TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/5 W163 2013408-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.09.2018
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Entscheidungsdatum

05.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W163 2013408-2/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Daniel LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Vietnam, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.06.2015, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.07.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gem. § 55, 10 Abs. 3 AsylG, § 9 BFA-VG und §§ 52 Abs. 3 und Abs. 9, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.1. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) hat nach unrechtmäßiger Einreise ins österreichische Bundesgebiet am 22.05.2003 einen Asylantrag gem. § 3 des AsylG 1997 gestellt.

Am 30.09.2003 fand vor dem Bundesasylamt eine niederschriftliche Befragung des BF statt.

1.2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies mit Bescheid vom 07.10.2003, AZ. 03 14.720-BAT, den Asylantrag gemäß § 7 AsylG 1997 ab (Spruchpunkt I.) und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Vietnam gemäß § 8 AsylG 1997 für zulässig (Spruchpunkt II).

1.3. Gegen den diesen Bescheid des Bundesasylamtes erhob der BF am 28.10.2003 Berufung an den Unabhängigen Bundesasylsenat (in der Folge: UBAS).

1.4. Diese Beschwerde wurde mit Erkenntnis des seit 01.07.2008 dafür zuständigen Asylgerichtshofs (in der Folge: AsylGH) vom 25.03.2009, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Abwesenheit des BF, gem. §§ 7 und 8 Abs. 1 AsylG 1997 als unbegründet abgewiesen.

2.1. Die Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, erlies mit Bescheid vom 10.08.2007 gegen den BF als Asylwerber gemäß § 62 Abs. 1 und 2 iVm. § 60 Abs. 2 Z 8 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. Nr. 100/2005, ein mit der Dauer von fünf Jahren befristetes Rückkehrverbot. Begründet wurde dies mit der Ausübung einer illegalen Beschäftigung des BF als Koch in einem Restaurant (Verstoß gegen das AuslBG). Das Rückkehrverbot gilt als Entzug des Aufenthaltsrechts.

2.2 Der dagegen fristgerecht eingebrachten Berufung wurde keine Folge gegeben und der Bescheid von der Sicherheitsdirektion Wien am 19.09.2007 gemäß § 66 Abs. 4 AVG bestätigt.

3. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, vom 11.05.2009, Zl. XXXX , wurde der BF gem. § 53 Abs. 1 FPG, BGBl. Nr. 100/2005, ausgewiesen.

4.1. Der BF beantragte am 03.06.2014 die "Feststellung der tatsächlich von Antragsteller nicht zu vertretenden Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 46 Abs. 1a Satz 1 FPG 2005" und "Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß § 46a Abs. 2 FPG 2005".

4.2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 08.10.2014, Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF vom 28.05.2014 zurückgewiesen.

4.3. Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde wurde dieser Bescheid mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (im Folgenden: BVwG) vom 10.02.2015, Zl. W160 XXXX , behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.

Das Verfahren ist derzeit beim BFA anhängig.

5.1. Am 16.12.2014 stellte der BF einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gem. § 55 Abs. 1 AsylG (Aufenthaltsberechtigung plus).

5.2. Am 02.03.2015 beantragte der BF in Bezugnahme auf den unter Punkt 5.1. genannten Antrag gem. § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV die Heilung von eventuellen Verfahrensmängeln (insbesondere der Nichtvorlage eines gültigen Reisedokuments).

5.3. Am 06.03.2015 verständigte das BFA den BF vom Ergebnis der Beweisaufnahme, wobei er unter anderem zur Vorlage von Dokumenten und Urkunden sowie Integrationsnachweisen aufgefordert wurde. Zudem wurde der BF auf eine Zurückweisung des Antrags gem. § 58 Abs. 11 AsylG für den Fall einer nicht zeitgerechten und vollständigen Vorlage hingewiesen.

5.4. Am 23.03.2015 erstattete der BF eine Stellungnahme.

5.5. Mit Bescheid des BFA vom 09.06.2015, Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 16.12.2014 gem. § 55 AsylG abgewiesen. Gem. § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 3 FPG erlassen und gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Vietnam zulässig sei (Spruchpunkt I.). Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.).

5.6. Gegen den am 19.06.2016 zugestellten Bescheid erhob der BF fristgerecht am 30.06.2015 Beschwerde. Es wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, der Beschwerde stattzugeben und den Bescheid im angefochtenen Umfang aufzuheben oder abzuändern.

5.7. Die gegenständlichen Beschwerden und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG am 01.07.2015 vom BFA vorgelegt.

5.8. Das BVwG führte am 10.07.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF und seine Lebensgefährtin persönlich teilnahmen. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil.

I.2. Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (Sachverhalt)

Das Bundesverwaltungsgericht geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgebenden Sachverhalt aus:

a) Zur Person und zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei

1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX in XXXX (Vietnam). Er ist Staatsangehöriger der Sozialistischen Republik Vietnam und bekennt sich zum Buddhismus.

2. Der BF lebte bis 1989 in Vietnam, wo er die Schule mit Maturaabschluss absolvierte und eine Berufsschule besuchte.

3. Der BF ist in seinem Herkunftsstaat weder vorbestraft, noch wurde er dort jemals erkennungsdienstlich behandelt. Er war niemals im Gefängnis und gehörte nie einer politischen Partei oder einer politisch aktiven Gruppierung an. Er hatte nie Probleme mit den Behörden seines Heimatstaates. Der BF wurde weder offiziell von den Behörden noch von Privatpersonen bedroht.

4. Der BF ist 1989 aus Vietnam ausgereist. Von 1989 bis Jänner 2003 lebte er in Hongkong. Der BF verließ Hongkong im Jänner 2003 aus Angst vor einer bevorstehenden Abschiebung nach Vietnam. Der BF ist schließlich am 22.05.2003 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet eingereist und stellte am selben Tag einen Asylantrag.

5. Grund für die Ausreise des BF aus Vietnam waren die dortigen Lebensbedingungen und das aus seiner Sicht mangelnde wirtschaftliche Fortkommen sowie die Suche nach besseren Lebensbedingungen und Verdienstmöglichkeiten im Ausland. Es ergaben sich im Asylverfahren weder asylrelevante Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates noch Gründe, die eine Rückkehr des BF in seinen Heimatstaat unzulässig machen würden.

6. Der BF lebt seit Mai 2003 durchgehend im österreichischen Bundesgebiet.

Sein Aufenthaltsrecht wurde ihm bereits im August 2007 mit Erlass des Rückkehrverbotes entzogen. Der BF hält sich seitdem (seit gut elf Jahren) unrechtmäßig in Österreich auf. Im Mai 2009 wurde der BF ausgewiesen.

7. Der BF bestand im Dezember 2014 eine Prüfung über deutsche Sprachkenntnisse auf dem Sprachniveau A2. Dabei erlangte er auf einer vierteiligen Skala von sehr gut bis ausreichend ein "ausreichendes" Ergebnis mit 65 erreichten von insgesamt 100 erreichbaren Punkten.

Der BF versteht zum Entscheidungszeitpunkt die deutsche Sprache kaum und kann nicht eigenständig in der deutschen Sprache kommunizieren. Er kann einfache, den Lebensalltag betreffende Frage nur unzulänglich sinnerfassend verstehen und keine sinnzusammenhängenden Antworten auf einfachem Niveau in deutscher Sprache formulieren. Die bei ihm zum Zeitpunkt des Ablegens der Deutschprüfung A2 im Dezember 2014 vorhandenen Deutschkenntnisse haben sich seither maßgeblich verschlechtert.

8. Der BF hat zeit seines Aufenthalts in Österreich keine erlaubte Erwerbstätigkeit ausgeübt.

Er wurde im April 2007 bei der Ausübung einer nicht behördlich genehmigten Beschäftigung als Koch in einem Restaurant betreten.

