TE Vfgh Erkenntnis 1997/9/29 B3059/96

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Veröffentlicht am 29.09.1997
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art5 Abs2
PersFrSchG 1988 Art4 Abs6
FremdenG §45

Leitsatz

Keine Verletzung im Recht jedes Festgenommenen auf unverzügliche Information über die Gründe der Festnahme in einer ihm verständlichen Sprache durch die Zustellung eines Schubhaftbescheides zwei Tage nach der Festnahme und nach bereits erfolgter Abschiebung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, daß der Beschwerdeführer, ein zairischer Staatsangehöriger, am 12. Juni 1995 von Ungarn kommend unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet einreiste. Am 13. Juni 1995 wurde er festgenommen. Mit Bescheid vom darauffolgenden Tag verhängte die Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf über ihn die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung und der Abschiebung. Mit Bescheid vom 15. Juni 1995 wies diese Bezirkshauptmannschaft den Beschwerdeführer aus. Am 23. Juni 1995 stellte er einen Antrag auf Asylgewährung. Mit Schreiben vom 13. Juli 1995 übermittelte das Generalkonsulat von Zaire in Wien der Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf ein unbefristet ausgestelltes Heimreisezertifikat für den Beschwerdeführer. Infolge Haftunfähigkeit wurde er am 14. Juli 1995 aus der Schubhaft entlassen. Der Bundesminister für Inneres wies mit Bescheid vom 18. Juli 1995 den Antrag des Beschwerdeführers auf Asylgewährung im Instanzenzug als unbegründet ab. Die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Ausweisungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Burgenland vom 26. Juli 1995 ebenfalls abgewiesen; desgleichen ein Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Zaire, Kongo und Belgien. Am 6. Dezember 1995 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verdachts der Urkundenfälschung und des unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet neuerlich festgenommen. Über ihn wurde am selben Tag die Schubhaft verhängt, aus der er infolge Haftunfähigkeit am 22. Dezember 1995 wieder entlassen wurde. Der Beschwerdeführer nahm in der Folge Unterkunft in Neusiedl am See, wobei die Kosten seiner Unterkunft und seines Lebensunterhalts von der Caritas der Erzdiözese Wien bestritten wurden. Die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See ordnete mit Bescheid vom 29. Jänner 1996 die Schubhaft des Beschwerdeführers zur Sicherung seiner Abschiebung an und erließ tags darauf gegen den Beschwerdeführer einen Festnahmeauftrag. Am selben Tag wurde der Gendarmerieposten Neusiedl am See schriftlich aufgefordert, den Beschwerdeführer unter Mitnahme seiner Geldmittel und Effekten der Flüchtlingsüberprüfungsstation Neusiedl zu überstellen und ihm den Schubhaftbescheid zuzustellen. Dieser Auftrag wurde am 31. Jänner 1996 um 10.30 Uhr ausgeführt. Der Beschwerdeführer wurde schließlich am 1. Februar 1996 im Stande der Schubhaft aus der Flüchtlingsüberprüfungsstation Neusiedl zum Flughafen Wien-Schwechat überstellt und mittels Flugzeug um 21.00 Uhr nach Zaire abgeschoben. Am 2. Februar 1996 wurde der Schubhaftbescheid der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See vom 29. Jänner 1996 dem Bevollmächtigten des Beschwerdeführers zugestellt.

2. Am 12. März 1996 erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter Beschwerde gemäß §51 FremdenG gegen seine Festnahme und Anhaltung in Schubhaft durch die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See in der Zeit vom 31. Jänner 1996 bis 1. Februar 1996 an den Unabhängigen Verwaltungssenat Burgenland. Diese Beschwerde langte bei der genannten Behörde am 13. März 1996 ein.

