Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Versagung der Erteilung von Einreisetiteln für die Ehegattin und die minderjährigen Kinder eines in Österreich asylberechtigten afghanischen Staatsangehörigen mangels Feststellungen betreffend das anzuwendende fremde Recht hinsichtlich der Anerkennung einer nach islamischem Recht geschlossenen EheSpruch
I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.728,40 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich um eine afghanische Staatsangehörige, die für sich sowie ihre beiden minderjährigen Kinder (Zweit- und Drittbeschwerdeführer) am 31. Jänner 2017 bei der österreichischen Botschaft Islamabad einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß §35 Abs1 AsylG 2005 gestellt hat. Als Bezugsperson gab sie ihren namentlich näher bezeichneten Ehemann und leiblichen Vater der Kinder an, dem in Österreich mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl im November 2016 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden war. Als Tag der Eheschließung wurde der 6. März 2007 angegeben. Zur Bestätigung des Bestehens der Ehe legte sie dem Antrag eine Heiratsbestätigung, ausgestellt am 10. Oktober 2016 durch die Islamische Republik Afghanistan, vor; in dieser wird als erfolgter Tag der Eheschließung der 6. März 2007 angegeben. Im Verfahren wurde auch die originale, handgeschriebene Heiratsurkunde über die Eheschließung nach islamischem Recht vorgelegt.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl teilte der österreichischen Botschaft Islamabad mit Schreiben vom 21. März 2017 gemäß §35 Abs4 AsylG 2005 mit, dass eine Gewährung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten oder eines Asylberechtigten nicht wahrscheinlich sei, weil die Angehörigeneigenschaft gemäß §35 Abs5 AsylG 2005 nicht wahrscheinlich sei. Der Erstbeschwerdeführerin wurde die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt, woraufhin seitens der Rechtsberatung eine durch ACCORD erstellte Anfragebeantwortung zu Afghanistan vom 30. Jänner 2014 zu Themenkreisen in Zusammenhang mit der Eheschließung und ihrer Bestätigung durch Mullahs vorgelegt wurde.
Die österreichische Botschaft wies mit Bescheid vom 24. April 2017 den Antrag auf Erteilung der Einreisetitel ab.
2. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde vertraten die Beschwerdeführer (weiterhin) die Ansicht, dass in Afghanistan die Ehe bereits durch die traditionelle Eheschließung als rechtsgültig anerkannt werde. Sie sei zunächst nicht staatlich registriert worden, was in Afghanistan üblich sei und der Gültigkeit der Ehe keinen Abbruch tue, wie auch aus dem beigelegten ACCORD-Bericht hervorgehe. Sollte wegen des Alters der Erstbeschwerdeführerin im Zeitpunkt der Eheschließung von 16 Jahren von einem Verstoß gegen den ordre public ausgegangen werden, so sei dem die mittlerweile eingetretene Heilung entgegenzuhalten. Nicht zuletzt habe die Erstbeschwerdeführerin selbstständig den Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gestellt, um das bereits im Herkunftsstaat bestandene Familienleben fortsetzen zu können.
Zunächst wies die österreichische Botschaft mit Beschwerdevorentscheidung vom 25. Juli 2017 die Beschwerde ab. Über Vorlageantrag, in dem darauf hingewiesen wurde, dass auch in Österreich eine Eheschließung unter gewissen Umständen ab dem vollendeten 16. Lebensjahr möglich sei, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde mit Erkenntnis vom 21. März 2018 ab.
3. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt in seiner Begründung auf die von der Erstbeschwerdeführerin im Verfahren vorgelegte, von der Islamischen Republik Afghanistan am 10. Oktober 2016 ausgestellte Heiratsurkunde Bezug. Diese von staatlichen Autoritäten ausgestellte Heiratsurkunde sei nach der Flucht der Bezugsperson aus Afghanistan ausgestellt worden und daher unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt nicht geeignet, eine Eheschließung im Herkunftsstaat in Anwesenheit der Bezugsperson nachzuweisen.
