TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/30 W240 2199688-2

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Veröffentlicht am 30.08.2018
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Entscheidungsdatum

30.08.2018

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61

Spruch

W240 2199688-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Feichter über die Beschwerde von XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.07.2018, Zl. 1182089408-180175751, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 1. Satz BFA-VG

stattgegeben, das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz wird zugelassen und der bekämpfte Bescheid wird behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer brachte nach Einreise in das Bundesgebiet am 19.02.2018 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz ein und gab hierzu die oben angeführten Personalien an.

Eine EURODAC-Abfrage ergab einen Kategorie 1-Treffer hinsichtlich Finnland vom 06.01.2016.

Bei der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer befragt zu seiner Reiseroute an, er sei über Kasachstan und Russland im Jänner 2015 nach Finnland gelangt, dort sei er bis 20.07.2017 gewesen, bis er am 21.07.2017 bis Jänner 2018 in Russland gewesen sei. Von dort aus sei er über unbekannte Länder nach Österreich gelangt. Der Beschwerdeführer gab weiters an, er habe in Finnland einen negativen Bescheid erhalten und wolle bei seinem Onkel, der in Österreich über einen Asylstatus verfüge, leben.

Aufgrund des vorliegenden Eurodac-Treffers und der konkreten Angaben zu Finnland, leitete das Bundesamt am 27.02.2018 ein Konsultationsverfahren mit Finnland gemäß Art. 18 lit. b. Dublin III-VO ein. Im Schreiben an Finnland wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer behauptete, er sei länger als drei Monate außerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten gewesen, dies habe er jedoch nicht beweisen können. Es wurde zudem darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführer bei einem Onkel in Österreich leben wolle, dafür würden jedoch keine Informationen vorliegen.

Mit schriftlicher Benachrichtigung vom 27.02.2018 stimmte Finnland dem vorzitierten Gesuch gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO ausdrücklich zu.

Am 10.04.2018 erfolgte, nach Durchführung einer Rechtsberatung, eine Einvernahme des Beschwerdeführers im Zulassungsverfahren durch das BFA. In der Einvernahme gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er habe aus Russland einen "Strafzettel" [sic] vom 27.11.2017 übermittelt erhalten.

Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer an, er habe einen Pass gehabt, der bei den finnischen Behörden sei.

Er habe sich ab 06.01.2016 bis 20.07.2017 in Finnland aufgehalten. Er habe eine Weile in einem Flüchtlingsheim in Finnland gelebt, dann habe er bei einem Freund gelebt. In Finnland habe er im Juli 2017 eine negative Entscheidung erhalten, dann sei er in Russland gewesen.

Befragt, was einer Überstellung nach Finnland entgegenstehe, gab der Beschwerdeführer an, er würde nach Afghanistan abgeschoben werden, wenn er nach Finnland zurückkehre. Er habe das Lager in Finnland freiwillig verlassen und habe bei einem Freund gelebt.

Der anwesende Rechtsberater führte aus, er wolle auf den Art. 19 Abs. 2 Dublin III-VO verweisen und beantrage eine Frist, damit noch mehr Beweismittel eingebracht werden könnten darüber, dass der Beschwerdeführer mehr als drei Monate außerhalb des Bereichs der Mitgliedstaaten gewesen sei.

Würde er nach Finnland abgeschoben werden, werde er weiter nach Afghanistan abgeschoben, dort könne er jedoch nicht leben, weil er dort gefährdet sei.

Der Beschwerdeführer brachte hinsichtlich seiner Person folgende Dokumente in Vorlage:

-

Kopie des afghanischen Reisepasses

-

Kopie der Tazkira und eine Kopie der Übersetzung ins Englische

-

Aufenthaltsbestätigung eines russischen Krankenhauses vom 08.08.2017

-

Mietvertrag für ein Zimmer in Russland für den Zeitraum August 2017 bis Februar 2018

-

Grundbucheintrag für eine Wohnung in Russland, ausgestellt auf den Vermieter des Beschwerdeführers

-

Strafanzeige der russischen Polizei vom 27.11.2017

2. Mit dem Bescheid das BFA vom 01.06.2018 wurde I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Finnland gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Prüfung des Antrages zuständig sei, sowie II. gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gem. § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung nach Finnland zulässig sei.

