TE Vwgh Beschluss 2018/10/16 Ra 2018/08/0215

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Veröffentlicht am 16.10.2018
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §343 Abs4;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Dr. J B in Wien, vertreten durch Dr. Hans Peter Ringhofer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Juli 2018, Zl. W217 2122141-1/31E, betreffend Kündigung eines Einzelvertrages nach § 343 Abs. 4 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landesschiedskommission für Wien; mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse in 1100 Wien, Wienerbergstraße 15-19; weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Im Vorerkenntnis vom 12. Oktober 2017, Ro 2017/08/0008, hat sich der Verwaltungsgerichtshof mit Honoraransprüchen der revisionswerbenden Partei gegen die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse im Zusammenhang mit einer Befundauswertung im Folgequartal ohne neuerlichen Patientenkontakt, mit der Zulässigkeit einer isolierten Feststellung der Rechtmäßigkeit einer Verwarnung der revisionswerbenden Partei wegen ungerechtfertigter Honorarverrechnung sowie mit einem Antrag der Revisionswerberin auf Feststellung der Rechtswidrigkeit von "Routine-Patientenbefragungen" befasst. Ein weiterer Beschluss vom 19. Dezember 2017, Ra 2017/08/0080, betraf die Zurückweisung einer außerordentlichen Revision iZm einer Aufforderung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse an die Revisionswerberin, eine "Kopie der kompletten Krankengeschichte" zu übermitteln.

5 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Revisionswerberin, die Kündigung ihres am 21. März 1994 abgeschlossenen kurativen Einzelvertrages durch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse vom 17. August 2015 (auch im Namen der in § 2 des Gesamtvertrages angeführten Krankenversicherungsträger) zum 31. Dezember 2015 für rechtsunwirksam zu erklären, abgewiesen.

6 Dr. P W., der Ehemann der Revisionswerberin, sei deren Ordinationshilfe (ohne medizinische Ausbildung) gewesen. Er habe an PatientInnen routinemäßig ein von der Revisionswerberin erstelltes und von ihm erläutertes Informationsblatt überreicht, in welchem auf die als Privatleistung angebotene "Vergleichsanalyse" als Ergänzung zur kassengedeckten "Momentbetrachtung" zur Hautkrebsvorsorge hingewiesen worden sei. Dafür habe die Revisionswerberin der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse die Fallpauschale und den fachspezifischen Zuschlag auch dann verrechnet, wenn die PatientIn die Ordination wieder verlassen habe, ohne mit der Revisionswerberin auch nur gesprochen zu haben. Des Weiteren habe sich die Revisionswerberin geweigert, PatientInnen mit einer Europäischen Krankenversicherungskarte (EKVK) zu behandeln, wenn sich diese nicht mit einem bereits ausgefüllten "Patientenerklärungsformular" in der Ordination eingefunden hätten, und zwar auch in einem Fall, in dem die Patientin angegeben habe, wegen Schmerzen eine sofortige Behandlung zu wünschen. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse habe die Revisionswerberin am 27. Februar 2014 wegen Verrechnung der genannten Honorare sowie am 14. Juli 2014 nochmals wegen Verrechnung der genannten Honorare sowie wegen der Vorgangsweise im Zusammenhang mit EKVK-PatientInnen verwarnt. Die Revisionswerberin habe diese Verwarnungen ignoriert und das beschriebene Verhalten fortgesetzt, wie durch PatientInnen, die die Ordination der Revisionswerberin auf Ersuchen der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse zu Testzwecken aufgesucht hätten, habe festgestellt werden können. Hierauf sei der Einzelvertrag mit der Revisionswerberin gekündigt worden.

7 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, die Aushändigung und Erläuterung eines Informationsblattes durch den Ordinationsgehilfen löse keinen Anspruch der Revisionswerberin auf eine Fallpauschale sowie auf einen fachspezifischen Zuschlag aus, zumal der Ordinationsgehilfe nicht über eine medizinische Ausbildung verfüge. Die Revisionswerberin habe trotz Verwarnung weiterhin für das bloße Aushändigen der Informationsblätter durch den Ordinationsgehilfen die genannten Tarifposten des Gesamtvertrages verrechnet. Sogar das konkrete Ersuchen einer Patientin, eine Stornierung dieser Konsultation vorzunehmen, habe der von der Revisionswerberin beauftragte Ordinationsgehilfe mit dem Hinweis abgelehnt, dass die Ausgabe des Informationsblattes selbst ohne ärztlichen Kontakt eine ärztliche Leistung darstelle. Mit ihrer Vorgangsweise habe die Revisionswerberin ebenso eine schwerwiegende Vertragsverletzung begangen wie durch ihre Weigerung, EKVK-PatientInnen, die ohne ausgefülltes "Patientenerklärungsformular" erschienen wären, zu behandeln. Die beharrlichen und schwerwiegenden Pflichtverletzungen rechtfertigten die Kündigung des Einzelvertrages gemäß § 343 Abs. 4 ASVG.

8 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

9 Die Revisionswerberin erblickt entgegen diesem Ausspruch eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darin, dass weder behauptet noch festgestellt worden sei, dass sie bei den Abrechnungen unrichtige Tatsachenbehauptungen aufgestellt oder sonst in irgendeiner Weise die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse getäuscht hätte. Die Geltendmachung von Forderungen in der Überzeugung von deren Rechtmäßigkeit stelle keine Vertragsverletzung iSd § 343 Abs. 4 ASVG dar. Die Rechtmäßigkeit der Forderungen sei im Verfahren vor der Landesschiedskommission zu klären. Die Revisionswerberin müsse als schwächere Vertragspartnerin das Recht und die Möglichkeit haben, in strittigen Fällen einen von der Auffassung der mitbeteiligten Partei abweichenden Standpunkt konsequent zu vertreten und die Klärung mit den vorgesehenen rechtlichen Mitteln zu erwirken. Vertragsverletzungen iZm EKVK-PatientInnen lägen schon deswegen nicht vor, weil TestpatientInnen keinen Anspruch auf ärztliche Behandlung hätten, dessen Erfüllung zu Unrecht verweigert werden könnte.

10 Mit diesem Vorbringen zeigt die Revisionswerberin keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf.

11 Die Entscheidung über das Vorliegen eines Kündigungsgrundes iSd § 343 Abs. 4 ASVG stellt eine einzelfallbezogene Beurteilung dar, die im Allgemeinen nicht revisibel ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte. Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. idS VwGH 24.7.2018, Ra  2017/08/0045, mwN).

12 Eine solche Unvertretbarkeit der Beurteilung des Verwaltungsgerichtes zeigt die Revisionswerberin nicht auf. Sie hat trotz der ihr durch die Verwarnungen bekannt gewordenen gegenteiligen Rechtsansicht der mitbeteiligten GebKK weiterhin den Standpunkt eingenommen, dass eine der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse zu verrechnende Behandlung bereits mit dem Stecken der e-card bzw. mit dem Austeilen eines Merkblattes und der Erörterung durch den Ordinationsgehilfen beginne. Die Revisionswerberin hat nicht vorgebracht, die genannte Rechtsansicht bekämpft zu haben (vgl. dagegen ihre Vorgangsweise betreffend eine Verwarnung in der dem hg. Erkenntnis vom 12.10.2017, Ro 2017/08/0008, zu Grunde liegenden Sache). Sie bestreitet nicht, dass sie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse nicht darauf aufmerksam gemacht hat, wenn sie eine Fallpauschale (einen fachspezifischen Zuschlag) nur auf Basis einer (merkblattmäßigen) "Krebsvorsorgeberatung" verrechnete. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse wurde im Ungewissen gelassen, ob bzw. in welchen Fällen die Revisionswerberin trotz der Verwarnung weiterhin derartige Verrechnungen vorgenommen hat. Ohne Kenntnis, welcher konkrete Sachverhalt einer Verrechnung zu Grunde lag, war die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse in der Regel gezwungen, die von der Revisionswerberin geltend gemachten Honoraransprüche zu befriedigen. Nur durch den Einsatz von TestpatientInnen war die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse in der Lage, sich Kenntnis von dem von der Revisionswerberin nicht bekannt gegebenen Sachverhalt zu verschaffen und die aus ihrer Sicht ungerechtfertigten Honorarverrechnungen zu bestreiten. Dazu kommt, dass die Revisionswerberin sich ohne gesetzlich bzw. einzelvertraglich anerkannten Grund in bestimmten Fällen trotz Verwarnung geweigert hat, EKVK-PatientInnen zu behandeln.

13 Das Verwaltungsgericht hat in dieser Vorgangsweise der Revisionswerberin eine mehrfache schwere Vertragspflichtverletzung iSd § 343 Abs. 4 ASVG erblickt. Diese Beurteilung ist vertretbar.

14 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 16. Oktober 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018080215.L00

Im RIS seit

06.11.2018

Zuletzt aktualisiert am

16.01.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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