Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.
Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der Antragstellerin Republik Österreich, Bundesstraßenverwaltung, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17–19, 1011 Wien, wider den Antragsgegner Günter M*****, vertreten durch Dr. Reinhold Moosbrugger und Dr. Wolfgang Ölz, Rechtsanwälte in Dornbirn, wegen Neufestsetzung einer Enteignungsentschädigung, infolge Rekurses des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 28. Dezember 1983, GZ R 807/83-49, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Dornbirn vom 2. Dezember 1983, GZ 2 Nc 155/79-45, aufgehoben wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Antrag auf Zuspruch der Kosten des Revisionsrekurses wird abgewiesen.
Text
Begründung:
Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 24. 10. 1978 wurden auf Antrag der Antragstellerin zum Zwecke der Erstellung der Bundesstraße B 190 Baulos Ortsdurchfahrt Dornbirn Liegenschaften des Antragsgegners enteignet. Die Entschädigung wurde mit 6.839.232 S festgesetzt und ausgesprochen, dass die Antragstellerin den Entschädigungsbetrag binnen zwei Monaten nach Rechtskraft des Bescheids und vor Inanspruchnahme der enteigneten und miteingelösten Grundflächen an den Antragsgegner zu bezahlen habe. Der Bescheid wurde den Parteien am 30. Oktober 1978 zugestellt; er ist in Rechtskraft erwachsen. Im November 1978 oder spätestens im Dezember 1978 bezahlte die Antragstellerin die Enteignungsentschädigung an den Antragsgegner vorbehaltslos. Der Antragsgegner nahm den Betrag an und verwendete ihn für sich. Im Jahre 1980 wurde der enteignete Grund der Bundesstraßenverwaltung übergeben; das darauf vorhandene Gebäude wurde abgebrochen.
Am 1. 10. 1979 brachte die Antragstellerin einen Antrag auf Neufestsetzung der Enteignungsentschädigung ein.
Das Erstgericht wies den Antrag zurück. Den Enteignungsakten könne zwar keine uneingeschränkte Zustimmung des Vertreters der Bundesstraßenverwaltung anlässlich der Enteignungverhandlung entnommen werden, er habe vielmehr gegen die Höhe der Grundstücksschätzungen, gegen die Art der Wertermittlung des Metzgereibetriebs und gegen die Erstattung von Aufwänden für die Beschaffung einer Ersatzliegenschaft Einwendungen erhoben. Das Verhalten der Parteien nach der Enteignung könne aber nur dahin gewertet werden, dass zwischen ihnen ein verbindliches Übereinkommen zustandegekommen sei. Sie hätten den Enteignungsbescheid nicht bekämpft. Die Antragstellerin habe die im Enteignungsbescheid festgesetzte Entschädigungssumme freiwillig und vorbehaltlos bezahlt. Damit sei der Antragsgegner einverstanden gewesen und habe er die Entschädigungssumme bereits für sich verwendet. Da auf dem enteigneten Grund noch keinerlei Baumaßnahmen gesetzt worden seien, habe auch keine Notwendigkeit bestanden, möglichst bald in den Besitz der enteigneten Grundflächen zu gelangen. In diesem beiderseitigen Verhalten sei ein zulässiges Übereinkommen im Sinne des § 22 Abs 1 EisbEG 1954 zu erblicken. Auf jeden Fall müsse die Vorgangsweise der Antragstellerin als schwerer Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben bezeichnet werden.
Das Gericht zweiter Instanz gab dem Rekurs der Antragstellerin Folge, hob den Beschluss des Erstgerichts auf und trug diesem Gericht unter Abstandnahme vom gebrachten Zurückweisungsgrund die Fortsetzung des Verfahrens auf. Das Rekursgericht führte im Wesentlichen aus, es finde keinen hinreichenden Anlass, von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abzugehen, wonach die Entscheidung der Verwaltungsbehörde aufgrund der Vorschrift des § 20 Abs 3 BStG, wenn nur eine der Parteien binnen einem Jahr nach Rechtskraft des Enteignungsbescheids die Entscheidung des zuständigen Bezirksgerichts begehre, auch dann außer Kraft trete, wenn die im Bescheid festgesetzte Entschädigung inzwischen vorbehaltslos bezahlt wurde. Die Auffassung, dass eine derartige Zahlung einen schlüssigen Verzicht oder ein schlüssiges Parteienübereinkommen darstelle, könne auch unter den besonderen vom Erstgericht aufgezeigten Umständen dieses Falls nicht geteilt werden.
