Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin I***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Bernhard Fink und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt, gegen die Beklagte N***** GmbH & Co KG (vormals N***** GmbH), *****, vertreten durch Mag. Harald Papesch, Rechtsanwalt in Linz, wegen Rechnungslegung und Leistung (Streitwert 27.600 EUR) und Unterlassung (Streitwert 7.000 EUR), über die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 13. November 2017, GZ 6 R 126/17t-41, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 22. Juni 2017, GZ 1 Cg 179/15m-37, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Die Bezeichnung der Beklagten wird auf „N***** GmbH & Co KG“ berichtigt.
II. Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Zu I.
Die nunmehr Beklagte (FN *****) ist durch Umwandlung gemäß §§ 1 ff UmwG aus der ursprünglich Beklagten (FN *****) hervorgegangen. Dieser Umgründungsvorgang führt im Hinblick auf die Gesamtrechtsnachfolge zur Berichtigung der Parteienbezeichnung gemäß § 235 Abs 5 ZPO (Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny³ Vor § 1 ZPO Rz 31; vgl RIS-Justiz RS0113856).
Zu II.
Die Klägerin ist ein Verkehrs- und Beschilderungsunternehmen, das unter anderem reflektierende Leitpflöcke samt Reflektoren herstellt und verkauft. Die Beklagte handelt mit solchen Waren; sie verfügt über Gewerbeberechtigungen zum Handel mit Waren und zur Herstellung von Verkehrsschildern.
2014 verkaufte und lieferte die Beklagte einem Unternehmen (in der Folge: Vertragspartnerin), das von der ASFINAG mit der Herstellung der Verkehrsleiteinrichtungen eines Autobahnabschnitts der A2 beauftragt war, 400 Stück „Leitpflock mit Kappe und zwei Kunststoffreflektoren rot/weiß“. Sie hat Korpus, Kappe und Reflektoren von einem dritten Unternehmen angekauft, zu einem Leitpflock zusammengebaut, über Kundenwunsch durch Ummantelung mit einer Folie „veredelt“ und das Endprodukt verkauft. Der Beklagten waren der Verwendungszweck der Produkte und die Auftraggeberin ihrer Vertragspartnerin bekannt.
Kern des nunmehrigen Rechtsstreits ist der Vorwurf der Klägerin, die von der Beklagten 2014 (indirekt) an die ASFINAG verkauften Leitpflöcke hätten entgegen gesetzlicher Vorschriften keine CE-Kennzeichnung aufgewiesen. Die CE-Kennzeichnungspflicht (CE stand anfänglich für „Communauté Européenne, Comunidad Europea, Comunidade Europeia und Comunità Europea“) gilt für alle Produkte, für die EU-Richtlinien und Verordnungen eine CE-Kennzeichnung vorschreiben und die im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in Verkehr gebracht werden. Mit dieser Kennzeichnung erklärt der Hersteller oder dessen Bevollmächtiger, dass das so gekennzeichnete Produkt den geltenden Anforderungen genügt, die in den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Gemeinschaft über ihre Anbringung festgelegt sind (vgl Art 30 Abs 1 und 3 VO [EG] Nr 765/2008).
Die Klägerin war seit 2007 Inhaberin eines österreichischen Gebrauchsmusters betreffend einen Leitpflock, an dessen gesamter Außenfläche eine reflektierende Folie angebracht ist. Das Recht an diesem Gebrauchsmuster ist mittlerweile durch Zeitablauf erloschen. In einem von der Klägerin gegen die Rechtsvorgängerin der nunmehr Beklagten geführten Verfahren begehrte sie die Verurteilung zur Unterlassung gebrauchsmusterverletzender Handlungen und warf der Beklagten vor, sie greife dadurch in ihr Recht am Gebrauchsmuster ein, dass sie von ihr zugekaufte Leitpflöcke ebenfalls mit reflektierenden weißen Folien beklebe. Das Oberlandesgericht Wien bestätigte mit Beschluss vom 30. 1. 2013 die den Sicherungsantrag abweisende Entscheidung des Erstgerichts mit der Begründung, der Beklagten sei im Sicherungsverfahren die Bescheinigung fehlender Neuheit und Erfindungshöhe gelungen. Das Hauptverfahren ruht.
