TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/10 W158 2202606-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.10.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

10.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W158 2202606-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Yoko KUROKI-HASENÖHRL über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz, da er in Afghanistan mit ausländischen Firmen zusammengearbeit habe und daher sein Leben durch die Taliban in Gefahr gewesen sei.

I.2. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens gab das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) dem Antrag des BF mit Bescheid vom XXXXstatt und erkannte ihm den Status des Asylberechtigten zu. Gleichzeitig stellte das BFA fest, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

Dem Bescheid liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Der BF war Bediensteter der amerikanischen Firma DYNCORP, die im Auftrag der amerikanischen und der afghanischen Sicherheitskräfte unter anderem mit der Erfassung biometrischer Daten der afghanischen Soldaten und Polizisten beauftragt war. Aufgrund dieser Tätigkeit geriet der BF in das Visier der Taliban, die ihn auf seinem Heimweg entführten. Nach dreitägiger Gefangenschaft gelang dem BF die Flucht. Der BF verließ daraufhin Afghanistan schlepperunterstützt Richtung Tadschikistan.

I.3. Am XXXX langte ein Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen XXXX ein, mit dem über den BF die Untersuchungshaft wegen Flucht- und Tatbegehungsgefahr verhängt wurde, da der BF des schweren Raubes dringend verdächtig sei. Am XXXX langte der dazugehörige Anlass- und Abschlussbericht der Landespolizeidirektion XXXX ein.

I.4. Am XXXX langte eine Verständigung von der rechtskräftigen Verurteilung ein, der sowohl das erstinstanzliche als auch das Berufungsurteil beigelegt war.

I.5. Am XXXX wurde der BF vom BFA niederschriftlich einvernommen und zu seiner Situation im Falle einer möglichen Rückkehr sowie zum Aufenthalt seiner Familie befragt.

I.6. Mit Bescheid vom XXXX, dem BF am XXXX zugestellt, wurde dem BF der Status des Asylberechtigten aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I), der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde ihm nicht zuerkannt (Spruchpunkt II), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV) und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI). Zudem wurde gegen den BF ein achtjähriges Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII).

I.7. Mit Verfahrensordnung vom XXXX wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.8. AmXXXX erhob der BF Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Es wurde beantragt, "den angefochtenen Bescheid der Erstbehörde dahingehend ab[zu]ändern" (wohl gemeint: den Bescheid ersatzlos zu beheben); in eventu den Bescheid dahingehend abzuändern, dass ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werde; in eventu einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen; in eventu den Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Verhandlung an das BFA zurückzuverweisen; das gegen ihn ausgesprochene unbefristete (sic!) Einreiseverbot aufzuheben; in eventu die Dauer des Einreiseverbots zu reduzieren und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

I.9. Am XXXX langte die gegenständliche Beschwerde samt dem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.

I.10. Am XXXX wurde seitens der Justizanstalt XXXX mitgeteilt, dass der BF einen Antrag nach § 133a StVG gestellt habe, weswegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen benötigt werden würden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

-

Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den BF; insbesondere in das Befragungsprotokoll;

-

Einsicht in die in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat;

-

Einsicht in die im Rahmen des Verfahrens vorgelegten Unterlagen;

-

Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

II.1. Sachverhaltsfeststellungen:

II.1.1. Zum BF und seiner Situation im Falle einer Rückkehr:

Der ledige, gesunde BF ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist sunnitischer Moslem. Seine Idenität steht nicht fest. Der BF spricht Dari.

Der BF hat in Afghanistan zwölf Jahre die Schule besucht und mit Matura abgeschlossen. Zudem absolvierte er ein Informatik- und Englischstudium. Der BF lebte in Afghanistan in XXXX, wo sich nach wie vor Familienangehörige des BF befinden.

Der BF reiste spätestens im XXXX nach Österreich ein und befindet sich seitdem durchgehend im Bundesgebiet. Der BF besuchte Deutschkurse und kann sich auf Deutsch verständigen. Er hat im Bundesgebiet nie mit einer ihm nahestehenden Person zusammengelebt. Der BF übte während seines Aufenthalts im Bundesgebiet keine Erwerbstätigkeiten aus, er bestritt seinen Unterhalt durch Sozialhilfe.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF nach einer Rückkehr einer Bedrohung oder Verfolgung in Afghanistan aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt wäre.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr in die Städte Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif real Gefahr laufen würde, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können und daher in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Notsituation zu geraten.

Der BF wurde mit Urteil vom XXXX, wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB und des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB vom Landesgericht für Strafsachen XXXX zu XXXX zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von dreieinhalb Jahren verurteilt. Demzufolge versuchte er am XXXX einem im Urteil namentlich Genannten fremde bewegliche Sachen durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben und unter Verwendung einer Waffe mit dem Vorsatz abzunötigen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er ein Messer gegen den Genannten richtete und ihn aufforderte, ihm Geld zu geben. Zudem beschädigte er anschließend das Kraftfahrzeug des Genannten, indem er die Heckscheibe zerkratzte und die Dachantenne abbrach. Die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom XXXX zuXXXX zurück, der gegen das Urteil erhobenen Berufung gab das Oberlandesgericht XXXXmit Urteil vom XXXX zu XXXX nicht Folge. Der BF befindet sich seit XXXX in Haft.

II.1.2. Zur Situation in Afghanistan:

Politische Lage:

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/1434081.html, Zugriff 4.6.2018

-

AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1253781/4598_1478857553_3-deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-19-10-2016.pdf, Zugriff 23.4.2018

-

AAN - Afghanistan Analysts Network (6.5.2018): Afghanistan's Paradoxical Political Party System: A new AAN report, https://www.afghanistan-analysts.org/publication/aan-papers/outside-inside-afghanistans-paradoxical-political-party-system-2001-16/, Zugriff 28.5.2018

-

AAN - Afghanistan Analysts Network (12.4.2018): Afghanistan Election Conundrum (6): Another new date for elections, https://www.afghanistan-analysts.org/afghanistan-election-conundrum-6-another-new-date-for-elections/, Zugriff 16.4.2018

-

AAN - Afghanistan Analysts Network (25.11.2017): A Matter of Regisration: Factional tensions in Hezb-e Islami, https://www.afghanistan-analysts.org/a-matter-of-registration-factional-tensions-in-hezb-e-islami/, Zugriff 16.4.2018

-

AAN - Afghanistan Analysts Network (11.10.2017): Mehwar-e Mardom-e Afghanistan: New opposition group with an ambiguous link to Karzai, https://www.afghanistan-analysts.org/mehwar-e-mardom-e-afghanistan-new-opposition-group-with-an-ambiguous-link-to-karzai/, Zugriff 28.5.2018

-

AAN - Afghanistan Analysts Network (21.8.2017): The Ghost of Najibullah: Hezb-e Watan announces (another) relaunch, https://www.afghanistan-analysts.org/the-ghost-of-najibullah-hezb-e-watan-announces-another-relaunch/, Zugriff 28.5.2018

-

AAN - Afghanistan Analysts Network (4.5.2017): Hekmatyar's Return to Kabul: Background reading by AAN, https://www.afghanistan-analysts.org/hekmatyars-return-to-kabul-background-reading-by-aan/, Zugriff 17.4.2018

-

AAN - Afghanistan Analysts Network (3.5.2017): Charismatic, Absolutist, Divisive: Hekmatyar and the impact of his return, https://www.afghanistan-analysts.org/charismatic-absolutist-divisive-hekmatyar-and-the-impact-of-his-return/, Zugriff 17.4.2018

-

AAN - Afghanistan Analysts Network (22.1.2017): Afghanistan's Incomplete New Electoral Law: Changes and Controversies, https://www.afghanistan-analysts.org/afghanistans-incomplete-new-electoral-law-changes-and-controversies/, Zugriff 16.4.2018

-

AAN - Afghanistan Analysts Network (18.12.2016): Update on Afghanistan's Electoral Process: Electoral deadlock - for now, https://www.afghanistan-analysts.org/update-on-afghanistans-electoral-process-electoral-deadlock-broken-for-now/, Zugriff 4.6.2018

-

AAN - Afghanistan Analysts Network (13.2.2015): The President's CEO Decree: Managing rather thean executive powers (now with full translation of the document),

https://www.afghanistan-analysts.org/the-presidents-ceo-decree-managing-rather-then-executive-powers/, Zugriff 16.4.2018

-

AAN - Afghanistan Analysts Network (o.D.): The 'government of national unity' deal (full text), https://www.afghanistan-analysts.org/miscellaneous/aan-resources/the-government-of-national-unity-deal-full-text/, Zugriff 16.4.2018

-

AB - Afghan Bios (18.11.2017): Understanding Council of Political Currents of Afghanistan,

http://www.afghan-bios.info/index.php?option=com_afghanbios&id=3833&task=view&total=3673&start=3396&Itemid=2, Zugriff 28.5.2018

-

AB - Afghan Bios (29.5.2017): New National Front of Afghanistan

(NNF),

http://www.afghan-bios.info/index.php?option=com_afghanbios&id=3452&task=view&total=3673&start=2364&Itemid=2, Zugriff 28.5.2018

-

AB - Afghan Bios (15.1.2016): National Congress Party, http://www.afghan-bios.info/index.php?option=com_afghanbios&id=3453&task=view&total=4&start=0&Itemid=2, Zugriff 29.5.2018

-

AE - Afghan Embassy (o.D.): Islamic Republic of Afghanistan, The Constitution of Afghanistan,

http://www.afghanembassy.com.pl/afg/images/pliki/TheConstitution.pdf, Zugriff 16.4.2018

-

AJ - Al Jazeera (19.5.2018): Taliban pledge not to target army, police who leave "enemy ranks", https://www.aljazeera.com/news/2018/05/taliban-pledge-target-afghan-army-police-180518095456444.html, Zugriff 23.5.2018

-

AM - Asia Maior (2015): Afghanistan 2015: the national unity government at work: reforms, war, and the search for stability, https://www.asiamaior.org/the-journal/asia-maior-vol-xxvi-2015/afghanistan-2015-the-national-unity-government-at-work-reforms-war-and-the-search-for-stability.html, Zugriff 16.4.2018

-

BFA Staatendokumentation (7.2016): Dossier der Staatendokumentation, AfPak - Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur,

http://www.bfa.gv.at/files/berichte/AFGH_Stammes_und%20Clanstruktur_Onlineversion_2016_07.pdf, Zugriff 23.1.2017

-

BFA Staatendokumentation (3.2014): Afghanistan; 2014 and beyond, http://www.bfa.gv.at/files/broschueren/AFGH_Monographie_2014_03.pdf, Zugriff 24.1.2017

-

Casolino, Ugo Timoteo (2011): "Post-war constitutions" in Afghanistan ed Iraq, PhD thesis, Università degli studi di Tor Vergata - Roma,

http://eprints.bice.rm.cnr.it/3858/1/TESI-TIM_Definitiva.x.SOLAR._2011.pdf, Zugriff 23.4.2018

-

CRS - Congressional Research Service (13.12.2017): Afghanistan:

Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy, https://fas.org/sgp/crs/row/RL30588.pdf, Zugriff 16.4.2018

-

CRS - Congressional Research Service (12.1.2017): Afghanistan:

Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy, https://www.fas.org/sgp/crs/row/RL30588.pdf, Zugriff 23.4.2018

-

DW - Deutsche Welle (29.9.2016): Friedensabkommen in Afghanistan unterzeichnet,

http://www.dw.com/de/friedensabkommen-in-afghanistan-unterzeichnet/a-35923949, Zugriff 23.4.2018

-

DW - Deutsche Welle (30.9.2014): Understanding Afghanistan's Chief Executive Officer,

http://www.dw.com/en/understanding-afghanistans-chief-executive-officer/a-17965187, Zugriff 16.4.2018

-

DZ - Die Zeit (7.3.2018): Wir sind besiegt, http://www.zeit.de/2018/11/afghanistan-taliban-deutschland-militaereinsatz-entwicklungshilfe-gescheitert/komplettansicht, Zugriff 20.4.2018

-

HDN - Hürriyet Daily News (10.6.2018): Taliban agrees to unprecedented Eid ceasefire with Afghan forces, http://www.hurriyetdailynews.com/taliban-agrees-to-unprecedented-eid-ceasefire-with-afghan-forces-133071, Zugriff 11.6.2018

-

IPU - Inter-Parliamentary Union (27.2.2018): Afghanistan - Meshrano Jirga (House of Elders), http://archive.ipu.org/Parline/reports/2382_A.htm, Zugriff 23.4.2018

-

MPI - Max Planck Institut (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf, Zugriff 11.9.2014

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (28.2.2018): Die afghanische Regierung macht den Taliban ein konkretes Angebot, https://www.nzz.ch/international/die-afghanische-regierung-macht-den-taliban-ein-konkretes-angebot-ld.1361395, Zugriff 17.4.2018

-

NYT - The New York Times (11.3.2018): An Unprecedent Peace Offer to the Taliban,

https://www.nytimes.com/2018/03/11/opinion/peace-taliban.html, Zugriff 16.4.2018

-

Reuters (7.6.2018): Afghanistan announces ceasefire with Taliban, until June 20,

https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-president-ceasefire/afghanistan-announces-ceasefire-with-taliban-until-june-20-idUSKCN1J30O2, Zugriff 7.6.2018

-

Reuters (5.6.2018): Afghan President backs suicide bomb fatwa after 14 killed,

https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-blast/afghan-president-backs-suicide-bomb-fatwa-after-14-killed-idUSKCN1J10L2, Zugriff 7.6.2018

-

RFE/RL - Radio Free Europe Radio Liberty (5.6.2018): Ghani Says Kabul Attack 'Against Values Of Islam', Backs Suicide Bomb Fatwa, https://www.rferl.org/a/afghanistan-ghani-says-kabul-attack-against-values-of-islam-backs-suicide-bomb-fatwa/29271979.html, Zugriff 7.6.2018

-

TD - The Diplomat (24.3.2018): Uzbekistan's Afghanistan Peace Conference: What to Expect,

https://thediplomat.com/2018/03/uzbekistans-afghanistan-peace-conference-what-to-expect/, Zugriff 17.4.2018

-

TD - The Diplomat (7.3.2018): A Way Forward for Afghanistan After 2nd Kabul Process Conference,

https://thediplomat.com/2018/03/a-way-forward-for-afghanistan-after-the-2nd-kabul-process-conference/, Zugriff 17.4.2018

-

TH - The Hindu (10.6.2018): Taliban agrees to ceasefire during Id, http://www.thehindu.com/todays-paper/tp-international/taliban-agrees-to-ceasefire-during-id/article24125991.ece, Zugriff 11.6.2018

-

Tolonews (9.6.2018): Taliban Orders Three-Day Eid Ceasefire, https://www.tolonews.com/afghanistan/taliban-orders-three-day-eid-ceasefire, Zugriff 11.6.2018

-

Tolonews (7.6.2018): Afghan Govt Announces Ceasefire With Taliban, https://www.tolonews.com/afghanistan/afghan-govt-announces-ceasefire-taliban, Zugriff 7.6.2018

-

Tolonews (29.4.2018): Six Wounded in Blast Close to Registration Center,

https://www.tolonews.com/afghanistan/five-civilians-wounded-nangarhar-explosion, Zugriff 30.4.2018

-

Tolonews (16.4.2018): Taliban Rejects Ghani's Call For Them To Take Part In Elections,

https://www.tolonews.com/afghanistan/taliban-rejects-ghani%E2%80%99s-call-them-take-part-elections, Zugriff 16.4.2018

-

Tolonews (11.4.2018): Taliban Discussing Peace Offer, Says Former Member,

https://www.tolonews.com/afghanistan/taliban-discussing-peace-offer-says-former-member, Zugriff 16.4.2018

-

Tolonews (14.3.2018): Hizb-e-Islami Dismisses Three Senior Members,

https://www.tolonews.com/index.php/afghanistan/hizb-e-islami-dismisses-three-senior-members, Zugriff 20.4.2018

-

Tolonews (19.12.2017): Special Interview With Arghandiwal - Head of Hizb-e Islami,

https://www.tolonews.com/must-see-vidoes/special-interview-%C2%A0arghandiwal-%E2%80%93-head-hizb-e-islami, Zugriff 17.4.2018

-

TS - Der Tagesspiegel (28.2.2018): Präsident Ghani macht den Taliban ein Friedensangebot,

https://www.tagesspiegel.de/politik/afghanistan-praesident-ghani-macht-den-taliban-ein-friedensangebot/21014856.html, Zugriff 16.4.2018

-

USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Afghanistan, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm#wrapper, Zugriff 23.4.2018

-

USDOS - U.S. Department of State (15.8.2017): International Religious Freedom Report for 2016 - Afghanistan, https://www.state.gov/j/drl/rls/irf/religiousfreedom/index.htm#wrapper, Zugriff 16.4.2018

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten