Entscheidungsdatum
13.09.2018Norm
AVG §68 Abs1Spruch
I406 2158371-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Marokko, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.04.2017, Zl.: 653545008-160485209, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Spruchpunkt III. zu lauten hat:
"XXXX wird gemäß § 70 Abs. 4 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt."
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stelle erstmals am 28.11.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer gab bei der Erstbefragung durch ein Organ der PI Traiskirchen EAST - Ost am selben Tag zum Fluchtgrund Folgendes an: "Ich hatte in meiner Heimat keine Arbeit und aus diesem Grund habe ich diese verlassen. Ich bin auch nach Österreich nur gekommen um zu arbeiten. Ich werde in meiner Heimat nicht politisch oder religiös verfolgt. Dies ist mein einziger Fluchtgrund."
Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt (nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) vom 02.12.2013 bestätigte der Beschwerdeführer, dass er in seinem Vorbringen bei der Erstbefragung die Wahrheit gesagt habe. Ergänzend führte er aus, dass er am XXXX in Marokko geboren worden sei, er dort fünf Jahre lang die Grundschule besucht und danach als KFZ-Spengler gearbeitet habe. Er habe sich 1997 ca. drei Monate sowie von 1999 bis 2002 in Italien aufgehalten und sei nach zwischenzeitiger Rückkehr nach Marokko im Jahr 2002 wieder dorthin gereist und habe als Erntehelfer gearbeitet. Je nachdem, wo es Arbeit gegeben habe, sei er entweder nach Spanien oder Frankreich gegangen. 2007 sei er in Italien festgenommen und zum Verlassen des Landes aufgefordert worden und nach Marokko zurückgekehrt. Seine Familie habe danach festgestellt, dass er homosexuell sei, weshalb sie ihn auch auf die Straße gesetzt habe, zudem wollten ihn seine Brüder umbringen. 2010 oder 2011 habe er Marokko das letzte Mal verlassen und sei nach Griechenland und dann über Italien nach Österreich gereist. Marokko habe er lediglich aus wirtschaftlichen Gründe verlassen, da es dort keine Arbeit gäbe, andernfalls bliebe er dort. Ethnische, politische oder religiöse Fluchtgründe habe er keine.
Mit Bescheid vom 03.12.2013, 13 17.486-BAT, wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Marokko gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) ab und wies ihn gemäß § 10 Abs. 1 AsylG nach Marokko aus (Spruchpunkt III.).
Begründet wurde dies damit, dass der Beschwerdeführer sein Herkunftsland aus persönlichen Gründen verlassen habe, um in Europa Arbeit zu finden. Die vorgebrachte Nichtakzeptanz seiner sexuellen Neigung seitens seiner Familie sei keine Verfolgungshandlung. Erst auf Nachfrage hin habe der Beschwerdeführer sein Vorbringen gesteigert, indem er behauptet habe, dass er von seinen Brüdern getötet werden könnte.
Mit Schreiben vom 17.12.2013 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den MigrantInnen Verein St. Marx, gegen den Bescheid vom 03.12.2013, 13 17.486-BAT, Beschwerde an den Asylgerichtshof (nunmehr Bundesverwaltungsgericht).
Mit Erkenntnis vom 27.05.2015, I406 1439273-1/9E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides vom 03.12.2013, 13 17.486-BAT, gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z13 AsylG 2005 und gegen Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 1 Z13 AsylG 2005 als unbegründet ab. In Erledigung der Beschwerde wurde Spruchpunkt III. gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
Der Beschwerdeführer wurde am XXXX, RK XXXX, wegen § 28a (1) 5. Fall SMG § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten, davon Freiheitsstrafe 12 Monate, bedingt verurteilt.
Bei der Einvernahme durch die belangte Behörde am 06.11.2015 erklärte der Beschwerdeführer im Wesentlichen, dass er nach Österreich gekommen sei, um seine sexuelle Neigungen öffentlich ausleben zu können. Er werde in Marokko von der Familie seines damaligen Freundes verfolgt. In Marokko habe er noch Kontakt zu seiner Schwester, welche ihm alle drei Monate 1000 € überweisen würde. Überdies habe er in Österreich eine Frau traditionell geheiratet, diese erwarte von ihm ein Kind.
Am 27.01.2016 wurde die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen, wobei sie erklärte, dass sie bereits seit zwei Jahren mit dem Beschwerdeführer in einer Lebensgemeinschaft lebe. Sie hätten eine gemeinsame Tochter, welche am XXXX geboren sei. Der Beschwerdeführer habe mit seiner Schwester in Marokko täglich Kontakt, sie schicke ihm monatlich 500 €.
Mit Bescheid vom 28.01.2016, IFA-Zahl: 653545008-2433558, erteilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Marokko zulässig ist (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Ziffer 1 FPG gegen ihn ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt II.), erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 Ziffer 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.) und stellte fest, dass gemäß § 55 Ab. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt wird (Spruchpunkt IV.).
Dieser Bescheid konnte dem Beschwerdeführer nicht zugestellt werden, da dieser an der angegebenen Zustelladresse nicht mehr aufhältig war. Der Bescheid wurde nicht im Akt hinterlegt.