Die Klägerin begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen,
a) ihr über die [an die Vertragspartnerin] gelieferten Leitpflöcke samt Reflektoren Rechnung zu legen und den sich aufgrund der Rechnungslegung ergebenden entgangenen Gewinn in voller Höhe zu bezahlen; hilfsweise ihr 27.600 EUR sA zu bezahlen;
b) es ab sofort im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, Leitpflöcke samt Reflektoren durch Verschrauben dieser beiden Materialien zusammenzusetzen und dieses Produkt in Verkehr zu bringen.
Leitpflöcke unterlägen nicht nur inländischen Qualitätsnormen (RVS-Richtlinien der Bundesverwaltung), sondern auch einer harmonisierten Europäischen Norm als Voraussetzung ihrer Zulassung auf dem Binnenmarkt; insbesondere müsse für das Zusammenführen (Verschrauben) eines Leitpflockes und eines Reflektors eine eigene CE-Kennzeichnung vorliegen, aus welcher sich die Prüfung der Produktion (das Zusammenführen der Komponenten) durch eine hierzu zertifizierte Stelle ergebe. Die Leitpflöcke samt Rückstrahlern sowie deren Verbindung müssten zertifiziert sein. Die Beklagte verfüge über kein entsprechendes CE-Zertifikat. Durch das Inverkehrbringen nicht geprüfter Leitpflöcke samt Reflektoren verstoße die Beklagte gegen § 1 UWG.
Darüber hinaus ahme die Beklagte mit ihren Produkten die ehemals für die Klägerin durch Gebrauchsmuster geschützten und mit reflektierenden Folien umwickelten Leitpflöcke nach, wodurch eine vermeidbare Herkunftstäuschung hervorgerufen werde, weitere Unlauterkeitselemente lägen im Ausbeuten des guten Rufs des Produkts der Klägerin und in dessen systematischen Nachahmen. Dieses Verhalten verursache der Klägerin einen wirtschaftlichen Schaden in Form von Gewinnentgang, weshalb ihr ein Anspruch auf Rechnungslegung, Ersatz des entgangenen Gewinns sowie auf Unterlassung des Inverkehrbringens derartiger Produkte iSd § 14 UWG zustehe. Überdies verstoße die Beklagte gegen UWG Anh Z 4, weil sie auf ihrer Homepage unrichtigerweise damit werbe, ein CE-zertifiziertes Unternehmen zu sein.
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die von der Klägerin angesprochene inländische Rechtsvorschrift (RVS) sei als Erlass des Bundesministeriums eine Verwaltungsverordnung, die sich allein an die Teilgesellschaften der ASFINAG und die Landesregierungen richte und bestimme, dass bei der Beschaffung nach dieser Verordnung vorzugehen sei. Die Beklagte habe an ein privates – mit der öffentlichen Hand nicht verbundenes – Unternehmen geliefert; es stehe ihr frei, auch mit Leitpflöcken zu handeln, die nicht der in der RVS beschriebenen Norm entsprechen. Auch die Europäische Norm für Leitpfosten richte sich nur an öffentliche Beschaffer von Verkehrsleiteinrichtungen und sei darüber hinaus unverbindlich. Im Übrigen kaufe die Beklagte Leitpflöcke von einem zertifizierten Unternehmen, und diese Produkte seien auch zertifiziert; daran ändere die – über Kundenwunsch erfolgte – Bearbeitung der Beklagten durch Bekleben mit reflektierender Folie nichts.