Sodann geht das Bundesverwaltungsgericht darauf ein, dass sich im Verfahren Indizien dafür ergeben hätten, dass allenfalls eine nach islamischem Ritus geschlossene Ehe im Jahr 2007 vorliegen könnte. Dazu führt das Bundesverwaltungsgericht rechtlich in der Folge – nach Wiedergabe von Bestimmungen des IPRG – aus:
"Der Rückverweis auf die Anerkennung einer nach islamischem Recht geschlossenen Ehe stellt sich vor dem Hintergrund der Vorschriften des IPR-Gesetzes als problematisch dar.
So ist festzustellen, dass die Gesamtheit der Kodifizierung der personenstands- und insbesondere ehe- und familienrechtlichen Regeln nach islamischen Ritus — weitgehend festgehalten in der sogenannten Sharia — auf archaischen Rechtstraditionen aufbauend zu betrachten ist.
Die Sharia insgesamt stellt sich sohin als dem Wertesystem der Europäischen Union und der Europäischen Menschenrechtskonvention gänzlich widersprechend dar.
Gemäß §16 IPRG ist die Form einer Eheschließung im Ausland nach dem Personalstatut jedes der Verlobten zu beurteilen. Die diesbezügliche Vorschrift steht jedoch unter der Vorbehaltsklausel des §6 IPRG, wonach eine Bestimmung des Fremdenrechts [gemeint wohl: fremden Rechts] dann nicht anzuwenden ist, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist (ordre public). Insbesondere die Möglichkeit der Mehr-Ehe verstößt jedoch jedenfalls innerstaatlichen eherechtlichen Rechtsvorschriften, weshalb ein Verweis auf das Personalstatut des Herkunftsstaates vor diesem Hintergrund jedenfalls als §6 IPRG relevant zu qualifizieren ist.
[…]
Festzuhalten ist weiters, dass jedweder Verweis auf eine nach Sharia-Recht geschlossene Ehe ins Leere gehen muss, da das gesamte Eherecht der Sharia, inkludierend die Vorschriften zur Zulässigkeit der Vielehe und den Bestimmungen zur Scheidung durch seitens des Mannes ausgesprochene 'Verstoßung', in toto dem ordre public widersprechend zu betrachten ist.
Eine hypothetische Andersbewertung heiratsrechtlicher Vorschriften nach der islamischen Sharia würde zum zwingenden Ergebnis führen, dass auch weitere allenfalls die Einreise beantragende Ehefrauen nach traditionellem islamischen Recht vor dem Hintergrund des österreichischen Recht als rechtsgültige Ehefrauen zu betrachten wären, was jedenfalls dem europäischen Gemeinkonsens wiedersprechend zu qualifizieren ist bzw wäre dadurch de facto das Ergebnis herbeigeführt, dass Männer aus islamisch geprägten Staaten mit mehreren Ehefrauen - aufgrund geschlossener Ehen aufgrund der Sharia - in Österreich rechtsgültig leben könnten. Die Vorstellung der Vielehe ist dem Recht der Europäischen Union sowie der einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union jedoch fremd."
Auf Grund dieser Ausführungen geht das Bundesverwaltungsgericht offensichtlich davon aus, dass der nach islamischem Ritus geschlossenen Ehe der Erstbeschwerdeführerin im Verfahren in keinem Fall Bedeutung zukommen könne.