Der BF bezieht seit Juni 2004 durchgehend Leistungen aus der Grundversorgung. Er wird zudem von der XXXX und der XXXX unterstützt. Monatlich stehen dem BF EUR 180,- sowie EUR 40,- für diverse Utensilien des täglichen Bedarfs zu Verfügung.

9. Die Lebensgefährtin des BF heißt XXXX und ist österreichische Staatsbürgerin. Der BF lernte seine Lebensgefährtin im Jahr 2005 kennen. Daraufhin lebten sie zwei Jahre zusammen.

Der BF wohnt und lebt seit 09.01.2009 in einer Unterkunft der XXXX ( XXXX ) in Wien. Nach der Hausordnung dieser Unterkunft muss der BF sich dort täglich abends einfinden und dort übernachten.

Die Situation des Beziehungslebens des BF und seiner Lebensgefährtin gestaltet sich daher so, dass sie während der Arbeitswoche voneinander getrennt sind: Wenn die in einer Verpackungsfabrik beschäftigte Lebensgefährtin des BF tagsüber arbeiten ist, kommt der BF in ihre Wohnung. Er bereitet das Essen vor und kümmert sich um den Haushalt. Am späteren Nachmittag (zwischen 15.00 und 16.00 Uhr) muss der BF in seine Unterkunft zurückkehren. Am Wochenende unternehmen die Lebensgefährten gemeinsame Aktivitäten. Sonntags ist der BF in der Pagode aufhältig.

10. Der BF hat diverse freiwillige (ehrenamtliche) Tätigkeiten bei der XXXX in Österreich sowie bei vietnamesischen Organisationen und Vereinen in Österreich verrichtet. Er läuft jährlich bei einem zu karitativen Zwecken veranstalteten Marathon mit, hilft beispielsweise bei Wandsanierungen und Wandsanierungen in Gebäuden der XXXX und übt diverse Hilfstätigkeiten bei der Sanierung der Pagode aus.

Am 06.03.2015 betreute der BF bei einer Veranstaltung in seiner Unterkunft Ausschank und Service.

Der BF hat am 06. - 08., 10. und 13. - 15. November unentgeltlich an einem Sozialprojekt einer Gebäudeverwaltung teilgenommen sowie am 27.11.2015 die Organisation und Betreuung des Buffets bei der Abschlussfeier übernommen.

Der BF hat im Jahr 2016 an einem Kurs "Einführung in die Informatik" an der TU Wien teilgenommen.

Er hat im Jänner 2016 einen Erste-Hilfe-Grundkurs beim Wiener Roten Kreuz besucht.

Der BF hat von April 2015 bis Dezember 2015 an einem Sportprojekt der Diakonie mitgewirkt. Im Rahmen dessen hat er an vier Sport-Events teilgenommen.

Seit 2015 besucht der BF regelmäßig die Veranstaltungen des Kultur- und Sozialvereins der vietnamesischen Buddhisten in Österreich.

Der BF hat am Friedenslauf 2017 teilgenommen.

11. Der BF hat keine in Österreich lebenden Verwandten.

12. Der BF ist aufgrund seiner mangelnden Deutschkenntnisse nicht imstande, mit nicht vietnamesisch sprechenden Personen selbstständig in Austausch zu treten, er ist hier durch seine mangelnde Sprachkompetenz beschränkt. Er pflegt aus diesem Grund nur mit Personen vietnamesischer Herkunft und Sprachkenntnissen Kontakt bzw. bewegt er sich nur in einem sozialen Umfeld, in dem er auf die Übersetzung durch Sprachkundige zurückgreifen kann. Mit seiner Lebensgefährtin kommuniziert der BF ausschließlich auf Vietnamesisch.

Der BF bewegt sich während seines Aufenthalts in Österreich in der vietnamesischen Community, in der er stark vernetzt ist und in der er seine sozialen Kontakte pflegt.

13. Der BF hat 13 Einstellungszusagen, jeweils bedingt mit dem rechtmäßigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Es handelt sich jeweils um Restaurants bzw. um eine Import/Export GmbH ( XXXX ). Die Arbeitsvorverträge wurden überwiegend im Februar bzw. März 2016 geschlossen. Eine Einstellungszusage ist vom Mai 2017.

14. Der BF ist gesund.

15. Der BF hat ein Kind, das im Vietnam lebt. Der BF kam gegenüber diesem Kind auch von Österreich aus seiner Sorgepflicht durch Geldleistungen nach. Der BF machte unterschiedliche Angaben dazu, ob seine Mutter noch am Leben ist.

16. Der BF suchte am 14.07.2009 und am 18.02.2015 die Botschaft der Sozialistischen Republik Vietnam in Wien auf. Aus der jeweiligen Bestätigung der Botschaft geht hervor, dass der BF keine Dokumente zum Beweis seiner Staatszugehörigkeit hat und die Botschaft ihm daher kein Reisedokument ausstellt.

Der BF hat sonst keine Veranlassungen getroffen, um Dokumente zum Beleg seiner vietnamesischen Staatsbürgerschaft zu erlangen. Einen - jedenfalls in Zusammenhang mit der Erfüllung seiner Sorgepflichten für sein im Vietnam lebendes Kind - bestehenden Kontakt nutzte der BF nicht, um entsprechende Dokumente zu beschaffen.

17. Der BF wurde am 14.06.2009 wegen unbefugten Aufenthalts in Bundesgebiet angezeigt, am 27.08.2009 erging gegen ihn ein Straferkenntnis wegen unrechtmäßigen Aufenthalts (Geldstrafe von EUR 200,-. Ersatzfreiheitsstrafe von zwei Tagen). Der BF wurde am 06.05.2011, 12.10.2011 und 23.10.2012 jeweils wegen rechtswidrigen Aufenthalts im Bundesgebiet angezeigt.

18. Am 02.09.2009, 19.02.2010, 02.03.2010, 01.07.2010 und 16.11.2010 wurde seitens der BPD, Fremdenpolizeiliches Büro, bei der Botschaft der Sozialistischen Republik Vietnam, die Ausstellung eines Heimreisezertifikats für den BF beantragt bzw. urgiert.

19. Der unter Punkt I.1 dargestellte Verfahrensgang wird der Entscheidung als Feststellung zugrunde gelegt.

b) Zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Bericht des Auswärtigen Amtes vom 24.01.2017)