Gegenständlicher Bescheid enthält Feststellungen zur Lage im Mitgliedstaat. Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen ausgeführt, es stehe die Identität des Beschwerdeführers nicht fest. Festgestellt werde, dass der Beschwerdeführer am 06.01.2016 in Finnland im Zuge einer Asylantragsstellung erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Festgestellt werde weiters, dass sich Finnland mit Schreiben vom 27.02.2018 gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO für die Führung des Asylverfahrens für zuständig erklärt habe. Unter Beachtung sämtlicher bekannter Tatsachen könne kein unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 3 und Art. 8 EMRK erkannt werden. Zu den vom Beschwerdeführer vorgelegten Kopien der afghanischen Geburtsurkunde und des afghanischen Reisepasses sei anzuführen, dass diese nicht geeignet seien, sein konkretes Alter und seine Identität festzustellen. Eine Bestätigung der Echtheit der Dokumente sowie das Original habe der Beschwerdeführer nicht beibringen können. Unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen hätten sich im Verfahren keine Hinweise ergeben, dass der Beschwerdeführer an einer schweren körperlichen Krankheit oder an einer schweren psychischen Störung leide. Der Beschwerdeführer habe anlässlich der Erstbefragung am 20.02.2018 sowie in der Einvernahme am 10.04.2018 angegeben, dass er Finnland am 21.07.2017 verlassen hätte und nach Russland ausgereist wäre. Dort hätte er sich bis Anfang Jänner 2018 aufgehalten. Anlässlich der Einvernahme am 10.04.2018 habe er die in unter Beweismittel im angefochtenen Bescheid aufgelisteten Unterlagen vorgelegt um zu beweisen, dass er die Mitgliedsstaaten für länger als drei Monate verlassen hätte. Dazu sei grundsätzlich anzuführen, dass aufgrund der nicht nachgewiesenen Identität nicht überprüfbar sei, ob er diese in den Schriftstücken genannte Person tatsächlich sei. In der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, er wäre im Besitz eines Strafbescheides über seinen illegalen Aufenthalt in Russland. Unter den vorgelegten Schriftstücken befinde sich jedoch keine derartige Bestätigung, sondern vielmehr eine Anzeige der russischen Polizei vom 27.11.2017, wonach der Beschwerdeführer auf einem Markt in Russland ohne Arbeitsbewilligung Früchte verkauft hätte. Dazu sei anzumerken, dass eine von einer behördlichen und/oder polizeilichen Amtshandlung in der Russischen Föderation persönlich betroffene Person wohl in der Lage sein müsste, einen Sachverhalt, welcher zu einer behördlichen und/oder polizeilichen Bestrafung geführt haben soll, entsprechend richtig und gleichbleibend anzugeben. Die Angaben des Beschwerdeführers bei der Erstbefragung - im Hinblick auf den Strafbescheid wegen illegalen Aufenthalts in der Russischen Föderation - würden laut BFA der vorgelegten Anzeige - wegen Verkaufs von Früchten ohne Arbeitsbewilligung - diametral entgegenstehen, was wiederum mit einem glaubhaften Sachverhalt nicht vereinbar sei. Zu Dokumenten, die in der Russischen Föderation ausgestellt werden, führte das BFA aus, es sei in den vorliegenden Länderfeststellungen der Staatendokumentation zu Russland vom 07.05.2018 nachzulesen, dass man in Russland jegliche Art von Dokumenten kaufen könne. Auslandsreisepässe seien schwieriger zu bekommen, aber man könne auch diese kaufen. Es handle sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) würden hingegen nicht selten unrichtige Angaben enthalten.

