TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/10 W217 2122675-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.09.2018
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Entscheidungsdatum

10.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W217 2122675-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.02.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.08.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, und §§ 52, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste am 01.03.2015 illegal und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei seiner Erstbefragung durch Organe der Landespolizeidirektion Burgenland am 02.03.2015 gab der BF an, der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören. Er sei verheiratet, habe zwei Söhne und stamme aus Kabul. Vor sechs Monaten sei er mit dem Flugzeug von Kabul in den Iran geflogen. Von dort aus sei er schlepperunterstützt nach Österreich gekommen. Die Flucht habe er selbst organisiert. Diese habe $ 16.000 gekostet. Zu seinen Fluchtgründen führte er aus, er sei in Lebensgefahr gewesen, weil er für verschiedene Ausländer administrativ tätig gewesen sei.

3. Am 30.09.2015 wurde der BF durch Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA), Regionaldirektion Niederösterreich, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari einvernommen. Der BF gab dabei an, er sei gesund. Er habe ca. 24 Jahre in Kabul in XXXX gelebt, danach ca. 4 Jahre in Kabul in XXXX . Alle Mitglieder seiner Familie würden in Afghanistan, in XXXX , leben. Einige Cousins seien in Deutschland, ein kleiner Teil in England. Seine Familie besitze zwei Häuser in Afghanistan. Alle zwei Wochen telefoniere er mit seinem Bruder im Heimatland. Er habe keine wirtschaftlichen Gründe gehabt, seine Heimat zu verlassen, er habe auf einmal beschlossen, hierher zu kommen. Es sei kein eindeutiger Entschluss gewesen, er habe davor bereits zweimal versucht wegzugehen, habe es aber sein lassen. Er sei vor ca. einem Jahr aus Afghanistan ausgereist und zwar sei er legal mit dem Flugzeug von Kabul nach Teheran geflogen. Er habe die 12. Schulklasse abgeschlossen, jedoch keine Berufsausbildung. Finanziell sei es ihm gut gegangen. Er habe fünf Jahre in der Autowerkstatt seines Onkels ausgeholfen, und Autos repariert. Auch habe er Muster in männliche Traditionsgewänder eingenäht.

Zu seinen Fluchtgründen führte er aus, er habe weder mit den Taliban noch mit Regierungsleuten etwas zu tun gehabt. Die einzigen Schwierigkeiten, die er gehabt habe, sei ein Mann in Kunduz gewesen. Dieser sei berühmt gewesen unter dem Namen "Kommandeur". Er sei eine Art Kommandant der örtlichen Polizeimilizen gewesen. Der BF habe als Vertreter des Unternehmens XXXX , dessen Adresse in Kabul, in XXXX , Straße XXXX , gewesen sei, Arbeitsvisa beschafft. Er habe kein eigenes Büro benötigt, da er die meiste Zeit draußen gewesen sei und die behördlichen Unterlagen für die Ausländer erledigen habe müssen. Er sei zum Innenministerium gegangen, zum Außenministerium bis er dann die Arbeitsbewilligungen erhalten habe. Er sei nur in der Früh ins Büro gekommen, habe seinen Namen eingetragen, dann sei er wieder gegangen. Dieser Kommandant habe von XXXX einmal $ 300 erhalten, weil er gesagt habe, dass er das Büro vor Angriffen der Taliban schütze. Das Büro habe Schmiergeld bezahlt. Diese Summe, die der BF von seinem Büro erhalten habe, habe er dem Kommandanten persönlich gegeben. Etwa einen Monat, nachdem der BF ihm das Geld gegeben habe, habe der Kommandeur mehr Geld gewollt. Der BF habe sein Büro informiert und gefragt, ob dieses weitere Summen zu bezahlen gewillt wäre. Die vom Büro hätten gemeint, sie würden die Summe bezahlen. Dies sei 2-3 Monate so gegangen. Jedes Mal auf dem Weg nach Kunduz habe der BF diesen Mann getroffen und ihm gesagt, dass er das nächste Mal bezahlt werden würde. Vermutlich habe der Kommandeur angenommen, dass der BF das Geld erhalten und es unterschlagen habe. Vor zwei Jahren sei der BF vom Kommandeur in Kunduz am Kreisverkehr aufgehalten worden.