Zusammenfassung

Vietnam ist ein im politisch-institutionellen Sinn sozialistischer Staat. Auf wirtschaftlichem Gebiet hat er seit den 80er Jahren einen marktwirtschaftlich orientierten Reformkurs eingeschlagen. Politik und Gesellschaft richten sich jedoch am unbedingten Führungsanspruch der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV) aus. Obwohl die Rolle der Nationalversammlung im Gefüge der Staatsorgane stärker wird, kann von Gewaltenteilung oder demokratischer Legitimation nur in Ansätzen die Rede sein. Meinungs- und Pressefreiheit gibt es nicht. Rechtsstaatlichkeit ist in vielen Bereichen von Verwaltung und Justiz noch nicht in ausreichendem Maß gewährleistet. Allerdings gibt es Fortschritte bei Verlässlichkeit, Transparenz und Überprüfbarkeit des Verwaltungshandelns. Problematisch sind häufig nicht etwa die Rechtsnormen als solche, sondern fehlerhafte oder willkürliche Umsetzung. Unabhängige Staatsanwälte und Richter sind in dem sozialistischen Staat autoritärer Prägung systemfremd. Die Ausbildung des Justizpersonals ist stark verbesserungswürdig. Allgegenwärtige Korruption zerstört das Vertrauen in staatliches Handeln. Eine schon für Mitte 2016 geplante Reduzierung der mit Todesstrafe belegten Delikte von 22 auf 15 ist wegen zahlreicher Gesetzesmängel noch nicht in Kraft getreten; das Gesetz wird erneut überarbeitet. Offizielle Angaben zu Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe sind nicht verfügbar. Medienberichten und Schätzungen aus der Zivilgesellschaft zufolge werden jährlich ca. 150 Todesurteile verhängt. 500 - 700 Menschen sitzen in Todeszellen. Die Hinrichtung erfolgt mittels eigens hergestellter Giftinjektion, die aber nach Medienberichten nicht "effizient" wirkt. ? Öffentliche Kritik an Partei und Regierung wird nur innerhalb enger Grenzen toleriert. Regierungskritische Aktivitäten von Künstlern, Intellektuellen oder Angehörigen ethnischer Minderheiten bzw. nicht zugelassener religiöser Vereinigungen werden mit polizeilichjustiziellen Maßnahmen verfolgt. Gegen Mitglieder nicht registrierter Oppositionsgruppen oder Personen, die den umfassenden Führungsanspruch der KPV in Frage stellen, geht die Regierung mit Härte vor (u. a. Verhaftungen, Hausarrest, ausgedehnte Verhöre, Internet- und Telefonstörungen). Auch Freunde und Familien von Aktivisten geraten ins Fadenkreuz der Sicherheitsbehörden. Die Lage im Bereich Religionsfreiheit hat sich verbessert. Private Glaubensausübung wird von den Behörden toleriert. Kirchliche Feste werden öffentlich gefeiert. Eine weitere Liberalisierung könnte - je nach Umsetzungspraxis - die im November 2016 vollzogene Verabschiedung des neuen Religionsgesetzes mit reduzierten Genehmigungspflichten und einem erstmaligen Abwehrrecht/Schutzanspruch gegen staatliche Beschränkung und Eingriffe Dritter bringen. Allerdings unterliegen nicht nur die Vertreter der als illegal betrachteten Vereinigten Buddhistischen Kirche Vietnams (UBCV) sowie die Mitglieder nicht anerkannter/registrierter Glaubensgemeinschaften Repressionen seitens des Staates. Auch Vertreter christlicher Kirchen berichten über staatliche Eingriffe und Benachteiligungen. Nicht geduldet wird die politische Betätigung religiöser Gruppen. Die Lage der Minderheiten im zentralen und nördlichen Hochland ist vor allem von sozialen Disparitäten gekennzeichnet. Die Armutslücke zwischen indigenen Minderheiten und der Mehrheit der Bevölkerung bleibt trotz gezielter staatlicher Programme zur Armutsminderung bestehen. Auf der Basis eines bilateralen Rückübernahmeabkommens und eines Durchführungsprotokolls von 1995 finden Rückführungen vietnamesischer Staatsangehöriger von Deutschland nach Vietnam problemlos statt.

I. Allgemeine politische Lage

1. Überblick

Die Sozialistische Republik Vietnam befindet sich in einem wirtschaftlichen Transformationsprozess von einem zentral gesteuerten zu einem marktwirtschaftlich orientierten System mit dem Anspruch, sozialistisch zu sein. Steigende (versteckte) Arbeitslosenzahlen - auch bedingt durch eine hohe Zahl von Schulabgängern (ca. 1 bis 1,5 Mio. jährlich) - sowie ein wachsendes Gefälle zwischen Stadt und Land und zwischen Arm und Reich sind die Begleiterscheinungen des Umbruchs. Reformen konzentrieren sich jedoch überwiegend auf den Wirtschaftssektor; in der Politik hält die KPV an ihrem politischen Machtmonopol weiter fest. Eine neue Verfassung ist zwar zum 1.1.2014 in Kraft getreten. Die dort festgeschriebenen Prinzipien zu Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Grundrechtsschutz finden indes häufig keinen Niederschlag in einfachgesetzlichen Regelungen, im Verwaltungshandeln oder in der Rechtsprechungspraxis. Die Stützen des politischen Führungsanspruchs der KPV sind anhaltendes Wirtschaftswachstum und steigender Wohlstand. Die Partei begegnet der Gefahr der "Legitimitätskrise" durch politische Kontrolle, Zensur, Überwachung und Unterdrückung - allerdings vor dem Hintergrund von Umwelt- und Verbraucherschutzproblemen sowie einem steigenden Bewusstsein in der Bevölkerung auch mit ersten Ansätzen einer Verwaltungsreform zur Steigerung der Effektivität und stärkeren Kontrolle von Wirtschaftsunternehmen.

Die Justizorgane können wegen häufig unzureichender Ausbildung, mangelhafter (Personal-) Ausstattung und politischer Vorgaben ihrem Auftrag der Zivil- und Strafrechtspflege sowie der Kontrolle exekutiver Entscheidungen nicht im verfassungsrechtlich gebotenen Maß nachkommen. Die Gerichte sind zwar nach der Verfassung unabhängig, unterstehen aber praktisch der Exekutive. Das Strafgesetzbuch aus dem Jahr 2000 hat die mit der Todesstrafe bewehrten Straftatbestände reduziert und bestimmter gefasst. Im November 2015 wurde erneut eine geplante Reduzierung der mit Todesstrafe bedrohten Tatbestände um 7 auf dann 15 vorgestellt. Diese Änderung ist wegen zahlreicher Gesetzesmängel noch nicht in Kraft getreten; das Gesetz wird erneut überarbeitet. Auch eine neue Strafprozessordnung wird beraten; sie ist derzeit noch weniger verabschiedungsreif als das materielle Strafrecht. Landesweit sind nur ca. 7.000 Rechtsanwälte zugelassen, so dass die Verteidigungsmöglichkeiten im Strafverfahren für den Angeklagten schon mangels qualifizierten Rechtsbeistandes begrenzt sind. Rechtsanwälte wachsen nach Ausbildung und Bewusstsein außerdem erst langsam in ihre Rolle als Interessenvertreter der Mandanten hinein. Kann ein Angeklagter sich keinen Anwalt leisten, bekommt er nur dann einen (Pflicht-)Verteidiger gestellt, wenn lebenslange Haftstrafe oder die Todesstrafe droht.

Die Reform des sozialistisch geprägten Rechtssystems des Landes ist eine zentrale Aufgabe für die weitere Entwicklung des Landes, bei der Deutschland - auf ausdrückliche Bitte Vietnams - Hilfestellung leistet. 2009 wurde der deutsch-vietnamesische Rechtsstaatsdialog offiziell ins Leben gerufen. Koordinator auf deutscher Seite ist das Bundesministerium der Justiz und Verbraucherschutz und auf vietnamesischer Seite das Justizministerium.

2. Betätigungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen Im Menschenrechtsbereich ist die vietnamesische Führung innerhalb enger Grenzen zu internationaler Zusammenarbeit bereit und führt mit EU, Schweiz, Norwegen, Australien, Neuseeland und USA Menschenrechtsdialoge auf Arbeitsebene. Die Gründung unabhängiger Menschenrechtsorganisationen (oder anderen NROen) ist in Vietnam nicht erlaubt. Ausländische/Internationale Menschenrechtsorganisationen sind in Vietnam nicht vertreten, ihren Vertretern wird die Einreise selbst zu Recherche-Zwecken regelmäßig verwehrt. Anfragen an die Regierung zu Menschenrechtsfällen werden nur in Einzelfällen beantwortet. Vietnam ist seit 2014 für drei Jahre Mitglied des VN-Menschenrechtsrates und hat sich 2014 dem Staatenüberprüfungsverfahren der Vereinten Nationen (Universal Periodic Review) unterzogen.