Der Beschwerdeführer habe eine Bestätigung im Hinblick auf einen Mietvertrag in der Russischen Föderation von August 2017 bis Februar 2018 vorgelegt und im Verfahren behauptet, dass er im angeführten Zeitraum an der angeführten Adresse wohnhaft gewesen sei. Aus der vorgelegten Bestätigung lasse sich laut BFA nicht ableiten, dass er jedenfalls bis Februar 2018 an der angegebenen Adresse in der Russischen Föderation wohnhaft gewesen wäre. Unter diesen Umständen widerspreche es jedenfalls der Lebenserfahrung, dass eine Person, welche einen Wohnsitz dauerhaft aufgebe und sich darüber hinaus noch außer Landes begebe, persönliche Unterlagen (wie z.B. Krankenhausbestätigung, Anzeigenbestätigung) am vormaligen Wohnsitz zurücklasse. Vielmehr sei davon auszugehen, dass derartige persönliche Unterlagen bei Aufgabe eines Wohnsitzes - inklusive Verlassen des Aufenthaltsstaates - wohl mitgenommen werden würden. Zusammenfassend sei daher davon auszugehen, dass das vom Beschwerdeführer behauptete Verlassen der Mitgliedstaaten nicht glaubhaft sei, zumal sich aus den vorstehenden Ausführungen ergebe, dass seine Angaben in Widerspruch zu den vorgelegten Beweismitteln stehen würden und überdies nicht plausibel seien.

Das BFA führte aus, es sei jedenfalls zweifelsfrei davon auszugehen, dass die Zuständigkeit Finnlands für das Asylverfahren des Beschwerdeführers nach wie vor bestehe, nachdem sich aufgrund des gesamten vorliegenden Sachverhalts in keinster Weise der Eintritt eines Erlöschenstatbestandes des Art. 18 der Dublin-III-VO ergebe. Es wurde vom BFA ausgeführt, dass die finnische Asylbehörde im Konsultationsverfahren auf die Angaben im Hinblick auf die behauptete Ausreise aus der Russischen Föderation hingewiesen worden sei.

3. Der Beschwerdeführer bekämpfte die Entscheidung des Bundesamtes mit einer fristgerecht eingebrachten Beschwerde. In dieser wurde zusammenfassend ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer ab 21.07.2017 bis Jänner 2018 in Russland aufgehalten habe, nachdem er in Finnland gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe mehrere Dokumente über seinen Aufenthalt in Russland vorgelegt. Dazu habe das BFA vorgebracht, dass grundsätzlich nicht überprüfbar sei, ob der Beschwerdeführer tatsächlich die in den Schriftstücken genannte Person sei. Dem sei jedoch entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer Kopien seines afghanischen Reisepasses und seiner Geburtsurkunde vorgelegt habe. Das Original dieses Reisepasses befinde sich überdies bei den finnischen Behörden in Verwahrung, wodurch der Beschwerdeführer seine Identität zumindest glaubhaft gemacht habe. Weiters führte das BFA aus, dass der Beschwerdeführer in der Erstbefragung davon gesprochen habe über einen Strafbescheid wegen illegalem Aufenthalts in Russland zu verfügen, es sei jedoch laut Übersetzung um eine Anzeige, wonach der Beschwerdeführer auf einem Markt in Russland ohne Arbeitsbewilligung Früchte verkauft habe, was laut Ausführungen des BFA dem Vorbringen des Beschwerdeführers diametral entgegenstünde. Dem sei zu entgegnen, dass der Beschwerdeführe keine Arbeitsbewilligung habe, weil er sich illegal in Russland aufgehalten habe. Der illegale Aufenthalt sei somit kausal für die Anzeige, weshalb dies vom Beschwerdeführer so aufgefasst worden sei. Das BFA habe im angefochtenen Bescheid zudem einen Auszug aus den Länderfeststellungen der Staatendokumentation eingefügt, wonach man in Russland Fälschungen von Dokumenten anfertigen lassen könne. Diesbezüglich sei darauf zu verweisen, dass diese Ausführungen die russischen Kaukasusrepubliken betreffen, der Beschwerdeführer jedoch im Föderationskreis Wolga gelebt habe. Schließlich wurde darauf hingewiesen, dass man sich für eine Vielzahl von Länder Dokumente fälschen lassen könne, dies bedeute jedoch nicht, dass automatisch alle Dokumente, die aus diesen Ländern vorgelegt würden, auch tatsächlich gefälscht wären. Dem Hinweis des BFA, dass Finnland Wiederaufnahmegesuch im Rahmen des Konsultationsverfahren über die Angaben zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Russland informiert worden seien, sei jedoch entgegenzuhalten, dass Finnland mitgeteilt worden sei, dass der Beschwerdeführer diesen mehr als dreimonatigen Aufenthalt nicht habe beweisen können. Dieser Information sei jedoch wiederum entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer mehrere russische Dokumente über seinen Aufenthalt in Russland vorgelegt habe. Im gegenständlichen Fall sei daher der zuständigkeitsbeendende Tatbestand des Art. 19 Abs. 1 Dublin III-VO eingetreten, weil der Beschwerdeführer für mindestens drei Monate das Gebiet der Mitgliedstaaten verlassen habe.

