TE Vwgh Erkenntnis 2018/10/18 Ra 2018/19/0433

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Veröffentlicht am 18.10.2018
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §29 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2018/19/0434

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision 1. N C, und 2. A M, beide vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15. Juni 2018, I413 2173824-1/10E und I413 2173826-1/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerber, eine Mutter (Erstrevisionswerberin) und ihr minderjähriger Sohn (Zweitrevisionswerber), sind Staatsangehörige von Marokko. Sie stellten am 11. November 2015 bzw. am 14. September 2016 Anträge auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund brachte die Erstrevisionswerberin vor, sie habe Probleme mit ihrem konservativen Vater gehabt, der sie unter anderem zwangsverheiraten habe wollen. Sie sei jedoch mit einem anderen Mann gesehen worden und werde nun von ihrer Familie auf Grund einer Ehrverletzung verfolgt. Weiters sei sie in die Prostitution getrieben worden und habe ein uneheliches Kind bekommen. Für den Zweitrevisionswerber wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies die Anträge jeweils mit Bescheid vom 15. September 2017 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass die Abschiebung der Revisionswerber nach Marokko zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde jeweils mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerber nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass die Erstrevisionswerberin keine asylrelevanten Gründen habe glaubhaft machen können. Vom Zweitrevisionswerber seien keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden. Auch Hinweise auf eine exzeptionelle Situation, die dazu führen würde, dass die Revisionswerber im Fall einer Rückkehr nach Marokko dort keine Lebensgrundlage vorfinden würden, seien in der Beschwerde nicht substantiiert angeführt worden.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

5 Nach Vorlage der Revision samt den Verfahrensakten hat der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren eingeleitet. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 In der Revision wird zur Zulässigkeit unter anderem vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht habe es unterlassen, auf wesentliches Vorbringen der Erstrevisionswerberin einzugehen und dieses einer Beweiswürdigung zu unterziehen. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich somit über erhebliche Behauptungen ohne Ermittlungen und Begründung hinweggesetzt.

8 Die Revision ist zulässig und auch begründet. 9 Die Begründung eines Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts

hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Danach erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheids geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben.

Das Verwaltungsgericht hat neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise dabei auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. etwa VwGH 20.09.2017, Ra 2017/19/0284, mwN). Wird den sich aus § 29 Abs. 1 VwGVG 2014 ergebenden Anforderungen an die Begründung von Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte nicht entsprochen, so liegt ein revisibler Verfahrensmangel vor (vgl. VwGH 23.2.2017, Ra 2014/07/0012, mwN).

10 Die Erstrevisionswerberin hat in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung ein umfangreiches Vorbringen zu ihren Fluchtgründen erstattet. Das Bundesverwaltungsgericht führte dazu lediglich aus, dass mit dem Vorbringen der Verfolgung durch den Vater keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft gemacht werde und weitere Fluchtgründe von der Erstrevisionswerberin nicht angegeben worden seien.

Damit wird den Anforderungen an die Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht entsprochen:

Den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes ist nicht zu entnehmen, ob es das Fluchtvorbringen der Erstrevisionswerberin für nicht glaubwürdig erachtete, oder ob es im vorliegenden Fall von der Schutzfähigkeit des Staates ausging und daher das Fluchtvorbringen als nicht asylrelevant ansah. Auch führte das Bundesverwaltungsgericht in der Begründung bloß aus, dass die Erstrevisionswerberin auf Grund "familiärer Gründe" vor ihrem Vater geflohen sei und dass dieser eine (letztlich nicht geschlossene) Ehe für sie arrangiert habe. Auf das - in der mündlichen Verhandlung wiederholte - Vorbringen der Erstrevisionswerberin, wonach sie von ihrer Familie auf Grund einer Ehrverletzung verfolgt werde, sie in die Prostitution getrieben worden sei und ein uneheliches Kind bekommen habe, ging das Bundesverwaltungsgericht hingegen nicht ein.

11 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

12 Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 18. Oktober 2018

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelBegründung Begründungsmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018190433.L00.1

Im RIS seit

14.11.2018

Zuletzt aktualisiert am

18.12.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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