Der Bescheid vom 28.01.2016, IFA-Zahl: 653545008-2433558, ist nicht rechtswirksam ergangen.
Am 05.04.2016 stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung "Folgeantrag" durch ein Organ des PI Traiskirchen EAST am selben Tag gab der Beschwerdeführer zum Fluchtgrund an:
"Ich habe bei meinem ersten Asylantrag in Bezug auf die Asylgründe gelogen. Meine wahren Asylgründe sind folgende: Ich habe einen großen Betrug in Marokko gemacht. Ich habe die Eigentumswohnung meines Vaters in Casablanca verpfändet und habe mir einen Kredit von 25.000,- Euro aufgenommen. Die Unterlagen hierzu wurden gefälscht. Die Sache wurde zum Gericht weitergeleitet. Aus Angst vor der gerichtlichen Verfolgung bin ich sofort aus meiner Heimat geflüchtet. Ich wurde von dem Gericht gesucht."
Am 13.01.2017 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen, wobei er im Wesentlichen erklärte, dass er in Marokko Dokumente gefälscht habe und auf der Grundlage dieser bei einer Bank einen Kredit aufgenommen habe. Nach drei Monaten habe er von der Bank einen Brief bekommen, welche ihm mitgeteilt habe, dass die vorgelegten Dokumente gefälscht seien, woraufhin er sofort das Land verlassen habe.
Der Beschwerdeführer legte der belangten Behörde folgende Dokumente im Original vor:
* Marokkanischer Reisepass, Nr. IP XXXX, ausgestellt am XXXX, gültig bis XXXX. Ausgestellt von der marokkanischen Botschaft in Wien.
* Terminkarte von Caritas
* Meldezettel von XXXX von XXXX, Ehefrau des Beschwerdeführers
* Meldezettel von XXXX von XXXX, Tochter des Beschwerdeführers
* Meldezettel von XXXX von XXXX
* Geburtsurkunde von XXXX, Nr. XXXX, Tochter des Beschwerdeführers
* Heiratsurkunde Nr. XXXX, ausgestellt am XXXX
* Certificat de Nastere, Ser. 10, Nr. 154628, ausgestellt am 19.08. 2016
* Anmeldebescheinigung - XXXX, MA XXXX, ausgestellt am 14.03.2016
* Auszug aus der Geburtsurkunde, Nr. 171 S, ausgestellt am 03.08.2016 in Casablanca.
* Bestätigung, dass Hr. XXXX ledig ist, Nr. 463, ausgestellt am 19.05.2016 in Casablanca.
* Eine Bestätigung der WGKK, ausgestellt am 18.05.2016
* Eine Anmeldung der WGKK - XXXX.
Mit angefochtenem Bescheid vom 26.04.2017, Zahl 653545008 VZ 160485209, wies die belangten Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 05.04.2016 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I.) und der Beschwerdeführer wurde gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt II.) Weiters wurde ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt III).
Der Beschwerdeführer habe im gegenständlichen Verfahren keine neuen Fluchtgründe vorgebracht. Er habe seinen neuerlichen Asylantrag mit der betrügerischen Erlangung eines Kredites begründet. Dieser Umstand habe aber bereits zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus Marokko bestanden und der Beschwerdeführer hätte dies bereits im ersten rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren vorbringen können. Zusammengefasst handle es sich dabei um keinen neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalt. Zur Ausweisung des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer infolge seiner illegalen Einreise, der nachfolgenden missbräuchlichen Asylantragsstellung und der Verwirklichung eines Straftatbestandes nach dem StGB die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit störe und die Aufrechterhaltung derselbigen im Sinne eines öffentlichen Interesses gewichtiger als das Fortbestehen seiner Ehe (Privat- bzw. Familienleben) sei. Im Übrigen sei sein Kind marokkanischer Staatsangehöriger und es bestehe für seine Gattin jederzeit die Möglichkeit, den Beschwerdeführer in Marokko zu besuchen bzw. in Marokko ein Familienleben zu führen.
Mit Verfahrensanordnung vom 27.04.2017 stellte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH und die Volkshilfe Flüchtlings- und MirgantInnenbetreuung GmbH in 1170 Wien, Wattgasse 48/3. Stock, als Rechtsberater amtswegig zur Seite.
Mit Schreiben vom 11.05.2017 erhob der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers gegen den vorangeführten Bescheid der belangten Behörde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften vollumfänglich Beschwerde.
Die Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde langte am 18.05.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Mit Schreiben der belangten Behörde wurde die Kopie der Geburtsurkunde der am XXXX in Wien geborenen Tochter des Beschwerdeführers vorgelegt.
Der Beschwerdeführer wurde am 11.04.2018 in Untersuchungshaft genommen und am 27.08.2018 wegen §§ 28a (1) 5. Fall, 28a (4) Z 3 SMG, §12 2.Fall StGB §§28a (1) 2.3.Fall, 28a (4) Z 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt.
Mit Schreiben vom 23.08.2018 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat sowie einen Fragenkatalog zu seiner persönlichen Situation und räumte ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme ein.
Eine solche langte nicht ein.