Fünf oder sechs Jahre habe er bei der Firma XXXX gearbeitet. Er habe $ 1.000 im Monat erhalten. Weiters habe er $ 1.500 von der Firma XXXX erhalten. Somit habe er $ 2.000 - 2.500 im Monat verdient. Arbeitsvertrag habe er keinen. Vor ca. zwei Jahren habe er in den Firmen gekündigt. Auch in Kabul sei der BF von diesem Kommandeur bedroht worden und zwar vor drei Jahren, dreimal. Zuletzt sei er von diesem Kommandanten vor ungefähr drei Jahren bedroht worden. Dieser habe gesagt, "gib mir mein Geld, sonst töte ich dich".

Der BF habe in Österreich einen Cousin väterlicherseits, er habe jedoch seit längerer Zeit keinen Kontakt zu ihm. Dieser heiße XXXX .

Der BF legte im Laufe des Verfahrens vor dem BFA einen afghanischen Reisepass, eine XXXX -Service Provider Karte, 6 Schreiben von XXXX , 1 Schreiben von XXXX , 1 Schreiben Handelsministerium in Afghanistan, 9 Stück Arbeitserlaubnis für diverse ausländische Personen aus dem Jahre 2008 sowie 4 Anträge der Firma XXXX für Arbeitsbewilligungen vor.

4. Mit Bescheid vom 10.02.2016, Zl. 1052684805-150220245, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Weiters wurde in Spruchpunkt IV. ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass der BF eine asylrelevante Verfolgung seiner Person in Afghanistan nicht glaubhaft habe darlegen können. Die Rückkehr nach Afghanistan sei dem BF aufgrund des vorhandenen familiären Anschlusses, seines tadellosen Gesundheitszustandes, seiner Arbeitsfähigkeit und der gesammelten Berufserfahrung zumutbar.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schreiben vom 16.02.2016 das Rechtsmittel der Beschwerde. Darin wurde der Bescheid zur Gänze angefochten.

Begründend wird ausgeführt, dass das Unternehmen XXXX über kleinere Außenstellen in den Provinzen verfüge, welche nicht auf der Homepage angeführt seien. So habe es auch eine Außenstelle in Kunduz gegeben, wo der BF regelmäßig zu tun gehabt habe und von dort die Reisepässe der ausländischen Mitarbeiter abgeholt habe, um deren Visa und Arbeitsbewilligungen in Kabul verlängern zu lassen. Bei diesen dienstlichen Reisen nach Kunduz habe er den Kommandanten getroffen. Das Unternehmen XXXX habe ihm durch den BF einmal Schmiergeld bezahlt, daher habe der Kommandant angenommen, der BF habe sich das in weiterer Folge ausbezahlte Schmiergeld selbst angeeignet. Sohin habe der Kommandant den BF bis nach Kabul verfolgt. Insgesamt habe der BF bei XXXX 6 oder 7 Jahre und ca. 1 1/2 Jahre bei XXXX gearbeitet. Der BF könne aufgrund der sich stets verschlechternden Sicherheitslage in Kabul nicht zurückkehren, es komme zu ständigen Anschlägen und die Sicherheitskräfte seien den Taliban nicht gewachsen. Er sehe weder in Kabul noch im restlichen Afghanistan eine sichere Zukunft für sich und seine Familie.

6. Am 07.03.2016 wurde die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. In Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung am 21.08.2018 wurde dem BF das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 30.01.2018, zur Kenntnis gebracht.

Der BF legte ein Unterstützungsschreiben, eine Mitgliedskarte vom ÖRK, gültig bis 12/2016, sowie zwei Bestätigungen über die Teilnahme an Deutschkursen vor.

7. Am 21.08.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und der Beschwerdevertretung des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der BF ausführlich zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat, zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Integration in Österreich befragt wurde. Im Rahmen dieser Verhandlung wurde vom BF ein Empfehlungsschreiben vorgelegt.