II. Asylrelevante Tatsachen

1. Staatliche Repressionen

1.1 Politische Opposition Das autoritäre Staatssystem Vietnams lässt die Ausübung bürgerlicher und politischer Rechte nur in sehr engen Grenzen zu. Oppositionelle Gruppen oder Personen, die sich für westliche Demokratiemodelle einschließlich des Prinzips der Gewaltenteilung, Parteipluralismus oder Meinungs- und Versammlungsfreiheit einsetzen, werden weiterhin mit Zensur, polizeilichen und strafrechtlichen Repressionen/Sanktionen sowie zunehmend Einschüchterung und Umfelddruck belegt.

Mittlerweile gibt es zahlreiche kleinere Oppositionsgruppen, die aus der Illegalität operieren und gegen deren Mitglieder mit Härte vorgegangen wird (Verurteilungen zu zum Teil hohen Gefängnisstrafen, Gewalt, Einschüchterung, Hausarrest, Umfeldbedrohung). Fast alle Gruppen bedienen sich für Außendarstellung und Kommunikation vorrangig des Internets. Die Regierung reagiert mit der Sperrung einschlägiger Webseiten und Blogs, nur selten mit der Zensur sozialer Medien. Facebook zählt in Vietnam mittlerweile über 32 Millionen Nutzer.

Seit Anfang Februar 2007 sind zahlreiche Oppositionelle von staatlichen Medien mit Denunzierungskampagnen überzogen worden. Nach einem Rückgang formeller Verhaftungen und Anklagen seit 2013 sind seit Ende 2015 wieder mehr Oppositionelle inhaftiert und zum Teil zu langen Haftstrafen verurteilt worden, daneben nehmen Einschüchterung, administrative Repressalien und Umfeldbedrohung usw. zu.

Die Verordnung Nr. 44 aus dem Jahr 2002 gibt Verwaltungsorganen die Möglichkeit, missliebige Personen ohne Gerichtsverfahren per Verwaltungsentscheid bis zu zwei Jahre unter Hausarrest zu stellen oder in psychiatrische Kliniken bzw. Erziehungsheime einzuweisen. Ein Dekret aus dem Jahr 2001 (Nr. 53/2001/ND-CP) sieht zudem die Möglichkeit eines bis zu fünfjährigen Hausarrests im Anschluss an die Verbüßung einer Haftstrafe vor - ein Mittel, von dem gegenüber entlassenen politischen Häftlingen häufig Gebrauch gemacht wird. Statistiken sind nicht verfügbar - nach inoffiziellen Angaben sollen sich je nach Zählweise zwischen 80 und 130 politische Häftlinge in vietnamesischen Gefängnissen befinden.

1.2. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit

Die Verfassung garantiert Meinungs- und Pressefreiheit. Unbestimmt gefasste und frei auslegbare Eingriffsnormen, vor allem die Straftatbestände zum Schutz der nationalen Sicherheit (Art. 79 ff., 88, 258 StGB) lassen von diesen Grundrechten allerdings nicht viel übrig. Diese "politischen" Tatbestände blieben auch im Rahmen der jüngsten Strafrechtsnovelle inhaltlich unangetastet. Toleriert wird hingegen häufig öffentlich geäußerte Kritik an der weit verbreiteten Korruption (auch Vertreter von Partei und Staat geißeln die Korruption öffentlich); die Meinungsäußerung im privaten Kreis wird im Allgemeinen nicht bestraft.

Die Medien unterliegen einer umfassenden Kontrolle und Zensur durch Partei und Regierung. Alle Veröffentlichungen müssen mit den grundlegenden Vorgaben der Partei im Einklang stehen. Das Pressegesetz ist äußerst restriktiv; Journalisten, die über sensible Themen kritisch berichten, werden zur Ordnung gerufen oder aus ihrem Tätigkeitsbereich entfernt. Entsprechend wird Vietnam im Pressefreiheitsindex 2015 von Reporter ohne Grenzen auf Platz 175 (von 180 Staaten) geführt.

Eine relativ ausführliche Medien-Berichterstattung findet zur wirtschaftlichen Entwicklung, zu sozialen Missständen und den verstärkten Disparitäten zwischen Arm und Reich, Umweltproblemen sowie zu Minderheitenfragen statt. Auch im Zusammenhang mit der Aufdeckung von Korruption ist den Medien ein gewisser Freiraum zu kritischer Berichterstattung eröffnet worden. Das AntiKorruptionsgesetz von 2006 schreibt den Medien eine wichtige Rolle bei der Korruptionsbekämpfung zu, indem es sie aufruft, über den Kampf der Regierung gegen dieses "soziale Übel" zu berichten (Vietnam steht im Korruptionsindex des Jahres 2015 von Transparency International auf Platz 112 von 168 Staaten). Allerdings kann auch dieser Spielraum nicht uneingeschränkt genutzt werden (keine Kritik möglich, soweit Korruptionsursachen dem politischen System zugeschrieben werden).

Das Internet, das in Vietnam derzeit von ca. 45 Mio. Menschen genutzt wird, unterliegt staatlicher Kontrolle; Internetseiten mit missliebigen politischen, religiösen oder menschenrechtlichen Inhalten werden blockiert. Betroffen sind vietnamesische wie ausländische Seiten. 2004 eingeführte und 2005 noch einmal verschärfte Vorschriften verpflichten Betreiber von Internet-Cafés, die Daten aller Internetnutzer zu erfassen und zu dokumentieren. Das Verbreiten von Inhalten im Internet, die in Opposition zum Staat stehen bzw. die Einheit des Volkes zerstören, ist gemäß dem Dekret 97/2008 strafrechtlich bzw. verwaltungsrechtlich zu verfolgen. Internationale Aufmerksamkeit fanden in den vergangenen Monaten mehrere Festnahmen oder Verurteilungen von Bloggern zu zum Teil langjährigen Haftstrafen. Art. 88 des vietnamesischen Strafgesetzbuchs lässt für "Propaganda gegen den Staat" Verurteilungen bis zu 20 Jahren zu. Ende 2013 trat das Dekret 72 in Kraft, wonach die Verbreitung von Drittmeinungen (etwa Presselinks) über soziale Medien bestraft werden kann. In einem Fall kam es zur Verurteilung zu einer Haftstrafe, ansonsten scheint die Vorschrift auch wegen der Schwierigkeit, die Datenfülle zu bewältigen, bislang kaum Anwendung zu finden.

Westliche Fernsehstationen sind in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt über die lokalen Kabelnetze zu empfangen, als zu kritisch eingestufte Beiträge werden jedoch bisweilen zensiert ("schwarzer Bildschirm"). Sender wie BBC und CNN werden zeitversetzt ausgestrahlt, um Vorlauf zur Zensur zu haben. Viele Bürger sind trotz gewisser Beschränkungen landesweit in der Lage, Satelliten-TV über Home-Receiver zu empfangen.

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind in Vietnam massiven Beschränkungen unterworfen - vor allem wegen des aus Sicht der Regierung systemgefährdenden Charakters frei operierender Vereine und vermeintlich unkontrollierbarer Demonstrationen. Die Gründung von Oppositionsgruppen wird strikt unterbunden; Vereinsarbeit, die nicht unter dem Dach der Massenorganisation der Vaterlandsfront stattfindet, wird massiv erschwert. Arbeiterstreiks sind zwar formal seit 2006 (Verankerung eines Streikrechts im Arbeitsgesetz) möglich; allerdings sind die Voraussetzungen für einen zulässigen Streik prohibitiv, sodass legale Streiks in der Realität kaum stattfinden. Vor diesem Hintergrund ist seit einigen Jahren die Zunahme "wilder Streiks" zu verzeichnen. Diese Entwicklung markierte im Jahr 2011 ihren Höhepunkt, als landesweit ca. 1000 wilde Streiks durchgeführt wurden. Daneben kommt es immer wieder zu öffentlichen Aktionen der Landbevölkerung und von Fischern, die gegen die Enteignung des Grundes und Bodens bzw. für eine gerechte Entschädigung, auch etwa für Einkommenseinbußen nach dem massenweisen, von einem taiwanesischen Investor verursachten Fischsterben vor der Küste Vietnams, demonstriert.