Dass die Klägerin früher Inhaberin eines Gebrauchsmusters gewesen sei, sei für das vorliegende Verfahren unerheblich, außerdem habe sie ihren Kunden nicht getäuscht, wenn sie über dessen ausdrücklichen Wunsch die von einem CE-zertifizierten Betrieb bezogenen Leitpflöcke mit Folie versehen habe. Es handle sich beim Kunden der Beklagten um einen Fachmann, der selbst den Umstand der CE-Zertifizierung beurteilen könne und daher keiner Täuschung unterliege, wenn er selbst den Auftrag gebe, den CE-zertifizierten Leitpflock vor Auslieferung noch zu bearbeiten. Der begehrte Verdienstentgang sei auch der Höhe nach nicht nachvollziehbar.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Es stellte (in der Berufung der Klägerin mit Beweisrüge bekämpft) fest, dass die von der Beklagten aus zugekauften Einzelteilen zusammengesetzten Leitpflöcke CE-zertifiziert gewesen seien; für die jeweiligen Einzelteile lägen die entsprechenden Zertifikate vor. Für den Zusammenbau von Leitpflöcken gebe es kein eigenes Zertifikat.
In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht unlauteres Handeln der Beklagten. Die RVS 08.23.08 mit der enthaltenen ÖNORM EN 12.899 sei für die Beklagte unverbindlich, weil Adressat dieser Norm nur der hoheitliche Verwaltungsbereich sei. Privaten Auftraggebern sei es hingegen freigestellt, CE-Zertifikate zur Grundlage ihrer Geschäfte zu machen. Die Beklagte sei berechtigt, Reflektoren mit Leitpflöcken zu verschrauben und diese in Verkehr zu bringen. Ein Zertifikat für das Zusammenbauen eines festen Leitpflocks mit Reflektoren sei nicht erforderlich; durch den Zusammenbau von zertifizierten Einzelteilen gehe die CE-Zertifizierung auch für das zusammengesetzte Produkt nicht verloren. Die Beklagte habe eine entsprechende Gewerbeberechtigung und sei ein zertifizierter Folienverarbeiter. Der Beklagten sei auch keine unlautere Nachahmung vorzuwerfen: Abgesehen davon, dass dem Gebrauchsmuster der Klägerin im Vorprozess die Neuheit und Erfindungshöhe abgesprochen worden sei, lägen hier keine besonderen Umstände vor, die eine „Sittenwidrigkeit“ iSd § 1 UWG bejahen ließen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es ließ die Tatsachenrüge in der Berufung aus rechtlichen Erwägungen unerledigt und vertrat die Auffassung, aufgrund der Einleitungssätze der zu beurteilenden harmonisierten Norm (EN 12899-3:2007, ergangen zur BauproduktenRL, ab 1. 7. 2013 durch die VO [EU] Nr 305/2011 – BauproduktenVO ersetzt) sei die Rechtsansicht der Beklagten zumindest vertretbar, dass sich diese Norm nur an öffentliche Straßenbauverwaltungen und nicht an Private richte. Damit sei der Vorwurf einer unlauteren Geschäftspraktik durch Rechtsbruch nicht berechtigt. Im Übrigen sei das Nachahmen sonderrechtlich nicht geschützter Erzeugnisse nur bei Hinzutreten von – hier nicht einmal behaupteten – besonderen Umständen unlauter. Die Revision sei zur Frage des Zusammenspiels der vertretbaren Auslegung von harmonisierten europäischen Normen, die zunächst noch auf der Grundlage der BauproduktenRL erlassen worden seien, nunmehr aber in das Regime der unmittelbar anzuwendenden BauproduktenVO fielen, zulässig.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, der Klage stattzugeben; hilfsweise wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht in der Beurteilung des Rechtsbruchtatbestands zu einem die Rechtssicherheit gefährdenden Ergebnis gelangt ist; sie ist im Sinne des Aufhebungsbegehrens auch berechtigt.
1. Die Klägerin stützt ihr Vorbringen zum Rechtsbruch nach § 1 UWG auf einen Verstoß gegen die Verordnung 305/2011/EU zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 89/106/EWG des Rates (in der Folge: BauproduktenVO); die Beklagte habe die zusammengebauten Leitpflöcke ohne die erforderliche CE-Kennzeichnung in Verkehr gebracht. Das Berufungsgericht verneinte diesen Unlauterkeitstatbestand mit dem Argument, die Beklagte habe vertretbar annehmen können, der Verkauf von nicht CE-zertifizierten Produkten an Private sei zulässig. Diese Auffassung ist unzutreffend.