Im Rahmen der Verhandlung gab der BF an, dass er gesund sei. Er heiße XXXX , sei im Jahre 1374 geboren, sunnitischer Tadschike und stamme aus der Stadt Kabul. Er sei verheiratet und Vater zweier Söhne. Seine Eltern, seine Frau und seine 2 Söhne würden sich derzeit in der Stadt Kabul in der Gegend namens XXXX aufhalten. Vor ca. 2 - 2 1/2 Monaten habe er zuletzt mit seiner Frau Kontakt gehabt. Finanziell gehe es seiner Familie gut, sie lebten von den Mieteinnahmen der beiden Häuser in Kabul, die sein Vater vermiete. Er habe in Afghanistan ungefähr drei Jahre lang in XXXX , danach ungefähr 24 Jahre in XXXX gelebt. Beides seien Stadtteile von Kabul. Zuletzt habe er ungefähr 10 Jahre im Stadtteil Kabuls namens XXXX gewohnt. Er habe die Schule besucht und auch ein Reifezeugnis erhalten. Berufsausbildung habe er keine. Er habe etwa 5 bis 6 Jahre in einer Autowerkstatt gearbeitet. Danach sei er 2 Jahre lang in einer Schneiderei tätig gewesen. Sieben Jahre habe er anschließend in einer Firma namens XXXX gearbeitet, diese Tätigkeit habe er etwa im Jahr 2006 begonnen. Danach sei er zwei Jahre arbeitslos gewesen, dann habe er 1 Jahr lang in einer Firma namens XXXX gearbeitet. Ebenfalls habe er bei seinem Onkel väterlicherseits, der bei der ANA gearbeitet habe, sechs Monate bis 1 Jahr im Büro gearbeitet und Hilfsdienste geleistet. Konkreter könne er die Daten nicht nennen, er sei Analphabet. Bei XXXX habe er sich um die Ausstellung der Arbeitserlaubnisse für die dort tätigen ausländischen Arbeiter gekümmert. Ebenso habe er sich um die Verlängerung der Aufenthaltstitel, Ausstellung der neuen Aufenthaltstitel und derartige Arbeiten gekümmert. Nachdem sein Onkel väterlicherseits seine Arbeit bei der ANA beendet habe, sei er von der Firma XXXX gekündigt worden. XXXX habe die Beamten in Afghanistan, mit denen diese Firma zu tun hatte, bestochen. Solange sein Onkel beim afghanischen Staat tätig gewesen sei, habe der BF die Verlängerungen und Aufenthaltstitel erlangen können. Er sei vor ungefähr 4 bis 4 1/2 Jahren aus Afghanistan geflohen. Die Ausreise habe er selbst organisiert und finanziert.

Der BF habe in Österreich ca. 5-mal inoffizielle Deutschkurse, abgehalten von der Kirche, besucht, Zeugnisse habe er keine. Er sei weder Mitglied in einem Verein, einer Moschee noch einer Organisation in Österreich. Beim Roten Kreuz sei er zwei Wochen lang gemeinnützig tätig gewesen, es sei ihm aber dann mitgeteilt worden, dass er nicht gebraucht werde. In seiner Freizeit spiele er Fußball und lerne manchmal. Im Internet besuche er Seiten, die ihm die deutsche Sprache beibringen würden. Er habe in Österreich ein paar Freunde. Zunächst habe ihm das Land Österreich nicht gefallen und er habe es Richtung Deutschland verlassen wollen. Mittlerweile lebe er seit 4 Jahren in Österreich und habe sich hier eingewöhnt.

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"R: Schildern Sie mir bitte ausführlich, warum Sie Afghanistan verlassen haben.