2.1. Der Beschwerdeführer macht darin ua. geltend, daß dem Verfahren im gesamten beschwerdegegenständlichen Zeitraum ein Dolmetscher für die französische Sprache nicht beigezogen worden sei und er demnach nicht über die Gründe seiner Festnahme und Haftanhaltung informiert worden sei. Aus diesem Grunde erwiesen sich seine Festnahme sowie seine Anhaltung in Schubhaft als rechtswidrig.

2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland wies diese Beschwerde mit Bescheid vom 7. August 1996 als unbegründet ab.

Zur Behauptung, der Beschwerdeführer sei nicht in einer ihm verständlichen Sprache vom Grund seiner Festnahme in Kenntnis gesetzt worden, führt die belangte Behörde ua. folgendes aus: Die Zustellung des Schubhaftbescheids der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See vom 29. Jänner 1996, in dessen Spruch auf den Rechtsgrund der Schubhaft, nämlich die Sicherung der Abschiebung, hingewiesen wird und dessen Begründung im übrigen erkennen läßt, daß die belangte Behörde wegen der langzeitigen Nichtbefolgung der Ausreisepflicht durch den Beschwerdeführer die Sicherung seiner Abschiebung durch Verhängung der Schubhaft für notwendig hielt, an den Bevollmächtigten des Beschwerdeführers am 2. Februar 1996 verkörpere eine diesbezüglich ausreichende und unverzügliche Information. Eine mündliche Inkenntnissetzung des Beschwerdeführers selbst, etwa unter Beiziehung eines Dolmetschers oder einer sonstigen, der französischen Sprache kundigen Person, sei nicht erforderlich gewesen, um die einschlägigen Informationsrechte des Beschwerdeführers zu wahren. Selbst wenn ein Rechtsfreund des Beschwerdeführers bereits am 31. Jänner 1996 Kenntnis vom Schubhaftbescheid oder von den Haftgründen erlangt hätte, wäre die Rechts(schutz)position des Beschwerdeführers keine bessere gewesen. Eine andere Vorgangsweise der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See hätte vielmehr die Durchführung der Abschiebung nicht gewährleistet und somit den Verwaltungszweck nicht erfüllt. Eine persönliche Verständigung des in Schubhaft Angehaltenen durch einen Dolmetscher sei im übrigen auch infolge der kurzen vorhersehbaren Schubhaftdauer nicht erforderlich gewesen (und auch nicht im üblichen Verwaltungsablauf gelegen), zumal ohnedies unverzüglich der genannte Schubhaftbescheid an den Rechtsfreund des Beschwerdeführers abgefertigt worden sei.

3.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheids beantragt wird.

3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er für die Abweisung der Beschwerde eintritt.

II. 1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften wurden keine verfassungsgesetzlichen Bedenken geltend gemacht. Beim Verfassungsgerichtshof sind solche Bedenken auch nicht entstanden.

1.2. Der Bescheid einer Verwaltungsbehörde - wie hier des Unabhängigen Verwaltungssenats Burgenland -, mit dem darüber entschieden wird, ob eine Festnahme oder Anhaltung einer Person rechtmäßig war, verletzt das durch Art1 ff. des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. 684/1988 (im folgenden: PersFrBVG), und durch Art5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn er gegen die verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernisse der Festnahme bzw. Anhaltung verstößt, wenn er in Anwendung eines verfassungswidrigen, insbesondere den genannten Verfassungsvorschriften widersprechenden Gesetzes, wenn er gesetzlos oder in denkunmöglicher Anwendung einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsgrundlage ergangen ist, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (VfSlg. 13708/1994).

1.3. Gemäß Art5 Abs2 EMRK muß jeder Festgenommene in möglichst kurzer Frist und in einer ihm verständlichen Sprache über die Gründe seiner Festnahme und über die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen unterrichtet werden.

Gemäß Art4 Abs6 PersFrBVG ist jeder Festgenommene ehestens, womöglich bei seiner Festnahme, in einer ihm verständlichen Sprache über die Gründe seiner Festnahme und die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen zu unterrichten.