Im Folgenden bezweifelt das Bundesverwaltungsgericht, ob die von den Beschwerdeführern namhaft gemachte Bezugsperson mit der in den vorgelegten Dokumenten genannten Person anderen Namens ident ist (soweit das Bundesverwaltungsgericht auf bestimmte Namensbestandteile der Erstbeschwerdeführerin [als Braut] und der Bezugsperson [als Bräutigam] in der behördlichen Heiratsurkunde vom 10. Oktober 2016 abstellt, übersieht das Bundesverwaltungsgericht freilich, dass es sich dabei ausweislich der im Akt einliegenden deutschen Übersetzung dieser Heiratsurkunde um die Namen der jeweiligen Väter handelt). Hinsichtlich der minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer stellt das Bundesverwaltungsgericht auf eine "mangelnde Genehmigung der alleinigen Ausreise aus Afghanistan" und darauf ab, dass nicht hinlänglich bewiesen sei, dass "die Minderjährigen tatsächlich auf die namhaft gemachte Bezugsperson zurückzuführen sind".
4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, gemäß Art144 B-VG erhobene Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
Entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes liege eine gültige Ehe vor. Das Bundesverwaltungsgericht könne aus der am 10. Oktober 2016 ausgestellten staatlichen Heiratsurkunde nicht schließen, dass damit nur eine Eheschließung der Erstbeschwerdeführerin und der Bezugsperson nach deren Verlassen des Herkunftsstaates (und damit in ihrer Abwesenheit) nachgewiesen werden könne, weil die Heiratsurkunde auf die bereits am 6. März 2007 rechtskräftig geschlossene Ehe verweise. Wie aus der ACCORD-Anfragebeantwortung hervorgehe, würden Eheschließungen, bei denen Zeugen anwesend seien und die von einem Mullah durchgeführt würden, Rechtsgültigkeit besitzen. Die – in der Praxis oft unterbleibende – Registrierung der Ehe habe keine Auswirkungen auf deren Gültigkeit.
Ein Rückverweis auf die nach islamischem Recht bereits am 6. März 2007 geschlossene Ehe stelle sich entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht als problematisch dar. Das Nicht-Vorliegen einer gültigen Ehe könne nicht mit der ordre public-Klausel in §6 IPRG begründet werden. Die Schlussfolgerung des Bundesverwaltungsgerichtes, dass die Scharia "gänzlich" dem Wertesystem der Europäischen Union und der Europäischen Menschenrechtskonvention widerspreche, sei denkunmöglich. Nach §6 IPRG sei bloß "eine Bestimmung" des fremden Rechts nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu dem Ergebnis führen würde, dass sie mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar sei. Wenn das Bundesverwaltungsgericht ausführe, dass die Möglichkeit einer Mehr-Ehe jedenfalls innerstaatlichen eherechtlichen Rechtsvorschriften widerspreche, sei dies irrelevant, weil eine – "zweifellos [...] ordre public widersprechende" – Mehr-Ehe im konkreten Fall nicht vorliege.
Auch stehe das Alter der Erstbeschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Eheschließung den Grundwertungen der innerstaatlichen Rechtsordnung nicht entgegen. Möchte eine Frau im Alter zwischen 16 und 18 Jahren in Afghanistan heiraten, bedürfe es der Zustimmung ihres Erziehungsberechtigten. Eine solche Regelung sei auch dem österreichischen Recht nicht fremd.
Weiters würde ein jeweils näher begründeter Verstoß gegen Art47 GRC und Art8 EMRK vorliegen.
5. Das Bundesverwaltungsgericht sowie die österreichische Botschaft Islamabad haben die Akten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere auch dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Entscheidung mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s VfSlg 18.925/2009 mwN; weiters VfSlg 13.302/1992, 14.421/1996, 15.743/2000, 17.642/2005).
2. Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen. Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Entscheidung mit Willkür belastet, weil es die Rechtslage zur Gänze verkennt und den konkreten Sachverhalt völlig außer Acht lässt.
2.1. Gemäß §35 Abs5 AsylG 2005 idF BGBl I 145/2017 zählt als Familienangehöriger der Ehegatte, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.
In den Erläut zu BGBl I 145/2017 wird dazu ausgeführt: "Im Hinblick darauf, welche Personen als Familienangehörige gelten, sind betreffend Ehegatten und eingetragene Partner, sofern die Ehe oder eingetragene Partnerschaft im Ausland geschlossen wurde, §§16 iVm 6 IPRG und die diesbezügliche OGH-Judikatur zu berücksichtigen" (IA 2285/A BlgNR 25. GP, 87).
