraka (Ältestenrat zur Lösung kleinerer Probleme) usw. stellen demokratische Strukturen dar. Desgleichen gibt es für Rechtsangelegenheiten eine reguläre Justiz in Form der Jirga (alternative Streitbeilegung), Tigah (Waffenruhe), Nogha (Strafzahlung) usw. Auch eine reguläre Exekutive ist vorgesehen in Form der Lashkar (Bürgermiliz), Tsalwashtees (Friedenskräfte), Cheegha (Aufruf zum Handeln) und Ähnliches.

Das Pashtunwali gilt für jeden, der in einem Siedlungsgebiet der Paschtunen lebt. Ein Paschtune, der an einem anderen Ort auf der Welt lebt, müsste sein Leben auch gemäß dem Pashtunwali führen, da er seiner Abstammung nach Paschtune ist; es ist überall gleichermaßen gültig. Obwohl die Grundsätze des Pashtunwali überall gleich sind, weicht die Interpretation je nach Ort leicht voneinander ab. Diese Interpretation wird als Narkh bezeichnet (Regelwerk des Pashtunwali über die Strafmaß und Bestrafung). So sprechen beispielsweise die Paschtunen im nördlichen Bereich Pakistans den Yousafzai-Dialekt, diejenigen im südlichen Pakistan und in Nordafghanistan dagegen den Qandahari-Dialekt.

[...]

Melmastiya (Gastfreundschaft) ist ein wesentlicher Aspekt des Pashtunwali. Melmastiya bedeutet allen Besuchern Gastfreundschaft und tiefempfundenen Respekt entgegenzubringen, unabhängig von Rasse, Religion, nationaler Zughörigkeit und wirtschaftlichem Status und ohne Erwartung einer Belohnung oder von Vorteilen. Melmastiya verlangt auch, dass dem Gast Sicherheit gewährt wird und hat manchmal Vorrang vor der Badal (Vergeltung). Das bedeutet, wenn ein Feind anklopft und Zuflucht sucht, muss man ihm diese gewähren. Dieser Teil der Melmastiya war ein großer Streitpunkt zwischen den britischen Kolonialherren und den Paschtunenstämmen. So konnte sich z. B. ein Gesetzesbrecher oder Straftäter aus den besiedelten Gebieten von Khyber Pakhtunkhwa in die Stammesgebiete Pakistans flüchten (FATA) und dort Zuflucht und Schutz finden.19 Für die Paschtunen gilt ein Malma (Gast) als ein Segen Gottes. [...]

[...]

Pflichten und Aufgaben nach dem Pashtunwali

In der paschtunischen Gesellschaft hat jedes Mitglied (Kind, Jugendlicher, Mann, Frau, Ältester) in den einzelnen Lebensabschnitten bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Der Mitarbeiter der Pashto Academy der Universität Peshawar Fazal Azeem sagt: "Die Aufgaben und Pflichten richten sich nach dem Alter, der Lebenslage usw. In den meisten Gebieten werden den Jugendlichen Pflichten auferlegt, wenn sie alt genug sind, zwischen gut und böse zu unterscheiden." Dies ist jedoch auch von Region zu Region unterschiedlich. Shaikh Janzada, ein Stammesältester aus Bajaur Agency erklärt: "In einigen Gebieten werden den Stammesmitgliedern erst nach der Verheiratung Pflichten auferlegt, in anderen müssen schon Kinder, die zwischen Gut und Böse unterscheiden können, bestimmte Pflichten in ihren Gemeinschaften erfüllen. In den meisten Gebieten werden die Pflichten je nach Alter und Reifegrad der Person verteilt.

Laut Pashtunwali wird die Gemeinschaft von den Mashar (Ältesten) geführt. Ein Mashar ist ein älterer, weiser und glaubwürdiger Mann, der das Vertrauen des gesamten Qaum (Stamm) genießt. Es wird erwartet, dass er sich dieses Vertrauen durch verschiedene Taten im Laufe seines Lebens erworben hat. Er sollte stets die Lage des Gemeinwesens kennen und alles im Blick haben, was ihm an guten und schlechten Dingen widerfahren kann. Er befürwortet oder missbilligt die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und wenn er es für notwendig erachtet, verweist er ein Thema zur Vermittlung einer Lösung an die Jirga. Mashar sollten Wohlwollen gegenüber den jungen Leuten zeigen. Weil ein Mashar über Erfahrung und umfassendes Wissen verfügt wenden sich viele an ihn, um Streitigkeiten beizulegen, um etwas über die Familiengeschichte, das Land oder die traditionellen Sitten, Gebräuche und Geschichten zu erfahren usw. Ein Mashar kann als "lebendige Geschichte" angesehen werden, denn er gibt die Erzählungen an die Jugend weiter, damit sie etwas über die Geschichte lernt, über positive und negative Ereignisse und über die Regeln des Pashtunwali. In allen Angelegenheiten wendet man sich zuerst an ihn und sein Rat wird widerspruchslos befolgt. Ein Kashar (junger Mensch) hat den Mashar (Ältesten) Respekt zu zollen, er soll deren Lehren in seinem Leben befolgen, andere Jugendliche von schlechtem Tun abbringen und anderen Gutes tun. Außerdem leistet ein Kashar freiwillige Dienste, sorgt für die Gäste und die Ältesten, beschafft Nahrungsmittel, kümmert sich um das Dorf und die Sicherheit des Gemeinwesens. Die Jugendlichen und die unverheirateten Männer des Dorfes schlafen im Hujra, um über das Dorf zu wachen, falls ein unvorhergesehenes Ereignis eintritt, d.h. Blutfehden, Raubüberfälle usw. Sie helfen den Ältesten im Dorf bei den Vorbereitungen für Hochzeiten, Beerdigungen, religiöse oder traditionelle Festlichkeiten. Bei einem Todesfall beispielsweise, helfen die Jüngeren den Ältesten ihres Stammes bei der Vorbereitung des Grabes, bei der Ghusal (Leichenwaschung), den Abschiedsgebeten usw. Die Jungen und die Ältesten kümmern sich auch gemeinsam um die Armen, Behinderten, Kranken und Alten der Gemeinschaft. Die Jungen leisten die praktische Hilfe, die Ältesten sorgen für Finanzhilfen für die Behandlung, das tägliche Essen, Unterhaltung usw. Die Jungen müssen alle Regeln des Pashtunwali befolgen, ein Verstoß gilt als Sharam (Schande) für das ganze Gemeinwesen. Wenn ein junger Mensch jedoch etwas zu Ehren der Gemeinschaft unternimmt, erhält er ungeachtet der möglichen Folgen deren volle Unterstützung.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes sowie in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu Identität, Sprachkenntnissen, Herkunft und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich gleichbleibenden und daher glaubhaften Angaben vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde, in dem Beschwerdeschriftsatz und in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufkommen lässt.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer über Familienangehörige in Afghanistan verfügt, gründet sich darauf, dass im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür hervorgetreten sind, dass die Angehörigen des Beschwerdeführers zwischenzeitig - nach der Flucht des Beschwerdeführers - Afghanistan ebenfalls verlassen hätten. Der Beschwerdeführer hat (sowohl vor der belangten Behörde, als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht) lediglich behauptet, über keinen Kontakt mehr mit se

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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