Mit Schriftsatz vom 06.09.2018 wurde dem Bundesverwaltungsgericht die Vollmachtsauflösung des rechtsfreundlichen Vertreters des Beschwerdeführers bekannt gegeben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1.1. Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist volljährig, marokkanischer Staatsbürgerschaft sowie Herkunft, arabischer Muttersprache und Volksgruppenzugehörigkeit sowie Moslem. Seine Identität steht fest. Er leidet nicht an schweren körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen, die einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat entgegenstünden. Die Familie des Beschwerdeführers, insbesondere sein Vater und seine Geschwister, sind in Marokko aufhältig und er steht im regelmäßigen Kontakt mit diesen.
In Marokko besuchte der Beschwerdeführer fünf Jahre lang die Grundschule und finanzierte seinen Lebensunterhalt als Kfz-Mechaniker.
Der Beschwerdeführer ehelichte am XXXX eine freizügigkeitsberechtigte rumänische Staatsbürgerin. Aus dieser Beziehung entstammen zwei Kinder, welche am XXXX und am XXXX geboren sind.
Der Beschwerdeführer ist begünstigter Drittstaatsangehöriger.
Der Beschwerdeführer hat am 19.01.2017 einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gestellt.
Der Beschwerdeführer wohnte mit seiner Ehefrau und seinen Kindern bis zu seiner Inhaftierung am XXXX im gemeinsamen Haushalt. Er ging bisher weder einer beruflichen Tätigkeit nach, noch besuchte er einen Deutschkurs oder ist Mitglied eines Vereines oder einer Organisation in Österreich. Es konnten insgesamt keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden.
Im Strafregister der Republik Österreich scheinen folgende Verurteilungen auf:
01) LG XXXX vom XXXX RK XXXX
§ 28a (1) 5. Fall SMG § 15 StGB
Datum der (letzten) Tat 03.06.2015
Freiheitsstrafe 18 Monate, davon Freiheitsstrafe 12 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
zu LG XXXX RK XXXX
Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 03.12.2015
LG XXXX vom XXXX
02) LG XXXX vom XXXX RK XXXX
§§ 28a (1) 5. Fall, 28a (4) Z 3 SMG
§12 2.Fall StGB §§28a (1) 2.3.Fall, 28a (4) Z 3 SMG
Datum der (letzten) Tat 08.04.2018
Freiheitsstrafe 3 Jahre
1.2. Zum Fluchtgrund:
In seinem Folgeantrag auf internationalen Schutz bringt der Beschwerdeführer keine neuen Fluchtgründe vor, sondern stützt seinen Antrag auf jene Fluchtgründe, die er bereits im Zuge des Verfahrens betreffend seinen Asylantrag vom 28.11.2013 vorgebracht hatte bzw. die ihm zum damaligen Zeitpunkt bekannt waren. Der Beschwerdeführer behauptet auch nicht, dass es nach dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens zu weiteren Vorfällen im Herkunftsstaat gekommen ist, die im Zusammenhang mit seinem Fluchtvorbringen stehen.
Zusammengefasst ist daher festzustellen, dass das Vorliegen eines neuen Sachverhaltes im Vergleich zum Abschluss des Verfahrens betreffend den Antrag auf internationalen Schutz vom 28.11.2013 vom Beschwerdeführer nicht behauptet wird.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat
Politische Lage
Laut der Verfassung vom 1.7.2011 ist Marokko eine konstitutionelle, demokratische und soziale Erbmonarchie, mit direkter männlicher Erbfolge und dem Islam als Staatsreligion. Abweichend vom demokratischen Grundprinzip der Gewaltenteilung kontrolliert der König in letzter Instanz die Exekutive, die Judikative und teilweise die Legislative (GIZ 6.2017a; vgl. ÖB 9.2015). Im Zusammenhang mit den Protestbewegungen in Nordafrika im Frühjahr 2011 leitete der König im Jahr 2011 eine Verfassungsreform und vorgezogene Neuwahlen ein. Die in Marokko überwiegend auf ökonomisch-soziale Verbesserungen, aber nicht auf "Regimewechsel" gerichteten Proteste wurden so aufgefangen (AA 2.2017a). Die Verfassung vom 1.7.2011 brachte im Grundrechtsbereich einen deutlichen Fortschritt für das Land; in Bezug auf die Königsmacht jedoch nur eine Abschwächung der absolutistischen Stellung. Das Parlament wurde als Gesetzgebungsorgan durch die neue Verfassung aufgewertet und es ist eine spürbare Verlagerung des politischen Diskurses in die Volksvertretung hinein erkennbar. Die Judikative wird als unabhängige Staatsgewalt gleichberechtigt neben Legislative und Exekutive gestellt. Das System der checks und balances als Ergänzung zur Gewaltenteilung ist jedoch in der Verfassung vergleichsweise wenig ausgebildet (ÖB 9.2015). Einige Schlüsselministerien sind in Marokko der Kontrolle des Parlamentes und des Premierministers entzogen. Dies betrifft folgenden vier Ressorts: Inneres, Äußeres, Verteidigung, Religiöse Angelegenheiten und Stiftungen. Soziale Reformen während der Regentschaft Mohamed VI sollten mehr Wohlstand für alle bringen - doch faktisch nahm die ohnehin starke Kontrolle der Königsfamilie und ihrer Entourage über die Reichtümer und Ressourcen des Landes weiter zu (GIZ 6.2017a).
