Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des MF in Wien, geboren am 10. Oktober 1973, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. Juli 1998, Zl. 200.915/0-V/13/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundeskanzleramt) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 4. November 1997 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 5. November 1997 Asyl. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 13. November 1997 gab er an, er habe Sierra Leone am 10. Oktober 1997 verlassen, weil in diesem Land seit 1991 bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten, ein geordnetes und sicheres Leben dort seit dieser Zeit nicht möglich sei und sich die Lage seit mehreren Jahren nicht bessere. Der Beschwerdeführer habe sich deshalb entschlossen, in ein anderes Land zu reisen, um dort in Frieden und Freiheit zu leben. Bis zu seiner Ausreise habe er unter keinen konkreten Verfolgungen zu leiden gehabt, auch sei er niemals in Haft gewesen oder festgenommen worden. Lediglich im Jahre 1991 sei er "von Rebellen" für ca. eine Woche zu Zwangsarbeiten in einer Kakaoplantage angehalten und während dieser Anhaltung von einem Rebellen mit einem Messer am Fuß verletzt worden. Probleme mit den Behörden in Sierra Leone habe er nicht gehabt. Er habe seinen Heimatstaat jetzt konkret deshalb verlassen, weil sich die bürgerkriegsähnlichen Zustände seit mehreren Jahren nicht änderten, es keine Arbeit gebe und die Gefahr bestehe, bei Übergriffen der Rebellen das Leben zu verlieren. In Österreich wolle der Beschwerdeführer Asyl erhalten und eine Beschäftigung aufnehmen.
Mit Bescheid vom 17. November 1997 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers u.a. deshalb ab, weil der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid führte der Beschwerdeführer aus, er sei bei der Einvernahme sehr nervös und über den weiteren Verlauf des Verfahrens verunsichert gewesen und habe auch Schwierigkeiten gehabt, den Dolmetscher ausreichend zu verstehen. Aus diesen Gründen sei er nicht in der Lage gewesen, während des Interviews völlig frei zu sprechen und die Situation klar und ausführlich darzustellen. Die daran anschließende Behauptung, er sei in seinem Heimatland entgegen der Ansicht der Behörde erster Instanz asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen, begründete der Beschwerdeführer wieder mit dem Hinweis, in Sierra Leone herrschten seit dem Jahre 1991 bürgerkriegsähnliche Zustände und ein geordnetes und sicheres Leben sei dort seit dieser Zeit nicht möglich. Weiters legte der Beschwerdeführer dar, 1991 hätten die Rebellen seine Mutter umgebracht und 1992 sei auch sein Vater von den Rebellen getötet worden. Der Beschwerdeführer sei "lediglich im Jahre 1991" von Rebellen für ca. eine Woche zu Zwangsarbeiten in einer Kakaoplantage angehalten und während dieser Anhaltung von einem Rebellen mit einem Messer am Fuß verletzt worden. Die Menschenrechtssituation in seinem Heimatland sei "sowohl von Amnesty International als auch aus unzähligen Medienberichten bekannt". Dem Beschwerdeführer sei es auch nicht möglich gewesen, sich mit seinem "Anliegen" an irgendwelche staatliche Stellen zu wenden. Staatliche Stellen, die die Rebellen im eigenen Land tolerierten und sogar unterstützten, könnten ihn vor den Morddrohungen der Rebellen nicht beschützen. Das Zusammenarbeiten der "Staatsbürger" mit Rebellen sei auch der Grund dafür, dass er sich mit seinem "Anliegen" nicht an die Polizei gewendet habe. Einerseits habe er Angst gehabt, dass er von seinen Verfolgern umgebracht werde, wenn er sein "Anliegen" der Polizei melde, und andererseits habe er auch damit zu rechnen gehabt, dass die Polizei nicht gewillt sei, seine Anzeige in irgendeiner Weise zu behandeln. Die staatlichen Behörden in seinem Heimatstaat seien weder in der Lage noch gewillt, ihm Schutz zu gewähren. Art. 3 EMRK gewähre absoluten, das heiße unabhängig von Fluchtgründen nach der Genfer Flüchtlingskonvention gewährleisteten Rückschiebungsschutz. Dasselbe gelte für die dem Beschwerdeführer drohende Grundrechtsverletzung nach Art. 2 und 5 EMRK. Nach Art. 3 Abs. 2 leg. cit. hätten die zuständigen Behörden bei der Feststellung alle maßgeblichen Erwägungen einschließlich des Umstandes, dass in dem