BF: Meine Firma XXXX , wie bereits erwähnt, bestach Leute, mit denen die Firma zu tun hatte. Die Firma bestach auch die Telefonnetzwerke XXXX und XXXX . Als ich in Kunduz war, begegnete ich einst einer Person, die behauptete, der Grund dafür zu sein, dass die Taliban die Ständer der Telefonnetzwerke nicht attackieren. Diese Person verlangte Geld von mir und der Firma. Einmal zahlte die Firma ihm etwas Geld aus. Er wollte aber immer Geld von der Firma bekommen, also die Firma erpressen. Eines Tages sah ich diese Person in den Regierungsgebäuden, wo ich hingegangen war zwecks Erledigung meiner Arbeit. Diese sprach mich an und forderte Geld. Daraufhin kam ich zur Firma später und verständigte die Firma nochmals, dass diese Person lästig geworden wäre und Geld wolle. Die Firma sagte mir, ihn in Zukunft zu ignorieren und ihm aus dem Weg zu gehen. Es verging eine Zeit, bis diese Person zu dem Schluss kam, dass meine Firma ihn bezahlt hätte, aber ich ihm das Geld nicht weitergegeben hätte. Als er mich nochmal sah, sprach er mich an und fragte, warum ich ihm sein Geld, dass ich von meiner Firma XXXX erhalten habe, nicht weiterbezahlt hätte. Er sagte mir, dass ich mich nicht auf den Weg zwischen ihm und meiner Firma stellen sollte und ihm einfach weiterhelfen sollte. Ich sollte angeblich das Geld von meiner Firma nehmen und sowohl mich als auch ihn damit vergnügen und das Geld mit ihm teilen. Nach all diesen Umständen kam ich zum Entschluss, dass diese Person eine gefährliche Person sei und fasste den Entschluss, das Land Afghanistan zu verlassen. Das ist alles.

R: Wann waren Sie in Kunduz, als Sie dieser Person begegnet sind?

BF: Nach Kunduz...!? Ich ging nach Kunduz erst nach meiner 3 bis 4-Jährigen Arbeit bei der Firma XXXX . Da ich seit 4 Jahren in Österreich lebe, habe ich viele damalige Daten in Afghanistan vergessen.

R: Sie wissen nicht, in welchem Jahr Sie in Kunduz dieser Person begegnet sind, die jetzt behauptet, Sie hätten das Schmiergeld unterschlagen?

BF: Dieser Vorfall in Kunduz ereignete sich ungefähr gegen Ende meiner Zusammenarbeit mit der Firma XXXX , und zwar nach 5 bis 5 1/2 Jahren. Ich kann Ihnen leider das Jahr nicht nennen.

R: Wer war diese Person? Können Sie das genauer beschreiben?

BF: Diese Person war ein lokaler Kommandant der nachtsüber mit den Taliban zusammengearbeitet hat und tagsüber mit dem afghanischen Staat. Er konnte wohl 40 bis 50 Anhänger gehabt haben. Diese Person war eine Person, die Einflussreich war und konnte sowohl mich als auch meine Familie und Kinder gefährden und töten.

R: Meinen Sie, wenn Sie sagen, dass er nachtsüber mit den Taliban zusammengearbeitet hat, dass er ein Taliban war?

BF: Ja, das kann ich behaupten. Er war ein Talib. Nachtsüber arbeitete er mit den Taliban zusammen und tagsüber mit dem afghanischen Staat.

R: Wissen Sie den Namen dieser Person?

BF: Zunächst wusste ich nicht, wie er hieß. Später fand ich heraus, dass er einen falschen Namen, " XXXX " trug. Wie er wirklich geheißen hat, ist mir nicht bekannt.

R: Wann verlangte diese Person dann Geld von Ihnen und der Firma?

BF: Gegen Ende meiner Zusammenarbeit bei dieser Firma, wie ich Ihnen bereits erzählt habe.

R: Wie sind Sie ihm in Kunduz begegnet?

BF: Wir hatten ein ziemlich großes Büro in der Provinz Kunduz gehabt. Ich meine damit das Büro unserer Zweigstelle. Eines Tages, als ich die Firma betreten wollte, tauchte plötzlich diese Person auf, näherte sich und sprach mich an. Er sagte, dass er eine Person sei, die auf unserer Firma, auf die Mitarbeiter unserer Firma, darunter Inländer und Ausländer, aufpasse und dafür sorge, dass die Taliban niemandem in dieser Firma wehtun. Er sagte mir, dass er es wisse, dass ich auch einer von den Mitarbeitern dieser Firma sei und verlangte Geld von der Firma.

R: Wo war denn das genau, wo Sie die Firma betreten wollten, dass der Kommandant Sie getroffen hat?

BF: Es war in der Provinz Kunduz.

R: Bitte etwas genauer!

BF: Unser Büro lag in der Hauptstadt der Provinz Kunduz. Es arbeiteten nicht viele Ausländer in dieser Zweigstelle. Diese Firma von uns hatte Zweigstellen in Afghanistan gehabt.