Das marokkanische Parlament besteht aus zwei Kammern, dem Unterhaus (Chambre des Représentants, Madschliss an-Nuwwab) und dem Oberhaus (Chambre des conseillers, Madschliss al-Mustascharin). Die Abgeordneten des Unterhauses werden alle fünf Jahre in direkten allgemeinen Wahlen neu gewählt (jüngste Wahl: 7.10.2016). Das Unterhaus besteht aus 395 Abgeordneten. Entsprechend einer gesetzlich festgelegten Quote sind mindestens 12% der Abgeordneten Frauen. Das Oberhaus besteht aus mindestens 90 und maximal 120 Abgeordneten, die in indirekten Wahlen für einen Zeitraum von sechs Jahren bestimmt werden (GIZ 6.2017a). In Marokko haben am 7.10.2016 Wahlen zum Repräsentantenhaus stattgefunden. Als stärkste Kraft ging die seit 2011 an der Spitze der Regierung stehende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD - Parti de la Justice et du Développement) hervor (AA 2.2017a; vgl. GIZ 6.2017a). Sie erreichte 125 Sitze (GIZ 6.2017a). Ihr Vorsitzender, der bisherige Regierungschef Abdelilah Benkirane, wurde von König Mohammed VI. mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt (AA 2.2017a). An zweiter Stelle rangiert mit 102 Sitzen die liberal-konservative Partei für Authentizität und Moderne (PAM - Parti Authenticité et Modernité). Sie konnte ihre Stimmengewinne mehr als verdoppeln und gilt daher als heimliche Siegerin. Dahinter gereiht ist mit 46 Sitzen die traditionsreiche Unabhängigkeitspartei (PI - Parti de l'Istiqlal), dahinter andere Parteien (GIZ 6.2017a).
Auf dem Gipfel der Afrikanischen Union (AU) in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba am 30.1.2017 wurde Marokko wieder in die AU aufgenommen (DS 31.1.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Marokko - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Marokko/Innenpolitik_node.html, Zugriff 30.6.2017
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DS - Der Standard (31.1.2017): Marokko wieder in der AU, doch Westsahara-Streit bleibt,
http://derstandard.at/2000051784210/Afrikanische-Union-diskutiert-Wiederaufnahme-von-Marokko, Zugriff 30.6.2017
-
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH (6.2017a), LIPortal - Marokko - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/marokko/geschichte-staat/, Zugriff 30.6.2017
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ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko
Sicherheitslage
Marokko ist grundsätzlich ein politisch stabiles Land mit gut ausgebauter Sicherheitspräsenz (BMEIA 5.7.2017). Das französische Außenministerium rät zu normaler Aufmerksamkeit im Land (das einzige in Nordafrika), außer in den Grenzregionen zu Algerien, wo zu erhöhter Aufmerksamkeit geraten wird. Die Westsahara bildet natürlich eine Ausnahme, diese darf nur nach Genehmigung durch die marokkanischen Behörden und nur auf genehmigten Strecken bereist werden. Zusätzlich besteht für die Grenzregionen zu Mauretanien in der Westsahara eine Reisewarnung (FD 5.7.2017). Seitens des BMEIA besteht eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für Reisen in das Landesinnere des völkerrechtlich umstrittenen Territoriums der Westsahara und in entlegene Saharazonen Südmarokkos, insbesondere an der Grenze zu Algerien. Erhöhtes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 2) gilt in den übrigen Landesteilen (BMEIA 5.7.2017).
Auch in Marokko besteht jedoch ein Risiko terroristischer Anschläge mit islamistischem Hintergrund, die insbesondere auf ausländische Staatsangehörige abzielen können (AA 5.7.2017, vgl. BMEIA 5.7.2017). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die instabile Sicherheitslage in den Regionen Nordafrika, Sahel und Nah-/Mittelost auf Marokko auswirkt. Es muss mit Anschlägen durch Kämpfer aus diesen Regionen gerechnet werden sowie mit Aktionen von Personen oder Gruppierungen, die innerhalb Marokkos agieren und sich von der Propaganda terroristischer Gruppierungen beeinflussen lassen. So ereignete sich zuletzt im April 2011 in Marrakesch eine Bombenexplosion mit terroristischem Hintergrund, die 17 Todesopfer und mehrere Verletzte - zumeist Touristen - forderte (AA 5.7.2017).
Marokko steht im Kampf gegen den Terrorismus im Lager des Westens. Die marokkanischen Dienste gelten als gut unterrichtet und operationell fähig; die laufende Aushebung von Terrorzellen spricht für deren Effizienz. AQIM und andere islamisch-fundamentalistische Gruppierungen, Salafisten und IS-Kämpfer werden als Staatsfeinde Nummer eins betrachtet. Besondere Sorge gilt seit Ausbruch der Mali-Krise einer vermuteten Verbindung der Polisario mit fundamentalistischen Elementen aus dem Sahel (AQIM, Ansareddine, Mujao) sowie aus Syrien und dem Irak. Die marokkanischen Behörden befürchten einen Rückfluss von Kämpfern nach Marokko aus Syrien und dem Irak und das Entstehen von grenzüberschreitenden Terrornetzwerken. Die - auch im öffentlichen Raum kaum kaschierten - Überwachungsmaßnahmen erstrecken sich auch auf die Überwachung des Internets und elektronischer Kommunikation (ÖB 9.2015).
