Entscheidungsdatum
03.09.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W124 2203865-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. I Nr. 51/1991 idgF, sowie §§ 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2 Z 2, 52 Abs. 9, 46 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Vorverfahren
1.1. Der Beschwerdeführer (nunmehr BF) reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Bei der am selben Tag erfolgten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der BF vor, dass sein Großvater eine kleine Landwirtschaft betreiben würde, welche seine gesamte Familie bewirtschaftet habe. Nachdem sein Großvater alt sein würde, wolle dieser seine Landwirtschaft vererben. Der Onkel des BF habe sich auch auf dieses Erbe Hoffnungen gemacht und den BF töten wollen, damit er den BF aus dem Weg räume.
Der BF gab an, dass er aus dem Bundesstaat XXXX stamme und die Sprache Punjabi in Wort und Schrift gut beherrsche. Er gehöre der Volksgruppe der Jat und der Religionsgemeinschaft der Sikhs an. Die Grundschule habe er von XXXX bis XXXX besucht. Zuletzt habe er als Landwirt in Indien gearbeitet. Seine Eltern und Geschwister würden nach wie vor in Indien leben.
1.3. Der erste Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des BFA vom XXXX, gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Indien gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.).
Ebenso wurde dem BF kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG erteilt.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gem. § 46 FPG nach Indien zulässig sei.
Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde dem BF eine Frist von 14 Tagen eingeräumt ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung freiwillig auszureisen (Spruchpunkt III.).
Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass der BF sein Land auf Grund von Erbstreitigkeiten verlassen habe. Sein Verhalten würde sich ganz untypisch für eine Person darstellen, welche sich aus Konventionsgründen fürchten würde. Nicht zuletzt habe sich der BF seiner Mitwirkungspflicht entzogen, indem er seiner Meldeverpflichtung nicht nachgekommen sei. Von Seiten des BF habe weder eine Verfolgungssituation von privater oder staatlicher Stelle glaubhaft gemacht werden können. Aus den Ausführungen habe sich ergeben, dass der BF im Falle einer Rückkehr keiner Bedrohungssituation ausgesetzt gewesen sei. Die Versorgung mit den Dingen des täglichen Bedarfs in Indien sei ebenfalls gegeben.
Angaben zu seinen Privat-, bzw. Familienleben würden schlüssig dargelegt und somit als glaubhaft erscheinen.
Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen ausgeführt, dass nach ständiger Rechtsprechung zentrales Element des Fluchtvorbringens die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung sei (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.11.2001, 2001/20/0011). Der VwGH habe darüber hinaus ausgesprochen, dass für den Fall der mangelnden Mitwirkung eines Asylwerbers es der Behörde freistehen würde, aus diesem Verhalten gem. § 45 Abs. 2 AVG und § 46 AVG im Rahmen der freien Beweiswürdigung für den Antrag des Asylwerbers negative Schlüsse zu ziehen (VwGH 12.5.1999, 98/01/0467).
Zu Spruchpunkt II. wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass im Falle des BF davon auszugehen sei, dass im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohen würde.
Ziel des Refoulmentschutzes sei es jedoch nicht Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen, wie es beispielsweise der Neuaufbau einer Lebensgrundlage im Herkunftsland sein würde, drohe.
Zu Spruchpunkt III. wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der BF erst seit XXXX in Österreich aufhalten würde. Dieser Aufenthalt sei jedoch zu keinem Zeitpunkt vor seiner Antragstellung rechtmäßig gewesen, da der BF nicht aufrecht im Zentralmelderegister gemeldet gewesen sei und über keinen Aufenthaltstitel verfügt habe. Sein Aufenthalt habe sich ausschließlich auf das AsylG gerichtet.
Verwandtschaftliche Bindungen würde der BF in Österreich nicht aufweisen. Darüber hinaus sei auszuführen, dass der BF nicht selbsterhaltungsfähig sei, da ihm keine Arbeitsbewilligung zukommen würde. Er würde außerdem in keinem Ausbildungsverhältnis stehen.
Den Großteil seines Lebens habe er Indien verbracht. Dort sei der BF zur Schule gegangen und habe seine Sozialisation erfahren. Der BF würde auch eine Muttersprache seines Herkunftsstaates beherrschen und daher nicht erkennbar sein, dass der BF im Falle seiner Rückkehr bei der Wiedereingliederung in die dortige Gesellschaft unüberwindbaren Hürden gegenüberstehen könne. Daher sei derzeit von einer nach wie vor starken Bindung zu seinem Herkunftsstaat auszugehen.
Integrationsmerkmale hätten nicht festgestellt werden können und sei die Dauer des bisherigen Aufenthaltes nicht in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet gewesen. Das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen würde die privaten Interessen des BF überwiegen.