2.1. Bauprodukt gemäß Art 2 Z 2 BauproduktenVO ist jedes Produkt oder jeder Bausatz, das/der hergestellt und in Verkehr gebracht wird, um dauerhaft in Bauwerke oder Teile davon eingebaut zu werden, und dessen Leistung sich auf die Leistung des Bauwerks im Hinblick auf die Grundanforderungen an Bauwerke auswirkt. Dass die von der Beklagten verkauften Leitpflöcke Bauprodukte im Sinne dieser Norm sind, ist nach deren klaren Wortlaut unzweifelhaft und zwischen den Parteien auch nicht strittig.
2.2. Ist ein Bauprodukt von einer harmonisierten Norm erfasst, so hat der Hersteller dafür eine den Anforderungen des Art 6 BauproduktenVO entsprechende Leistungserklärung zu erstellen. Damit übernimmt er die Verantwortung für die Konformität des Bauprodukts mit der erklärten Leistung (Art 4 Abs 1, Abs 3 BauproduktenVO; vgl auch 9 Ob 64/16a [Pkt 4]). Nach Art 8 f BauproduktenVO ist der Hersteller – zusammengefasst – verpflichtet, zum äußeren Zeichen der Konformität des Bauprodukts auf diesem die CE-Kennzeichnung anzubringen.
2.3. Damit ist als Zwischenergebnis festzuhalten, dass eine Pflicht zur CE-Kennzeichnung nur für solche Bauprodukte besteht, die unter eine harmonisierte Norm fallen; andernfalls gilt keine Kennzeichnungspflicht (EuGH C-385/10, Elenca Srl, Rn 17, 19; Herda, EuGH: CE-Kennzeichnung bei Bauprodukten, RdW 2015, 14).
3.1. Grundsätzlich ist es Pflicht des Herstellers eines betroffenen Bauprodukts, auf diesem die vorgeschriebene CE-Kennzeichnung anzubringen (Art 11 Abs 1 BauproduktenVO). Allerdings haben sich Händler, bevor sie ein Bauprodukt auf dem Markt bereitstellen, zu vergewissern, dass das Produkt, soweit erforderlich, mit der CE-Kennzeichnung versehen ist (Art 14 Abs 2 BauproduktenVO).
3.2. Im Lichte dieser Norm ist der Klägerin darin beizupflichten, dass ein Verstoß gegen die soeben aufgezeigte Bestimmung lauterkeitsrechtliche Unterlassungsansprüche auch gegen Händler begründen kann (vgl Hartmannsberger/Herzig, Wettbewerbsrechtliche Folgen von Verstößen gegen formale Produktanforderungen, GRUR-RR 2016, 433 [436]; vgl zur ähnlich strukturierten eingeschränkten Prüfpflicht des Händlers nach der KosmetikVO auch 4 Ob 4/16s, PAUL MITCHELL).
3.3. Eine harmonisierte Norm ist nach Art 2 Z 11 BauproduktenVO eine Norm, die von einem der in Anhang I der Richtlinie 98/34/EG aufgeführten europäischen Normungsgremien auf der Grundlage eines Ersuchens der Kommission nach Artikel 6 jener Richtlinie angenommen wurde. Derartige Normen sind nach der Rechtsprechung des EuGH, wenn sie von der Kommission angenommen wurden und deren Fundstelle im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde, Teil des (sekundären) Unionsrechts (EuGH C-613/14, James Elliott Construction Limited, Rn 40).
3.4. Die hier in Betracht kommende Norm hat die Bezeichnung „EN 12899-3:2007, Ortsfeste, vertikale Straßenverkehrszeichen – Teil 3: Leitpfosten und Retroreflektoren“. Diese Norm wurde am 4. 2. 2007 vom Europäischen Komitee für Normung (CEN), dem auch das Österreichische Normungsinstitut angehört, angenommen und ist seit 1. 1. 2009 als harmonisierte Norm anzuwenden (vgl zuletzt Mitteilung der Kommission im Rahmen der Durchführung der VO [EU] Nr 305/2011, ABl 2017 C 435/41 S 21). Sie enthält eine Einleitung, deren ersten beiden Sätze lauten:
Diese Europäische Norm ist zur Anwendung durch Straßenbauverwaltungen gedacht. Sie darf auch von privaten Bauträgern angewendet werden, die auf ihrem eigenen Grundbesitz Leitpfosten verwenden wollen, die den auf den öffentlichen Straßen eingesetzten Zeichen entsprechen.