betreffenden Staat eine ständige Praxis grober offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte herrsche, zu berücksichtigen. Der Bürgerkrieg im Heimatland des Beschwerdeführers habe jetzt 40.000 Opfer zu beklagen (gemeint: gefordert). Die Rebellenaktivitäten richteten sich einerseits gezielt gegen bestimmte Personen und Berufsgruppen und andererseits blindlings gegen die überwiegend bäuerliche Bevölkerung. Wäre das Bundesasylamt seiner Ermittlungspflicht nachgekommen, so hätte es näher nachfragen müssen, welche Gründe für die Verfolgungshandlungen des Beschwerdeführers (gemeint: die gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen) bestanden hätten, sowie ob und wie die staatlichen Behörden ihm bei seinen Problemen geholfen hätten. Wäre der tatsächliche Sachverhalt gesetzeskonform ermittelt worden, so hätte die Behörde erfahren, dass der dem Beschwerdeführer zustehende Schutz vor Verfolgung in seinem Heimatland nicht bestanden habe. Bei Einhaltung "der Vorgangsweise § 16 AsylG" (gemeint: das Asylgesetz 1991) wäre der Beschwerdeführer in der Lage gewesen, seine Angaben zu ergänzen. Außerdem irre die Behörde, wenn sie andeute, dass nur zielgerichtetes Handeln des Heimatstaates als Verfolgung zu sehen sei. Eine solche Verfolgung habe der Beschwerdeführer tatsächlich nicht angegeben, sehr wohl aber eine Verfolgung, bei der die staatlichen Behörden nicht in der Lage oder nicht gewillt gewesen seien, ihm Schutz zu gewähren. Das Bundesasylamt glaube aus seiner Aussage, dass er in Österreich Asyl und Arbeit suche, ableiten zu können, dass er nur aus wirtschaftlichen Gründen in das Bundesgebiet eingereist sei. Dieser Schluss sei vollkommen unzulässig. Es entspreche den allgemeinen Lebenserfahrungen, dass ein Mensch, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, arbeiten wolle, dies widerspreche aber keineswegs der lebensbedrohenden Situation des Beschwerdeführers in seinem Heimatland.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab. Die belangte Behörde stützte diese Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass zwar das Vorliegen einer Bürgerkriegssituation eine aus asylrechtlich relevanten Gründen drohende Verfolgung nicht generell ausschließe, in dem Umstand, dass im Heimatland eines Asylwerbers Bürgerkrieg herrsche, für sich allein aber noch keine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention liege. Der Beschwerdeführer habe es bei seiner erstinstanzlichen Einvernahme trotz nachhaltiger Befragung unterlassen, eine konkret gegen ihn gerichtete staatliche Verfolgungshandlung bzw. eine solche von Seiten quasi staatlich agierender Autoritäten aufzuzeigen. Sein Vorbringen habe sich im Wesentlichen in einer Schilderung der Bürgerkriegsereignisse erschöpft. Zu den vom Beschwerdeführer behaupteten Vorgängen des Jahres 1991 führte die belangte Behörde u.a. aus, der Beschwerdeführer habe sich danach noch etwa sechs Jahre unbehelligt in seinem Heimatstaat aufgehalten, woraus sich eindeutig ergebe, dass die Bürgerkriegspartei, die ihn zu Zwangsarbeiten in einer Plantage herangezogen habe, kein Interesse an seiner Verfolgung gehabt habe. Andererseits fehle es auch an einem zeitlichen bzw. kausalen Konnex zwischen diesen Vorgängen und der erst am 10. Oktober 1997 erfolgten Ausreise des Beschwerdeführers. Eine im Heimatland des Antragstellers allgemein herrschende Bürgerkriegssituation indiziere für sich allein nicht die Flüchtlingseigenschaft. Dass der Beschwerdeführer aufgrund in seiner Person gelegener Merkmale einem erhöhten Gefährdungspotential ausgesetzt gewesen wäre bzw. im Falle seiner Rückkehr ausgesetzt wäre, habe dem Ermittlungsverfahren nicht entnommen werden können. Des Weiteren setzte sich die belangte Behörde noch mit der Frage auseinander, ob die Verständigung zwischen dem Beschwerdeführer und dem Dolmetscher bei der erstinstanzlichen Einvernahme ausreichend gewesen sei, was die belangte Behörde aufgrund des Inhaltes der Niederschrift bejahte. Der niederschriftlichen Einvernahme sei auch nicht zu entnehmen, dass sich der Beschwerdeführer in einem psychischen Ausnahmezustand befunden habe. Da er im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme auf konkrete Nachfrage ausdrücklich zu Protokoll gegeben habe, sein Heimatland aufgrund der