R: Wo liegt das Büro?

BF: Die Zweigstelle meiner Firma befand sich auf XXXX . Stellen Sie sich vor, Sie stehen innerhalb einer Kreuzung in der Mitte. Geradeaus geht zur Grenze zwischen Afghanistan und Tadschikistan. Diese Hafenstadt, die Afghanistan gehört, heißt Imam Saheb. Hinter Ihnen geht es zur Stadt. Von rechts kommend kamen die Autos von der Provinz Kabul und der Provinz Baghlan. Links von Ihnen fuhr die Straße zur Provinz Takhaar. Diese Kreuzung heißt Tschauk-e-Kunduz (D: Kreuzung von der Provinz Kunduz) und liegt innerhalb der Hauptstadt der Provinz Kunduz. Das Büro unserer Zweigstelle lag 5 Minuten mit dem Auto von der Mitte des Kreisverkehrs entfernt. Die Skizze wird zum Verhandlungsprotokoll genommen.

R: Wissen Sie die genaue Adresse der Zweigstelle von XXXX in der Stadt Kunduz?

BF: Soll ich nochmal selbst eine Skizze machen?

R: Wenn Sie es können.

BF: Das Büro der Zweigstelle lag auf der Straße namens XXXX . Sonst weiß ich es nicht. Das Haus hatte auch keine Nummer.

R: Wann hat die Firma XXXX dieser Person das Schmiergeld gezahlt?

BF an D: Wann meine Firma ihn zum letzten Mal bezahlt hat?

D an BF: Das weiß ich nicht, wie oft Ihre Firma ihn bezahlt hat, aber die Frage ist einfach.

R: Sie sagten, einmal zahlte die Firma XXXX dieser Person etwas Geld aus. Ich möchte einfach nur wissen, wann dieses eine Mal war.

BF: Ich weiß nicht, wie kann ich Ihnen das genau angeben. Ich bin seit ca. 4 Jahren in Österreich. Zurückgerechnet sage ich, ich glaube vor 7 Jahren...!

R: Ihnen ist bekannt, dass die Firma einmal gezahlt hat. Wüssten Sie auch, dass es öfters gezahlt wurde?

BF: Ich weiß ganz bestimmt, dass meine Firma ihn nur einmal bezahlt hat. Das waren 300 USD. Meine Firma versprach ihm aber öfter, dass sie ihn weiterzahlen werde, hat ihn aber nicht bezahlt.

R: Wann haben Sie diese Person in den Regierungsgebäuden, und zwar wo, wiedergesehen?

BF: Ca. 5 oder 6 Monate wartete er auf das Geld seitens meiner Firma. Meine Firma wollte ihn aber nicht weiterbezahlen. Nach ca. 5 bis 6 Monaten stellte er sich mir unterwegs, als ich wegen Reisepässen und so weiter zum lokalen Staat in Kunduz gehen wollte. Er stellte sich mir mehr als einmal auf meinen Weg innerhalb der Stadt Kunduz im Kreisverkehr namens Tschauk-e-Kunduz. Ich sah ihn aber auch, nachdem ich in der Hauptstadt Kabul war, auch in der Provinz Kabul.

R: Wann war das, wo Sie ihn in der Provinz Kabul gesehen haben?

BF: Es war gegen Ende meiner Zusammenarbeit bei der Firma XXXX . Ich war im Begriff, die Firma zu verlassen, weil die Firma ihn nicht zahlen wollte. Er sah mich zum ersten und letzten Mal in der Provinz Kabul vor dem Eingang des Innenministeriums. Ich kann Ihnen leider keine genauen Daten angeben.

R: Was ist da passiert?

BF: Er sprach mich an und sagte mir folgendes: "Sehen Sie, wie schnell wir Sie ausfindig machen können, auch innerhalb der Hauptstadt Kabul und zwar vor dem Innenministerium? Zahl mir mein Geld aus! Du hast bereits 100.000 Afghanis auf meinen Namen von der Firma erhalten. Zahl mir das aus! Ich sagte ihm, dass die Firma ihn auszahlen werde." Daraufhin verständigte ich meine Firma und informierte sie über sein Verlangen. Meine Firma schien nicht sehr interessiert an der weiteren Bezahlung für ihn zu sein.