3.5. Ob ein Bauprodukt einer harmonisierten Norm zuzuordnen und damit CE-kennzeichnungspflichtig ist, ist grundsätzlich eine Rechtsfrage. Da es sich bei den harmonisierten Normen zudem um sekundäres Unionsrecht handelt, ist diese im Fall von Zweifeln an der richtigen Auslegung durch den EuGH zu klären (Ziegler, Das private Baurecht im Kontext des europäischen Bauprodukterechts, NZBau 2017, 325 [329]; vgl das Vorabentscheidungsersuchen des Helsingin hallinto-oikeus [Finnland], C-630/16).
3.6. Das spricht aber noch nicht dagegen, den Vertretbarkeitsstandard anzuwenden: Ein Verstoß gegen eine generelle Norm ist nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich (nur) dann als unlautere Geschäftspraktik oder als sonstige unlautere Handlung iSv § 1 Abs 1 Z 1 UWG zu werten, wenn die Norm nicht auch mit guten Gründen in einer Weise ausgelegt werden kann, dass sie dem beanstandeten Verhalten nicht entgegensteht (4 Ob 225/07b, Stadtrundfahrten; RIS-Justiz RS0123239). Das gilt grundsätzlich auch für Normen des (sekundären) Unionsrechts (vgl 4 Ob 4/16s, PAUL MITCHELL, Pkt 4.5).
3.7. Anderes gilt im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen Unionsrecht allerdings dann, wenn die übertretene Norm dem Schutz der Mitbewerber gegen Eingriffe des Staates in den Leistungswettbewerb und damit ähnlichen Zielen wie das Lauterkeitsrecht dient (4 Ob 154/09i, Landesforstrevier L, Pkt 1.5.4); diesfalls verlangt der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz, vom Vertretbarkeitsstandard abzusehen. Der Senat hat dies im Zusammenhang mit dem beihilfenrechtlichen Durchführungsverbot nach Art 108 Abs 3 AEUV ausgesprochen.
3.8. Die BauproduktenVO ist der zuletzt genannten Norm nicht gleichzuhalten, ist ihr erklärtes Ziel doch die Beseitigung technischer Handelshemmnisse zur Förderung des freien Warenverkehrs (ErwG 6 iVm ErwG 8; Abend, Neues Unionsrecht für die Vermarktung von Bauprodukten, EuZW 2013, 611 [613]; OLG Frankfurt a.M., 6 U 99/14 = GRUR-RS 2015, 08504 [Rn 21]). Damit stellt sich die Frage, ob die (vom Berufungsgericht geteilte) Rechtsansicht der Beklagten, sie zähle als bloße Händlerin gegenüber einem nicht öffentlichen Abnehmer nicht zum Adressatenkreis der nach den Behauptungen verletzten europäischen Norm, tatsächlich vertretbar ist.
4.1. Die BauproduktenVO ist nach ihrer grundlegenden Systematik zwar in erster Linie „Herstellerrecht“, weil sie die Bedingungen festlegt, unter denen die Hersteller ihre Erzeugnisse auf dem Binnenmarkt vermarkten dürfen. Dennoch bindet sie als Harmonisierungsrecht auch andere Akteure, wie Händler und auch Behörden, in die Erfüllung der Vermarktungsbedingungen ein und versieht diese mit Rechten und Pflichten (vgl Abend, EuZW 2013, 611 [613]). Erst im Zusammenwirken des genannten Personenkreises kann das erklärte Ziel der Marktharmonisierung, einen einheitlichen Rechtsrahmen für die Vermarktung sensibler Produkte zu schaffen, verwirklicht werden. Besonders deutlich wird dies durch die Pflichtenerstreckung der Herstellerpflichten auf Importeure und Händler in bestimmten Fällen (Art 15 BauproduktenVO) und die Pflicht zur Namhaftmachung aller an einem Marktvorgang beteiligter Wirtschaftsakteure gegenüber der Behörde (Art 16 BauproduktenVO).
