TE Vwgh Erkenntnis 2018/10/18 Ra 2018/19/0146

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Veröffentlicht am 18.10.2018
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z23;
AVG §68 Abs1;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und die Hofräte Mag. Stickler sowie Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Februar 2018, W215 1416972- 3/2E, W215 1416974-3/2E, W215 1416975-3/2E, W215 1422052-3/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und FPG (mitbeteiligte Parteien: 1. V B, 2. S B, 3. Z B, 4. D B), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1 Die Mitbeteiligten sind Staatsangehörige Kasachstans. Der Erstmitbeteiligte und die Zweitmitbeteiligte sind miteinander verheiratet, die Drittmitbeteiligte und der Viertmitbeteiligte sind deren minderjährige Kinder.

2 Die Mitbeteiligten stellten am 5. Juni 2015 die gegenständlichen Folgeanträge auf internationalen Schutz. Zu ihren Fluchtgründen brachten sie im Wesentlichen vor, von Wahabiten verfolgt zu werden. Diese hätten im Sommer 2013 die Drittmitbeteiligte und den Viertmitbeteiligten entführt und nach dem Erstmitbeteiligten auch bei seinen Eltern gesucht. Bei ihrer Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 12. Dezember 2017 gaben die Mitbeteiligten an, es gebe keine Änderung der Fluchtgründe seit dem Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens; die Lage in Kasachstan sei nicht besser geworden, habe sich aber auch nicht verschlechtert. Mit Schreiben an das BFA vom 15. Dezember 2017 schilderten die Mitbeteiligten - in deutscher Sprache - ihre Fluchtgründe und ihre Integrationsbemühungen in Österreich und führten abschließend aus:

"Wir legen dem Brief noch Ausdrucke, Berichte, ... bei, wo die Situation in Kasachstan als nicht gut, schwierig, mit

Menschenrechtsverletzungen, ... dargestellt wird." Diesem

Schreiben angeschlossen sind Unterlagen in russischer Sprache.

3 Das BFA wies die Anträge mit Bescheiden vom 21. Dezember 2017 jeweils wegen entschiedener Sache zurück, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass die Abschiebung der Mitbeteiligten nach Kasachstan zulässig sei und sprach aus, dass keine Frist für eine freiwillige Ausreise bestehe.

4 Gegen diese Bescheide erhoben die Mitbeteiligten Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

5 Mit dem angefochtenen Beschluss vom 1. Februar 2018 hob das BVwG die bekämpften Bescheide auf und wies die Angelegenheit jeweils gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurück; die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

6 Begründend führte das BVwG aus, die Mitbeteiligten seien in der - sehr kurzen - Einvernahme durch das BFA nicht einmal nach ihrem Gesundheitszustand gefragt worden, was jedoch zur Beurteilung, ob auch hinsichtlich des Status von subsidiär Schutzberechtigten eine entschiedene Sache vorliege, unerlässlich gewesen wäre. Die von den Mitbeteiligten mit Schreiben vom 15. Dezember 2017 vorgelegten schriftlichen Unterlagen in russischer Sprache seien nicht übersetzt und in der Beweiswürdigung nicht berücksichtigt worden. Die den angefochtenen Bescheiden zu Grunde gelegten Länderfeststellungen stammten aus den Jahren 2012 bis 2016 und seien daher im Zeitpunkt der Entscheidung des BFA nicht hinreichend aktuell gewesen, um zu beurteilen, ob sich die Lage im Herkunftsstaat entscheidungserheblich geändert habe. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt stehe daher nicht fest. Das BFA habe im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt, weswegen die Bescheide zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurückzuverweisen gewesen seien.