2.1.1. Gemäß §4 Abs1 IPRG ist das fremde Recht von Amts wegen zu ermitteln. Zulässige Hilfsmittel hiefür sind etwa die Mitwirkung der Beteiligten, Auskünfte des Bundesministeriums für Justiz und Sachverständigengutachten (mwN Verschraegen, in: Rummel [Hrsg.], ABGB, 2. Bd/II3, 2002, §4 IPRG Rz 1 f.); zur Ermittlung des fremden Rechts kann auch die Staatendokumentation (§5 Abs3 BFA-G) in Anspruch genommen werden (vgl VwGH 27.6.2017, Ra 2016/18/0277). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gilt in Bezug auf ausländisches Recht der Grundsatz "iura novit curia" nicht, sodass dieses in einem grundsätzlich amtswegigen Ermittlungsverfahren festzustellen ist (vgl mwN VwGH 27.6.2017, Ra 2016/18/0277).
Bestimmungen fremden Rechts, die die Mehr-Ehe, die Kinderehe oder eine einseitige Verstoßung der Frau durch den Mann vorsehen, widersprechen österreichischen Grundwertungen im Sinne der Vorbehaltsklausel des §6 IPRG (vgl mwN zur Rechtsprechung einschließlich des Obersten Gerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes Verschraegen, in: Rummel [Hrsg.], ABGB, 2. Bd/II3, 2002, §6 IPRG Rz 2 ff.).
Dabei kommt es für das Eingreifen der Vorbehaltsklausel des §6 IPRG darauf an, dass das Ergebnis der Anwendung fremden Sachrechts und nicht bloß dieses selbst anstößig ist (siehe zB OGH 28.2.2011, 9 Ob 34/10 f mwN). Der bloße Widerspruch mit Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung allein führt nicht zur ordre public-Widrigkeit, sondern es muss die "Unerträglichkeit des konkreten Ergebnisses im Einzelfall" vorliegen (Verschraegen, in: Rummel [Hrsg.], ABGB, 2. Bd/II3, 2002, §6 IPRG Rz 4). Daher ist auch immer nur die konkrete Bestimmung, aber nicht das gesamte (restliche) fremde Recht im Falle einer ordre public-Widrigkeit nicht anzuwenden (vgl Verschraegen, Internationales Privatrecht, 2012, Rz 1318).
2.1.2. Um zu beurteilen, ob bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt eine Eheschließung der Erstbeschwerdeführerin mit der Bezugsperson stattgefunden hat, verweist das Bundesverwaltungsgericht zunächst auf den Umstand, dass die staatliche afghanische Heiratsurkunde erst mit 10. Oktober 2016, und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die Bezugsperson bereits in Österreich befunden hat, ausgestellt worden sei. Zugleich stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Heiratsurkunde auf eine am 6. März 2007 rechtswirksam geschlossene Ehe verweise, und führt aus, dass sich im Verfahren mehrere Indizien ergeben hätten, dass eine allenfalls im Jahr 2007 nach islamischem Ritus geschlossene Ehe vorliegen könnte.
Ein Rückverweis auf die Anerkennung einer nach islamischem Recht geschlossenen Ehe schließt das Bundesverwaltungsgericht aber vor dem Hintergrund der Vorschriften des IPRG aus, weil das gesamte Eherecht der Scharia als "in toto dem ordre public widersprechend" anzusehen sei. Zum Inhalt "des islamischen Sharia-Rechts zur Eheschließung und Familienrecht" führt das Bundesverwaltungsgericht aus:
"Das Sharia-Recht beinhaltet einerseits die Zulässigkeit, dass ein Mann islamischen Glaubens die Ehe mit bis zu vier Frauen schließen kann (Vielehe), die völlige Unterwerfung der Ehefrau unter die Gewalt des Ehemannes, sowie die Zwangsehe aufgrund eines Arrangements zweier Familien. Weiters sieht das Sharia-Recht die Kinderehe vor sowie die erzwungene Heirat nach Vergewaltigung zum Zwecke der Straffreiheit des Sexualstraftäters. Im Weiteren ist der Sharia das Institut der Ehe auf Zeit geläufig sowie ein auch im Koran vorgesehenes Züchtigungsrecht des Ehemannes sowie die von Seiten des Ehemannes betriebene 'Scheidung' durch allein dreimaliges Aussprechen der Scheidungsformel der Verstoßung. Eine Scheidung auf Betreiben der Ehefrau kann ausschließlich nach dem Einverständnis des Ehemannes erfolgen. Weitere Ungleichheiten sind in der Sharia vorgesehen für das Erbrecht für nahe weibliche Verwandte wie die Ehefrau, bei welchen Frauen grundsätzlich gegenüber männlichen Verwandten diskriminiert sind."
2.2. Indem das Bundesverwaltungsgericht ohne weitere Begründung und entgegen der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes davon ausgeht, dass "jedweder Verweis auf eine nach Sharia-Recht geschlossene Ehe ins Leere gehen muss, da das gesamte Eherecht der Sharia […] in toto dem ordre public widersprechend zu betrachten ist", verkennt es die maßgebliche Rechtslage zur Gänze. In der angefochtenen Entscheidung bleibt auch gänzlich offen, wie und aufgrund welcher Ermittlungsschritte das Bundesverwaltungsgericht zu seinen (im Übrigen völlig pauschal gehaltenen) Ausführungen zum relevanten ausländischen Recht kommt. Es finden sich dazu keine (Quellen-)Angaben. Zudem setzt sich das Bundesverwaltungsgericht nicht einmal, abseits der Erwähnung im Zuge der Sachverhaltsschilderung, mit den von den Beschwerdeführern vorgelegten Berichten (etwa einer Anfragebeantwortung von ACCORD) auseinander. Auch unterlässt das Bundesverwaltungsgericht jeglichen Bezug zum konkreten Sachverhalt – seine Ausführungen zur Unterwerfung der Ehefrau unter die Gewalt des Ehemannes, zur Zwangsehe sowie zur Viel-Ehe gehen angesichts des insoweit unstrittig vorliegenden Sachverhalts ins Leere.
Die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichtes, dass das gesamte islamische Eherecht "in toto dem ordre public widersprechend" sei, würde im Übrigen darauf hinauslaufen, dass eine nach islamischem Recht geschlossene Ehe unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalles niemals anzuerkennen wäre.
2.3. Zu diesem, §6 IPRG einen denkunmöglichen Inhalt unterstellenden Ergebnis kommt das Bundesverwaltungsgericht, weil es unterlässt, das anzuwendende fremde Recht in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren festzustellen (siehe VwGH 27.6.2017, Ra 2016/18/0277), und an die Stelle einer, den anerkannten Grundsätzen juristischer Argumentation entsprechenden Auslegung des im vorliegenden Fall einschlägigen Rechts und seiner Anwendung auf den konkreten Sachverhalt pauschale Behauptungen über "das gesamte Eherecht der Sharia" setzt, denen jeglicher rechtlicher Begründungswert fehlt (dazu, dass sich eine auf die Umstände des konkreten Falles überhaupt nicht Bedacht nehmende Begründung als solche ohne jeglichen Begründungswert darstellt, siehe auch VwGH 20.9.2017, Ra 2017/19/0284).
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind daher durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden (VfSlg 17.200/2004 mwN).
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 327,–, Umsatzsteuer in der Höhe von € 501,40 sowie Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 720,– enthalten. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag, zuzusprechen.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Privat- und Familienleben, Ehe und VerwandtschaftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:E1805.2018Zuletzt aktualisiert am
19.11.2018