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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde der SB (geb. D) in M, geboren am 13. März 1979, vertreten durch Dr. Martin Dellasega, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 30. März 1999, Zl. Ia-13.055/7-1999, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 30. März 1999 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin - einer türkischen Staatsangehörigen - vom 22. April 1997 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin seit ihrer Geburt (13. März 1979) ihren ununterbrochenen Hauptwohnsitz in Österreich habe. Sie sei in aufrechter Beschäftigung und für niemanden sorgepflichtig. Sie habe am 13. März 1996 "vor der Gendarmerie in Matrei am Brenner" fälschlicherweise angegeben, dass sie von M. am 15. Februar 1996 gegen ihren Willen in ein Auto gezerrt, ihr Ohrfeigen versetzt und sie in der Folge vergewaltigt worden sei. Einige Tage später habe er ihr das Messer an den Hals gesetzt und sie mit dem Umbringen bedroht, falls sie jemandem etwas von der Vergewaltigung erzähle. M. sei der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt worden. Sie sei deswegen vom Landesgericht Innsbruck am 28. Mai 1996 wegen des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 zweiter Fall StGB in Anwendung des § 5 JGG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von "3 Monaten bedingt auf 2 Jahre" verurteilt worden. Dieses Urteil sei in Rechtskraft erwachsen.
Die Beschwerdeführerin habe durch diese fälschliche Bezichtigung das Ansehen des M. schwer beeinträchtigt, ihr Handeln sei gegen die öffentliche Rechtspflege gerichtet gewesen. Selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin - welche die Tat mit der "sehr einschränkenden türkischen Gesellschaftsordnung" in Bezug auf Frauen und "andererseits dem westlich orientierten österreichischen Lebensstil" zu rechtfertigen suchte, weil sie aufgrund sexueller Beziehungen vor der geplanten Heirat mit einem türkischen Staatsangehörigen in eine Zwangslage geraten sei und sich zu einem unbedachten Handeln habe hinreissen lassen - den dargelegten Sachverhalt eingestanden habe, müsse ihren Ausführungen im Rahmen des Parteiengehörs entgegengehalten werden:
"Unkenntnis des Gesetzes entschuldigt nicht". Das von der Beschwerdeführerin gesetzte Verhalten habe sich "in eklatanter Weise" gegen die von der österreichischen Rechtsordnung geschützten Werte gerichtet. Von einer Würdigung "weiterer Voraussetzungen, ob noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet" seien, werde Abstand genommen. Nebenbei sei bemerkt, dass die Straffälligkeit der Beschwerdeführerin ungefähr ein Jahr vor Beantragung der Staatsbürgerschaft als besonders schwerwiegend gewertet werde, es könne nicht von einer nachhaltigen persönlichen Integration gesprochen werden. Davon ausgehend stehe dem Verlangen der Beschwerdeführerin auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft das Einbürgerungshindernis des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG entgegen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 10 Abs. 1 StbG kann einem Fremden die Staatsbürgerschaft verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz im Gebiet der Republik hat und gegen ihn kein Ausschließungsgrund nach den Z. 2 bis 8 dieses Absatzes vorliegt. Insbesondere darf gemäß Z. 6 die österreichische Staatsbürgerschaft einem Fremden nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährde.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der nach § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG vorzunehmenden Beurteilung der Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers, welches wesentlich durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt wird, auszugehen. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern ist es lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Vorschriften missachten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. Mai 1998, Zl. 97/01/1166).
Der belangten Behörde ist zuzugestehen, dass bei der demnach zu erstellenden Prognose bezüglich des erwartbaren zukünftigen Verhaltens der Staatsbürgerschaftswerberin zu ihren Lasten insbesondere gerichtlich strafbare Handlungen gegen das Ansehen anderer Personen und die Rechtspflege zu berücksichtigen sind. Ihr kann weiters nicht entgegengetreten werden, wenn sie die ausreichend konkret dargestellte Tathandlung grundsätzlich als schwer beurteilte. Daran vermögen auch die in der Beschwerde wiederholten Gründe für die Tatbegehung - die ohnehin vom Strafgericht als Milderungsgrund des "nicht auszuschließenden kulturellen Zwanges" berücksichtigt wurden - nichts zu ändern, zumal einer Neubewertung der von der Beschwerdeführerin verwirklichten Straftat die Rechtskraft der gerichtlichen Verurteilung entgegensteht.
Es darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass die Beschwerdeführerin schon seit ihrer Geburt im Jahr 1979 ihren ununterbrochenen Hauptwohnsitz in Österreich hat. Während ihres somit im Zeitpunkt der Bescheiderlassung rund 20-jährigen inländischen Aufenthalts hat sie sich mit Ausnahme der festgestellten gerichtlich geahndeten Verleumdung wohl verhalten. Die in der Beschwerde erkennbar zum Ausdruck gebrachte Ansicht, es habe sich dabei um eine einmalige Verfehlung gehandelt, die nicht den Schluss zulasse, die Beschwerdeführerin biete keine Gewähr dafür, dass sie keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bilde, ist daher nicht von der Hand zu weisen. Dabei ist mit zu berücksichtigen, dass die Tathandlung bereits 1996 gesetzt worden ist. Im Hinblick darauf erforderte die von der Behörde getroffene Prognose aber ergänzende Anhaltspunkte; im Falle der Begehung einer einzigen strafbaren Handlung, die - wenn auch ganz knapp - unter der Schwelle des § 10 Abs. 1 Z. 2 StbG geahndet wurde, während eines ca. 20-jährigen ansonsten unbeanstandeten Aufenthalts in Österreich, wobei die Tathandlung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits drei Jahre zurücklag, wäre die belangte Behörde verhalten gewesen, anzuführen, warum sie trotzdem zu dem Schluss gekommen ist, die Einbürgerungswerberin werde im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG auch in Zukunft wesentliche Rechtsbrüche begehen (vgl. das hg. Erkenntniss vom 13. Mai 1998, Zl. 97/01/1166). Die Argumentation der belangten Behörde, es werde bemerkt, dass die Straffälligkeit der Beschwerdeführerin ungefähr ein Jahr vor Beantragung der Staatsbürgerschaft als besonders schwerwiegend gewertet werde, gibt in diese Richtung nichts her, weil es zur Erstellung der Prognose nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung, sondern auf den Zeitpunkt der Bescheiderlassung ankommt. Es bleibt unklar, welche Schlussfolgerungen daraus zum letztgenannten Zeitpunkt - ca. zwei Jahre später - in Bezug auf das künftige Verhalten der Beschwerdeführerin gezogen werden können.
Indem die belangte Behörde nach dem Vorgesagten auf dem Boden der getroffenen Feststellungen zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangte, die Beschwerdeführerin erfülle die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG nicht, hat sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 20. Oktober 1999
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1999010228.X00Im RIS seit
11.07.2001