Gegen den Bescheid wurde keine Beschwerde erhoben und erwuchs dieser in Folge in Rechtskraft.
2.1. In der Folge wurde der BF von der Bundesrepublik Deutschland am XXXX nach Österreich überstellt und stellte am XXXX den verfahrensgegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der Einvernahme vor den Sicherheitsbehörden der Landespolizeidirektion Niederösterreich führte der BF aus, dass es die Grundstücksstreiterei mit seinem Onkel väterlicherseits nach wie vor geben würde. Im Zuge dieses Streites sei er damals von seinem Onkel mit dem Umbringen bedroht worden. Neu sei, dass die Partei des Onkels seit XXXX in Punjab an der Macht sein würde und sein Onkel mächtiger als je zuvor sei.
2.2. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am XXXX vor dem BFA gab der BF auf die Frage, weshalb er einen neuerlichen Antrag stellen würde und was er vorzubringen habe an, dass ein politisches Problem aufgetaucht sei. Zuerst sei es ein Problem der Landwirtschaft gewesen und würde jetzt sein Onkel zur politischen Partei angehören. Er benutze diese, um seine Familie zu erpressen und sich die ganze Landwirtschaft an sich zu reißen.
Auf die Frage, ob sich an den Gründen, warum der BF sein Heimatland verlassen habe und um Asyl angesucht habe etwas geändert habe, führte dieser aus, dass sich die Lage verschlimmert habe. Anfangs seien die Streitereien nur zwischen den Familien gewesen und sei das Problem eskaliert, indem Waffen dazu gekommen seien.
Beweismittel, welche die Behauptungen nachvollziehbar machen würden, habe der BF nicht. Er könne sich solche aber nachschicken lassen. Dies würde dauern. Er würde sich eine Anzeige gegen seinen Onkel, die seine Familie getätigt habe, nachschicken lassen. Diese sei vor ca. einem Jahr gelegt worden. An den Tag könne er sich nicht mehr erinnern.
Den Konflikt wegen der Landwirtschaft würde es noch immer geben. Indem der Onkel des BF Unterstützung von der politischen Partei bekomme, habe sich die Lage verschlimmert. Der BF befürchte im Falle seiner Rückkehr nach Indien von seinem Onkel geschlagen zu werden. Er würde ihn zu Tode prügeln.
2.3. In der mit dem BF am XXXX vor dem BFA aufgenommenen Niederschrift, gab dieser an, dass sich seit seiner letzten Einvernahme vor dem BFA nichts geändert habe. Dokumente würde er dazu keine haben.
Bezüglich seines Privat -, und Familienlebens gab dieser an in Österreich keine Verwandten zu haben. Einen Deutschkurs habe er nicht besucht und sei im 23. Bezirk untergebracht, seitdem er vom "Lager" seit ca. einem Jahr weg sei. In Österreich arbeite er als Zeitungsverteiler.
Im Falle einer Rückkehr nach Indien befürchte er dasselbe, wie er bei seiner letzten Einvernahme erwähnt habe. Auf Vorhalt bei der letzten Einvernahme berichtet zu haben sich was zuschicken lassen zu können, gab dieser an kein Beweismittel zu haben. Er befürchte dasselbe, was er zuletzt gesagt habe.
Auf die Frage, was der BF zuletzt gesagt habe, gab dieser, dass es einen Streit mit seinem Onkel väterlicherseits bezüglich eines Grundstückes geben und er Kontakte zur neuen Regierungspartei haben würde. Dies würde bedeuten, dass ihn Sein Onkel töten würde. Er habe sehr viele Parteileute.
2.4. Mit dem nun angefochtenen Bescheid des BFA vom XXXX wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom XXXX gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG idgF erlassen (Spruchpunkt III.).
Gleichzeitig wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.) und keine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 a FPG bestehen würde(Spruchpunkt VI.).
Festgestellt wurde, dass das erste Asylverfahren rechtskräftig negativ abgeschlossen worden sei und in diesem Verfahren alle bis zur Entscheidung dieses Asylverfahrens entstandenen Sachverhalte berücksichtigt worden seien, sodass darüber nicht mehr neuerlich zu entscheiden sei. Die Begründung des Asylantrages im Jahr XXXXsei als nicht asylrelevant erachtet worden.
Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt habe sich seit Rechtskraft des ersten Asylverfahrens nicht geändert. Der BF habe selbst angegeben, dass seine Fluchtgründe dieselben wie im Vorverfahren sein würden und er seine Angaben seit seinem Erstantrag aufrechterhalten würde. Der BF habe im gegenständlichen Verfahren keine neuen entscheidungsrelevanten Fluchtgründe vorgebracht.