Eine regierungsunabhängige Zivilgesellschaft im westlichen Sinne existiert in Vietnam nicht. Inländische NROen werden unter dem Dach der sogenannten "Vietnamesischen Vaterlandsfront" zusammengefasst und sind damit staatsnah. Unabhängige NROen erhalten keine Registrierung und müssen daher häufig aus der Illegalität heraus operieren.

1.3. Minderheiten

In Vietnam leben 92 Mio. Menschen, wobei die Kinh (Vietnamesen) 86 % der Bevölkerung ausmachen. Etwa neun Millionen Menschen gehören 54 unterschiedlichen ethnischen Minoritäten an. Die Verfassung postuliert die Gleichheit aller ethnischen Gruppen; jede hat das Recht auf Bewahrung ihrer kulturellen Identität. Diskriminierung aufgrund einer bestimmten ethnischen Zugehörigkeit ist verboten.

Zwischen dem Lebensstandard ethnischer Vietnamesen und dem der Minderheiten klafft in der Praxis dennoch immer noch eine Lücke. Die Angehörigen der Minderheitenvölker leben in der Regel in abgelegenen Bergregionen im Norden und im zentralen Hochland oder im Mekong-Delta. In dem Bestreben, Demonstrationen oder Unruhen bereits im Keim zu ersticken, setzt die Regierung dort Polizeikräfte zur Überwachung und Einschüchterung potenzieller Demonstrationsteilnehmer ein. Kommt es dennoch - wie gelegentlich im zentralen Hochland - zu Protesten, werden diese in der Regel sofort von der Polizei aufgelöst.

1.4. Religionsfreiheit

Religionsausübung ist im Privaten möglich, Religionsgemeinschaften unterliegen aber restriktiv gehandhabten Registrierungs- und Aufsichtspflichten. Die Nationalversammlung hat 2016 erstmals ein Religionsgesetz verabschiedet, das nach den letzten vorliegenden Entwürfen deutliche Tendenzen zu einer Liberalisierung aufweist. So wird das Grundrecht auf Religionsausübung unter staatlichen Schutz gestellt; Genehmigungserfordernisse wurden vielfach in bloße Anzeigepflichten umgewandelt. Wie in vielen Bereichen wird sich der praktische Wert der Reform allerdings erst in der Umsetzung durch die lokalen Behörden zeigen.

Traditionellen religiösen Institutionen wird von Regierung und Partei ein Beitrag und Auftrag zur "Stärkung des Vaterlands" zugeschrieben. In Vietnam leben neben den etwa 20 Millionen Buddhisten rund sechs Millionen Katholiken, etwa eine Million Protestanten unterschiedlicher Konfessionen und 80.000 Muslime. Konfuzianistische Elemente und der Ahnenkult sind noch weit verbreitet.

Im sozialen Bereich kooperiert der Staat zunehmend mit der katholischen Kirche. Innerhalb der Buddhistischen Glaubensrichtung fasst allein die "Buddhist Church of Vietnam" staatlich anerkannt die verschiedenen Richtungen zusammen. Die Führung der nicht zugelassenen "Unified Buddhist Church of Vietnam" (UBCV) wird von den staatlichen Organen als politische Opposition betrachtet und ist entsprechenden Repressalien (z. B. jahrelanger Hausarrest) ausgesetzt. Versuche der UBCV, sich im Rahmen der neuen gesetzlichen Vorschriften als selbständige Religionsgemeinschaft registrieren zu lassen, wurden mit Verweis auf den erfolgten Zusammenschluss der übrigen buddhistischen Glaubensgemeinschaften abgelehnt.

Die 2000 gegründete, von der Regierung unabhängige Hoa Hao Central Buddhist Church (HHCBC) hat staatliches Misstrauen in ähnlicher Weise auf sich gezogen wie die "Unified Buddhist Church of Vietnam". Anhängern und Mönchen der Hoa Hao wird erlaubt, ihren Glauben zu leben, solange sie den von der Regierung genehmigten und ihr nahestehenden Hoa Hao Administrative Council anerkennen. Viele Gläubige lehnen dies ab und sind deshalb nach zahlreichen unabhängigen Berichten massiven Repressionen bis hin zu körperlicher Gewalt und Festnahmen ausgesetzt.

Die ethnische Gruppe der Khmer Krom gehören hauptsächlich dem Theravada-Buddhismus an. Dennoch muss sich die Gemeinschaft dem Komitee der "Buddhist Church of Vietnam" unterordnen, in dem ausschließlich Mahayana-Buddhisten sitzen. Das Komitee fällt autoritative Entscheidungen hinsichtlich religiöser Zeremonien, Lehrinhalten an Klöstern usw., sodass eine freie, selbstbestimmte Ausübung der Religion im Sinne der Lehren des Theravada-Buddhismus den Khmer Krom nicht möglich ist.

Die Christen bilden nach den Buddhisten die zweitstärkste religiöse Gruppe in Vietnam. Während der Kultus an sich frei ausgeübt werden kann, bedürfen alle sozialen Aktivitäten der Kirchen einer gesonderten Zulassung. Die Ausbildung von katholischen Priestern wird durch die Verweigerung, die Eröffnung weiterer Seminare zu genehmigen, behindert. Christen haben zum Teil nur erschwert Zugang zum öffentlichen Dienst.

Die Haltung der Regierung gegenüber der katholischen Kirche ist ambivalent und von Spannungen gekennzeichnet: Einerseits erfreut sich die katholische Kirche im Vergleich zu anderen Religionsgemeinschaften eines vergleichsweise großen Handlungsspielraums. Das ist u. a. auf die lange historische Präsenz des Katholizismus sowie die relativ dialogbereiten katholischen Würdenträger zurückzuführen. Zudem spielen außenpolitische Erwägungen eine Rolle: Der Vatikan wird als Teil der westlichen Staatenwelt angesehen, mit der Vietnam gute Beziehungen pflegen möchte ("friends of all policy"). Andererseits misstraut die KPV den möglichen politischen und sozialen Konsequenzen religiösen Engagements. Sie befürchtet, soziale Aktivität könne in politische Opposition umschlagen oder doch zumindest gesellschaftliche Freiräume erzeugen, die nicht mehr der staatlichen Kontrolle unterliegen. Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung stellen Christen einen erstaunlich hohen Anteil an (inhaftierten/Repressalien ausgesetzten) Dissidenten/Menschenrechtsaktivisten.

Die Zahl der seit Mitte der 80er Jahre zum Christentum übergetretenen Angehörigen des Hmong Volkes wird auf ca. 150.000 geschätzt. Die betreffenden Angehörigen der Minderheiten treten nicht der offiziell anerkannten protestantischen Kirche bei, sondern protestantischen Frei- und Hauskirchen, die als amerikanisch gesteuert wahrgenommen werden. Die lokalen Behörden empfinden diese Tendenz als bedrohlich und reagieren - regional uneinheitlich - mit Medienkampagnen, Einschüchterung und Verhaftungen.

Die Lage der zur ethnischen Minorität der Cham gehörigen Muslime (80.000 Personen, weniger als 0,1 % der Gesamtbevölkerung) ist weitgehend unproblematisch. Vietnamesische Muslime treten seit 1995 unbehelligt die Pilgerfahrt nach Mekka an, eine vietnamesische Koranübersetzung liegt seit 2001 vor.