7 Gegen diesen Beschluss erhob das BFA die vorliegende außerordentliche Revision. Zu ihrer Zulässigkeit macht es geltend, im Entscheidungszeitpunkt habe es keine Hinweise auf einen entscheidungsrelevanten Gesundheitszustand der Mitbeteiligten gegeben; Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller ihren Antrag auf einen schlechten Gesundheitsschutz stützen könnten, ergäben sich erst aus einem der Beschwerde beigelegten Arztbrief betreffend den Erstmitbeteiligten. Das BFA habe sich in der Beweiswürdigung auch kurz mit dem genannten Schreiben der Mitbeteiligten auseinandergesetzt; eine gesetzliche Verpflichtung, fremdsprachige Stellungnahmen zu übersetzen, bestehe nicht. Das Alter von Länderberichten sei kein ausschlaggebendes Kriterium dafür, ob sie aktuell seien. Um aktuellere Länderberichte könne das BVwG das BFA im Rahmen der Staatendokumentation ersuchen, sodass eine Entscheidung durch das BVwG in der Sache selbst im Interesse der Raschheit gelegen sei. Das BVwG sei aber auch von der Rechtsprechung des VwGH zu den Voraussetzungen einer Aufhebung und Zurückverweisung abgewichen, weil das BFA ohnedies die Mitbeteiligten zu ihren Fluchtgründen einvernommen und umfangreiche Länderberichte zur Lage in Kasachstan eingeholt habe, und das BVwG dem BFA lediglich ergänzende Ermittlungen aufgetragen habe.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht eingebracht - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist zulässig und auch begründet. 10 Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund

geänderten Sachverhalts hat - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen (VwGH 2.8.2018, Ra 2018/19/0294, mwN). Im Rechtsmittelverfahren ist ausschließlich zu prüfen, ob die Behörde erster Instanz zu Recht zum Ergebnis gekommen ist, dass keine wesentliche Sachverhaltsänderung eingetreten ist (VwGH 24.6.2014, Ra 2014/19/0018).

11 Die Revision bringt zutreffend vor, dass die Mitbeteiligten im Verfahren vor dem BFA kein Vorbringen in Bezug auf ihren Gesundheitszustand erstattet haben. Das BFA war daher fallbezogen nicht verpflichtet, zur Beurteilung der Zulässigkeit der Folgeanträge Ermittlungen in diese Richtung zu führen, sodass insoweit die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht vorgelegen sind (vgl. VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, betreffend die Notwendigkeit von Feststellungen zu Themen, zu denen ein Antragsteller auf internationalen Schutz keinerlei Vorbringen erstattet hat).

12 Nach ständiger Rechtsprechung ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist.

Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. grundlegend VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, sowie jüngst etwa VwGH 10.9.2018, Ra 2018/19/0172, mwN).

13 Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens erfolgte am 9. Juni 2015 eine Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie am 12. Dezember 2017 eine Einvernahme durch das BFA, bei der die Mitbeteiligten u.a. über Änderungen hinsichtlich ihrer Fluchtgründe, der Kinder, ihres Familienlebens und ihres Herkunftsstaates befragt wurden. Weiters ermittelte das BFA die dem Bescheid zugrunde gelegten Länderinformationen (die dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 20. Juni 2016 entnommen sind). Davon ausgehend ist nicht ersichtlich, dass das BFA allein deshalb, weil es von den Mitbeteiligten vorgelegte fremdsprachige Unterlagen nicht übersetzen und deren Inhalt nicht erkennbar in seine Beweiswürdigung einfließen hat lassen, im Sinn der genannten Judikatur jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat.

14 Ob das BFA seinem Bescheid tatsächlich nicht die aktuellen Länderberichte zu Grunde gelegt hat, wovon das BVwG - ohne das allerdings zu begründen - ausgeht, kann letztlich dahinstehen. Die Notwendigkeit einer Ergänzung von Länderfeststellungen kann nämlich für sich eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht rechtfertigen (vgl. VwGH 20.6.2017, Ra 2017/18/0117).

15 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nämlich im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (VwGH 10.9.2018, Ra 2018/19/0172, mwN).

16 Im Lichte dieser Rechtsprechung wäre das BVwG daher verpflichtet gewesen, auf die bisherigen Ermittlungsergebnisse des BFA aufzubauen und allenfalls notwendige, ergänzende Ermittlungen - etwa durch eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt der von den Mitbeteiligten vorgelegten (fremdsprachigen) Unterlagen oder durch eine Aktualisierung der Länderberichte - zur Beurteilung der Zulässigkeit der Folgeanträge selbst durchzuführen.

17 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.

Wien, am 18. Oktober 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018190146.L00

Im RIS seit

08.11.2018

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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