Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde des AS in U, geboren am 24. Mai 1966, vertreten durch Dr. Gerhard O. Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. April 1999, Zl. 208.259/0-VII/20/99, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von "Bosnien", der am 6. Oktober 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte am 7. Oktober 1991 die Gewährung von Asyl. Er wurde am 10. Oktober 1991 niederschriftlich einvernommen. Hiebei gab er an, zuletzt in Velika Kladusa gewohnt zu haben.
Er hätte seine Heimat aus politischen Gründen und wegen des Krieges verlassen. Er hätte in der Nähe der serbischen Grenze um sein Leben zittern müssen; da er ledig sei und für niemanden zu sorgen hätte, hätte er überlegt, so wie sein Bruder es vor einigen Jahren getan hätte, nach Österreich auszuwandern. Er sei in keinem Punkt mit der Politik in Jugoslawien einverstanden. Es sei nicht möglich, in seinem Heimatland ein normales Leben zu führen. Er möchte nicht mehr zurück, da Jugoslawien für ihn keine Zukunft bieten könne.
Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich wies den Asylantrag mit Bescheid vom 19. Oktober 1991, Zl. FrA-11.377/91, ab.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer innerhalb offener Frist
Berufung und führte in seiner Berufungsschrift vom 17. November 1991 begründend aus:
"Da ich mein Problem im Interview bereits geschildert habe, kann ich es auf diesem Wege noch einmal völlig bestätigen und ergänzen. Ich bin aus Jugoslawien aus rein politischen Gründen geflüchtet. Meine Menschenrechte waren nämlich gefährdet, sodass ich gezwungen war, das Land zu verlassen und mich an Sie mit der Bitte um Hilfe zu wenden. Meine Probleme stammen noch von früher. Der letzte Grund für meine politischen Probleme war die militärische Mobilisierung, um mich in den Krieg zu schicken."
Die Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. September 1993 gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 1991 abgewiesen, weil der Beschwerdeführer der Ladung der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 23. April 1992 ohne Entschuldigung nicht nachgekommen sei. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer innerhalb offener Frist Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, welcher diesen Bescheid mit Erkenntnis vom 19. Oktober 1994, Zl. 94/01/0294, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufhob.
Im fortgesetzten Berufungsverfahren wurde dem Beschwerdeführer mit Schreiben des Bundesministers für Inneres vom 30. Dezember 1996 zur Änderung der Verhältnisse im Heimatland des Beschwerdeführers Folgendes vorgehalten und die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt:
* Bosnien bleibt als einheitlicher Staat in seinen bestehenden
Grenzen erhalten und wird von der internationalen Gemeinschaft anerkannt. Die Jugoslawische Föderation erkennt diesen Staat an, gegenseitige diplomatische Beziehungen werden aufgenommen.
* Der bosnische Staat besteht aus zwei Teilen, der
moslemisch-kroatischen Föderation und der Serbischen Republik Bosnien. Moslems und Kroaten bekommen 51 % des Staatsgebietes, die Serben 49 %. Die Serben behalten Pale und bekommene einen Zugang zur Adria und den Save-Fluss. Zu ihrem Gebiet gehören außerdem Srebrenica und Zepa.
* Sarajevo bleibt die vereinigte Hauptstadt Bosniens. Alle
Hindernisse betreffend die Zugänge zur Stadt werden beseitigt. Einige Stadtbezirke werden von den Serben autonom verwaltet.
* Bosnien erhält eine Zentralregierung, ein einheitliches
Parlament, bestehend aus zwei Kammern, und eine Präsidentschaft. Des Weiteren sind als zentrale Institution ein Verfassungsgericht, eine Zentralbank und eine gemeinsame Währung vorgesehen.
* Die Präsidentschaft und das Parlament wurden im Jahre 1996
in freien und demokratischen Wahlen unter internationaler Aufsicht gewählt.
* Ein acht bis fünfzehn Kilometer breiter Korridor verbindet
Gorazde mit Sarajevo.
* Der Brcko-Korridor, der die serbisch kontrollierten Gebiete
im Osten und Westen verbindet, soll fünf Kilometer breit sein. Über den Status von Brcko entscheidet eine internationale Schlichtungskommission, deren Entscheidung binnen eines Jahres in Kraft treten wird.
* Die Flüchtlinge erhalten das Recht, in ihre Heimat
zurückzukehren. Alle Bürger dürfen sich frei auf bosnischem Territorium bewegen. Die Achtung der Menschenrechte wird von einer unabhängigen Kommission und einer aus internationalen Experten bestehenden zivilen Polizeieinheit überwacht.
* Menschen, die wegen Kriegsverbrechen angeklagt sind, werden
von politischen Ämtern ausgeschlossen. Sie dürfen keine öffentlichen Aufgaben übernehmen, weder in der Armee noch in zivilen Institutionen.
* Die Einhaltung des Friedensabkommens wird von einer rund
60.000 Mann starken NATO-Einheit überwacht.
* Die internationale Gemeinschaft führt ein humanitäres
Hilfsprogramm durch, um den Wiederaufbau des Landes, die Rückkehr der Flüchtlinge und die Abhaltung freier Wahlen zu gewährleisten."
Der Beschwerdeführer brachte am 14. Jänner 1997 eine ergänzende Stellungnahme beim Bundesminister für Inneres ein und führte in dieser im Wesentlichen aus, er wende sich an das Bundesministerium für Inneres mit der Bitte um Verständnis für die Lage, in der er sich zur Zeit befinde. Er hätte durch die Medien gehört und festgestellt, dass sich die politische Situation in Bosnien verbessert habe. Er müsse aber leider mitteilen, dass die ganze Situationsänderung keinerlei Begünstigungen im Hinblick auf seine Heimkehr bringen würde, er sei ein Jahr vor dem Krieg von zu Hause geflohen, da seine Person schon damals , durch seine Aktivitäten bei der kommunistischen Partei, deren Mitglied er schon seit vielen Jahren gewesen sei, gefährdet worden sei. Die kommunistische Partei sei damals die einzige politische Partei gewesen. Durch die Gründung von mehreren demokratischen Parteien in den 90er Jahren seien er und seine politischen Kollegen durch die verschiedenen Meinungen mit Menschen konfrontiert worden, die plötzlich in die Regierung gekommen und mächtig geworden seien. Er hätte seinen politischen Kurs nicht so schnell ändern können, weil er nicht hätte glauben können, dass die Demokratie in seinem Heimatland je gelingen würde. Dies sei der Hauptgrund gewesen, dass er um politisches Asyl angesucht hätte. Durch den Krieg hätte sich die Situation für ihn in eine negative Richtung entwickelt. In seinem Gebiet (Bihac-Velika Kladusa) hätte das Volk, von dem er abstammen würde, versucht, eine poltische Autonomie zu erhalten und sich von Sarajevo abzuspalten, was das Heer jedoch mit Gewalt verhindert hätte. Die Kämpfe zwischen dem Heer und dem Volk in Velika Kladusa hätten ca. zwei Jahre angedauert, wobei viele Menschen den Tod gefunden hätten. Das Heer hätte den Kampf gewonnen. Tausende Menschen, darunter seine nächsten Verwandten, welche sich jetzt in Flüchtlingslagern in Kroatien aufhalten würden oder in Amerika lebten, seien von zu Hause vertrieben worden.
Die Berufung des Beschwerdeführers wurde neuerlich mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. Jänner 1997 abgewiesen. Begründend führte der Bundesminister für Inneres unter anderem aus, es sei im Sinne des Asylgesetzes nicht verfolgt, wer mit den bestehenden Verhältnissen nicht einverstanden sei, unzufrieden sei, in Gegnerschaft zum Regime stehe oder die in seinem Heimatland herrschende Weltanschauung ablehne. Es sei daher nicht die innere Einstellung des Asylwerbers maßgeblich, sondern allein der Wille des Verfolgers, diesen in einer von der Genfer Konvention geschützten Eigenschaft zu treffen. Voraussetzung für die Gewährung von Asyl sei, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung bzw. pro futuro Verfolgung seitens der Behörden des Heimatstaates zu befürchten habe. Mit dem Vertragswerk von Dayton und der Unterzeichnung desselben in Paris hätten die kriegerischen Auseinandersetzungen ein Ende gefunden. Den zurückkehrenden Flüchtlingen sei das Recht eingeräumt worden, ihren Wohnsitz frei wählen zu dürfen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, welche dieser mit Beschluss vom 17. Februar 1999, Zl. 97/01/0244, gestützt auf § 44 Abs. 2 und 3 AsylG zurückwies und an den nunmehr zuständigen unabhängigen Bundesasylsenat zur Entscheidung weiterleitete.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 18. April 1999 wurde die Berufung erneut abgewiesen.
Gestützt auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes schloss sich die belangte Behörde "vollinhaltlich" den Ausführungen des durch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Februar 1999 außer Kraft getretenen Bescheides des Bundesministers für Inneres an und erhob dessen Begründung zu seiner eigenen. Die belangte Behörde ergänzte, dass der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 14. Jänner 1997 nicht auf die ihm vorgehaltenen Punkte eingegangen sei, sondern sich seine Ausführungen immer noch auf die vor dem Friedensvertrag von Dayton vorherrschende Kriegssituation bezögen. Mit dem Vorbringen, sich als ehemaliger Kommunist von den nunmehr etablierten demokratischen Parteien verfolgt zu fühlen, sei er nicht wirksam jenem Vorhalt entgegengetreten, wonach sich "alle Bürger auf bosnischem Territorium frei bewegen dürfen. Die Achtung der Menschenrechte wird von einer unabhängigen Kommission und einer aus internationalen Experten bestehenden Zivilpolizeieinheit überwacht." Der Beschwerdeführer habe nicht vorgebracht, dass es der Kommission und der internationalen Polizeieinheit an Effektivität mangle bzw. diese nicht existiere.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde, verzichtete jedoch auf die Erstattung einer Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer rügt u.a., dass die belangte Behörde keine mündliche Verhandlung durchgeführt habe, obwohl sie dazu verpflichtet gewesen sei. Hätte sie eine solche Verhandlung durchgeführt, hätte er das umfangreiche Sachverhaltsvorbringen der Beschwerde (es geht zusammengefasst im Wesentlichen dahin, dass dem Beschwerdeführer als Anhänger von Abdic in Velika Kladusa nach wie vor Verfolgung drohe, er über keinen Reisepass verfüge, sodass es fraglich sei, ob er überhaupt die Staatsbürgerschaft der Republik Bosnien-Herzegowina erlangen werde, und dass er mit einer slowenischen Staatsbürgerin verheiratet sei; Personen aus Bosnien-Herzegowina, die in gemischten Ehen lebten, seien nach einem der Beschwerde angeschlossenen Bericht des UNHCR weiterhin schutzbedürftig) erstattet. Aus diesem Vorbringen ergebe sich, dass er nach wie vor in seiner Heimat verfolgt werde.
Der unabhängige Bundesasylsenat ist gemäß Art. 129 und 129c B-VG ein unabhängiger Verwaltungssenat. Er hat gemäß § 23 AsylG das AVG anzuwenden. Deshalb finden für das Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat auch die Bestimmungen für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten, insbesondere die Vorschrift des § 67d AVG Anwendung, sofern im AsylG oder in einem anderen Gesetz keine speziellere Bestimmung normiert ist. Im AsylG findet sich hiezu keine speziellere Regelung.
Mit BGBl I Nr. 28/1998, ausgegeben am 9. Jänner 1998, wurde in Art. II Abs. 2 EGVG folgende Z. 43a eingefügt:
"...
(2) Von den Verwaltungsverfahrensgesetzen sind anzuwenden
...
C. das AVG auf das behördliche Verfahren
...
43a. des unabhängigen Bundesasylsenates, § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint;
..."
Aus dem unmissverständlichen Text des Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG ist zu ersehen, dass das Unterbleiben der mündlichen Verhandlung nur dann erfolgen darf, wenn der Sachverhalt nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308). Werden nach der Erhebung der Berufung im Berufungsverfahren von der Berufungsbehörde Sachverhaltsermittlungen durchgeführt, so hat die belangte Behörde eine mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn sie gestützt auf die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens über das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz hinausgehend zusätzliche Sachverhaltsfeststellungen treffen will (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0567 ua.). Es ist hiebei gleichgültig, von welcher nach der jeweiligen geltenden Rechtslage zuständigen Berufungsbehörde in Verfahren betreffend Gewährung von Asyl - das war vor dem 1. Jänner 1998 der Bundesminister für Inneres, seither ist es der unabhängige Bundesasylsenat - die Ermittlungen tatsächlich durchgeführt wurden, es kommt lediglich darauf an, dass im Stadium des offenen Berufungsverfahrens solche Ermittlungen durchgeführt wurden. Das bedeutet im konkreten Fall, dass die belangte Behörde, welche über den Asylantrag zu einem Zeitpunkt entschied, in welchem die Verhandlungspflicht des § 67d AVG in Verbindung mit Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG bereits galt, auf Grund der vom Bundesminister für Inneres durchgeführten Ermittlungen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen hatte. Denn die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid gestützt auf das Ergebnis der vom Bundesminister für Inneres durchgeführten und dem Beschwerdeführer vorgehaltenen Ermittlungsergebnisse neue Sachverhaltsfeststellungen getroffen, auf denen die rechtliche Beurteilung aufbaut.
Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften führt nicht auf jeden Fall zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides, sondern nur dann, wenn der Verfahrensmangel im zu prüfenden Fall möglicherweise von Einfluss auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides sein konnte. Es obliegt der beschwerdeführenden Partei, in der Beschwerde (ggf. unter Anführung von Beweisen) darzutun, inwiefern die belangte Behörde bei Einhaltung der verletzten Verfahrensvorschrift zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Mit dem in der Beschwerde erstatteten Sachverhaltsvorbringen, das er bei der mündlichen Verhandlung vorzubringen gedacht hätte, zeigt der Beschwerdeführer die Relevanz der Unterlassung der öffentlichen mündlichen Verhandlung auf.
Es erübrigt sich daher darauf einzugehen, ob die weiteren, in der Beschwerde behaupteten Verfahrensverletzungen vorlägen.
Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 20. Oktober 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1999010304.X00Im RIS seit
20.11.2000