Ausländer und ausländische Institutionen oder Vereine dürfen in Vietnam keine seelsorgerischen oder missionarischen Tätigkeiten ausüben, solange dies nicht ausdrücklich erlaubt, und den betreffenden Personen die Einreise nach Vietnam zu diesem Zweck gewährt wurde.

1.5. Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis

In Vietnam ist bei der Strafverfolgung oder Strafzumessungspraxis keine Diskriminierung nach bestimmten Merkmalen (Rasse, Religion usw.) feststellbar. Erhebliche Defizite bestehen - auch nach eigener Wahrnehmung der vietnamesischen Regierung - in puncto Rechtsstaatlichkeit, insbesondere mit Blick auf ein faires Verfahren im Stadium der Ermittlungen und im Strafprozess. Das bezieht sich zum Teil auf Mängel der Strafprozessordnung, zum Teil auf Missachtung strafprozessualer Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote durch Ermittlungsbehörden und Gerichte.

1.6. Militärdienst

In Vietnam besteht eine allgemeine Wehrpflicht für Männer zwischen 18 und 25 Jahren. Die Dauer der Wehrpflicht beträgt 18 Monate. Frauen können freiwillig Wehrdienst ableisten. Eine vorläufige Freistellung vom Wehrdienst ist möglich, beispielsweise aus Gesundheitsgründen oder wegen einer laufenden Ausbildung. Ein Ersatzdienst existiert nicht. Wehrdienstverweigerung kann mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zwei Jahren bestraft werden. Die Überwachung der Einhaltung der Wehrpflicht ist derzeit nicht sehr streng, da die Armee aus finanziellen Gründen nicht in der Lage ist, alle Wehrpflichtigen aufzunehmen.

[...]

1.9. Exilpolitische Aktivitäten: Vietnamesische Exilgruppen existieren in verschiedenen westlichen Staaten, vor allem in den USA, aber auch in Deutschland. Trotz weiterhin bestehender Kontakte dieser Gruppen nach Vietnam (in Deutschland Aktivitäten von NROen etwa im Bereich ethnischer und religiöser Minderheiten) werden ihre Auslandsaktivitäten von der breiten vietnamesischen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

2. Repressionen durch nichtstaatliche Akteure

In den vergangenen beiden Jahren mehrten sich Vorfälle, in denen regimekritische Bürger Opfer von Tätlichkeiten durch (vermutlich staatlich angeheuerte) Schlägertrupps wurden. Ein bekannter Regimegegner erlitt dabei eine schwere Kopfverletzung, eine andere Regimekritikerin musste mit einem gebrochenen Knie und zahlreichen Hämatomen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Insgesamt scheinen die Repressalien gegenüber regimekritischen Bürger/innen zunehmend gewalttätig zu werden.

3. Ausweichmöglichkeiten:

Die Intensität staatlicher Repressionen vor allem gegen Umweltaktivisten und religiöse Gruppen ist regional und lokal unterschiedlich stark ausgeprägt. Ausweichmöglichkeiten des Einzelnen sind aufgrund weit verbreiteter Armut im ländlichen Bereich (insbesondere im zentralen Hochland und in den Bergregionen im Nordwesten) und aufgrund administrativer Niederlassungsbeschränkungen Grenzen gesetzt. So ist die Umschreibung des sog. "Familienbuches" auf einen neuen Wohnort nicht ohne weiteres möglich; d.h. es gibt dort keine Möglichkeit, ein Auto anzumelden, zu heiraten, ein Haus zu kaufen usw. Soweit finanzielle Mittel vorhanden sind, kann zumindest der Zugang zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen erkauft werden. Innerstaatliche Ausweichmöglichkeiten existieren kaum für Oppositionelle, die aufgrund "staatsgefährdender" Aktivitäten ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten. Das Staatssicherheitsnetz ist eng und spannt sich über das gesamte Land.

III. Menschenrechtslage

1. Schutz der Menschenrechte in der Verfassung

Die im September 2013 verabschiedete Verfassung führt (ebenso wie die Verfassung von 1992) zahlreiche Grundrechte auf. Sie werden einfachgesetzlich allerdings selten mit Leben gefüllt - die Regel ist eine restriktive Konkretisierung durch umfassende Eingriffsrechte oder ein mangelhafter Schutz aufgrund von Umsetzungsdefiziten. Die Vorstellung von Grundrechten als Abwehr- und Schutzrechte gegenüber dem Staat beginnt sich nur zögerlich durchzusetzen.

Auch die neue Verfassung garantiert die Unverletzlichkeit und Freiheit der Person. Freiheitsentziehende Maßnahmen dürfen nur in Übereinstimmung mit dem Gesetz erfolgen. Kritiker von Regierung und Partei oder des Alleinherrschaftsanspruchs der Kommunistischen Partei Vietnams fallen jedoch häufig unter die weit gefassten Staatsschutzparagraphen des StGB. Behörden und Gerichte machen von der Möglichkeit der Verhängung langjähriger Haftstrafen wieder verstärkt Gebrauch.

Vietnam hat sieben der wichtigsten Menschenrechtskonventionen gezeichnet bzw. ratifiziert. Die Anti-Folter-Konvention wurde Ende 2014 ratifiziert. Probleme gibt es vor allem bei der Umsetzung international eingegangener Verpflichtungen. So werden elementare, von den Menschenrechtskonventionen garantierte Menschenrechte wie Meinungs-, Versammlungs-, Religionsfreiheit weiterhin zum Teil stark eingeschränkt (siehe auch Abschnitt II. 1)

Vietnam ist an folgende internationale Menschenrechtsabkommen gebunden: - Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte; - Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte; - Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung; - Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau; - Übereinkommen über die Rechte des Kindes mit seinen beiden Zusatzprotokollen betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten und den Verkauf von Kindern sowie Kinderprostitution und Kinderpornographie. - Anti-Folter-Konvention - UN-Behindertenrechtskonvention.

2. Folter

Vietnam ist Signatar der Anti-Folter-Konvention. Folter ist auch nach Art. 20 der Verfassung ausdrücklich verboten. Es liegen auch keine Informationen über systematische oder regelhafte Anwendung von Folter oder bestimmten Foltermethoden vor. Allerdings gibt es zahlreiche Berichte über Übergriffe von Sicherheitsorganen bei der Festnahme, in der Untersuchungshaft und während der Vernehmung. Laut Amnesty International waren 2015 mindestens sieben Todesfälle mutmaßlich

nach Folter oder polizeilicher Misshandlung zu beklagen. Auch führt die Herbeiführung von Aussagen durch Zwang in vielen Fällen nicht zu Beweisverwertungsverboten. Die Regierung unternimmt Anstrengungen - häufig auch in Kooperation mit internationalen Partnern, um die Angehörigen der Sicherheitsbehörden im korrekten Umgang etwa mit Straftätern zu schulen. Problematisch ist aber vor allem der nahezu rechtsfreie Raum in Polizeistationen oder Untersuchungsgefängnissen.

[...]

4. Sonstige menschenrechtswidrige Handlungen Die Haftbedingungen in vietnamesischen Gefängnissen entsprechen dem niedrigen Lebensstandard des Landes (einfache, nicht klimatisierte bzw. ungeheizte Gebäude, in denen bis zu 60 Gefangene in einem Raum auf Strohmatten schlafen, niedrige Hygienestandards). Die ärztliche Versorgung in den Haftanstalten ist mangelhaft. Alarmierend ist die hohe Rate der Häftlinge mit HIV/AIDS, genaue Zahlenangaben hierzu liegen dem Auswärtigen Amt nicht vor. Die Haftbedingungen politischer Gefangener, unterscheiden sich oft vom Regelstrafvollzug. Sie sind häufig in Einzelzellen untergebracht und dürfen nicht arbeiten. Es gibt Fälle jahrelanger Isolationshaft. Besuche bei politischen Straftätern sind für westliche Diplomaten nahezu ausgeschlossen, Briefe werden zensiert. Familienangehörige dürfen Häftlinge einmal im Monat für eine Stunde besuchen. Während der Untersuchungshaft werden in der Regel keine Familienbesuche oder Besuche von Strafverteidigern gestattet.