4.2. Die Bedeutung der oben zu 3.4. zitierten Einleitung der Norm liegt darin, den Verwendungszweck der von ihr erfassten Produkte (Leitpflöcke und Reflektoren) für öffentliche Straßen festzulegen, wie sich aus Art 17 Abs 3 SubAbs 2 BauproduktenVO ableiten lässt: Danach bezieht sich – soweit im jeweiligen Mandat vorgesehen – eine harmonisierte Norm auf einen Verwendungszweck der von ihr erfassten Produkte. Dies ist im Anlassfall die Verwendung der Leitpflöcke für öffentliche Straßen.
4.3. Die vom Berufungsgericht als Stütze seiner Auffassung herangezogene Formulierung der Einleitung der harmonisierten Norm EN 12899-3:2007 „Zur Anwendung durch Straßenbauverwaltungen“ trägt daher angesichts des klaren Normzwecks (vgl RIS-Justiz RS0077771 [T74]) und seiner konkreten Ausgestaltung durch Einbindung sämtlicher Marktakteure die Auslegung nicht, es sei vertretbar, dass der CE-Kennzeichnung unterliegende Bauprodukte ausschließlich im Falle eines unmittelbaren Verkaufs an Straßenbauverwaltungen kennzeichnungspflichtig sind.
4.4. Der Verwendungszweck der bestellten Leitpflöcke für den Einsatz auf einer öffentlichen Straße war der Beklagten bereits aus den Auftragsunterlagen bekannt. Jedenfalls unter diesen Voraussetzungen verstößt der Verkauf von nicht CE-gekennzeichneten Produkten für einen derartigen Zweck daher in unvertretbarer Weise gegen Art 14 Abs 2 BauproduktenVO. Ob der in einer harmonisierten Norm angegebene Verwendungszweck eines Bauprodukts die Herstellung und den Verkauf gleichförmiger, nicht gekennzeichneter Bauprodukte zu anderen Verwendungszwecken erlauben würde, ist im Anlassfall unerheblich.
4.5. Die Entscheidung hängt daher vom Bestand der – vom Berufungsgericht trotz Anfechtung mit Beweisrüge ungeprüft gelassenen – Feststellung des Erstgerichts ab, wonach die von der Beklagten gelieferten Leitpflöcke und deren Einzelteile zertifiziert waren. Trifft diese Feststellung zu, läge kein Rechtsbruch vor.
4.6. Konkret hat das Erstgericht festgestellt, dass die zertifizierten Leitpflöcke der Beklagten von ihr auf Kundenwunsch derart veredelt worden seien, dass eine Ummantelung mit einer Folie erfolgt sei. Dazu seien die roten und weißen Reflektoren herunter genommen, die Folie appliziert und dann in den vorgesehenen Löchern die Reflektoren mit den Befestigungsschrauben wiederum angebracht worden. Für die jeweiligen Einzelteile besäßen die von der Beklagten gelieferten Leitpflöcke die erforderlichen Zertifikate. Für den Zusammenbau von Leitpflöcken gebe es kein eigenes Zertifikat.
Aus dem Gesamtzusammenhang dieser Feststellungen ergibt sich damit, dass die Folienummantelung nur eine unwesentliche Änderung des Produkts („Veredelung“) ist, sodass die gegenständlichen Leitpflöcke – bei Zutreffen der Feststellungen – keine solchen wären, die im Sinne von Art 13 Abs 7 bzw Art 14 Abs 4 BauproduktenVO „nicht der Leistungserklärung oder sonstigen nach dieser Verordnung geltenden Anforderungen entsprechen“.
4.7. Der Revision ist daher im Sinne des Aufhebungsbegehrens Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der Klägerin an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird im zweiten Rechtsgang die Beweisrüge der Klägerin zu erledigen haben.