Gemäß §45 Abs1 FremdenG ist jeder in Schubhaft Festgenommene ehestens in einer ihm verständlichen Sprache vom Grund seiner Festnahme in Kenntnis zu setzen.

2.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland stellt das Unterbleiben einer mündlichen Inkenntnissetzung des festgenommenen Beschwerdeführers in einer ihm verständlichen Sprache ua. über den Grund seiner Festnahme nicht in Abrede, und zwar weder im angefochtenen Bescheid noch in der Gegenschrift.

In der Gegenschrift der belangten Behörde wird aber ausgeführt, daß im angefochtenen Bescheid ausführlich begründet worden sei, warum im Anlaßfall eine persönliche Verständigung des Beschwerdeführers über die Gründe seiner Festnahme in einer ihm verständlichen Sprache anläßlich dieser Amtshandlung nicht möglich gewesen sei und warum dies ohne Bedeutung für die Rechtmäßigkeit der kurzen Anhaltung sei: Die unverzügliche Verständigung des damaligen Bevollmächtigten des Beschwerdeführers im Wege des Schubhaftbescheids sei ausreichend gewesen. Eine andere Verständigungsart sei bei Abwägung der Gesamtumstände des Falles nicht in Frage gekommen. Die Rechtsschutzposition des Beschwerdeführers sei durch die gewählte Vorgangsweise der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See nicht beeinträchtigt worden.

2.2. Zweck des Informationsrechtes ist es, den Festgenommenen in die Lage zu versetzen, die Rechtmäßigkeit der Festnahme zu beurteilen und gegebenenfalls von seinem Recht auf Haftkontrolle Gebrauch zu machen (Frowein/Peukert, RZ 102 zu Art5 Abs2 EMRK).

Im vorliegenden Beschwerdefall wurde der Schubhaftbescheid vom 29. Jänner 1996 an den Bevollmächtigten des Beschwerdeführers am 2. Februar 1996 - also am zweiten Tag nach der Festnahme (31. Jänner 1996) - zugestellt.

Damit hat die Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf beim Vollzug des §45 FremdenG keinen in die Verfassungssphäre reichenden Fehler begangen, denn mit der Zustellung des Schubhaftbescheides an den Bevollmächtigten des Beschwerdeführers wurde dieser in die Lage versetzt, die Rechtmäßigkeit der Schubhaft überprüfen zu können.

Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, daß der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Zustellung des Schubhaftbescheides an seinen Bevollmächtigten bereits abgeschoben war. Denn die Abschiebung bereits an dem der Festnahme folgenden Tag diente der Verwirklichung des gesetzlichen Auftrages, darauf hinzuwirken, daß die Schubhaft so kurz wie möglich dauert (§48 Abs1 FremdenG).

Hätte die Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf mit der Abschiebung so lange zugewartet, bis ein Dolmetscher für die französische Sprache zur Verfügung gestanden wäre, so wäre einerseits zu befürchten gewesen, daß die Schubhaft unnötig lang dauert, andererseits wäre auch die Rechtsposition des Beschwerdeführers nicht verbessert worden, da dieser auch bei der gewählten Vorgangsweise die Rechtmäßigkeit der Schubhaft durch den Unabhängigen Verwaltungssenat überprüfen lassen konnte.

2.3. Abschließend sei darauf hingewiesen, daß sich der vorliegende Fall von dem dem Erkenntnis VfSlg. 13914/1994 zugrundeliegenden Sachverhalt insofern wesentlich unterscheidet, als dort die Beschwerdeführer erst mehr als drei Wochen nach der Festnahme über deren Gründe unterrichtet wurden.

2.4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

2.5. Die Beschwerde war daher in nichtöffentlicher Sitzung (§19 Abs4 Satz 1 und Z1 VerfGG) als unbegründet abzuweisen.

Schlagworte

Fremdenrecht, Fremdenpolizei, Schubhaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B3059.1996

Dokumentnummer

JFT_10029071_96B03059_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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