R: Wurden Sie selbst jemals in Afghanistan persönlich bedroht?

BF: Nein. Nur diese Person hat mich bedroht, sonst niemand.

R: Waren Sie der Einzige, der für die Firma XXXX in Kunduz Aufenthaltsbestätigungen und so weiter besorgt hat?

BF: Es gab auch noch eine weitere Person, die sich um die gleiche Arbeit gekümmert hat. Er war damals Student. Der Student, der im Büro saß und die Arbeit im Büro der Zweigstelle in Kunduz verrichtete, war ein Afghane. Das, was außerhalb des Büros geschah und verrichtet wurde, wurde lediglich von mir verrichtet. Der Student arbeitete lediglich innerhalb des Büros und nicht außerhalb.

R: Wie oft wurden Sie insgesamt bedroht durch diese Person in Afghanistan?

BF: Insgesamt wurde ich von dieser Person drei Mal bedroht. Zum ersten Mal wurde ich von dieser Person erst dann bedroht, als er herausfand, dass man ihn austricksen wolle und ihm kein Geld zahlen möchte. Das war in Kunduz. Das zweite Mal wurde ich nochmals in der Provinz Kunduz von ihm bedroht. Das letzte Mal wurde ich von ihm in der Hauptstadt Kabul vor dem Innenministerium bedroht.

R: Wieviel Zeit war zwischen diesen Bedrohungen und wann waren diese ungefähr?

BF: Es vergingen ca. zwei Monaten zwischen der ersten und der zweiten Bedrohung. Zwischen der zweiten und der dritten, also der letzten Bedrohung, vergingen 5 bis 6 Monate.

R: Was haben Sie dann gemacht, nach der letzten Bedrohung?

BF: Dann ging ich zur Firma XXXX , informierte die Firma über sein Auftauchen und sein Verlangen. Die Firma sagte mir ausdrücklich, dass sie ihn keinen Cent weiterbezahlen wolle. Daraufhin habe ich den Entschluss gefasst, das Land Afghanistan zu verlassen.

R: Wann sind Sie dann geflohen?

BF: Es war 20 oder 30 Tage danach...Naja, ich glaube, es waren 10 Tage danach.

R: Ich halte Ihnen vor, dass Ihre Angaben diesbezüglich mit Ihren Angaben am Anfang der Verhandlung, wonach Sie nach Ihrer Tätigkeit bei der Firma XXXX 2 Jahre arbeitslos gewesen seien und danach noch 1 Jahr bei der Firma XXXX tätig gewesen seien, nicht übereinstimmen.

BF an D: Schau mein Bruder. Ich will jetzt alles beschreiben und in die Details gehen.

D an BF: Sie haben bereits alles erzählt und geantwortet. Ich will hier nicht als Ihr RB oder Anwalt agieren, dass darf ich auch nicht. Es wurden Fragen gestellt und Sie haben präzise Antworten gegeben. Es waren nicht sehr komplizierte Sachen. Trotzdem sage ich es dem Gericht weiter, dass Sie nochmal alles besprechen wollen. Es ist die Entscheidung des Gerichtes, was es macht.

R: Wir haben schon alles gehört. Was wollen Sie jetzt anders sagen?

BF: Mit den Details meinte ich, dass ich bei dieser Firma XXXX gearbeitet habe und dass mich viele militärische und polizeiliche Generäle, sowohl im Innenministerium, als auch im Außenministerium kennen. Ebenso kennen mich Leute im Arbeits- und Sozialministerium Afghanistans, weil ich mit all diesen Ministerien damals zu tun hatte und das was ich hier den Behörden vorgebracht habe, entspricht der Wahrheit und ist keine Lüge. Ebenso kennen mich die Leute im Passport-Department. Es arbeitet derzeit ein Ausländer bei der Firma XXXX . Dieser hochrangige Ausländer kann alle meine Vorbringungen im Asylverfahren bestätigen, wenn Sie es wünschen.

R: Was hätten Sie im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten?

BF: Ich habe Angst vor dieser Person. Mein Land ist unsicher. Es gibt dort Selbstmordanschläge, Bombenanschläge. Da ich seit 4 Jahren in Österreich lebe, habe ich mich von den Umständen in Afghanistan abgewöhnt und an die Umstände hier in Österreich gewöhnt. Es ist dort für mich in Afghanistan nichts übriggeblieben. Alles, was ich damals hatte, habe ich bereits auf diesem Weg nach Europa ausgegeben. Mir ist nichts übriggeblieben.

R: Was bedeutet Ihre Antwort zu Frage 14 (Abl. 23)? "Die Behörden verlangten von mir Schutzgeld. Ich zahlte aber seit 3 Jahren nicht mehr und darum drohten sie mir." Wie bringen Sie diese Aussage mit Ihrer heutigen Aussage in einen Zusammenhang?

BF: Es könnte wohl ein Missverständnis vorgekommen sein damals. Ich kann diese Angabe meinerseits überhaupt nicht bestätigen. Der D hat mich damals sicherlich falsch verstanden.

R: Es wurde Ihnen aber rückübersetzt und Sie haben das Protokoll auch unterschrieben.

BF: Der D hat mich damals falsch verstanden.

R: Gibt es noch weitere Fluchtgründe?

BF: In Afghanistan!? Nein.

R an RV: Möchten Sie noch etwas vorbringen?

RV: In der Beschwerde haben wir es ausgeführt. Es kam zu Verständigungsschwierigkeiten mit dem D. Dieser gehörte der paschtunischen Volksgruppe an. Es ist zweimal ausgeführt, dass dem BF ein minderer Intelligenzgrad attestiert wird."

Im Zuge der Verhandlung brachte die erkennende Richterin das aktuelle LIB, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018, in das Verfahren ein. Mit Stellungnahme vom 24.08.2018 führte der BF hierzu aus, dass er in Afghanistan im Fall einer Neuansiedelung in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif von grundlegender Infrastruktur wie Nahrungsmitteln, Zugang zu leistbarem Wohnraum und Arbeit ausgeschlossen wäre.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF führt den Namen XXXX und ist afghanischer Staatsangehöriger. Er ist sunnitischer Moslem und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Der BF stammt aus der Provinz Kabul. Er ist gesund und in Österreich strafrechtlich unbescholten. Er ist verheiratet mit XXXX , ca. 30 bis 31 Jahre alt, und Vater zweier Söhne, XXXX , ca. 5 Jahre alt, und XXXX , etwa 3 Jahre alt. Er hat 01.03.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

In der Heimat lebte der BF immer nur in der Stadt Kabul, jedoch in verschiedenen Stadtteilen. Vor seiner Ausreise lebte er zuletzt in Kabul, Stadtteil XXXX . Die Familie des BF, die Eltern, seine Ehefrau und seine zwei Söhne, leben derzeit in der Stadt Kabul, im Stadtteil XXXX . Der Vater besitzt zwei Häuser in der Stadt Kabul, eines im Stadtteil XXXX , das andere im Stadtteil XXXX . Die Familie lebt von den Mieteinnahmen dieser Häuser.

Berufsausbildung hat der BF keine, er verfügt jedoch über mehrjährige Berufserfahrung: Er hat als Lehrling in einer Autowerkstatt gearbeitet, Hilfsdienste bei der ANA geleistet, in einer Schneiderei gearbeitet sowie für zwei Firmen Arbeitsbewilligungen und Visa für ausländische Mitarbeiter besorgt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass XXXX ein Cousin väterlicherseits des BF ist.

Die Muttersprache des BF ist Dari.

Der BF ist in Österreich nicht berufstätig und lebt von der Grundversorgung. Zwei Wochen war er gemeinnützig beim Roten Kreuz tätig.

Er hat keine Deutschprüfungen in Österreich abgelegt.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor den Taliban oder einer anderen konkreten individuellen Verfolgung aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF im Falle der Rückkehr in die Städte Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr in die Städte Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF kann die Stadt Kabul von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018:

"...

4. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

...

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

...

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

...

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

• Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

• Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

• Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

• Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

• Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

• Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

• Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

• Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

• Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

• Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

• Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

• Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

• Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

• Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018).

• Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

• Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

• Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

• Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

• Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

• In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

• Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

• Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

• Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

Zivilist/innen

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

...

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

Weiterführende Informationen zu den regierungsfreundlichen Gruppierungen können dem Kapitel 5. "Sicherheitsbehörden" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Kha

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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