herrschenden bürgerkriegsähnlichen Zustände sowie aufgrund der Tatsache, dass es keine Arbeit gebe und ständig die Gefahr bestehe, bei Übergriffen von Rebellen das Leben zu verlieren, verlassen zu haben, und sich aus seinem Vorbringen keine wie immer gearteten weiteren Hinweise auf eine etwaige Gefährdungs- bzw. Verfolgungssituation hinsichtlich seiner Person ergeben hätten, sei das Bundesasylamt auch nicht gehalten gewesen in weitere Ermittlungen hierüber einzutreten. Der Sachverhalt erscheine aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt, weshalb es keiner mündlichen Verhandlung bedürfe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76 (im Folgenden: AsylG), hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (im Folgenden: FlKonv), ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Der Niederschrift über die erstinstanzliche Einvernahme des Beschwerdeführers war nach Ansicht der belangten Behörde auch in Verbindung mit seinen Behauptungen in der Berufung kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass ihm in seinem Heimatland aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung Verfolgung gedroht habe oder drohe. Dieser Ansicht der belangten Behörde begegnet die Beschwerde mit neuerlichen Ausführungen über die behaupteten Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher und die Möglichkeit eines psychischen Ausnahmezustandes des Beschwerdeführers bei der erstinstanzlichen Einvernahme. Die für den Standpunkt der Beschwerde wesentliche Schlussfolgerung, die belangte Behörde wäre ohne die kritisierte Annahme der Vollständigkeit und Richtigkeit des Protokolls über die erstinstanzliche Einvernahme zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Bescheid gelangt, ist ohne Hinweis darauf, welche Umstände ohne die erwähnte Annahme noch hervorgekommen wären, aber nicht nachvollziehbar. In dieser Hinsicht verweist die Beschwerde - abgesehen von dem der Entscheidung ohnehin zugrunde gelegten Vorbringen des Beschwerdeführers, in seinem Heimatland bestehe ständig die Gefahr, bei Übergriffen von Rebellen das Leben zu verlieren - nur darauf, dass es "jedenfalls nicht ausgeschlossen" erscheine, dass Übergriffe von Rebellen dahingehend politisch motiviert seien, dass in ihnen einerseits die politische Überzeugung von so genannten Rebellen zum Ausdruck komme, andererseits mit derartigen Übergriffen die den Opfern "allenfalls" unterstellte politische Gesinnung verfolgt werden solle. In einer solchen Vorgangsweise könne Verfolgung im Sinne der Flkonv erblickt werden, wenn der Heimatstaat nicht willens oder nicht in der Lage sei, seine Bürger vor derartigen Handlungen zu schützen. Im angefochtenen Bescheid bleibe aber völlig offen, weshalb es sich bei den Übergriffen der Rebellen nicht um solcherart politisch motivierte Handlungen gehandelt haben solle. Diesbezügliche Feststellungen fehlten völlig. Die belangte Behörde scheine vielmehr davon auszugehen, dass in einem Bürgerkrieg ganz grundsätzlich politische oder andere Verfolgung im Sinne der Flkonv nicht möglich sei.
Dass Letzteres nicht die Rechtsauffassung ist, von der die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung ausgegangen ist, lässt sich der Begründung des angefochtenen Bescheides einwandfrei entnehmen. In Bezug auf die Frage, vor welcher im Sinne der behaupteten Möglichkeiten ("jedenfalls nicht ausgeschlossen") asylrelevanten, für ihn aktuellen Bedrohung der Beschwerdeführer im Oktober 1997 tatsächlich geflohen sei, bestätigt die mangelnde Konkretheit der Ausführungen in der Beschwerde aber nur noch die Richtigkeit der Ansicht der belangten Behörde, im Vorbringen des Beschwerdeführers habe es an Hinweisen auf einen derartigen Fluchtgrund gefehlt. Welche Hinweise nicht nur auf die theoretische Möglichkeit, sondern auf das tatsächliche Vorliegen einer Bedrohung des Beschwerdeführers aus einem der in der FlKonv angeführten Gründe die belangte Behörde verkannt habe und welcher allenfalls zur Asylgewährung führende Sachverhalt sich bei der näheren Prüfung dieser Hinweise ergeben hätte, ist den Ausführungen in der Beschwerde nicht zu entnehmen.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 21. Oktober 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998200397.X00Im RIS seit
20.11.2000