4. Mit Beschluss des BVwG vom 09.07.2018, GZ: W240 2199688-1, wurde der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 01.06.2018 gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattgegeben, der Asylantrag zugelassen und der bekämpfte Bescheid behoben.

Begründend war insbesondere ausgeführt worden, dass der Beschwerdeführer wiederholt und gleichbleibend vorgebracht hat, dass er nach seinem Aufenthalt in Finnland das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mehr als drei Monate verlassen hat, und ab 21.07.2017 bis Jänner 2018 in Russland aufhältig war. Sollte dieses Vorbringen den Tatsachen entsprechen, so wäre die vom BFA angenommene, auf Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO gegründete Zuständigkeit Finnlands gemäß Art. 19 Abs. 2 leg.cit. nicht länger gegeben, sodass der Frage des Aufenthalts des Beschwerdeführers außerhalb des Gebietes der Mitgliedstaaten besondere Relevanz zukommt. Der Beschwerdeführer hat mehrere Dokumente über seinen Aufenthalt in Russland vorgelegt. Dazu hatte das BFA zunächst ausgeführt, dass grundsätzlich nicht überprüfbar sei, ob der Beschwerdeführer tatsächlich die in den Schriftstücken genannte Person sei. Dem wurde bereits zurecht in der Beschwerde entgegengehalten, dass der Beschwerdeführer Kopien seines afghanischen Reisepasses und seiner Geburtsurkunde vorgelegt hatte. Der Beschwerdeführer behauptete auch, dass sich das Original dieses Reisepasses überdies bei den finnischen Behörden in Verwahrung befindet, wodurch der Beschwerdeführer seine Identität zumindest glaubhaft gemacht habe. Der vorliegende Sachverhalt erweist sich in Summe als so mangelhaft, dass eine Ergänzung desselben und damit verbunden eine mündliche Verhandlung unvermeidlich erschiene, sodass den Beschwerden gem. § 21 Abs. 3, 2. Satz, BFA-VG stattzugeben war.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 20.07.2018 wurde I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Finnland gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Prüfung des Antrages zuständig sei, sowie II. gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I

Nr. 100/2005 (FPG) idgF die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gem. § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung nach Finnland zulässig sei.

Das BFA wiederholte zusammengefasst im Wesentlichen seine Argumentationen, welche bereits im Bescheid vom 01.06.2018 vom BFA ausgeführt wurden und führte aus, dass laut Einschätzung des BFA keine weiteren Ermittlungen erforderlich seien.

6. Gegen vorzitierten Bescheid des BFA wurde neuerlich Beschwerde erhoben und im Wesentlichen die Ausführungen aus der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 01.06.2018 wiederholt wiedergegeben und darauf hingewiesen.

7. Am 28.08.2018 teilte das BFA dem BVwG mit, dass keine Verlängerung der Überstellungsfrist erfolgt sei, die Überstellungsfrist betreffend den Beschwerdeführer am 27.08.2018 abgelaufen sei und eine Überstellung desselben nach Finnland nicht erfolgt sei

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird der unter I. dargelegte Verfahrensgang.

Obwohl die Zuständigkeit Finnlands zur Führung des Asylverfahrens des Beschwerdeführers vorlag, erfolgte dessen Überstellung nicht binnen der in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO festgelegten Frist. Die Überstellungsfrist ist im konkreten Fall mit Ablauf des 27.08.2018 abgelaufen. Das Verfahren wurde nicht ausgesetzt bzw. fanden keine sonstigen Fristverlängerungen im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO statt.

1.1. 2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen ergeben sich aus den Akten des BFA, insbesondere aus den in den Akten einliegenden Schriftstücken zu den geführten Konsultationsverfahren, aus der Information des BFA vom 28.08.2018 über den Ablauf der Überstellungsfrist und die nicht erfolgte Überstellung des Beschwerdeführers nach Finnland, eingelangt beim BVwG am 28.08.2018.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:

"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

...

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

...

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

...

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt."

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lautet:

"§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

§ 21 (3) BFA-VG: Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) lautet:

"§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. ...

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird."

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-Verordnung) lauten:

Art. 20 Einleitung des Verfahrens

(5) Der Mitgliedstaat, bei dem der erste Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, ist gehalten, einen Antragsteller, der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält oder dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem er seinen ersten Antrag noch während des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zurückgezogen hat, nach den Bestimmungen der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zum Abschluss zu bringen.

Diese Pflicht erlischt, wenn der Mitgliedstaat, der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats abschließen soll, nachweisen kann, dass der Antragsteller zwischenzeitlich das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen oder in einem anderen Mitgliedstaat einen Aufenthaltstitel erhalten hat.

Ein nach einem solchen Abwesenheitszeitraum gestellter Antrag im Sinne von Unterabsatz 2 gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.

Artikel 29 Dublin III - VO: Modalitäten und Fristen

(1) Die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme - oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat.

Wenn Überstellungen in den zuständigen Mitgliedstaat in Form einer kontrollierten Ausreise oder in Begleitung erfolgen, stellt der Mitgliedstaat sicher, dass sie in humaner Weise und unter uneingeschränkter Wahrung der Grundrechte und der Menschenwürde durchgeführt werden.

Erforderlichenfalls stellt der ersuchende Mitgliedstaat dem Antragsteller ein Laissez-passer aus. Die Kommission gestaltet im Wege von Durchführungsrechtsakten das Muster des Laissez-passer. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Der zuständige Mitgliedstaat teilt dem ersuchenden Mitgliedstaat gegebenenfalls mit, dass die betreffende Person eingetroffen ist oder dass sie nicht innerhalb der vorgegebenen Frist erschienen ist.

(2) Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist."

...

Auf Grund der ausdrücklichen Zustimmung der finnischen Behörden vom 27.02.2018 gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO im Zuge des Konsultationsverfahrens mit Österreichs endete die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO mit Ablauf des 27.08.2018.

Eine Verlängerung der Überstellungsfristen wegen Inhaftierung oder wegen unbekannten Aufenthalts ist nicht erfolgt.

Da der Beschwerdeführer bis zum Ablauf der 27.08.2018 nicht nach Finnland überstellt wurde, ist die Zuständigkeit des gegenständlichen Verfahrens mit Ablauf dieses Datums auf Österreich übergegangen.

Der bekämpfte Bescheid ist daher zu beheben und das Verfahren in Österreich zuzulassen.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG unterbleiben, zumal sämtliche verfahrenswesentliche Abklärungen, insbesondere aber die im gegenständlichen Verfahren relevante Frage hinsichtlich des Vorliegens eines Fristablaufes, eindeutig aus den vorliegenden Verwaltungsakten beantwortet werden konnten.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im Übrigen treffen Art. 29 Dub III-VO und § 21 Abs. 3 BFA-VG klare eindeutige Regelungen (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Fristablauf, Fristversäumung, Überstellungsfrist, Verfristung,
Zulassungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W240.2199688.2.00

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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