Von der erkennenden Behörde könne kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden. Die Begründung des neuerlichen Asylantrages reiche nicht aus einen neuen gegenüber dem früheren Asylantrag wesentlich geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalt entstehen zu lassen.
Im Privat-, und Familienleben habe sich seit der rechtskräftigen Entscheidung des Erstverfahrens nichts geändert.
In der Begründung wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der BF auf seine ursprünglich vorgebrachten Fluchtgründe berufen habe, welche bereits von der Rechtskraft des Vorverfahrens erfasst worden seien. Der BF habe angegeben sein Land auf Grund von Erbstreitigkeiten verlassen zu haben. Die Grundstücksstreitereien mit seinem Onkel würden nach wie vor bestehen. Der BF stütze sich bereits auf die im rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren und noch aufrecht erhaltene Verfolgungssituation.
Den Aussagen des BF nach sei sein Onkel seit XXXXpolitisch an der Macht. Seitdem wolle er die Landwirtschaft an sich reißen. Laut Aussagen des BF habe seine Familie bereits eine Anzeige gegen den Onkel des BF gerichtet. Auf die Frage, wann die Anzeige gemacht worden sei, antwortete der BF damit, dass dies vor ungefähr einem Jahr gewesen sei. Die Einvernahme habe am XXXX stattgefunden. Laut Erstbefragung sei sein Onkel erst seit XXXX an der Macht. Seine Aussage sei somit nicht glaubhaft und nachvollziehbar.
Darüber hinaus sei der BF in keiner Weise auf das Geschehen eingegangen. Wäre der BF tatsächlich in Gefahr gewesen, würde dieser weitaus detailreicher und ausschweifender unter Angabe der eigenen Gefühle bzw. unter spontaner Rückerinnerung auch oft unwesentliche
Details oder Nebenumstände berichten.
Darüber hinaus folge notwendigerweise, dass der BF mit Folgebehauptungen auf den nicht glaubhaft erachteten Fluchtgrund aufbauen würde. Wird die seinerzeitige Verfolgungshandlung aufrechterhalten und bezieht sich der BF auf eine solche, so würde ein nicht wesentlich geänderter Sachverhalt vorliegen über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden sei (i.S.d. Erkenntnisses des VwGH vom 20.03.2003, Zl. 99/20/0480). Mit dem nunmehrigen Asylantrag würde daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt werden (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).
Da den ursprünglich vorgebrachten Fluchtgründen keine Glaubhaftigkeit bzw. Asylrelevanz zukommen würde, entbehre nun auch das im gegenständlichen Verfahren Vorgebrachte jeglicher Grundlage und könne diesem Gesamtvorbringen aus diesen Gründen auch weiterhin keine Glaubhaftigkeit oder Asylrelevanz zukommen. Die Angaben des BF seien weiterhin nur allgemein gehalten und sei auch sein Vorbringen zu keinem Zeitpunkt genügend substantiiert gewesen, um dieses als glaubwürdig zu bezeichnen.
Die Aussagen des BF würden sich auf abstrakte und allgemein gehaltene Darstellungen beschränken. Diese Vorgehensweise würde keinesfalls einer tatsächlich schutzsuchenden Person entsprechen.
Dem Vorbringen des BF nach habe nicht glaubhaft entnommen werden können, dass dieser tatsächlich aus den vom ihm genannten Gründen seine Heimat verlassen habe. Der BF sei nicht in der Lage gewesen seine Gründe entsprechend darzulegen.
Seit der ersten Asylantragstellung des BF hätten sich die Fluchtgründe in keinster Weise verändert. Entsprechende Beweismittel habe der BF nicht in Vorlage gebracht. Seine Angaben seien weiterhin nur allgemein gehalten gewesen und sei sein Vorbringen auch zu keinem Zeitpunkt substantiiert gewesen.
Für den neuerlichen Asylantrag seien ausschließlich neue Gründe entscheidend, die zwischen der Rechtskraft des Vorbescheides und dem heutigen Tage entstanden seien. Festzuhalten sei, dass die Angaben einen unveränderten Sachverhalt darstellen würden, weswegen sich zum jetzigen Zeitpunkt auch hinsichtlich der im Vorverfahren getroffenen Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien ebenfalls keine Änderung ergeben habe und diese nach wie vor für zulässig erachtet werden würde.