Gegen diesen Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Rekurs der Antragsgegnerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinne der Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs tritt – wie das Rekursgericht zutreffend ausführte – die Entscheidung der Verwaltungsbehörde aufgrund der Vorschrift des § 20 Abs 3 BStG 1971, wenn eine der Parteien binnen einem Jahr nach Rechtskraft des Enteignungsbescheids die Entscheidung des zuständigen Bezirksgerichts begehrt, auch dann außer Kraft, wenn die im Enteignungsbescheid festgesetzte Entschädigung vorbehaltslos bezahlt wurde. Die Ansicht, dass eine derartige Zahlung einen schlüssigen Verzicht auf die Anrufung des Gerichts darstelle, findet im Gesetz keine Stütze (5 Ob 137/73; 5 Ob 180, 216/73; 3 Ob 587/76; JBl 1983, 93; 5 Ob 592/82 ua). Dass der Enteignungsanspruch privatrechtlicher Natur ist (vgl etwa VfSlg 8065), ändert nichts daran, dass die Leistung der Antragstellerin in Entsprechung des bescheidmäßigen Ausspruchs über den Entschädigungsbetrag bewirkt wurde (5 Ob 592/82). Für ein zwar auch nach der Entscheidung der Verwaltungsbehörde mögliches Entschädigungsübereinkommen, das eine spätere Anrufung des Gerichts ausschlösse, fehlt jeder Anhaltspunkt (JBl 1983, 93; 5 Ob 592/82). Die Darstellung des Enteignungsvorhabens und des Verlaufs des Enteignungsverfahrens sowie der Hinweis auf das bloß die Ankündigung der Überweisung der aufgrund des Enteignungsbescheids festgelegten Zahlung und die Zahlung selbst rechtfertigen – entgegen der Ansicht des Rekurswerbers – nicht die Annahme eines auf eine entsprechende Einigung gerichteten rechtsgeschäftlichen Willens der Parteien, weil die Zahlung bloß dem verwaltungsbehördlichen Auftrag entsprach und die Erfüllung des Leistungsauftrags erforderlich war, um die in der Zwischenzeit vorgenommene Abtragung des auf der Liegenschaft vorhanden gewesenen Gebäudes in Angriff nehmen zu können. Da somit doch Arbeiten vorgenommen wurden, die für das Bauvorhaben notwendig sind, geht auch die Behauptung des Rekurses ins Leere, es habe keine Notwendigkeit bestanden den enteigneten Grund in Anspruch zu nehmen. Im Hinblick darauf, dass im Bescheid ausgesprochen wurde, der Entschädigungsbetrag sei binnen zwei Monaten nach Rechtskraft des Bescheids und vor Inanspruchnahme der enteigneten Grundflächen zu bezahlen, kann in der innerhalb dieser Frist erfolgten Zahlung auch kein Verzicht auf die Anrufung des Gerichts erblickt werden, auch wenn § 20 Abs 4 BStG 1971 die Möglichkeit eingeräumt hätte, den Entschädigungsbetrag gerichtlich zu erlegen (JBl 1983, 93). Da das Gesetz es jedem Teil freistellt, binnen einem Jahr nach Eintritt der Rechtskraft des Enteignungsbescheids die gerichtliche Entscheidung über die Höhe der Entschädigung zu begehren und dies auch gilt, wenn die im Enteignungsbescheid festgesetzte Entschädigung vorbehaltslos bezahlt wurde, kann von einer unbilligen Härte und einem gravierenden Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben nicht gesprochen werden.
Aus all diesen Gründen besteht auch im vorliegenden Fall keine Veranlassung, von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abzugehen. Es musste daher dem Rekurs der Erfolg versagt werden.
Wegen der Erfolgslosigkeit des Rechtsmittels steht dem Antragsgegner kein Anspruch auf Kostenersatz zu. Es war daher auch nicht erforderlich, auf die Frage einzugehen, ob gemäß § 44 EisbEG 1954 ein Ersatz der Kosten rechtsfreundlicher Vertretung besteht (JBl 1983, 93).
Textnummer
E123132European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00510.840.1206.000Im RIS seit
14.11.2018Zuletzt aktualisiert am
14.11.2018