TE Vwgh Erkenntnis 1999/10/21 98/20/0484

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Veröffentlicht am 21.10.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AVG §45 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur, Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des DG in Wien, geboren am 31. Juli 1977, vertreten durch Dr. Volkmar Schicker, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jasomirgottstraße 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. Juni 1998, Zl. 200.869/0-V/15/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer , nach seinen Angaben ein liberianischer Staatsangehöriger, reiste am 29. Juli 1997 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag mit folgender Begründung:

"Ich habe meinen Vater, einen Amerikaner, nicht gekannt, welcher meine Mutter noch während der Schwangerschaft verlassen hat. Meine Mutter wurde 1993 von den Leuten des Charles Taylor getötet. Daraufhin lebte ich bei meinem Onkel Jerry Morgan, der Mitglied der Charles Taylor-Partei war. Dass diese meine Mutter getötet hatten, konnte er nicht gutheißen und verließ er daher die Partei.

In der Folge beschuldigte die Charles Taylor-Partei meinen Onkel, er organisiere eine neue Rebellengruppe und verkaufe an andere Rebellengruppen Waffen, welche ich ihnen bringen würde. Das war im Juli 1996. Eines Tages, ebenfalls im Juli 1996 kamen die Rebellen zu unserem Haus in Nimba und begannen mich zu schlagen. Mein Onkel, der vorher Soldat gewesen war, nahm sein Gewehr und erschoss sechs der Rebellen. Danach flüchtete er. Mich nahmen die Rebellen gefangen und brachten mich, nachdem sie das Haus in Brand gesteckt hatten, zum Rebellengefängnis in Nimba. Ich wurde geschlagen und gefoltert. Die Rebellen sagten, dass sich mich töten würden, sollte mein Onkel nicht innerhalb einer Woche auftauchen. Eine Soldatin sagte, sie würde mir helfen, nachdem auch meine Mutter ihr früher einmal geholfen hatte. In der Nacht des vierten Tages meiner Haft hatte sie Dienst und brachte sie mich aus dem Gefängnis, das in diesem Rebellenlager war. Die beiden anderen Dienst habenden Soldaten waren von ihr informiert worden und sagten nichts. Die übrigen Rebellen im Lager haben nichts bemerkt."

Der Beschwerdeführer war nicht in der Lage anzugeben, wo sich sein Heimatort Nimba in Liberia befindet und welche Nachbarstaaten Liberia im Bereich von Nimba hat. Er behauptete, ca. sechs Stunden von Nimba nach Sierra Leone zu Fuß gegangen zu sein, obwohl die Entfernung in der Luftlinie ca. 200 km beträgt.

Mit dem Bescheid vom 22. September 1997 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 AsylG 1991, BGBl. Nr. 8/1992, in der Fassung BGBl. Nr. 838/1992, mit der Begründung ab, die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Person, seiner Nationalität und damit auch zu seinen Fluchtgründen seien nicht glaubwürdig. Der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage gewesen, sein Heimatgebiet Nimba-County geographisch zuzuordnen, die direkt angrenzenden Nachbarstaaten und die großen ethnischen Gruppen in seinem County zu nennen, Staatsflagge und Staatswappen zu beschreiben und wichtige Feiertage Liberias zeitlich zuzuordnen.

Zusammenfassend führte das Bundesasylamt aus:

"Sie konnten daher in ihrem Heimatstaat keine Verfolgung i.s. der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen und war auch ihre Identität nicht glaubwürdig. Darüber hinaus waren sie entweder in Slowenien oder Italien oder in einem der anderen Nachbarstaaten Österreichs vor Verfolgung sicher; ihnen konnte demnach auch nicht Asyl gewährt werden."

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid wies der Beschwerdeführer - wie bereits in seiner Vernehmung vor dem Bundesasylamt - darauf hin, dass etwaige geographische Unkenntnisse auf seine mangelnde schulische Bildung zurückzuführen seien. Die von der Behörde angenommene Verfolgungssicherheit stelle eine Verletzung der Begründungspflicht gemäß § 60 AVG dar, weil die hypothetische Aufenthaltsmöglichkeit in nicht näher definierten Drittländern nicht ausreiche, die Verfolgungssicherheit eines Asylwerbers anzunehmen. Die erkennende Behörde hätte sich mit der Frage auseinander setzen müssen, durch welche Länder der Beschwerdeführer konkret gereist sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen, wobei sie sich der von der erstinstanzlichen Behörde getroffenen Beweiswürdigung voll inhaltlich anschloss und dazu ausführte:

"Der Berufungswerber vermochte anlässlich seiner niederschriftlichen Befragung weder die geographische Lage seines angeblichen Heimatortes anzugeben noch die unmittelbar angrenzenden Nachbarstaaten oder die großen ethnischen Gruppen in 'seinem' County zu nennen und ist es ihm auch nicht gelungen, das Staatswappen und die Staatsflagge Liberias richtig zu beschreiben sowie einen für das Land wichtigen Feiertag zu datieren. Entgegen den Berufungsausführungen stellten diese anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme an den Berufungswerber gerichteten Fragen aber nicht auf spezifische Geographiekenntnisse seinerseits ab, sondern handelte es sich hiebei um allgemein gehaltene, elementare Fragestellungen, mittels derer dem Berufungswerber Gelegenheit geboten werden sollte, ein bestimmtes Grundwissen über den von ihm behaupteten Heimatstaat darzulegen. Der durch die ausgebliebenen und unrichtigen Anworten vermittelte Eindruck mangelnder persönlicher Glaubwürdigkeit wurde schließlich durch seine Aussage verstärkt, er hätte eine etwa 200 Kilometer Luftlinie betragende Entfernung in einem sechsstündigen Fußmarsch zurückgelegt. Auf den diesbezüglichen Vorhalt erwiderte der Berufungswerber, er wüsste nicht, wo das Lager gewesen wäre, obwohl er zu einem früheren Zeitpunkt seiner Vernehmung ausdrücklich angegeben hatte, zu dem Rebellengefängnis in Nimba gebracht worden zu sein und hätte sich dieses in dem Rebellenlager befunden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 7 AsylG ist Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) droht und keiner der im Art. 1 Abschnitt C oder F FlKonv genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt. Gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv (idF des Protokolles über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974) ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Die belangte Behörde hat den Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen im Hinblick auf die dokumentierte Unkenntnis über die - insbesondere seinen Fluchtweg betreffenden - geographischen Verhältnisse in seinem Herkunftsstaat keine Glaubwürdigkeit zuerkannt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser gemäß § 41 Abs. 1 VwGG auf eine Schlüssigkeitsprüfung der von der Behörde vorgenommenen Beweiswürdigung beschränkt; die Beweiswürdigung ist dabei nur insoweit zu überprüfen, als es sich um die Feststellung handelt, ob der Denkvorgang der Behörde zu einem den Denkgesetzen entsprechenden Ergebnis geführt hat bzw. ob der Sachverhalt, der im Denkvorgang gewürdigt wurde, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 1974, Slg. NF. Nr. 8619/A). Der Verwaltungsgerichtshof kann somit wohl die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides, nicht aber ihre konkrete Richtigkeit nachprüfen (vgl. dazu die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3 zu § 41, S 551, wiedergegebene Judikatur).

In der Beschwerde wird nun zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die belangte Behörde bei ihrer Beweiswürdigung lediglich mit den Antworten des Beschwerdeführers auf - so die belangte Behörde - "allgemein gehaltene, elementare Fragestellungen" über geographische und ethnische Verhältnisse in seinem Heimatstaat auseinander gesetzt habe. Es ist jedoch unter den hier vorliegenden Umständen unschlüssig, allein aus der Unrichtigkeit von allgemeinen Angaben des Beschwerdeführers über seinen Herkunftsstaat auf die Unrichtigkeit der von ihm vorgebrachten Fluchtgründe zu schließen, weil die unrichtigen Angaben im konkreten Fall - worauf der Beschwerdeführer bereits anlässlich seiner Vernehmung hingewiesen hat - auch auf seine mangelnde Allgemeinbildung zurückgeführt werden können und keineswegs zwingend ein Ausdruck mangelnder Wahrheitsliebe sein müssen. Die belangte Behörde hätte darauf Bedacht nehmen müssen, dass sich dem Protokoll über die Einvernahme des Beschwerdeführers durch das Bundesasylamt keinerlei Angaben über eine Schulausbildung, eine sonstige berufliche Ausbildung oder die Ableistung des Militärdienstes entnehmen lassen. Nach dem Inhalt des Protokolls (siehe Unterschriftsleistung mit "x") dürfte der Beschwerdeführer weder des Lesens noch des Schreibens kundig sein. Vor diesem Hintergrund hätte sich die belangte Behörde näher mit den dem Beschwerdeführer auf Grund seines Bildungsniveaus zuzumutenden Kenntnissen über die sozialen und geographischen Verhältnisse auseinander setzen müssen, zumal der Bescheid der Behörde erster Instanz nicht klar erkennen lässt, welcher Sachverhalt vom Bundesasylamt als "bescheinigt" angenommen wurde. Auch die unstimmigen Angaben zur Entfernung zwischen Nimba, dem Heimatort des Beschwerdeführers, und Sierra Leone könnten ihre Erklärung darin finden, dass sich das Rebellenlager, nach den Behauptungen des Beschwerdeführers der Ausgangspunkt seiner Flucht, nicht in dem Ort Nimba, sondern in einem Regierungsbezirk gleichen Namens sechs Fußstunden von der Grenze Sierra Leones entfernt befunden hat. Dem Schluss, der Beschwerdeführer müsse daher auch seine Fluchtgründe unrichtig dargestellt haben, fehlt ein ausreichendes Substrat. Die belangte Behörde hätte sich unter den hier vorliegenden Umständen bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers bzw. der Glaubhaftigkeit seiner Fluchtgründe nicht ausschließlich auf damit nicht unmittelbar im Zusammenhang stehende, allgemeine Wissenslücken des Beschwerdeführers stützen dürfen. Das Verfahren ist damit mangelhaft geblieben.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 21. Oktober 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998200484.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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