Die Strafvollzugsverordnung von 1992 und das Strafvollzugsgesetz von 2010 führen die Rechte und Pflichten der Häftlinge auf und garantieren insbesondere auch die Grundrechte der Häftlinge. Berichten zufolge bleiben die Verhältnisse in den Haftanstalten und Umerziehungslagern, insbesondere außerhalb Hanois, aber deutlich hinter diesen Standards zurück. Vietnam bekennt sich zu den Mindeststandards der Vereinten Nationen über Haftbedingungen von 1984. Organisationen wie dem Roten Kreuz werden Besuche allerdings grundsätzlich verweigert. In den Haftanstalten werden Häftlinge zu Gruppen von ca. 12 Personen zusammengefasst. Die Gruppe muss sich untereinander kontrollieren. Alle Gruppenmitglieder werden für das (Fehl-) Verhalten eines einzelnen Mitglieds bestraft.

5. Ausländische Flüchtlinge Nach Angaben des UNHCR halten sich gegenwärtig zwar keine ausländischen Flüchtlinge in Vietnam auf, jedoch ca. 11.000 staatenlose Personen.

IV. Rückkehrfragen

1. Situation für Rückkehrer

1.1 Grundversorgung

Der allgemeine Lebensstandard ist - vor allem auf dem Land - niedrig. Vietnam ist weiterhin eines der ärmsten Länder der Welt, obgleich hier in den letzten Jahren eine positive Entwicklung verzeichnet werden konnte (Pro-Kopf-Einkommen 2015: 2100 US-Dollar (2011: 1500 US-Dollar), Platz 116 auf dem Human Development Index 2015 (2014: Platz 121). Die z. T. verdeckte Arbeitslosigkeit in ländlichen Gebieten ist hoch. Es herrscht eine insbesondere saisonale Unterbeschäftigung. Das Angebot an Grundnahrungsmitteln ist gesichert. Es bestehen erhebliche Einkommensunterschiede zwischen den relativ "reichen" Städten und ländlichen Gebieten. Leben momentan noch ca. 60 % der Bevölkerung in ländlich geprägten Gebieten, so gehen aktuelle Studien jedoch davon aus, dass bereits im Jahr 2050 der Anteil der in Städten lebenden Vietnamesen auf 60 % ansteigen wird.

Das Sozialversicherungssystem verfügt zwar mittlerweile über eine solide Grundstruktur, die jedoch aufgrund einer Vielzahl von jüngsten Reformen noch nicht als gefestigt angesehen werden kann. Von ca. 53 Mio. Erwerbstätigen in Vietnam sind ca. 10 Mio. renten- und arbeitslosenversichert. Diese niedrige Zahl erklärt sich vor dem Hintergrund, dass lediglich die im formellen Sektor arbeitenden Vietnamesen sich eine derartige Pflichtversicherung leisten können. Die im informellen Sektor tätigen ca. 42 Mio. Vietnamesen verfügen weit überwiegend über keine Renten- und Arbeitslosenversicherung, da sie auch von der Möglichkeit der freiwilligen Versicherung keinen Gebrauch machen. Im Ergebnis scheint die Finanzierbarkeit eines sozialen Sicherungssystems in Vietnam noch nicht gewährleistet.

1.2 Medizinische Versorgung

Die Gesundheitsversorgung hat sich in den letzten Jahren verbessert, entspricht aber insgesamt bei weitem nicht dem europäischen Niveau; gemessen am Entwicklungsstand des Landes ist sie in der Breitenwirkung relativ hoch, in der Qualität aber weiterhin bei anspruchsvolleren Behandlungen schwach. Vietnams zentrale Gesundheitsindikatoren entsprechen denen von "middle-income countries". Die Lebenserwartung liegt mit 70 Jahren bei Männern und 76 Jahren bei Frauen deutlich höher als die Lebenserwartung in Ländern mit vergleichbarem Pro-Kopf-Einkommen. Eine Krankenversicherung zur medizinischen Behandlung der breiten Bevölkerung ist im Aufbau begriffen. Seit 2005 sind Arbeitnehmer mit festen Verträgen von mindestens drei Monaten, Pensionäre, Kriegsveteranen, Kinder unter sechs Jahren und Mitglieder des Gesundheitsfonds für Arme Pflichtmitglieder einer Krankenversicherung. Arbeitnehmer müssen 1,5 % ihres Gehalts abführen, der Arbeitgeber zahlt einen Betrag in Höhe von 3 % des Gehalts ein. 2014 (keine neueren Zahlen verfügbar) waren damit rund 71,6 % der vietnamesischen Bevölkerung pflichtkrankenversichert. Aufgrund der Einführung einer Familienversicherung soll dieser Anteil bis zum Jahr 2020 auf 80 % ansteigen. 2002 richtete die Regierung einen Gesundheitsfonds für arme und benachteiligte Bevölkerungsgruppen ein. Über Health Insurance Cards oder die direkte Vergütung von Leistungen soll eine medizinische Grundversorgung gewährleistet werden. Für bedürftige ältere Menschen sowie für Kriegsversehrte besteht zudem die Möglichkeit, bei den örtlichen Volkskomitees einen Antrag auf eine Bescheinigung zu stellen, die zu einer günstigen, ggfs. auch kostenlosen Krankenbehandlung berechtigt.

Generell ist in Vietnam eine Basisbehandlung in den meisten Krankheiten möglich. Bereits etwas kompliziertere Behandlungen sind jedoch nur in Hanoi, Ho-Chi-Minh-Stadt sowie eventuell noch in einigen anderen großen Städten durchführbar. Das Ausbildungsniveau kann als solide bezeichnet werden, jedoch ist die Ausstattung in Arztpraxen und Krankenhäusern oft defizitär bzw. vermag das Personal sie nicht zu bedienen

Korruption ist auch im Gesundheitswesen ein Alltagsproblem. Das Ob und Wie der Behandlung hängt von der Höhe der "Bezahlung" ab. Viele in staatlichen Krankenhäusern tätige Ärzte arbeiten mittlerweile nach Feierabend auf "eigene Rechnung".

Die gängigen Medikamente sind erhältlich. Allerdings kann es zu qualitativen oder zeitlichen Engpässen kommen. Produktfälschungen kommen auch hier vor. Über private Spezialkliniken lassen sich zu entsprechenden Preisen Medikamente fast jeglicher Art innerhalb kurzer Zeit importieren.

Die psychiatrischen Einrichtungen sind auf einem relativ hohen Niveau, stehen jedoch nur in den Großstädten zur Verfügung. Krankenhäuser und Privatkliniken, in denen lebensnotwendige Behandlungen durchgeführt werden können, existieren in den Großstädten und Provinzhauptstädten. In Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt sowie anderen größeren Städten werden in der letzten Zeit verstärkt auch halbstaatliche medizinische Dienstleistungen angeboten. Gebäude und Personal stammen z. B. von der Armee, Ärzte arbeiten aber kostendeckend auf private Rechnung. Die Untersuchungskosten in diesen Zentren sind relativ günstig (unter zehn US Dollar je nach Art der Untersuchung). Die Ausstattung mit medizinischem Gerät ist angemessen (z. B. Ultraschall-, Röntgengerät etc.). Eine weitere Art von privaten Gesundheitsinstitutionen in Hanoi und Ho-ChiMinh-Stadt sind die sog. "Family-Doctor-Services". Diese operieren in Teilbereichen auf Mitgliederbasis und bieten medizinische Versorgung zu relativ hohen Preisen an. Eine westlichen Standards entsprechende medizinische Versorgung (stationär und ambulant) ist im "Französischen Krankenhaus" in Hanoi und in den "SOS-Kliniken" in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt verfügbar. Insgesamt gibt es in Vietnam nach offiziellen Angaben 1.062 öffentliche und 80 private Krankenhäuser.