Übernimmt es die bekämpfte Feststellung des Erstgerichts nicht, wäre beim Unterlassungsbegehren zu beachten, dass der Beklagten das Inverkehrsetzen der Leitpflöcke nicht jedenfalls, sondern nur insoweit untersagt werden kann, als dies gegen die Pflicht zur CE-Kennzeichnung verstößt. Zu erörtern wäre mit der Klägerin gegebenenfalls ihr Begehren auf Rechnungslegung und Leistung, das sie auf einen ihr von der Beklagten verursachten Schaden (entgangener Gewinn) stützt, ohne aber einen Kausalzusammenhang zu behaupten (vgl 4 Ob 5/11f), sodass dieses Begehren bisher unschlüssig geblieben ist. Eine Schlüssigstellung kann dabei im Rahmen einer mündlichen Berufungsverhandlung oder aber auch im Wege der Aufhebung des Ersturteils und Rückverweisung zwecks Erörterung mit dem Erstgericht erfolgen (vgl RIS-Justiz RS0036787).
5. Zu den weiteren Argumenten der Klägerin
– soweit sie in der Revision noch aufrecht erhalten werden – ist auszuführen:
5.1. Nach der unbekämpft gebliebenen Feststellung des Erstgerichts verfügt die Beklagte über die erforderliche Gewerbeberechtigung zur Herstellung von Verkehrszeichen. Nach welcher Norm die Beklagte darüber hinaus – als Betrieb – auch über eine „CE-Zertifizierung“ verfügen müsse, um derartige Arbeiten durchführen zu dürfen, hat die Klägerin nicht dargelegt (vgl aber RIS-Justiz RS0129497). Die von ihr genannte RVS-Richtlinie ist jedenfalls keine generelle Norm, deren Übertretung den Rechtsbruchtatbestand begründen kann: Adressat dieser Norm ist ausschließlich die ASFINAG (vgl 3 Ob 70/13k [Pkt 3.4.1]).
5.2. Den Händler treffen zwar auch die Pflichten des Herstellers, wenn er ein bereits in Verkehr gebrachtes Bauprodukt so verändert, dass die Konformität mit der Leistungserklärung beeinflusst werden kann (Art 15 BauproduktenVO). Die Klägerin hat aber nicht substantiiert dargelegt, aus welchen Gründen dies hier der Fall sein sollte, insbesondere, weshalb durch den bloßen Zusammenbau der Leitpflöcke mit den Reflektoren die Konformität dieser Produkte mit der Leistungserklärung verändert worden sein könnte.
5.3. Dass durch den Zusammenbau kein „neues“ Bauprodukt entstanden ist, das seinerseits einer einheitlichen CE-Kennzeichnung (samt Erfüllung der dafür erforderlichen Vorbedingungen) bedarf, ergibt sich aus Punkt 8. der Norm EN 12899-3:2007 (Beilage ./B, S 16), der unter der Bezeichnung „Produktinformation“ festlegt, dass der Lieferant Informationen für „Zusammenbau, Montage und Befestigung“ zur Verfügung zu stellen hat. Die harmonisierte Norm sieht also vor, dass die von ihr erfassten Produkte auch erst vom Verwender selbst zusammengebaut werden können (Art 2 Z 2 BauproduktenVO). Eine (neuerliche) CE-Kennzeichnung des zusammengebauten Produkts scheidet dann aber aus.
Punkt 9. der Norm ordnet an, wie die Konformitätsbewertung „von Leitpfosten und/oder Reflektoren“ nachzuweisen ist. Dass eine CE-Kennzeichnung von „Leitpfosten und Reflektor“ ausreicht und keine eigene Kennzeichnung von „Leitpfosten mit Reflektor“ vorgeschrieben wird, ist daher auch unter diesem Gesichtspunkt zu bejahen.
6. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
Schlagworte
Leitpflock,Textnummer
E123052European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00036.18Z.0823.000Im RIS seit
06.11.2018Zuletzt aktualisiert am
19.02.2019