Auf Grund der Feststellungen im Vorverfahren, sowie auf Grund der Feststellungen, dass sich in Bezug auf die Länderberichte zu Indien keine wesentliche Veränderung der Lage ableiten lasse, könne weiterhin nicht von einer gezielt gegen den BF gerichteten Verfolgung ausgegangen werden und sei auch weiterhin davon auszugehen, dass dem BF bei einer Rückkehr nach Indien die Möglichkeit der innerstaatlichen Fluchtbeihilfe offen stehen würde, soweit dies notwendig sein würde. Die Gründe für seine Ausreise mögen im privaten Bereich, nämlich der Verbesserung der Lebenssituation gelegen sein, eine Verfolgung habe der BF nicht glaubhaft darlegen können.
Die vorgebrachten Gründe, weshalb es dem BF nun nicht mehr möglich gewesen sei, in sein Herkunftsland zurückzukehren, seien nicht geeignet eine neue inhaltliche Entscheidung der Behörde zu bewirken und könne darin kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden, da sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert habe und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem Früheren gedeckt habe (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.9.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes könne zu einer neuerlichen Entscheidung führen (z.B. VwGH 27.09.2000, 98/12/0057). Allgemein bekannte Tatsachen, die vom BFA von Amts wegen zu berücksichtigen seien, würden nicht vorliegen, da sich die allgemeine Situation in Indien seit Rechtskraft des vorherigen Verfahrens nicht wesentlich geändert habe.
Der VwGH habe in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479 festgehalten, dass auf die Stellung eines Asylantrages gestützter Aufenthalt im Bundesgebiet keine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat begründen würde. Daher sei festzustellen gewesen, inwieweit der BF auf Grund einer zwischenzeitlich besonders stark erfolgten Integration eine Ausnahme dieser Regel darstellen würde. Da der BF kein Deutsch spreche und straffällig gewesen sei, könne keinesfalls von einer gelungenen Integration gesprochen werden.
Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. und II. im Wesentlichen ausgeführt, dass die vom BF vorgebrachten Gründe für die neuerliche Antragstellung bereits zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Erstverfahrens bestanden hätte bzw. die Fluchtgründe unverändert sein würden. Der BF habe lediglich einen Asylantrag gestellt, um eine Aufenthaltsberechtigung bzw. ein "legales Dokument" zu erhalten. Es habe sich seither kein entscheidungsrelevanter geänderter Sachverhalt im Sinne der vorstehenden Ausführungen zu § 68 AVG ergeben.
Da weder in der maßgeblichen Sachlage - und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre gelegen sei, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen sei- noch im Begehren und auch nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe- stehe die Rechtskraft des ergangenen Bescheides Indiens seinem neuerlichen Antrag entgegen, weswegen das Bundesamt zu einer Zurückweisung verpflichtet sei.
Zu Spruchpunkt III. wurde ausgeführt, dass der BF nicht die Voraussetzungen für den Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erfüllen und ihm daher nicht erteilt werden würde.
In der rechtlichen Begründung zu Spruchpunkt IV wurde ausgeführt, dass sich betreffend den Verwandtschaftsverhältnissen in Österreich im Verfahren keine zusätzlichen, im Hinblick auf ein relevantes Privatleben und einer Ausweisung entgegenstehender Aspekte ergeben hätte.
Im Verfahren hätten keine Personen festgestellt werden können, mit welchem ein im Sinne des Art. 8 EMRK relevantes Familienleben geführt werden würde. Die Außerlandesbringung stelle daher insgesamt keinen Eingriff in das in Art 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens dar.
Es sei eine individuelle Abwägung der betroffenen Interessen vorzunehmen, um festzustellen, ob der Eingriff durch die Rückkehrentscheidung auch als im Sinne des Art 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden könne. Daher sei die Rückkehrentscheidung nach § 9 Abs. 1-3 BFA-VG zulässig. Eine Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG habe zu unterbleiben, da die Rückkehrentscheidung nach § 58 Abs. 2 AsylG nicht auf Dauer unzulässig sei.
In Spruchpunkt V. wurde auf § 46 Abs. 1 FPG verwiesen, wonach eine Rückkehrentscheidung durchsetzbar sei und Fremde im Auftrag des BFA zur Ausreise zu verhalten seien, wenn die Überwachung der Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig erscheinen würde, er seiner Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sei oder dies auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten oder der Fremde einem Ausreise- oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sei. Gegen den BF würde eine Rückehrentscheidung erlassen werden.
2.5. Mit der fristgerecht eingebrachten Beschwerde des bevollmächtigten Vertreters des BF wurde der im Spruch genannte Bescheid vollinhaltlich angefochten.
Begründet wurde dies damit, dass unrichtige Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht werden würden.
Das Vorbringen des BF würde der Wahrheit entsprechen, sei glaubwürdig und gründlich substantiiert. Dem BF drohe in seiner Heimat Verfolgung i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention und wäre ihm daher Asyl zu gewähren.
Es würde eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens darstellen, dass die Behörde es verabsäumt habe, sich mit der konkreten Situation des BF und der aktuellen Situation in Indien auseinanderzusetzen. Die Verpflichtung ein amtswegiges Ermittlungsverfahren durchzuführen bedeute, dass die konkrete und aktuelle Situation untersucht werden würde. Dies sei in diesem Fall verabsäumt worden, insbesondere dadurch, dass dem Bundesasylamt als Spezialbehörde ausreichend Material vorliegen müsste, aus dem die Verfolgungssituation erkennbar sei.
Dadurch, dass sich die erkennende Behörde nicht mit der konkreten Situation des BF auseinandergesetzt habe, sei eine rechtliche Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des BF nicht möglich gewesen.
2.6. Die Beschwerdevorlage langte am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Der BF ist Staatsangehöriger von Indien aus dem XXXX und ist Angehöriger der Glaubensgemeinschaft der Sikhs. Seine Identität steht nicht fest.
1.2. Der BF reiste illegal nach Österreich ein und stellte am XXXX seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund brachte er im Wesentlichen vor, aufgrund von Grundstückstreitigkeiten sein Heimatland verlassen zu haben. Der Onkel des BF habe sich Hoffnungen gemacht, dass ihm sein Großvater die Landwirtschaft vererben würde. Er wolle den BF töten, um ihn in der Erbfolge aus dem Weg zu räumen.
Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom XXXX wegen Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens abgewiesen. Der Bescheid des BFA erwuchs in Folge in Rechtskraft.
1.3. Am XXXX wurde der BF von den Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik Deutschland nach Österreich überstellt.
1.4. Am XXXX stellte der BF den verfahrensgegenständlichen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz und hielt seine alten Fluchtgründe aufrecht. Außerdem gab er an, dass die Partei seines Onkels seit XXXX im Punjab an der Macht sei und sein Onkel somit mächtiger als je zuvor sei.
1.5. Der gegenständliche Antrag wurde in der Folge mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Zu den einzelnen Spruchpunkten im Detail sowie zur Begründung wird auf die diesbezügliche Zusammenfassung unter Punkt 2.4. verwiesen.
1.6. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF seit Rechtskraft der letzten Entscheidung über seinen ersten Asylantrag am XXXX ein neues entscheidungsrelevantes individuelles Vorbringen glaubhaft dartun konnte. Das Vorbringen, bei einer Rückkehr ins Herkunftsland von seinem Onkel getötet zu werden, erweist sich im Kern als unglaubwürdig.
1.7. Nicht festgestellt werden kann des Weiteren, dass in der Zwischenzeit Umstände eingetreten sind, wonach dem BF in Indien aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person drohen würde oder ihm im Falle einer Rückkehr nach Indien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Der BF leidet an keiner zwischenzeitlich aufgetretenen lebensbedrohlichen oder im Herkunftsland nicht behandelbaren Krankheit.
Außerdem kann nicht festgestellt werden, dass zwischenzeitlich eine entscheidungswesentliche Änderung der Situation in Indien eingetreten ist.
1.8. Der BF ist gesund, arbeitsfähig und in der Lage, im Herkunftsstaat seinen notwendigen Unterhalt zu sichern. Er spricht als Muttersprache Punjabi. Der BF hat in der Zeit vom XXXX die Grundschule besucht und zuletzt bis zum XXXX als Landwirt gearbeitet. In Indien leben noch die Eltern und die Schwester des BF.
Der BF ist seit seiner illegalen Einreise ins Bundesgebiet im XXXX nicht mehr in sein Heimatland zurückgekehrt. Der BF ist zwischenzeitig illegal in die Bundesrepublik Deutschland ausgereist, von wo er in der Folge nach Österreich rücküberstellt wurde. Der BF hat nie über einen Aufenthaltstitel verfügt, der sich nicht auf einen Asylantrag gestützt hat. Im Bundesgebiet halten sich keine Familienangehörigen und Verwandten des BF auf. Der BF geht in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nach und verfügt über keine Deutschkurse. Seinen Lebensunterhalt bestreitet der BF derzeit als Zeitungsausträger.
1.9. Zur Lage im Herkunftsstaat Indien werden die vom BFA herangezogenen Länderfeststellungen dem Verfahren zugrunde gelegt:
1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
KI vom 11.4.2017: Acht Tote und über 200 Verletzten bei Demonstrationen bei Wahl in Srinagar, Kaschmir (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 3.1)
Im Zuge einer Nachwahl zur Besetzung eines freien Sitzes im indischen Unterhaus, kam es am Sonntag, dem 9.4.2017, in Srinagar, Kaschmir, zu Zusammenstößen zwischen separatistischen, die Wahl boykottierenden Demonstranten und den indischen Sicherheitskräften. Während des Konflikts wurden acht Demonstranten getötet und über 200 Personen, Demonstranten und Sicherheitsbeamte, verletzt (Reuters 10.4.2017).
Am Montag den 10.4.2017 verhängte die indische Polizei eine Ausgangssperre für die Bevölkerung mehrerer Gebiete Kaschmirs, errichtete Straßensperren und schränkte den Verkehr ein (Reuters 10.4.2017).
Die Wahlbeteiligung lag bei nur 7% (Times of India 11.4.2017). Eine zweite Nachwahl, ursprünglich geplant für den 12.4.2017 in Anantnag, wurde in Anbetracht der aktuellen Lage auf den 25.5.2017 verschoben (Reuters 10.4.2017).
Indien beschuldigt Pakistan die Separatisten zu unterstützen, was in Islamabad bestritten wird (Reuters 10.4.2017).
Bei einem weiteren Vorfall am Montag sind vier mutmaßliche Kämpfer erschossen worden, als sie versuchten die umstrittene Grenze von Pakistan kommend, in der Nähe des Keran-Sektors zu infiltrieren (Reuters 10.4.2017).
Da sich seit der Tötung des einflussreichen Separatistenkämpfers Burhan Wani im Juli 2016, die Spannungen in der Region erhöht haben (BBC 10.4.2017), und es seither in Kaschmir wiederholt zu gewalttätigen Protesten kam, in deren Verlauf bisher 84 Zivilisten getötet und über 12.000 Zivilisten und Sicherheitskräfte verletzt wurden (Reuters 10.4.2017), sind vorsorglich etwa 20.000 zusätzliche indische Truppen in die Region entsandt worden (BBC 10.4.2017).
Quellen:
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BBC (10.4.2017): Kashmir violence: Eight killed in clashes during by-election, http://bbc.in/2oo04gV, Zugriff 11.4.2017
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Reuters (10.4.2017): India clamps down on Kashmir transport after poll violence kills 8,
http://in.reuters.com/article/india-kashmir-idINKBN17B06F, Zugriff 11.4.2017
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Times of India (11.4.2017): Lack of pre-emptive policing led to low voter turnout in Kashmir
http://timesofindia.indiatimes.com/india/lack-of-pre-emptive-policing-led-to-low-voter-turnout-in-kashmir/articleshow/58118340.cms, Zugriff 11.4.2017
2. Politische Lage
Indien ist mit über 1,2 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 12.12.2016; vgl. auch: AA 16.8.2016, BBC 27.9.2016). Die - auch sprachliche - Vielfalt Indiens wird auch in seinem föderalen politischen System reflektiert, in welchem die Macht von der Zentralregierung und den Bundesstaaten geteilt wird (BBC 27.9.2016). Die Zentralregierung hat deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten (AA 9.2016a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 13.4.2016). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 9.2016a).
Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 16.8.2016), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 9.2016a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 16.8.2016). Das oberste Gericht in New Delhi steht an der Spitze der Judikative (GIZ 11.2016). Die Entscheidungen der staatlichen Verwaltung (Bürokratie, Militär, Polizei) unterliegen überdies der Kontrolle durch die freie Presse des Landes, die nicht nur in den landesweiten Amtssprachen Hindi und Englisch, sondern auch in vielen der Regionalsprachen publiziert wird. Indien hat zudem eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 9.2016a).
Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 13.4.2016). Die Legislative besteht aus einer Volkskammer (Lok Sabha) und einer Staatenkammer (Rajya Sabha). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 16.8.2016).
Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 13.4.2016). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2012 ist Präsident Pranab Kumar Mukherjee indisches Staatsoberhaupt (AA 9.2016a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 11.2016).
Wahlen zum Unterhaus finden nach einfachem Mehrheitswahlrecht ("first-past-the-post") alle fünf Jahre statt, zuletzt im April/Mai 2014 mit knapp 830 Millionen Wahlberechtigten (AA 16.8.2016). Dabei standen sich drei große Parteienbündnisse gegenüber: Die United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei, die National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der Bharatiya Janata Party (BJP - Indische Volkspartei) und die so genannte Dritte Front, die aus elf Regional- und Linksparteien besteht sowie die aus einem Teil der India-Against-Corruption-Bewegung hervorgegangene Aam Aadmi Party (AAP) (GIZ 11.2016; vgl. auch: FAZ 16.5.2014). Abgesehen von kleineren Störungen, verliefen die Wahlen korrekt und frei (AA 16.8.2016).
Als deutlicher Sieger mit 336 von 543 Sitzen löste das Parteienbündnis NDA (AA 16.8.2016), mit der hindu-nationalistischen BJP (AA 9.2016a) als stärkster Partei (282 Sitze), den Kongress an der Regierung ab (AA 16.8.2016). Die seit 2004 regierende Kongress-geführte Koalition unter Manmohan Singh erlitt hingegen große Verluste, womit Sonia Gandhi und Sohn Rahul nun auf die Oppositionsbank rücken (Eurasisches Magazin 24.5.2014; vgl. auch:
FAZ 16.5.2014, GIZ 11.2016). Die AAP, die 2013 bei der Wahl in Delhi 28 von 70 Sitzen erringen konnte, errang landesweit nun nur vier Sitze (GIZ 11.2016; vgl. auch: FAZ 16.5.2014). Der BJP Spitzenkandidat, der bisherige Ministerpräsident von Gujarat, Narendra Modi, wurde zum Premierminister gewählt (AA 16.8.2016) und steht seit 16.5.2014 (GIZ 11.2016) einem 65-köpfigen Kabinett vor (AA 16.8.2016).
Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 12.2016).
Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktivere Außenpolitik als zuvor. Die frühere Strategie der "strategischen Autonomie" wird zunehmend durch eine Politik "multipler Partnerschaften" mit allen wichtigen Ländern in der Welt überlagert. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und die Profilierung als aufstrebende Großmacht (AA 9.2016b). Ein ständiger Sitz im VN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 12.2016). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an. Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft (Association of Southeast Asian Nations - ASEAN) und Mitglied im "ASEAN Regional Forum" (ARF). Auch bilateral hat Indien in den letzten Monaten seine Initiativen in den Nachbarländern verstärkt. Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. In der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) hat Indien im Februar 2016 von Russland den diesjährigen Vorsitz übernommen. Bei ihrem Treffen in Ufa im Juli 2015 beschloss die Shanghai Cooperation Organisation (SCO), Indien und Pakistan nach Abschluss der Beitrittsprozeduren als Vollmitglieder aufzunehmen (AA 9.2016b).
Die Beziehungen zum gleichfalls nuklear gerüsteten Nachbarn Pakistan haben sich jüngst erneut zugespitzt. In den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit haben sich wiederholt Phasen des Dialogs und der Spannungen bis hin zur kriegerischen Auseinandersetzung abgelöst.
Größtes Hindernis für eine Verbesserung der Beziehungen ist weiterhin das Kaschmirproblem (AA 9.2016b).
Indien ist durch das Nuklearabkommen mit den USA ein Durchbruch gelungen. Obwohl es sich bis heute weigert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, bedeutet das Abkommen Zugang zu Nukleartechnologie. Ebenfalls positiv hat sich das Verhältnis Indiens zu China entwickelt. Zwar sind die strittigen Grenzfragen noch nicht geklärt, aber es wurden vertrauensbildende Maßnahmen vereinbart, um zumindest in dieser Frage keinen Konflikt mehr herauf zu beschwören. Auch ist man an einer weiteren Steigerung des bilateralen Handels interessiert, der sich binnen eines Jahrzehnts mehr als verzehnfacht hat (GIZ 12.2016).
Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze, kontrolliert Indien die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs, und war Indien maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert. Die Beziehungen des Landes zur EU sind vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner Indiens. Der Warenhandel in beide Richtungen hat sich faktisch stetig ausgeweitet (GIZ 12.2016).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
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AA - Auswärtiges Amt (9.2016a): Indien, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_AC539C62A8F3AE6159C84F7909652AC5/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 5.12.2016
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AA - Auswärtiges Amt (9.2016b): Indien, Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_F210BC76845F7B2BE813A33858992D23/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 29.12.2016
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BBC - British Broadcasting Corporation (27.9.2016): India country profile - Overview,
http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 5.12.2016
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CIA - Central Intelligence Agency (15.11.2016): The World Factbook
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India,
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html, Zugriff 9.1.2017
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Eurasisches Magazin (24.5.2014): Wohin geht die größte Demokratie der Erde?,
http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/Indien-nach-den-Wahlen-eine-Analyse/14017, Zugriff 4.1.2017
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FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.5.2014): Modi ist Mann der Stunde,
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fruehaufsteher/wahlentscheid-in-indien-modi-ist-der-mann-der-stunde-12941572.html, Zugriff 4.1.2017
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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (12.2016): Indien,
http://liportal.giz.de/indien/geschichte-staat.html, Zugriff 5.12.2016
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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmBH (11.2016): Indien, Wirtschaftssystem und Wirtschaftspolitik, http://liportal.giz.de/indien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 5.12.2016
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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/322482/461959_de.html, Zugriff 5.12.2016
3. Sicherheitslage
Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven. Widersprüche, Gegensätze oder Konflikte entladen sich in den gesellschaftlichen Arenen und werden von der Politik aufgegriffen, verarbeitet und teilweise instrumentalisiert (GIZ 11.2016). Blutige Terroranschläge haben in den vergangenen Jahren in Indiens Millionen-Metropolen wiederholt Todesopfer gefordert (Eurasisches Magazin 24.5.2014). Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 11.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 16.8.2016).
Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011
Mumbai, September 2011 New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 Chennai und Dezember 2014 Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2011 1.073 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt, für das Jahr 2012 803, für das Jahr 2013 885, für das Jahr 2014 976 für das Jahr 2015 722 und für das Jahr 2016 835 [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 9.1.2017).
Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People's Liberation Front etc.). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2016).
Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 16.8.2016).
Pakistan und Indien
Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (AA 9.2016b). Seit 1947 gab es bereits drei Kriege, davon zwei aufgrund des umstrittenen Kaschmirgebiets. Friedensgespräche, die 2004 begannen, wurden trotz Spannungen wegen der Kaschmirregion und sich immer wieder ereignenden schweren Bombenaschlägen bis zu den von Islamisten durchgeführten Anschlägen in Mumbai 2008, fortgesetzt (BBC 27.9.2016).
Indien wirft Pakistan vor, Infiltrationen von Terroristen auf indisches Staatsgebiet zumindest zu dulden, wenn nicht zu befördern. Größere Terroranschläge in Indien in den Jahren 2001 und 2008 und der jüngste terroristische Angriff auf eine Militärbasis im indischen Teil Kaschmirs hatten die Spannungen in den bilateralen Beziehungen erheblich verschärft. Indien reagierte auf den Anschlag, bei dem 18 indische Soldaten ums Leben kamen, mit einer begrenzten Militäroperation ("surgical strike") im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs, die sich nach indischen Angaben gegen eine bevorstehende terroristische Infiltration richtete. In der Folge kommt es immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir. Indien sieht Pakistan in der Verantwortung für die terroristischen Bedrohungen an seiner Nordwestgrenze und erhöht den Druck auf den Nachbarn, um wirksame pakistanische Maßnahmen gegen den Terrorismus zu erreichen (AA 9.2016b). Bei einem Treffen in New York Ende September 2013 vereinbarten die Premierminister Singh und Sharif lediglich, den Waffenstillstand künftig besser einhalten zu wollen (GIZ 11.2016a). Der von 2014-2015 Hoffnung gebende Dialogprozess zwischen beiden Seiten ist über die aktuellen Entwicklungen zum Stillstand gekommen. Noch am Weihnachtstag 2015 hatte Premierminister Modi seinem pakistanischen Amtskollegen einen Überraschungsbesuch abgestattet und damit kurzzeitig Hoffnungen auf eine Entspannung aufkeimen lassen (AA 9.2016b).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien
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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
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AA - Auswärtiges Amt (9.2016b): Indien - Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_09493FC61FD08185D486477F8D93E1EE/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 5.12.2016
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BBC - British Broadcasting Corporation (27.9.2016): India country profile - Overview,
http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 5.12.2016
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Eurasisches Magazin (24.5.2014): Wohin geht die größte Demokratie der Erde?,
http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/Indien-nach-den-Wahlen-eine-Analyse/14017, Zugriff 5.12.2016
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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2016a): Indien,
http://liportal.giz.de/indien/geschichte-staat.html, Zugriff 5.12.2016
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ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2016):
Asylländerbericht Indien
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SATP - South Asia Terrorism Portal (9.1.2017): Data Sheet - India Fatalities: 1994-2016,
http://www.satp.org/satporgtp/countries/india/database/indiafatalities.htm, Zugriff 9.1.2017
3.1. Jammu und Kaschmir
Erhebliches Unruhepotential besteht weiterhin im Bundesstaat Jammu und Kaschmir, wo Angriffe eindringender Militanter, der ungeklärte Konflikt zwischen Indien und Pakistan um die Region, die Unzufriedenheit der mehrheitlich muslimischen kaschmirischen Bevölkerung und teils drakonische Sonderrechte indischer Sicherheitskräfte ein Klima des Misstrauens und der Angst schaffen (AA 9.2016b). Militante Gruppen in Jammu und Kaschmir kämpfen weiterhin gegen Sicherheitskräfte, kaschmirische Einrichtungen und lokale Politiker, die sie für "Statthalter" und "Kollaborateure" der indischen Zentralregierung halten. Überläufer zur Regierungsseite und deren Familien werden besonders grausam "bestraft" (AA 16.8.2016).
Indien zählt weltweit zu den zehn am stärksten vom islamistischen Fundamentalismus betroffenen Staaten. In den letzten zehn Jahren wurden über 6.000 Menschen Opfer