TE Vwgh Erkenntnis 2018/10/4 Ra 2018/18/0183

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Veröffentlicht am 04.10.2018
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1;
MRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des R H, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Februar 2018, Zl. W247 2149424- 1/22E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung, also insoweit, als damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Spruchpunkte II. bis IV. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 3. Februar 2017 abgewiesen wurde (Nichtgewährung von subsidiärem Schutz und darauf aufbauende Entscheidungen), wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 24. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Diesen begründete er damit, dass er kleinwüchsig und aus diesem Grund in Afghanistan Diskriminierungen ausgesetzt sei.

2 Mit Bescheid vom 3. Februar 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe aus näher dargelegten Gründen keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft gemacht. Bezüglich der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz ging die Behörde zwar von einer "allgemein relevanten Gefährdungslage" in der Herkunftsregion des Revisionswerbers (Provinz Paktia) aus, gelangte jedoch zu dem Ergebnis, dass für den Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul zur Verfügung stehe.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte das Gericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

5 Begründend führte das Verwaltungsgericht - auf das Wesentliche zusammengefasst - aus, dem Revisionswerber sei aus näher dargestellten Gründen kein Asyl zu gewähren. Seine Entscheidung betreffend die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz begründete das Verwaltungsgericht dahingehend, dass dem Revisionswerber aufgrund seiner persönlichen Situation, insbesondere wegen seiner Kleinwüchsigkeit, der ihm mangelnden Berufserfahrung sowie infolge fehlender sozialer und familiärer Anknüpfungspunkte entgegen der Ansicht des BFA in Afghanistan keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative offen stehe. Allerdings sei dem Revisionswerber die Rückkehr in seine Herkunftsregion, in der er über ein funktionierendes familiäres Netz verfüge, möglich und zumutbar. Trotz der in der Provinz Paktia bestehenden angespannten Sicherheitslage sei nicht anzunehmen, dass die Gewalt in der Herkunftsregion des Revisionswerbers zum Entscheidungszeitpunkt ein derartiges Ausmaß erreicht habe, dass dieser im Fall seiner Rückkehr in geradezu wahrscheinlicher Weise Opfer eines Gewaltaktes würde. Im Rahmen seiner Feststellungen zur Situation in Afghanistan hielt das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Erreichbarkeit der Provinz Paktia fest, dass die "Ring Road" Kabul mit den vier bedeutendsten Provinzstädten Afghanistans (Herat, Kandahar City, Jalalabad und Mazar-e Sharif) verbinde und über die "Gardez - Khost Autobahn" eine Verbindung u.a. zwischen Gardez, der Provinzhauptstadt der Herkunftsregion des Revisionswerbers, und Khost City bestehe. Unter Zugrundelegung dieser Informationen kam das Verwaltungsgericht zu dem Schluss, die Herkunftsregion des Revisionswerbers sei per Bus und/oder Taxi über sichere Routen von Kabul aus erreichbar.

6 Gegen dieses Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz sowie gegen die darauf aufbauenden Spruchpunkte des Bescheides des BFA abgewiesen wurde, richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Zur Begründung ihrer Zulässigkeit macht diese - unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - geltend, es liege eine Verletzung der Begründungspflicht vor. Das angefochtene Erkenntnis stütze sich betreffend die Erreichbarkeit der Herkunftsprovinz des Revisionswerbers auf unzureichende Feststellungen. Aus diesen lasse sich nicht nachvollziehbar ableiten, dass die Provinz Paktia für den Revisionswerber auf sicherem Wege erreichbar sei. Vor diesem Hintergrund hätte das Bundesverwaltungsgericht bei Berücksichtigung sämtlicher Beweisergebnisse die sichere Erreichbarkeit der Herkunftsregion des Revisionswerbers verneinen und diesem subsidiären Schutz zuerkennen müssen.

7 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

     8 Die Revision ist im Sinne ihres Zulässigkeitsvorbringens

zulässig und begründet.

     9 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt

festgehalten, dass bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von

subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in

deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der

Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in

ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen

Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer

ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die

persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen

Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat

(vgl. VwGH 21.3.2018, Ra 2017/18/0474-0479, mwN).

10 Eine umfassende Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hätte im konkreten Einzelfall somit auch die Frage zu berücksichtigen, ob es dem Revisionswerber, dem nach den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung steht, möglich wäre, seine Herkunftsprovinz bei Rückkehr nach Afghanistan auf sicherem Wege zu erreichen.

11 Wie der Revisionswerber in diesem Zusammenhang zutreffend ausführt, lässt sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Länderfeststellungen die sichere Erreichbarkeit der Provinz Paktia allerdings nicht ableiten. In den dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde gelegten Länderinformationen wird ausgehend von der Hauptstadt der Provinz Khost (Khost City), deren Erreichbarkeit aber gänzlich offen bleibt, eine über die "Gardez - Khost Autobahn" bestehende Verbindung der Provinz Paktia mit der Provinz Khost behandelt. Weiters wird der Verlauf der "Ring Road" dargestellt, die jedoch nicht durch die Provinz Paktia führt, und auf eine Anbindung der "Gardez - Khost Autobahn" an den "G-K Highway" in Pakistan verwiesen. Darüber hinaus lassen die Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts erkennen, dass die "sogenannte G-K Straße" durch Afghanistans schwierigste und entfernteste Gebiete sowie durch von Gewalt geprägte Gegenden führt. Schließlich findet sich im angefochtenen Erkenntnis noch die (dislozierte) Feststellung, dass dem Revisionswerber eine Rückreise nach Afghanistan über Kabul offen stünde. Kabul sei direkt per Flugzeug erreichbar. Von dort gebe es Busverbindungen in die wichtigsten Großstädte des Landes bzw. könne ein Taxi genommen werden, dessen Lenker über die sicheren Routen zur jeweiligen Reisedestination Bescheid wisse.

12 Vor diesem Hintergrund trifft der in der Revision erhobene Vorwurf zu, wonach es dem angefochtenen Erkenntnis in Bezug auf die Frage der sicheren Erreichbarkeit der Herkunftsregion des Revisionswerbers an einer ordnungsgemäßen Begründung bzw. an entsprechend tragfähigen Feststellungen fehlt (vgl. zur Begründungspflicht im Allgemeinen etwa VwGH 29.11.2017, Ro 2017/18/0002-0003, mwN). Das Erkenntnis beschäftigt sich zwar - wie zuvor dargestellt - mit einzelnen Aspekten der Erreichbarkeit der Heimatprovinz des Revisionswerbers, behandelt aber letztlich nicht lückenlos die entscheidende Frage, auf welcher sicheren und legalen Route der Revisionswerber nach Rückkehr in seinen Herkunftsstaat in seine Heimatprovinz gelangen könnte. Im vorliegenden Fall bedarf es somit einer nachvollziehbaren, auf aktuellen Länderberichten beruhenden Auseinandersetzung mit der Frage, ob es dem Revisionswerber bei einer Rückkehr nach Afghanistan tatsächlich möglich wäre, seine Heimatprovinz auf sicherem und legalem Wege zu erreichen. Dabei wird im fortgesetzten Verfahren auf für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz allenfalls relevante Änderungen der Sicherheits- und Versorgungslage in der Herkunftsprovinz des Revisionswerbers Bedacht zu nehmen sein.

13 Aus den dargelegten Gründen belastete das Bundesverwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis in Bezug auf die Abweisung der Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz sowie hinsichtlich der darauf aufbauenden Spruchpunkte mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und lit. c VwGG im genannten Umfang aufzuheben.

14 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 4. Oktober 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180183.L00.1

Im RIS seit

06.11.2018

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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