[...]

2. Behandlung von Rückkehrerinnen und Rückkehrern

Am 21.09.1995 trat das "Deutsch-Vietnamesische Rückübernahmeabkommen" in Kraft (BGBl. II S. 743 ff.). Bis Dezember 2015 wurden insgesamt ca. 15.623 Personen auf der Grundlage dieses Abkommens nach Vietnam zurückgeführt. Weitere europäische Partner, mit denen Vietnam ein Rückübernahmeabkommen abgeschlossen hat, sind Belgien, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande, Norwegen, Polen, Schweden, die Schweiz, die Slowakische Republik und die Tschechische Republik. Eine Drangsalierung von Rückkehrern ist dem Auswärtigen Amt in den letzten Jahren nicht bekannt geworden. Die ungenehmigte Ausreise aus Vietnam und der unerlaubte Verbleib im Ausland stehen grundsätzlich unter Strafe (Art. 274 StGB, Art. 35 Änderungsgesetz zum StGB). Die vietnamesischen Behörden wenden jedoch bei der Rückkehr illegal nach Deutschland Ausgereister diesen Strafrechtstatbestand nicht mehr an. Im Briefwechsel zum deutsch-vietnamesischen Rückübernahmeabkommen hat Vietnam ausdrücklich zugesichert, auf eine Strafverfolgung von Rückkehrern wegen ihrer unerlaubten Ausreise und ihres unerlaubten Aufenthalts in Deutschland zu verzichten. Dem Auswärtigen Amt, anderen befragten westlichen Botschaften in Vietnam und dem UNHCR sind keinerlei Strafverfolgungsmaßnahmen gegenüber Rückkehrern wegen ungenehmigter Ausreise bekannt. Rückkehrern kann allerdings im Einzelfall eine Bestrafung wegen Propaganda gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung nach dem Strafgesetzbuch drohen. Dies hängt vom Charakter der jeweiligen politischen Betätigung ab.

Sollten von Rückkehrern vor der Ausreise aus Vietnam sonstige Straftaten begangen worden sein, muss mit einer Strafverfolgung nach der Rückkehr gerechnet werden. Der Grundsatz ne bis in idem ist in Art. 28 Abs. 3 StGB enthalten.

Am 9. Juni 1992 wurde das Reintegrationsabkommen, "Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam über Finanzierungshilfen zur Existenzgründung und beruflichen Eingliederung von Fachkräften der Sozialistischen Republik Vietnam", unterzeichnet. Das Reintegrationsabkommen unterstützt mit Krediten die Gründung, Übernahme oder Beteiligung an Unternehmen sowie die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften. Ca. 13.000 Rückkehrer nahmen seit Unterzeichnung des ersten Abkommens an entsprechenden Schulungsmaßnahmen teil. Aus Rückflüssen der Darlehen werden auch vietnamesische Existenzgründer gefördert, was mittlerweile den Schwerpunkt der Kreditvergabe bildet. Insgesamt wurden zwischen 1993 und 2003 Kredite im Gesamtumfang von 50,96 Mio. € bewilligt und damit mehr als 42.000 Arbeitsplätze geschaffen. Die Beratungs- und Trainingskomponente des Programms wurde schrittweise an drei vietnamesische Institutionen überführt, die seit 2003 weitgehend selbständig arbeiten.

3. Einreisekontrollen

Einreisen vietnamesischer Staatsangehöriger nach Vietnam erfolgen mit Reisepass oder mit von den vietnamesischen Behörden in Deutschland ausgestellten Passierscheinen (Laissez-Passer).

4. Abschiebewege

Mehrere westliche Staaten führen vietnamesische Staatsangehörige, die keinen Aufenthaltstitel besitzen oder straffällig geworden sind, zwangsweise zurück. Dazu zählen in der EU Frankreich, Großbritannien, Dänemark, Belgien, Polen, Tschechien und Schweden. Andere Mitgliedstaaten wie die Niederlande halten die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber nach Vietnam für möglich, haben dies aber aus praktischen Gründen (z. B. Fehlen gültiger Reisedokumente, Zugriffsentzug) noch nicht durchsetzen können.

V. Sonstige Erkenntnisse über asyl- und abschieberechtlich relevante Vorgänge

1. Echtheit der Dokumente

Es war verhältnismäßig einfach, in Vietnam echte, aber inhaltlich unwahre Urkunden und amtliche Bescheinigungen jeglicher Art oder entsprechende Blanko-Vordrucke gegen entsprechende Bezahlung zu erhalten. Nach vorliegenden Informationen können vietnamesische Blankodokumente (Haftbefehle, Fahndungsbefehle, Scheidungsurteile, Mitgliedsbescheinigungen) auch in Deutschland käuflich erworben werden. Jüngste Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes deuten darauf hin, dass zumindest bei Personenstandsurkunden die Rate der Fälschungen erheblich, die der "schriftlichen Lügen" (echte Urkunden unwahren Inhalts) deutlich gesunken ist.

2. Zustellungen Der Rechtshilfeverkehr erfolgt auf vertragsloser Grundlage.

3. Feststellung der Staatsangehörigkeit

Das vietnamesische Ministerium für öffentliche Sicherheit nimmt regelmäßig eine Prüfung der Staatsangehörigkeit der zur Rückführung aus Deutschland vorgesehenen Personen vor. Diese kann - nach vietnamesischen Angaben - nur am letzten Wohnort in Vietnam durchgeführt werden und ist aufgrund des unterentwickelten Meldewesens teilweise sehr zeitaufwändig. Insbesondere bei unvollständigen Angaben kann sich eine Prüfung über mehrere Monate hinziehen. Bis Ende 2013 wurden im Rahmen des Rückübernahmeabkommens 48 Anhörungsrunden mit vietnamesischen Experten in verschiedenen deutschen Städten durchgeführt. Die Anerkennungsquote im Rahmen der Anhörungen mit der Folge, dass Reisepapiere ausgestellt werden können, liegt durchgängig hoch (zwischen 80 und 90 %).

4. Ausreisewege

Für die Ausreise aus Vietnam muss ein Bürger einen Pass beantragen. Obwohl auf die Ausstellung kein Rechtsanspruch besteht, wird der Pass im Regelfall ohne Probleme ausgestellt; Passversagungen gegenüber Personen, die wegen angenommener regierungskritischer Äußerungen nicht ins Ausland reisen sollen, sind jedoch bekannt und nehmen zu. Pässe sind grundsätzlich für alle Länder gültig. Es werden auch Touristenreisen gestattet. Im Zuge der Integration Vietnams in das südostasiatische Staatenbündnis ASEAN wurde mit einigen Mitgliedsstaaten die gegenseitige Visafreiheit für Inhaber von Dienst- und Diplomatenpässen vereinbart. Seit mittlerweile 15 Jahren besteht zwischen Thailand und Vietnam eine Vereinbarung, wonach vietnamesische und thailändische Staatsangehörige für Kurzaufenthalte (bis zu 30 Tage) im jeweils anderen Land kein Visum benötigen. Auch können vietnamesische Staatsangehörige die Nachbarländer Laos und Kambodscha - anders als das Nachbarland China - für einen Zeitraum von bis zu 30 Tagen visumsfrei besuchen.

Seit dem 1. Novemb

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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