Demonstrationen, insbesondere in Großstädten, können sich spontan und unerwartet entwickeln, so zum Beispiel aktuell im Norden Marokkos in Al Hoceima und umliegenden Orten. Die Proteste richten sich meist gegen soziale Ungerechtigkeit, Korruption und Behördenwillkür (AA 5.7.2017). Im Oktober 2016 flammten in verschiedenen Landesteilen Proteste gegen soziale und wirtschaftliche Missstände auf. Es kam zu Zusammenstößen zwischen Anwohnern und der Polizei, als die Behörden mit dem Abriss von informellen Siedlungen in Sidi Bibi, einer Stadt in der Nähe von Agadir, begannen. Tausende Menschen gingen in größeren Städten, u.
a. in der Hauptstadt Rabat sowie in Marrakesch, auf die Straße, nachdem der Fischhändler Mouhcine Fikri in Al-Hoceima (Region Tanger-Tétuan-Al Hoceima) getötet worden war. Er hatte versucht, seine von Staatsbediensteten beschlagnahmte Ware zurückzuerhalten. Auch in Al-Hoceima fanden große Demonstrationen statt (AI 22.2.2017). Seitdem kommt es v.a. in Al-Hoceima immer wieder zu Protesten. Dort ist das Zentrum einer Protestbewegung gegen soziale und wirtschaftliche Missstände entstanden. Ende Mai 2017 wurde der Anführer der Protestbewegung, Nasser Zafzafi, verhaftet (DS 29.5.2017). Dies führte zu weiteren Protesten. Auch Ende des Ramadans, am 27. und 28.6.2017, kam es zu Ausschreitungen, bei denen zahlreiche Polizisten und auch Demonstranten verletzt wurden und Demonstranten verhaftet wurden (DS 28.6.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (5.7.2017): Marokko - Reise- und Sicherheitshinweise,
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/MarokkoSicherheit_node.html, Zugriff 5.7.2017
-
BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (5.7.2017): Reiseinformation Marokko, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/marokko/, Zugriff 5.7.2017
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DS - Der Standard (29.5.2017): Anführer der Proteste in Marokko festgenommen,
http://derstandard.at/2000058382533/Hunderte-Marokkaner-demonstrierten-in-Protesthochburg-Al-Hoceima?ref=rec, Zugriff 5.7.2017
-
DS - Der Standard (28.6.2017): Marokko: Fast 80 Polizisten bei Ausschreitungen verletzt,
http://derstandard.at/2000060215022/Marokko-Fast-80-Polizisten-bei-Ausschreitungen-verletzt?ref=rec, Zugriff 5.7.2017
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FD - France Diplomatie (5.7.2017): Conseils aux Voyageurs - Maroc
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Sécurité,
http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/maroc/, Zugriff 5.7.2017
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ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko
Westsahara
Der Konflikt in und um die Westsahara schwelt seit Jahrzehnten. Als sich nach dem Tod des Diktators Franco die Spanier 1975 aus ihrer damaligen Kolonie zurückzogen, marschierte Marokko im Rahmen des sogenannten Grünen Marsches in das Nachbarland ein. Seitdem hält Marokko große Teile des Territoriums besetzt und betrachtet das Gebiet seit der Annexion 1976 als Bestandteil seines Landes. Dagegen wehrt sich die Bewegung Frente Polisario, die die Unabhängigkeit der Westsahara anstrebt. Ein rund 2.500 Kilometer langer Sandwall, dessen Baubeginn 1981 war, und der von der mauretanisch-marokkanischen Grenze durch die Sahara bis zum marokkanisch-algerisch-sahrauischen Dreiländereck verläuft, spaltet heute die Westsahara (GIZ 6.2017a). Auf der einen Seite liegt der von Marokko kontrollierte, größere Teil; er umfasst rund 80 Prozent des Territoriums. Auf der anderen Seite befinden sich die restlichen 20 Prozent in der Hand der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario (CIA 27.6.2017). 1991 endeten die Kampfhandlungen zwischen der Frente Polisario und Marokko. Die UNO installierte an mehreren Orten in der Westsahara zur Friedenssicherung die MINURSO (CIA 27.6.2017; vgl. GIZ 6.2017a, AA 2.2017b). Die Frente Polisario hatte im Februar 1976 eine Exilregierung in Algerien, in der Nähe von Tindouf, gebildet, die bis zu seinem Tod im Mai 2016 von Präsident Mohamed Abdelaziz geführt wurde. Sein Nachfolger Brahim Ghali wurde im Juli 2016 gewählt (CIA 27.6.2017; vgl. GIZ 6.2017a). Für Marokko hingegen ist die Sicherung der Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko Staatsräson und zentrales Anliegen der marokkanischen Politik (AA 2.2017b).
Seit dem Ende der Kampfhandlungen im Jahr 1991 gelang es nicht, ein Referendum bzgl. des Status der Westsahara durchzuführen bzw. scheiterten Anläufe für neue Gespräche zwischen Marokko und der Polisario immer wieder. Seit November 2010 gab es mehrere Anläufe für neue Gespräche zwischen Marokko und der Polisario, doch eine Lösung des Konfliktes ist zurzeit nicht in Sicht. Die Zahl der Staaten, die die sahrauische Exilregierung anerkennen, ist von 80 auf gut die Hälfte gesunken (GIZ 6.2017a). Der Status des Territoriums und die Frage der Unabhängigkeit sind daher weiterhin ungeklärt; das Territorium wird von Marokko sowie der Frente Polisario beansprucht (CIA 27.6.2017; vgl. DF 26.9.2016).
Auf dem Gipfel der Afrikanischen Union (AU) in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba am 30.1.2017 wurde Marokko wieder in die AU aufgenommen. Marokko hat vor knapp 33 Jahren die Vorgängerorganisation der AU, die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU), verlassen. Der damalige König Hassan II. protestierte damit gegen die Aufnahme der Demokratisch Arabischen Republik Sahara (DARS) in die afrikanische Organisation. Da nun das Königreich wieder in den afrikanischen Staatenverbund eintritt, hofft man aber zumindest auf diplomatische Fortschritte im Westsaharakonflikt (DS 31.12017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Marokko - Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Marokko/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 5.7.2017
-
CIA - Central Intelligence Agency (27.6.2017): The World Factbook
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Western Sahara,
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/wi.html, Zugriff 5.7.2017
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DF - Deutschlandfunk (26.9.2016): EU, Marokko und der Westsahara-Konflikt - Handel mit Afrikas letzter Kolonie, http://www.deutschlandfunk.de/eu-marokko-und-der-westsahara-konflikt-handel-mit-afrikas.724.de.html?dram:article_id=366913, Zugriff 5.7.2017
-
DS - Der Standard (31.1.2017): Marokko wieder in der AU, doch Westsahara-Streit bleibt,
http://derstandard.at/2000051784210/Afrikanische-Union-diskutiert-Wiederaufnahme-von-Marokko, Zugriff 5.7.2017
-
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH (6.2017a), LIPortal - Marokko - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/marokko/geschichte-staat/, Zugriff 30.6.2017
Rechtsschutz/Justizwesen
Die Justiz ist laut Verfassung unabhängig (USDOS 3.3.2017). In der Praxis wird diese Unabhängigkeit jedoch durch Korruption (USDOS 3.3.2017; vgl. ÖB 9.2015; AA 10.3.2017) und außergerichtliche Einflüsse unterlaufen. Behörden respektieren Anordnungen der Gerichte fallweise nicht (USDOS 3.3.2017). Rechtsstaatlichkeit ist vorhanden, aber noch nicht ausreichend entwickelt. Unabhängigkeit der Justiz, Verfassungsgerichtsbarkeit, Transparenz durch Digitalisierung, Modernisierung der Justizverwaltung befinden sich noch im Entwicklungsprozess, der, teils von der Verfassung gefordert, teils von der Justizverwaltung angestoßen wurde. Die eher traditionell und konservativ eingestellte Richterschaft setzt Neuerungen oftmals nur sehr zurückhaltend um. Geltende Gesetze und Vorschriften werden auch aus administrativen Schwächen oft nicht einheitlich und flächendeckend angewandt (AA 10.3.2017).
Formal besteht Gleichheit vor dem Gesetz. Das extreme Gefälle in Bildung und Einkommen, die materielle Unterentwicklung ländlicher Gebiete und der allgegenwärtige gesellschaftliche
Klientelismus behindern allerdings die Umsetzung des Gleichheitsgrundsatzes (AA 10.3.2017). Gesetzlich gilt die Unschuldsvermutung. Der Rechtsweg ist formal sichergestellt. Angeklagte haben das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, auf rechtzeitigen Zugang zu ihrem Anwalt und das Recht, Berufung einzulegen. Das marokkanische Recht sieht Pflichtverteidiger für mittellose Angeklagte vor. Der Zugang zu juristischem Beistand ist in der Praxis noch immer unzulänglich (AA 10.3.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). NGOs kritisieren, dass die Beschuldigten zu Geständnissen gedrängt werden. Im Rahmen der Strafrechtsreform und der Entwicklung seiner Untersuchungsbehörden bemüht sich Marokko darum, Beschuldigtenrechte besser zu wahren und andere Möglichkeiten des Tatbeweises zu nutzen. Im Bereich der Strafzumessung wird häufig kritisiert, dass bestehende Möglichkeiten zur Vermeidung von Haft bei minderschweren Delikten (z.B. Geldstrafen, Sozialstunden) nicht genutzt werden. Auch die Möglichkeit der Entlassung auf Bewährung (libération conditionnelle) wird kaum genutzt (AA 10.3.2017).
Seit dem 1.7.2015 ist die Militärgerichtsbarkeit in Verfahren gegen Zivilisten nicht mehr zuständig. Im Juli 2016 wurden durch das Revisionsgericht die Urteile eines Militärgerichts gegen 23 sahrauische Aktivisten im Zusammenhang mit dem Tod von Sicherheitskräften bei der Räumung des Protestlagers Gdim Izik aufgehoben. Neue Verfahren finden vor einem Zivilgericht statt (AA 10.3.2017).
Verwaltungsentscheidungen können vor Verwaltungsgerichten appelliert werden, der Instanzenzug führt zum Kassations-Gerichtshof. Die Verfassung sieht eine Reihe von Räten und Kommissionen vor, denen konsultative und überwachende Funktionen zukommt (Oberster Justizrat, Gleichstellungs-Rat, Hohe Rundfunk-Behörde, Wettbewerbsrat, Nationalstelle für korrekte Verwaltung und Korruptionsbekämpfung, Familien- und Jugendbeirat). Diese Gremien stehen aber teilweise noch am Beginn der Tätigkeit bzw. muss ihr rechtlicher Unterbau erst geschaffen werden, sodass noch schwer absehbar ist, inwieweit sie für Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung und Achtung der Grundrechte in der Praxis Bedeutung gewinnen (ÖB 9.2015).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (10.3.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko (Stand: März 2017)
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ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko
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USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Morocco, http://www.ecoi.net/local_link/337215/479978_de.html, Zugriff 30.6.2017
Sicherheitsbehörden
Der Sicherheitsapparat verfügt über einige Polizei- und paramilitärische Organisationen, deren Zuständigkeitsbereiche sich teilweise überlappen. Die Nationalpolizei (DGSN) ist für die Umsetzung der Gesetze zuständig und untersteht dem Innenministerium. Bei den "Forces auxiliaires" handelt es sich um paramilitärische Hilfskräfte, die dem Innenministerium unterstellt sind und die Arbeit der regulären Sicherheitskräfte unterstützen. Die Gendarmerie Royale ist zuständig für die Sicherheit in ländlichen Gegenden und patrouilliert auf Autobahnen. Sie untersteht dem Verteidigungsministerium (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 10.3.2017). Es gibt zwei Nachrichtendienste: den Auslandsdienst DGED ("Direction Générale des Etudes et de Documentation") und den Inlandsdienst DGST ("Direction Générale de la Surveillance du Territoire") (AA 10.3.2017; vgl. ÖB 9.2015). Im April 2015 wurde zusätzlich das "Bureau central d'investigations judiciaires" (BCIJ) geschaffen. Es untersteht dem Inlandsdienst DGST. Von der Funktion entspricht es etwa dem deutschen Bundeskriminalamt mit originären Zuständigkeiten und Ermittlungskompetenzen im Bereich von Staatsschutzdelikten sowie Rauschgift- und Finanzdelikten im Rahmen von Verfahren der Organisierten Kriminalität (AA 10.3.2017).
Die zivile Kontrolle über die Sicherheitskräfte [Anm.: durch den König] ist abgesehen von Einzelfällen effektiv (USDOS 3.3.2017), jedoch sind die Sicherheitskräfte weitgehend der zivilen Kontrolle durch Parlament und Öffentlichkeit entzogen (AA 10.3.2017). Es besteht kein systematischer Mechanismus, Menschenrechtsverletzungen und Korruption wirksam zu untersuchen und zu bestrafen, was Straffreiheit bei Vergehen durch die Sicherheitskräfte begünstigt (USDOS 3.3.2017). Inhaftierte Islamisten werfen dem Sicherheitsapparat, insbesondere dem Inlandsgeheimdienst DGST, vor, Methoden anzuwenden, die rechtsstaatlichen Maßstäben nicht immer genügen (z.B. lange U-Haft unter schlechten Bedingungen, kein Anwaltszugang). Die zivilgesellschaftlichen Organisationen und Medien dokumentieren diese Vorwürfe nur bruchstückhaft (AA 10.3.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (10.3.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko (Stand: März 2017)
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ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko
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USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Morocco, http://www.ecoi.net/local_link/337215/479978_de.html, Zugriff 30.6.2017
Folter und unmenschliche Behandlung
Folter ist gemäß Verfassung unter Strafe gestellt (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 10.3.2017). Marokko ist Vertragsstaat der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen und hat auch das Zusatzprotokoll unterzeichnet (AA 10.3.2017). Ein Nationaler Präventionsmechanismus zum Schutz vor Folter ist allerdings noch immer nicht eingerichtet worden (AI 22.2.2017). Die marokkanische Regierung lehnt den Einsatz von Folter ab und bemüht sich um aktive Prävention. Systematische Folter findet nicht statt. Gleichwohl berichten NGOs über Fälle von nicht gesetzeskonformer Gewaltanwendung gegenüber Inhaftierten durch Sicherheitskräfte. Betroffen sind laut Bericht des VN-Menschenrechtsausschusses vom Oktober 2016 vor allem Terrorverdächtige und Personen, die Straftaten verdächtig sind, die die Sicherheit oder die territoriale Integrität des Staats gefährden. Ein Einsatz von systematischer, staatlich angeordneter Folter wird auch von NGOs nicht bestätigt. Die marokkanische Menschenrechtsorganisation OMDH ("Organisation Marocaine des Droits de l'Homme") geht vom Fehlverhalten einzelner Personen aus (AA 10.3.2017). Berichte über Folter sind in den letzten Jahren zurückgegangen, aber dennoch langen immer wieder Berichte über Misshandlungen von Gefangenen durch Sicherheitskräfte bei Regierungsinstitutionen oder NGOs ein (USDOS 3.3.2017).
Wenn auch eine systematische Anwendung von Folter und anderen erniedrigenden Behandlungsweise nicht anzunehmen ist, werden Folter und folterähnliche Methoden punktuell praktiziert. Diese Umstände werden von Menschenrechts-NGOs und von unabhängigen Beobachtern wiederholt angeprangert, wie insbesondere CNDH (Nationaler Rat für Menschenrechte), UN Sonderbeauftragter für Folter Juan Mendez, Arbeitsgruppe über willkürliche Verhaftungen, die frühere UN-HCHR Navi Pillay. Justizminister Ramid hat die Staatsanwälte aufgerufen, Hinweisen und Anzeigen auf Folter rigoros nachzugehen, gleichzeitig aber auch auf den Verleumdungstatbestand hingewiesen, falls sich Anschuldigungen als haltlos erweisen. Marokko hat das Fakultativprotokoll zur Antifolter-Konvention Ende 2014 ratifiziert, eine Durchführungsgesetzgebung (nationaler Mechanismus) muss aber erst erfolgen (ÖB 9.2015).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (10.3.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko (Stand: März 2017)
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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2014/15 - Kingdom of Morocco, http://www.ecoi.net/local_link/336547/479222_de.html, Zugriff 30.6.2017
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ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (9.2015): Asylländerbericht Marokko
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USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Morocco, http://www.ecoi.net/local_link/337215/479978_de.html, Zugriff 30.6.2017
Korruption
Das Gesetz sieht für behördliche Korruption Strafen vor, doch setzt die Regierung die gesetzlichen Regelungen nicht effektiv um. Staatsbedienstete sind häufig in Korruptionsfälle verwickelt und gehen straffrei aus. Korruption stellt bei der Exekutive, inklusive der Polizei, bei der Legislative und in der Justiz ein ernstes Problem dar. Es gibt Berichte von Korruption im Bereich der Regierung, und von deren Untersuchung in einigen Fällen, aber mangelnder strafrechtlicher Verfolgung. Die Antikorruptionsbehörde Instance centrale de prévention de la corruption (ICPC) ist für den Kampf gegen die Korruption zuständig. Sie wird nur in wenigen Fällen tätig, vor allem in mittleren und höheren Ebenen der Verwaltung werden kaum Ermittlungen durchgeführt (USDOS 3.3.2017).
Die Bekämpfung der Korruption wird in Marokko unter anderem durch eine langsame Justiz, Zentralismus und die Verflechtung von Politik und Wirtschaft erschwert. Im Alltag ist Korruption allgegenwärtig. Ob im Krankenhaus, in der Schule, an der Universität oder bei der KFZ-Zulassung - fast überall in Marokko werden Extrazahlungen fällig, wenn man eine Dienstleistung braucht. Da das Steuersystem wenig entwickelt und die öffentliche Hand dementsprechend finanziell schwach ist, betrachten viele Marokkaner - einschließlich der verantwortlichen Politiker - die Bestechungsgelder als eine Art Steuerersatz. Als korruptionsanfällig gilt auch die Armee (GIZ 6.2017a).
Marokko belegt im Korruptionswahrnehmungsindex 2016 den 90. von insgesamt 176 Plätzen (TI 25.1.2017).
Quellen:
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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH (6.2017a), LIPortal - Marokko - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/marokko/geschichte-staat/, Zugriff 30.6.2017
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TI - Transparency International (25.1.2017): Corruptions Perceptions Index 2016,
https://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2016, Zugriff 30.6.2017
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USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Morocco, http://www.ecoi.net/local_link/337215/479978_de.html, Zugriff 30.6.2017
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Menschenrechtsorganisationen publizieren Berichte über Menschenrechtsfälle. Die Einstellung der Regierung gegenüber lokalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen variiert jedoch, abhängig von der politischen Orientierung der Organisation und der Sensitivität der jeweiligen Angelegenheit. Lokale und internationale NGOs sind immer wieder Einschränkungen bei ihren Aktivitäten ausgesetzt (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 10.3.2017). Die Regierung trifft sich gelegentlich mit Vertretern von NGOs und beantwortet Anfragen und Empfehlungen seitens der NGOs (USDOS 3.3.2017).
Der Bereich NGOs/Menschenrechtsverteidiger stellt sich als breit gefächerte Landschaft (ca. 90.000 Vereinigungen) dar, mit einer aktiven und sich artikulierenden Menschenrechts-Verteidigerszene, die mit dem CNDH (Nationaler Rat für Menschenrechte) korreliert und dessen Arbeit ergänzt oder diesem sogar voraneilt. Sichtbarste und mit Veranstaltungen und Berichten hervortretende Protagonisten der Menschenrechtsszene sind die OMDH (Organisation Marocaine des Droits Humains) und die AMDH (Association Marocaine des Droits Humains). Die Zivilcourage der einzelnen Aktivisten verdient Anerkennung, weil nicht nur Gefahr besteht, mit staatlicher Repression in Konflikt zu geraten, sondern auch an die Grenzen des von der Gesellschaft Tolerierten zu stoßen (ÖB 9.2015).
Quellen: