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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A O, vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5/10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. April 2018, I416 1417386-2/4E, betreffend (u.a.) Erlassung einer Rückkehrentscheidung und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
1. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 richtet, zurückgewiesen.
2. zu Recht erkannt:
Im Übrigen (betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt den damit zusammenhängenden Aussprüchen und Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005) wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist nigerianischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben am 15. Dezember 2010 mit dem Flugzeug nach Österreich ein. Am Folgetag stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz, der vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 29. Dezember 2010 samt Erlassung einer Ausweisung in den Herkunftsstaat abgewiesen wurde. Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 14. April 2015, Asyl und subsidiären Schutz betreffend, keine Folge. Im Übrigen verwies es "das Verfahren" gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurück.
2 Im Mai 2016 wurde der Revisionswerber in Schubhaft angehalten. Im Zuge dieser Anhaltung stellte er einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz, der seitens des BFA jedoch keiner erkennbaren Behandlung zugeführt wurde. Hingegen sprach diese Behörde letztlich mit Bescheid vom 16. Oktober 2017 aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Unter einem erließ es gegen den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Darin brachte er u.a. vor, dass er in Nigeria über keine familiären Anknüpfungspunkte mehr verfüge und in Nigeria "derzeit eine Hungerkatastrophe" herrsche; entgegen der Ansicht des BFA werde er (durch den angefochtenen Bescheid) somit in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK "beeinträchtigt".
4 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 30. April 2018 wies das BVwG diese Beschwerde als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gegen sein Erkenntnis gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:
6 Hat das Verwaltungsgericht - so wie hier das BVwG - in seinem Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
7 In Bezug auf die Entscheidung nach § 57 AsylG 2005 fehlt es gänzlich an einem entsprechenden Vorbringen in der vorliegenden Revision. Insoweit war sie daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG als unzulässig zurückzuweisen.
8 Im Übrigen erweist sich die Revision aber als zulässig, weil in ihr im Ergebnis der Sache nach zutreffend geltend gemacht wird, dass der getroffene Ausspruch nach § 52 Abs. 9 FPG über die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria in einer Konstellation wie hier nicht hinreichend ist und es einer umfassenden asylrechtlichen Beurteilung bedurft hätte. Die Revision ist daher auch berechtigt.
9 Der Revisionswerber hatte einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der mit Erkenntnis des BVwG vom 14. April 2015 vollinhaltlich abgewiesen worden war; lediglich das Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung war noch offen, diesbezüglich hatte das BVwG gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 eine Zurückverweisung ausgesprochen.
10 Im Mai 2016 stellte der Revisionswerber einen - wiederholten - Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde nach der Aktenlage nicht näher in Behandlung genommen, vielmehr erließ das BFA dann mit Bescheid vom 16. Oktober 2017 im gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zurückverwiesenen Verfahren eine Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen.
11 Diese Vorgangsweise war verfehlt.
12 Schon im Erkenntnis VwGH 4.8.2016, Ra 2016/21/0162, Rn. 12 und 13 iVm Rn. 11, wurde nämlich ausgeführt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht zulässig ist, bevor über einen anhängigen Antrag auf internationalen Schutz abgesprochen wurde; auch dann, wenn (wie im vorliegenden Fall) ein Rückkehrentscheidungsverfahren - unabhängig vom Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz - bereits anhängig ist, dürfe die Rückkehrentscheidung (unbeschadet eines allenfalls weiter bestehenden unrechtmäßigen Aufenthalts des Fremden) grundsätzlich nicht vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergehen; zugleich mit der Rückkehrentscheidung sei nämlich die Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG zu treffen, dass (nunmehr: ob) die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist; dies würde aber - jedenfalls in Bezug auf den Herkunftsstaat - bedeuten, das Ergebnis des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz, in dem diese Frage erst zu klären ist, in unzulässiger Weise vorwegzunehmen; die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz sei daher grundsätzlich nicht zulässig.
13 Im Erkenntnis VwGH 15.3.2018, Ra 2017/21/0138, auf dessen Entscheidungsgründe (insbesondere unter Rn. 14 ff) im Übrigen des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, wurde dargelegt, dass diese Überlegungen auch vor dem Hintergrund der seit 1. November 2017 geltenden neuen Rechtslage aufrechtzuerhalten sind und dass sie auch für ein - wie hier - anhängiges Verfahren über einen Asylfolgeantrag gelten.
14 Damit hätte im vorliegenden Fall im Hinblick auf den seit Mai 2016 offenen Antrag auf internationalen Schutz der Bescheid des BFA vom 16. Oktober 2017 nicht ergehen dürfen und hätte dieser Bescheid demgemäß vom BVwG ersatzlos behoben werden müssen. Denn über die Rückkehrentscheidung wird letztlich im anhängigen Verfahren über den im Mai 2016 vom Revisionswerber gestellten wiederholten Antrag auf internationalen Schutz - so es nicht zur Gewährung von Asyl oder subsidiären Schutz kommt - zeitaktuell zu entscheiden sein (vgl. nochmals VwGH 15.3.2018, Ra 2017/21/0138, Rn. 18).
15 Dem hat das BVwG nicht Rechnung getragen, weshalb das angefochtene Erkenntnis in dem aus Spruchpunkt 2. ersichtlichen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
16 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auch auf § 50 VwGG, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 25. September 2018
Schlagworte
Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltAnzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Besondere RechtsgebieteAnspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung FeststellungsbescheideEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210107.L00Im RIS seit
06.11.2018Zuletzt aktualisiert am
16.11.2018