TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/4 W111 2188724-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.09.2018
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Entscheidungsdatum

04.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W111 2188720-1/5E

W111 2188726-1/6E

W111 2188724-1/5E

W111 2188723-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , und 4.) XXXX , geb XXXX , alle StA. Russische Föderation und vertreten durch den XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 05.02.2018, Zahlen 1.) 1171497507-171196458, 2.) 1171497910-171196318, 3.) 1171497104-171196342 und 4.) 1171496804-171196334, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46 und 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und Eltern und gesetzliche Vertreter der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin und des minderjährigen Viertbeschwerdeführers. Die beschwerdeführenden Parteien reisten auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein und stellten am 19.10.2017 die diesem Verfahren zugrunde liegenden Anträge auf internationalen Schutz, zu welchen der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin tags darauf vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt wurden.

Der Erstbeschwerdeführer gab zusammenfassend an, er gehöre der russischen Volksgruppe und dem christlichen Glauben an, er habe elf Jahre die Schule sowie drei Jahre die Universität besucht und zuletzt als Bauarbeiter gearbeitet. Den Entschluss zum Verlassen seiner Heimat habe er etwa ein halbes Jahr zuvor gefasst, vor etwa einer Woche habe er XXXX gemeinsam mit seiner Familie verlassen, die Ausreise aus dem Herkunftsstaat sei legal unter Mitführung ihrer russischen Reisepässe erfolgt. Der Erstbeschwerdeführer hätte versucht, seinen Reisepass in Österreich zu vernichten, dessen Fragmente seien jedoch von der Polizei am Flughafen sichergestellt worden (Kopie siehe AS 31). Die beschwerdeführenden Parteien seien auf dem Luftweg über Serbien nach Österreich gelangt, wo sie sich zuvor rund eine Woche lang aufgehalten hätten. Entsprechend vorliegender EURODAC-Treffermeldungen habe der Erstbeschwerdeführer im August 2015 in Polen und im April 2016 in Deutschland um Asyl angesucht; in Polen habe er einen Asylantrag gestellt, sei jedoch gleich (nach einem dreitägigen Aufenthalt in einem Hotel) nach Deutschland weitergereist, wo er sich von Anfang September 2015 bis Juni 2016 aufgehalten hätte. Dort habe er im April 2016 einen Flüchtlingsausweis erhalten, dieser sei ihm aber von den dortigen Behörden im Vorfeld seiner Rückkehr in die Russische Föderation wieder abgenommen worden. In Deutschland sei alles in Ordnung gewesen, die Versorgung seiner Familie sei gut gewesen. Er habe dann einen Anruf von Bekannten aus seiner Heimat erhalten, dass dort alles wieder in Ordnung wäre, weshalb er sich entschlossen hätte, freiwillig nach XXXX zurückzukehren. Das Zielland seiner nunmehrigen Reise sei Österreich gewesen, er wisse, dass man in Österreich ein gutes Leben führen könne.

Zu seinem Fluchtgrund führte der Erstbeschwerdeführer aus, er hätte gelegentlich Marihuana geraucht und sei dabei von der Polizei erwischt worden. In XXXX sei er durch die Polizei unter Drohung mit Verhaftung sowie Repressalien für seine Familie zum Verkauf von Suchtmitteln und Ablieferung des Erlöses an die dortige Polizei genötigt worden. Der Erstbeschwerdeführer habe dies aber beenden wollen, da er mit der korrupten Polizei nichts mehr zu tun habe wollen, weshalb er mit seiner Familie nach XXXX gezogen wäre. Dort sei er jedoch von anderen Polizisten aufgespürt worden, weshalb er nach XXXX habe flüchten müssen; auch dort sei er aufgefunden worden. Man habe ihn wieder zwingen wollen, am Drogenhandel teilzunehmen, der Erstbeschwerdeführer habe sich jedoch vorerst geweigert. Dann sei er eingesperrt, zusammengeschlagen und verletzt worden. Nachdem er eine weitere Zusammenarbeit mit der korrupten Polizei vorgetäuscht hätte, sei er freigekommen. Anschließend sei er aus seiner Heimat geflüchtet. Überdies sei er anlässlich seiner Heirat im Jahr 2013 vom Islam zum Christentum konvertiert. Deshalb sei er von der gesamten Familie geächtet und von seinem Bruder sogar mit dem Umbringen bedroht worden. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst um die Sicherheit seiner Familie. Ihm sei auch angedroht worden, dass ihm das Sorgerecht für seine Kinder entzogen würde; er habe zudem Angst vor einer Verhaftung und dem Tod.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Wesentlichen zu Protokoll, sie gehöre der russischen Volksgruppe und dem orthodoxen Glauben an, habe neun Jahre die Schule und drei Jahre ein College besucht, sie sei bislang nicht berufstätig gewesen. Zu ihrem Reiseweg sowie den früheren Aufenthalten in Polen und in Deutschland erstattete die Zweitbeschwerdeführerin im Wesentlichen gleichlautende Angaben wie der Erstbeschwerdeführer.

Zu ihrem Fluchtgrund gab die Zweitbeschwerdeführerin an, ihr Mann habe in Russland Probleme mit der Polizei gehabt, da er für diese Marihuana habe verkaufen sollen. Er habe auch manchmal Gras geraucht. Außerdem sei ihr Mann verfolgt worden; sie seien dann von XXXX nach XXXX und später nach XXXX gezogen, sie seien jedes Mal von der Polizei geflüchtet. Von XXXX seien sie im September 2017 wieder zu einer Tante der Zweitbeschwerdeführerin nach XXXX geflüchtet, von wo aus sie ihre Flucht nach Österreich organisiert hätten. Die Zweitbeschwerdeführerin sei Christin, ihr Mann sei Moslem gewesen und zum Christentum konvertiert, weshalb er Probleme mit seiner Familie bekommen hätte. Sie hätten ihre Kinder wegnehmen und diese moslemisch aufziehen wollen. Ihr Mann sei auch mit dem Umbringen bedroht worden, sie habe Angst, dass man ihr die Kinder wegnehmen würde. Aus diesem Grund habe sie ihr Land verlassen. Im Falle einer Rückkehr habe sie Angst vor einer Entführung ihrer Kinder und um das Leben ihres Mannes.

Durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurden in weiterer Folge Informationen zum Stand der Verfahren auf internationalen Schutz der beschwerdeführenden Parteien in Polen und in Deutschland eingeholt. Aus den eingelangten Antwortschreiben ergibt sich im Wesentlichen, dass die beschwerdeführenden Parteien am 28.08.2015 um Asyl in Polen angesucht hätten, die dortigen Verfahren jedoch eingestellt worden wären, da die beschwerdeführenden Parteien nicht binnen zwei Tagen ab Antragstellung in der Flüchtlingsunterkunft erschienen wären. Durch die deutsche Behörde wurde mitgeteilt, dass die beschwerdeführenden Parteien ordnungsgemäß zum Termin der Asylantragstellung erschienen wären, jedoch direkt geäußert hätten, keinen Asylantrag stellen zu wollen und eine freiwillige Ausreise in das Heimatland zu beabsichtigen, welche am 12.07.2016 erfolgt wäre.

Nach Zulassung ihrer Verfahren wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin jeweils im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Beide bestätigten eingangs, sich psychisch und physisch zur Durchführung der Einvernahme in der Lage zu fühlen , sie seien, ebenso wie ihre beiden minderjährigen Kinder, gesund und würden keine Medikamente benötigen. Ihre Angaben im Zuge der Erstbefragung seien korrekt protokolliert und rückübersetzt worden, sie hätten jedoch keine Kopie der Niederschrift erhalten. Die beschwerdeführenden Parteien würden der russischen Volksgruppe angehören und sich zum christlichen Glauben bekennen.

Der Erstbeschwerdeführer gab weiters an, er habe zuvor bereits in Deutschland um Asyl angesucht, Grund seien Probleme mit der Polizei in Russland gewesen. Er habe manchmal Marihuana geraucht und Probleme mit der Polizei gehabt, welche gewollt hätte, dass er für sie arbeite und Drogen für sie verkaufe. Nach den Gründen seiner Rückkehr nach Russland gefragt, erklärte der Erstbeschwerdeführer, sie hätten mit der Familie seiner Frau Kontakt gehabt, welche ihnen gesagt hätte, dass alles wieder ruhig wäre. Die Probleme im Vorfeld seiner Ausreise nach Deutschland hätten sich in XXXX ereignet. Nach seiner Rückkehr sei es zunächst ruhig gewesen; er habe wieder Arbeit auf dem Bau gefunden, im September 2017 hätten die Probleme wieder begonnen. Nach ihrer Rückkehr hätten sie in XXXX bei den Eltern seiner Frau gewohnt, in der Folge seien sie in ihre Eigentumswohnung gezogen, welche nunmehr leer stünde. Befragt, weshalb er in Österreich versucht hätte, seinen Reisepass auf der Toilette am Flughafen zu entsorgen, erklärte der Erstbeschwerdeführer, sie könnten nicht nach Russland zurück; er habe dies gemacht, damit man sie nicht zurückschicke.

Zu seinem Lebenslauf führte der Erstbeschwerdeführer aus, er stamme aus Dagestan, wo er die Schule besucht und ein Studium begonnen hätte; anschließend sei er zu seiner Schwester nach XXXX gezogen, wo er auf Baustellen gearbeitet und im Jahr 2012 seine Frau kennengelernt hätte. Seine Eltern seien bereits verstorben, er habe lediglich einen Bruder, wisse jedoch nicht, wo dieser lebe. Seine Schwester sei im Jahr 2011 im Zuge eines Raubüberfalles umgebracht worden. Im Jahr 2012 habe er sich taufen lassen. In Österreich habe er mit Ausnahme seiner mitgereisten Familie keine Verwandten und lebe von der Grundversorgung. Seine wirtschaftliche Situation im Heimatland sei gut gewesen. Seine Frau stünde mit ihrer Familie im Herkunftsstaat in Kontakt, deren Situation sei in Ordnung.

Darum ersucht, seine Gründe für das neuerliche Verlassen seiner Heimat ausführlich zu schildern, erklärte der Erstbeschwerdeführer, wieder Probleme mit denselben Leuten bekommen zu haben. Er habe in XXXX am Bau gearbeitet. Im Jahr 2014 habe ihn ein Polizeioffizier namens XXXX schon einmal wegen Marihuana erwischt und ihm gesagt, dass er ins Gefängnis komme, wenn er nicht für sie arbeite. Der Erstbeschwerdeführer habe dann etwa ein Jahr lang im Auftrag der Polizei gedealt, da es in Russland unmöglich wäre, etwas gegen den Willen der Polizei zu tun. Er habe dann gesagt, dass er dies nicht mehr machen könne, woraufhin sie gedroht hätten, dem Kind etwas zu tun. Sie seien dann nach XXXX gefahren, wo sie von September 2014 bis April 2015 bei der Tante seiner Frau gelebt hätten. Dann hätte er sich eine SIM-Karte besorgt. Es hätten nur seine Angehörigen über seinen Aufenthaltsort Bescheid gewusst, sonst niemand. Im April 2015 habe er Anrufe erhalten, zunächst hätte niemand etwas gesagt, das habe ca. zwei Wochen gedauert. Dann habe er eine SMS erhalten, in welcher im mitgeteilt worden wäre, dass er an eine Adresse eine gewisse Menge Marihuana bringen sollte. Aufgefordert, seine Situation nach seiner Rückkehr aus Deutschland zu schildern, gab der Erstbeschwerdeführer an, sie seien im Juli 2016 zurückgekehrt und hätten zunächst bei den Schwiegereltern gewohnt. Bis September 2017 habe es keine Probleme gegeben, dann sei der zuvor erwähnte XXXX auf der Baustelle erschienen, welcher gedroht hätte, seine Frau zu vergewaltigen. Er habe auch seinen Kindern gedroht. Der Erstbeschwerdeführer habe diesem XXXX versichert, niemandem zu erzählen, was er und seine Leute so treiben. XXXX habe ihm gesagt, er würde ihn nicht in Ruhe lassen. Der Erstbeschwerdeführer habe dann sofort gepackt und sie seien am 01.10. nach XXXX gereist. Die Drogen, welche er verkauft hätte, habe er von Andre erhalten. Sie hätten ihm auch Heroin gegeben. Befragt, wie oft es im Jahr 2017 zu einer Begegnung mit XXXX gekommen wäre, erklärte der Erstbeschwerdeführer, dass dies lediglich einmal der Fall gewesen wäre. Dessen Namen kenne er, da er seinen Ausweis vorgewiesen hätte, an den Familiennamen könne er sich nicht erinnern.

Befragt ob er damit all seine Gründe genannt hätte, erklärte der Erstbeschwerdeführer, er sei auch Moslem gewesen. Als sein Sohn ein Jahr alt geworden und getauft worden wäre, habe sein Bruder ihn über Skype angerufen um zu gratulieren. Sein Bruder habe gesehen, dass das Kind eine Kette mit einem Kreuz trage, woraufhin er ausgerastet wäre. Der Erstbeschwerdeführer habe erzählt, dass auch er Christ sei. Sein Bruder habe ihn mit dem Umbringen bedroht. Der Erstbeschwerdeführer habe viele Cousins. Nach dem Gesetz der Scharia wäre er umzubringen und zu steinigen. Befragt, ob die Polizei in Russland so ein Verhalten akzeptiere, erklärte der Erstbeschwerdeführer, in Russland zähle das Geld, in Dagestan sei ein anderes Gesetz. Auf die Frage, wie oft er mit seinem Bruder Kontakt habe, antwortete der Erstbeschwerdeführer, sein Bruder sei drei Tage nach dem geschilderten Anruf über Skype zu ihnen nach XXXX gekommen. Seine Frau sei mit einer Freundin zu Hause gewesen, die Kinder seien bei den Großeltern gewesen. Der Bruder habe die Kinder sehen wollen; er habe gesagt, er werde sie mitnehmen und im richtigen Glauben erziehen. Seine Frau sei aufgebracht gewesen und habe ihre Eltern verständigt, die Kinder in Sicherheit zu bringen. Der Bruder des Erstbeschwerdeführers sei dort hingefahren. Befragt, woher ihm die Adresse bekannt gewesen wäre, erklärte der Erstbeschwerdeführer, er hätte normalen Kontakt zu seiner Bruder gehabt, dieser habe ja nicht gewusst, dass er den Glauben gewechselt hätte. Der letzte Kontakt zu seinem Bruder sei damals, als er in XXXX gewesen wäre, erfolgt. Angeblich rufe er immer bei den Schwiegereltern an und sei auch schon zweimal persönlich bei diesen gewesen. Er komme auch nie alleine.

Der Erstbeschwerdeführer gab an, weder in seinem Heimatland, noch in einem anderen Land strafbare Handlungen begangen zu haben, vorbestraft zu sein oder sich in Haft befunden zu haben, auch sei er nie politisch tätig gewesen. Für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat fürchte er, dass man ihm die Kinder wegnehme und die Obsorge entziehe. Nachgefragt, fürchte er, dass die Polizisten, dieser XXXX und sein Freund, ihm die Kinder wegnehmen würden. Er mache sich auch Sorgen wegen seines Bruders. Während seines zweiwöchigen Aufenthalts in XXXX im Vorfeld seiner Ausreise im Oktober 2017 sei es zu keinen weiteren Vorfällen gekommen. Befragt, warum sie nicht wieder nach Deutschland gereist wären, erklärte der Erstbeschwerdeführer, in Deutschland würden sie den Grund nicht kennen, sie hätten den Antrag zurückgezogen. Seine Frau habe im Internet nachgesehen und sich für Österreich entschieden.

Der Erstbeschwerdeführer legte ein Schreiben über seine Teilnahme an einem Vorbereitungskurs "Deutsch als Zweitsprache" an einem Gymnasium vom 30.01.2018 sowie ein Empfehlungsschreiben durch Bekannte vor.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab zusammenfassend an, sie hätten zu einem früheren Zeitpunkt bereits in Deutschland um Asyl angesucht, da ihr Mann Probleme mit der Polizei gehabt hätte. Sie hätten ihn zum Verkauf von Drogen gezwungen, was dieser etwa neun Monate lang gemacht hätte. Auf die Frage, weshalb sie nach Russland zurückgekehrt wären, erklärte die Zweitbeschwerdeführerin, es sei ihr eigener Wunsch gewesen. Sie habe es in die Wege geleitet. Sie habe Heimweh gehabt und sich Sorgen um die Eltern gemacht. Derzeit hätten ihre Eltern eine schwierige Situation; es ginge ihnen gesundheitlich nicht gut, außerdem werde die Familie von ihrem Schwager bedroht. Infolge ihrer Rückkehr nach Russland habe sie selbst nicht gearbeitet, ihr Mann habe am Bau gearbeitet und dadurch den Lebensunterhalt der Familie bestritten. Nach ihrer Rückkehr hätten sie in ihrer Wohnung in XXXX gelebt, welche nunmehr leer stünde. Einen Verkauf hätten sie nicht in Erwägung gezogen. Befragt, weshalb sie versucht hätte, ihren Reisepass den hiesigen Behörden vorzuenthalten und diesen auf der Toilette am Flughafen zu entsorgen, erwiderte die Zweitbeschwerdeführerin, sie habe den Eindruck gehabt, dass man sie wieder nach Hause schicken könne, wenn man sie mit dem Pass erwische. Zu ihren Lebensumständen führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, sie habe in XXXX neun Jahre lang die Schule und drei Jahre eine Programmierer-Ausbildung an einem College absolviert. In XXXX habe sie studiert und im Jahr 2012 ihren Mann kennengelernt und eine Familie gegründet. In Österreich habe sie mit Ausnahme ihrer mitgereisten Familienmitglieder keine Verwandten und lebe von der Grundversorgung. Ihren Schwager habe sie über das Internet kennengelernt, persönlich habe sie diesen nie gesehen. Auf nochmalige Nachfrage bestätigte die Zweitbeschwerdeführerin, ihren Schwager nie persönlich gesehen zu haben. Im Heimatland würden noch ihre Eltern und ein Bruder leben; ihr Mann habe insgesamt zwei Brüder, mit einem davon habe er kaum Kontakt, mit dem zweiten habe er keinen Kontakt. Den zweiten Bruder habe sie im September 2015 gesehen; dieser lebe in Deutschland. Die Zweitbeschwerdeführerin habe Kontakt zu ihrer Familie, ihre wirtschaftliche Situation im Herkunftsstaat sei gut gewesen.

In Bezug auf ihren Fluchtgrund schilderte die Zweitbeschwerdeführerin, ihr Problem sei, dass der Bruder ihres Mannes sie bedrohe. Dieser habe nicht gewusst, dass ihr Mann Christ geworden wäre. Ihr Mann hätte diesem gesagt, dass die Zweitbeschwerdeführerin zum Islam gewechselt wäre. XXXX , der erwähnte Bruder, habe erfahren, dass sie alle Christen wären, dies sei ein Problem. Im August 2017 hätten sie ihren Sohn taufen lassen, der Bruder (ihres Mannes) habe über Skype angerufen, um diesem zum Geburtstag zu gratulieren. Der Bruder habe das Kreuz gesehen und herumgeschrien. Ihr Mann habe dann gesagt, dass auch er im November 2012 Christ geworden wäre. Bei den Moslems würden deren Gesetze über dem Staat stehen. Nach dem Koran hätte der Erstbeschwerdeführer nach Dagestan gebracht werden sollen und der Familienrat hätte entscheiden müssen, was geschehe; er hätte getötet werden können. Auch hätten sie ihnen die Kinder wegnehmen können. Nach Vorfällen in diesem Zusammenhang gefragt, verwies die Zweitbeschwerdeführerin darauf, dass ihr Schwager sie drei Tage Tag und Nacht angerufen hätte. Es habe sehr viele Anrufe gegeben, sie hätten den Hörer nicht abgenommen. Am 25.08. sei er dann das erste Mal gekommen. Er sei nicht alleine gewesen, es wären zwei Autos gekommen. Die Kinder seien gerade bei den Großeltern gewesen, ihr Mann auf der Arbeit, die Zweitbeschwerdeführerin sei mit einer Freundin zu Hause gewesen. Er habe geklopft, die Zweitbeschwerdeführerin habe geöffnet, er sei zornig gewesen und habe alles durchsucht. Als er die Kinder nicht vorgefunden hätte, sei ihm scheinbar klar gewesen, dass diese bei den Eltern seien. Die Zweitbeschwerdeführerin habe die Eltern angerufen und ihnen mitgeteilt, nicht nach Hause zu fahren. Der Bruder sei dann einfach wieder gegangen und zu den Eltern in die Wohnung gefahren. Er habe offensichtlich Angst gehabt, dass die Nachbarn die Polizei verständigen würden. In der Wohnung der Eltern sei nur die Großmutter der Zweitbeschwerdeführerin gewesen. Nach weiteren Problemen im Vorfeld ihrer Ausreise gefragt, erklärte die Zweitbeschwerdeführerin, ihr Mann habe Probleme mit der Polizei gehabt. Diese hätte ihn nicht in Ruhe gelassen und ihn überall gefunden. Befragt, ob sie im Jahr 2017 auch in anderen Städten gewesen wären, erklärte die Zweitbeschwerdeführerin, sie seien in XXXX sowie in XXXX in Nordsibirien gewesen. Befragt, wann sie in Nordsibirien gewesen wären, erklärte die Zweitbeschwerdeführerin, dass dies vor Deutschland, im Jahr 2015 gewesen wäre. In XXXX habe es keine Vorfälle gegeben, sie seien dort nur zwei Wochen gewesen. Befragt, wann die Probleme im Jahr 2017 begonnen hätten, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, sie denke, dass es ab Mai 2017 begonnen hätte, Ihr Mann sei nervös und aggressiv gewesen, er habe Anrufe und SMS von Unbekannten erhalten. Auf die Frage, weshalb sie wegen der Probleme mit dem Schwager nicht zur Polizei gegangen wären, erklärte die Zweitbeschwerdeführerin, dass dies zwecklos wäre, "die" würden machen, was sie wollen. Für ihre Kinder würden dieselben Fluchtgründe gelten. Weitere Gründe habe sie nicht. Im Falle einer Rückkehr befürchte sie, dass ihr Mann umgebracht würde und dass die Verwandten ihres Mannes ihnen die Kinder wegnehmen.

Den erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien wurden im Anschluss die Länderberichte zu ihrem Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht. Nach Rückübersetzung ihrer Angaben bestätigten diese jeweils die Richtigkeit und Vollständigkeit der aufgenommenen Niederschriften durch ihre Unterschrift.

2. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden jeweils vom 05.02.2018 wurden die Anträge auf internationalen Schutz vom 19.10.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG jeweils abgewiesen (Spruchpunkte I.), zugleich wurden unter Spruchpunkt II. die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation ebenfalls abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkte III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen die BeschwerdeführerInnen jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 erlassen (Spruchpunkte IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkte V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkte VI.).

Das Bundesamt stellte die Identität der beschwerdeführenden Parteien, deren Staatsangehörigkeit, Religionsbekenntnis und Volksgruppenzugehörigkeit fest. Den angeführten Bescheiden wurden umfangreiche Länderfeststellungen zur Lage in der Russischen Föderation zugrunde gelegt.

Begründend wurde im Wesentlichen erwogen, dass die beschwerdeführenden Parteien nicht hätten glaubhaft machen können, ihr Heimatland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen zu haben, die von ihnen vorgebrachten Gründe für die Stellung der gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz hätten sich als nicht glaubhaft erwiesen.

Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen erwogen, dass es bereits fragwürdig erscheine, weshalb der Erstbeschwerdeführer anlässlich seiner Erstbefragung lediglich einen Sachverhalt angeführt hätte, welcher sich bereits vor seinen Asylantragstellungen in Deutschland und in Polen, sohin bereits vor August 2015, ereignet haben soll und dabei mit keinem Wort zu den Fluchtgründen Stellung bezogen hätte, welche ihn zur neuerlichen Ausreise aus seinem Herkunftsland veranlasst hätten. Dieses Aussageverhalten sei für die Behörde keinesfalls nachvollziehbar, zumal diesem bereits durch seine früher in Europa gestellten Anträge hätte bekannt sein müssen, dass es unumgänglich sei, ausreisekausale Vorfälle so früh wie möglich in das Verfahren einzubringen. Alleine der Umstand, weshalb sie im Juli 2016 von Deutschland wieder in die Russische Föderation zurückgekehrt wären, zeuge davon, dass nie eine glaubhafte ernste Verfolgung gegen den Erstbeschwerdeführer und seine Familie stattgefunden habe. Die Zweitbeschwerdeführerin sei zum Zeitpunkt der Rückkehr kurz vor der Geburt ihres zweiten Kindes gestanden, nichtsdestotrotz sei die Familie in ebenjene Stadt zurückgekehrt, in welcher es vormals zu der vorgebrachten Verfolgung gekommen wäre. Alleine diese Tatsache zeuge davon, dass die beschwerdeführenden Parteien ohne Bedenken in eine sichere Umgebung hätten zurückkehren können, denn kein mit Vernunft begabter Mensch würde mit seiner hochschwangeren Frau in ein Gebiet zurückkehren, aus welchem er aus Furcht vor Verfolgung geflohen wäre. Der Erstbeschwerdeführer habe auf Vorhalt jenes Verhaltens lapidar gemeint, dass seine Schwiegereltern ihnen damals mitgeteilt hätten, dass die Situation wieder ruhiger geworden wäre. Dabei sei es vollkommen unschlüssig, auf welchem Weg die Schwiegereltern zu dieser Behauptung hätten gelangen können. Demgegenüber habe die Zweitbeschwerdeführerin ihre Rückkehr in die Russische Föderation damit begründet, dass sie an Heimweh gelitten hätte; es sei jedoch undenkbar, dass man nur aus diesem Grund in ein Gebiet zurückkehren würde, in welchem man Tod und Verfolgung zu befürchten hätte. Für die Behörde sei es demnach erwiesen, dass es im Vorfeld der Asylantragstellung in Deutschland keine real erlebten Verfolgungshandlungen gegeben hätte; trotzdem hätten die beschwerdeführenden Parteien ihr Vorbringen weiterhin auf diese Unwahrheit aufgebaut. Die beschwerdeführenden Parteien seien im Juli 2016 auf legalem Weg in die Russische Föderation zurückgereist, wo sie ein normales Leben geführt und sich in keiner Weise versteckt hätten. Aufgrund der Registrierungspflicht sei den dortigen Behörden auch bekannt gewesen, an welcher Wohnadresse in der Russischen Föderation die beschwerdeführenden Parteien aufhältig gewesen wären. Es sei diesen möglich gewesen, dort für mehr als ein Jahr unbehelligt zu leben. Sollte der Erstbeschwerdeführer tatsächlich durch zwei Polizisten in XXXX verfolgt worden sein, so wäre es logisch erschienen, wenn diese an dessen Wohnadresse aufgetaucht wären, demgegenüber habe der Erstbeschwerdeführer geschildert, auf seinem Arbeitsplatz an einer Baustelle aufgesucht worden zu sein. Während die Zweitbeschwerdeführerin angeführt hätte, dass der Erstbeschwerdeführer bereits seit Mai 2017 Telefonanrufe und SMS erhalten hätte, welche ihn nervös und aggressiv gemacht hätten, habe dieser selbst davon gesprochen, bis September 2017 keine Probleme gehabt zu haben. Die Zweitbeschwerdeführerin sei auch in keiner Weise auf die neuerliche Begegnung ihres Mannes mit der Polizei eingegangen. Es sei in keiner Weise glaubhaft, dass der Erstbeschwerdeführer von den beiden kriminellen Polizisten verfolgt und zum Drogenhandel gezwungen worden wäre und ein solches Verhalten vom Staat toleriert würde. Bei Wahrunterstellung hätte er dieses Verhalten bei den Behörden seines Heimatlandes zur Anzeige bringen können, was dieser jedoch unterlassen hätte. Selbst wenn man annehmen würden, dass die beiden Polizisten einer Drogenmafia-Organisation angehört hätten, so wäre die behauptete Verfolgungsgefahr durch die kriminellen Personen in seinem Herkunftsstaat weder dem Staat zurechenbar, noch würde diese einen Konnex zu einem der in der GFK genannten Motive aufweisen, sondern eine rein kriminelle, durch Private ausgeführte, Handlung darstellen. Es sei amtsbekannt, dass die Behörden der Russischen Föderation grundsätzlich gewillt und in der Lage wären, kriminelle Machenschaften, auch innerhalb der Polizei, hintanzuhalten. Selbst wenn man aber von einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr ausgehen würde, so würde sich diese lediglich auf den Raum XXXX beschränken, darüber hinaus wäre es dem Erstbeschwerdeführer möglich, sich in der Russischen Föderation ungefährdet zu bewegen, zumal sich aus dessen Schilderungen keine intensive Suche nach seiner Person ergebe, auch da die Person des Erstbeschwerdeführers als Straßendealer für eine kriminelle Organisation nicht jene Bedeutung besessen hätte, um eine derart intensive Suche nach ihn zu betreiben. Gegen eine staatliche Verfolgung spreche zudem, dass die beschwerdeführenden Parteien kurz vor ihrer Ausreise in der Lage gewesen wären, sich Reisepässe durch ihren Herkunftsstaat ausstellen zu lassen.

Dessen weiteres Vorbringen, von seinem streng gläubigen Bruder aufgrund seines Wechsels zum Christentum mit dem Tod bedroht worden zu sein, erweise sich selbst im Falle einer Wahrunterstellung nicht als asylrelevant, zumal keine hinreichende Intensität der Bedrohung zu erkennen wäre. Es erscheine keinesfalls glaubhaft, dass der Bruder des Erstbeschwerdeführers, sollte er tatsächlich vorhaben, diesen zu töten oder dessen Kinder wegzunehmen, den - laut Google Maps elf Stunden Fahrzeit betragenden - Weg von Dagestan nach XXXX auf sich genommen hätte und sodann unverrichteter Dinge wieder abziehen würde, anstatt die Wohnung nochmals aufzusuchen. Davon abgesehen wäre das Verhalten des Bruders des Erstbeschwerdeführers als eine Verfolgung auf privater Ebene zu werten. Für den Fall einer Wahrunterstellung könne nicht festgestellt werden, dass der russische Staat nicht in der Lage oder nicht willens wäre, vor einer solchen Verfolgung durch einen anzunehmenderweise islamischen Fanatiker Schutz zu bieten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit könne nicht bereits dann gesprochen werden, wenn ein Staat nicht in der Lage wäre, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe durch Dritte präventiv zu schützen, auch habe der Erstbeschwerdeführer keinen Grund vorgebracht, weshalb der Staat ausgerechnet ihm Schutz und Hilfe versagen sollte. Einen Versuch, das Verhalten seines Bruders zur Anzeige zu bringen, habe der Erstbeschwerdeführer nicht unternommen. Gerade die Russische Föderation lasse den Anhängern einer fundamentalistischen Strömung des Islams keinen Spielraum. Sofern die beschwerdeführenden Parteien nach Ankunft in Österreich versucht hätten, ihre Reisepässe zu vernichten, um einer sofortigen Abschiebung zu entgehen, so deute dieses Verhalten darauf hin, dass sie sich von Anfang an bewusst gewesen wären, dass ihr Fluchtvorbringen ein Konstrukt darstelle und unter kein in der GFK genanntes Motiv zu subsumieren wäre.

Die Zweitbeschwerdeführerin habe sich ausschließlich auf die - für unglaubhaft befundenen - Gründe des Erstbeschwerdeführers berufen. Auch in den Verfahren der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin und des minderjährigen Viertbeschwerdeführers seien keine darüberhinausgehenden Gründe vorgebracht worden.

Auch darüber hinaus habe kein Rückkehrhindernis erkannt werden können, eine Rückkehr in ihren Herkunftsstaat - etwa nach XXXX - sei den beschwerdeführenden Parteien vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Verhältnisse zumutbar. Diese würden jeweils an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leiden, der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin würden über einen Schulabschluss und die Möglichkeit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit verfügen, weshalb ihnen eine eigenständige Bestreitung ihres Lebensunterhalts zumutbar wäre. In der Russischen Föderation würden nach wie vor Angehörige der beschwerdeführenden Parteien leben, welche diese im Bedarfsfall unterstützen könnten, zudem würden die beschwerdeführenden Parteien dort über eine Eigentumswohnung verfügen.

Eine besondere Integrationsverfestigung der beschwerdeführenden Parteien in Österreich habe angesichts der erst kurzen Dauer ihres Aufenthalts und des Umstandes, dass sie zu keinem Zeitpunkt auf einen längerfristigen Aufenthalt hätten vertrauen dürfen, nicht festgestellt werden können.

Mit Verfahrensanordnungen vom 06.02.2018 wurde den beschwerdeführenden Parteien eine Rechtsberatungsorganisation in Hinblick auf eine allfällige Beschwerdeerhebung zugewiesen.

3. Gegen die angeführten Bescheide wurde mit Eingabe vom 06.03.2018 unter gleichzeitiger Bekanntgabe des im Spruch bezeichneten Vertretungsverhältnisses fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde im Familienverfahren eingebracht, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wurden. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, die beschwerdeführenden Parteien hätten die Russische Föderation aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen. Sofern es die belangte Behörde als nicht nachvollziehbar erachten würde, dass der Erstbeschwerdeführer im Zuge seiner Erstbefragung lediglich Fluchtgründe genannt hätte, welche sich 2015 ereignet hätten, sei zu entgegnen, dass die geschilderten Gründe auch dessen neuerliche Ausreise veranlasst hätten; im Übrigen diene die Erstbefragung primär der Erhebung der Reiseroute und sei dem Erstbeschwerdeführer mitgeteilt worden, dass er seine Angaben in einer weiteren Einvernahme detailliert werde schildern können. Wenn es die Behörde desweiteren nicht als nachvollziehbar erachte, dass der Erstbeschwerdeführer mit seiner hochschwangeren Frau nach Russland zurückgereist wäre, nur weil seine Schwiegereltern die Situation für sicher erklärt hätten, sei anzumerken, dass seine Schwiegereltern die Lage deshalb als sicher erklärt hätten, weil niemand bei diesen nach dem Erstbeschwerdeführer gefragt oder nach ihm gesucht hätte. Als die Polizisten von dessen Rückkehr nach Russland erfahren hätten, hätten die Probleme jedoch erneut begonnen. Sofern es die Behörde nicht als glaubhaft erachte, dass der russische Staat das Verhalten korrupter Polizisten tolerieren würde, sei darauf hinzuweisen, dass die Polizei in Russland korrupt wäre, weshalb eine Anzeige keinen Effekt gehabt hätte. Insoweit die Behörde desweiteren argumentiere, dass es unlogisch erscheine, dass der Bruder des Erstbeschwerdeführers eine elfstündige Anreise in Kauf genommen hätte, ohne etwas zu erreichen, sei dem zu entgegnen, dass dieser vorgehabt hätte, die Kinder zu entführen, welche sich jedoch bei den Großeltern, welche durch die Zweitbeschwerdeführerin vorgewarnt worden wären, aufgehalten hätten und der Genannte die Kinder sohin nicht finden habe können. Aufgrund dessen, dass der Erstbeschwerdeführer in Russland durch Polizisten bedroht worden wäre, stelle dessen Abschiebung eine reale Verletzung seiner Rechte gemäß Artikel 2 und 3 EMRK dar. Aus diesem Grund hätte die Behörde bei richtiger rechtlicher Beurteilung zum Ergebnis gelangen müssen, dass den beschwerdeführenden Parteien der Status von Asylberechtigten, in eventu der Status von subsidiär Schutzberechtigten, hätte zuerkannt werden müssen.

4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte mitsamt den bezughabenden Verwaltungsakten am 09.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Anträge auf internationalen Schutz vom 19.10.2017, der Einvernahmen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde vom 06.03.2018 gegen die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2018, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakte, der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, Ausländer- und Fremdeninformationssystem, Strafregister und Grundversorgungsinformationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

1.1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und Eltern der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin und des minderjährigen Viertbeschwerdeführers, deren gesetzliche Vertretung sie innehaben. Die beschwerdeführenden Parteien führen die im Spruch angeführten Personalien, sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, der russischen Volksgruppe und dem christlichen Glauben zugehörig. Die beschwerdeführenden Parteien reisten im Oktober 2017 gemeinsam auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein und stellten am 19.10.2017 die diesem Verfahren zugrunde liegenden Anträge auf internationalen Schutz. Zuvor hatten sie im August 2015 bereits in Polen sowie im April 2016 in Deutschland um internationalen Schutz angesucht, reisten jedoch im Juli 2016 vor Einleitung ihres Verfahrens in Deutschland freiwillig in den Herkunftsstaat zurück.

Die beschwerdeführenden Parteien leiden jeweils an keiner akuten oder lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankung, welche ein Hindernis für eine Rückführung in die Russische Föderation darstellen würde.

Nicht festgestellt werden kann, dass den beschwerdeführenden Parteien im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung oder eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

Die BeschwerdeführerInnen haben nicht glaubhaft gemacht, in der Russischen Föderation eine Verfolgung durch staatliche Behörden befürchten zu müssen, in eine hoffnungslose Lage zu kommen, einem realen Risiko einer sonstigen Verfolgung oder einer Verletzung ihrer Rechte auf Leben, nicht unmenschlicher Behandlung oder Folter unterworfen zu werden und/oder nicht der Todesstrafe zu unterliegen und als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes unterworfen zu sein.

Die beschwerdeführenden Parteien beziehen seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet Leistungen aus der Grundversorgung des Bundes und sind nicht selbsterhaltungsfähig. Eine nachhaltige Integration im Sinne einer tiefgreifenden Verwurzelung im Bundesgebiet kann nicht erkannt werden. Die beschwerdeführenden Parteien haben sich keine nennenswerten Deutschkenntnisse angeeignet, keine sonstigen Ausbildungen absolviert und sind in keinem Verein Mitglied. Sie verfügen außerhalb ihrer Kernfamilie über keine Angehörigen oder sonstigen engen sozialen Bindungen im Bundesgebiet. Den bislang unbescholtenen beschwerdeführenden Parteien kam zu keinem Zeitpunkt ihres Aufenthaltes in Österreich ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zu. Im Herkunftsstaat verfügen die beschwerdeführenden Parteien über ein verwandtschaftliches Netzwerk.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.

Es besteht in Österreich kein schützenswertes Privat- oder Familienleben im Sinne des Artikels 8 EMRK.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die aktuelle politische und menschenrechtliche Situation in der Russischen Föderation stellt sich unter Heranziehung der erstinstanzlichen Feststellungen (auszugsweise) dar wie folgt:

(...)

1. Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3.2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3.2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3.2017a).

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3.2017a).

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Russische Föderation - Innenpolitik,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 21.6.2017

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CIA - Central Intelligence Agency (15.6.2017): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 21.6.2017

-

EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 21.6.2017

-

GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2017a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c24819, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2017c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 11.7.2017

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Kurier.at (13.7.2017): Nemzow-Mord: 20 Jahre Straflager für Mörder,

https://kurier.at/politik/ausland/nemzow-mord-20-jahre-straflager-fuer-moerder/274.903.855, Zugriff 13.7.2017

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RA - Russland Analysen (7.10.2016): Nr. 322, Bewegung in der russischen Politik?,

http://www.laender-analysen.de/russland/pdf/RusslandAnalysen322.pdf, Zugriff 21.6.2017

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Standard (29.7.2017): Alle Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldiggesprochen,

http://derstandard.at/2000060550142/Alle-Angeklagten-im-Mordfall-Nemzow-schuldig-gesprochen, Zugriff 30.6.2017

1.1. Dagestan

Dagestan belegt mit einer Einwohnerzahl von knapp drei Millionen Menschen (2% der Gesamtbevölkerung Russlands) den dritten Platz unter den Republiken der Russischen Föderation. Über die Hälfte der Einwohner (54,9%) sind Dorfbewohner. Die Bevölkerung in Dagestan wächst verhältnismäßig schnell. Im Unterschied zu den faktisch monoethnischen Republiken Tschetschenien und Inguschetien setzt sich die Bevölkerung Dagestans aus einer Vielzahl von Ethnien zusammen. In der Republik gibt es 60 verschiedene Nationalitäten, einschließlich der Vertreter der 30 alteingesessenen Ethnien. Alle sprechen unterschiedliche Sprachen. Dieser Umstand legt die Vielzahl der in Dagestan wirkenden Kräfte fest, begründet die Notwendigkeit eines Interessenausgleichs bei der Lösung entstehender Konflikte und stellt ein Hindernis für eine starke autoritäre Zentralmacht in der Republik dar. Allerdings findet dieser "Interessenausgleich" traditionellerweise nicht auf dem rechtlichen Wege statt, was in Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans münden kann. Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nordkaukasus beispiellos (IOM 6.2014, vgl. ACCORD 14.4.2017).

Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der der Staat mit aller Härte gegen "Aufständische" vorgeht. Die weit überwiegende Anzahl von Gewaltopfern war in den Jahre 2015 und 2016 in Dagestan zu verzeichnen. Aktionen von Sicherheitskräften nehmen auch die Familienangehörigen von bewaffneten Untergrundkämpfern ins Visier (AA 24.1.2017).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in dem Kadyrow'schen Privatstaat. Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Wie im Abschnitt über Dagestans Völkervielfalt erwähnt, stützt die ethnische Diversität ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen. So hatte der Vielvölkerstatus der Republik das Amt eines Präsidenten oder Republikführers lange Zeit verhindert. Erst Anfang 2006 setzte der Kreml den Awaren Muchu Alijew als Präsidenten an die Spitze der Republik. Alijew war in sowjetischer Zeit ein hochrangiger Parteifunktionär und bekleidete danach zehn Jahre lang den Vorsitz im Parlament Dagestans. Er galt als "Mann des Volkes" in einer Republik, in der politische Macht bislang an die Unterstützung durch lokale und ethnische Seilschaften gebunden war. Alijew, so schien es anfangs, stand über diesen Clan-Welten. Doch die Hoffnung auf Korruptionsbekämpfung und bessere Regierungsführung wurde enttäuscht. Moskau ersetzte ihn 2009 durch Magomedsalam Magomedow, einen Sohn des langjährigen Staatsratsvorsitzenden, der als Präsidentenersatz fungiert hatte. Damit verschob sich die politische Macht im ethnischen Spektrum von den Awaren wieder zu den Darginern. Der neue Präsident war mit Hinterlassenschaften der 14-jährigen Herrschaft seines Vaters Magomedali Magomedow konfrontiert, die sein Amtsvorgänger Alijew nicht hatte bewältigen können. Das betraf vor allem Korruption und Vetternwirtschaft. In Dagestan bemühte sich Magomedow vor allem um einen Dialog zwischen den konfessionellen Konfliktparteien der Sufiten und Salafisten und um eine Reintegration der "Waldbrüder", des bewaffneten Untergrunds also, in die Gesellschaft. Er berief auch einen dagestanischen Völkerkongress mit fast 3.000 Teilnehmern ein, der im Dezember 2010 religiösen Extremismus und Terrorismus verdammte und die Bevölkerung aufrief, den Kampf gegen den bewaffneten Untergrund zu unterstützen. Ein Ergebnis des Kongresses war die Schaffung eines Komitees für die Reintegration von Untergrundkämpfern. Doch auch Magomedsalam Magomedow gelang es nicht, die Sicherheitslage in Dagestan zu verbessern. Anfang 2013 ersetzte der Kreml Magomedow durch Ramsan Abdulatipow, den in Moskau wohl bekanntesten Dagestaner. Abdulatipow galt dort als Experte für interethnische Beziehungen und religiöse Konflikte im Nordkaukasus; 1999/2000 hatte er kurzzeitig das ein Jahr später abgeschaffte föderale Ministerium für Nationalitätenbeziehungen geleitet. Damit trat abermals ein Hoffnungsträger an die Spitze der Republik, der als Erstes der Korruption und dem Clanismus den Kampf ansagte. Abdulatipows Kampf gegen Korruption und Nepotismus führte zwar zum Austausch von Personal, doch die Strukturen, die dem Problem zugrunde liegen, wurden kaum angetastet. Es war auch nicht zu erwarten, dass sich ein Phänomen wie das Clan- und Seilschaftsprinzip, das für Dagestan so grundlegende gesellschaftlich-politische Bedeutung hat, ohne weiteres würde überwinden lassen. Dieses Prinzip wird nicht nur durch ethnische, sondern auch durch viele andere Zuordnungs- und Gemeinschaftskriterien bestimmt und prägt Politik wie Geschäftsleben der Republik auf entscheidende Weise. Zudem blieb der Kampf gegen den bewaffneten Untergrund oberste Priorität, was reformpolitische Programme in den Hintergrund rückte. Dabei zeugt die Praxis der Anti-Terror-Operationen in der Ära Abdulatipow von einer deutlichen Stärkung der "Siloviki", das heißt des Sicherheitspersonals. Zur Bekämpfung der Rebellen setzt der Sicherheitsapparat alte Methoden ein. Wie in Tschetschenien werden die Häuser von Verwandten der Untergrundkämpfer gesprengt, und verhaftete "Terrorverdächtige" können kaum ein faires Gerichtsverfahren erwarten. Auf Beschwerden von Bürgern über Willkür und Straflosigkeit der Sicherheitskräfte reagiert Abdulatipow mit dem Argument, Dagestan müsse sich "reinigen", was ein hohes Maß an Geduld erfordere (SWP 4.2015).

Laut Swetlana Gannuschkina ist Abdulatipow ein alter sowjetischer Bürokrat. Sein Vorgänger Magomedsalam Magomedow war ein sehr intelligenter Mann, der kluge Innenpolitik betrieb. Er hatte eine Diskussionsplattform organisiert, wo verfeindete Gruppen miteinander gesprochen haben. Es ging dabei vor allem um den Dialog zwischen den Salafisten und den Anhängern des Sufismus. Unter ihm haben auch die außergerichtlichen Hinrichtungen von Seiten der Polizei aufgehört. Er hat eine sogenannte Adaptionskommission eingerichtet. Diese Kommission hatte die Aufgabe, Kämpfern von illegal bewaffneten Einheiten eine Rückkehr ins bürgerliche Leben zu ermöglichen. Diejenigen, die kein Blut an den Händen hatten, konnten mit Hilfe dieser Kommission wieder in der Gesellschaft Fuß fassen. Wenn sie in ihrem bewaffneten Widerstand Gewalt angewendet oder Verbrechen begangen hatten, wurden sie zwar verurteilt, aber zu einer geringeren Strafe. Auch diese Personen sind in die dagestanische Gesellschaft reintegriert worden. Mit der Ernennung Abdulatipows als Oberhaupt der Republik gab es keine Verhandlungen mehr mit den Aufständischen und er initiierte einen harten Kampf gegen den Untergrund. Dadurch stiegen die Terroranschläge und Gewalt in Dagestan wieder an (Gannuschkina 3.12.2014, vgl. AI 9.2013).

Quellen:

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ACCORD (14.4.2017): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen,

http://www.ecoi.net/news/190001::russische-foederation/120.sicherheitslage-in-dagestan-zeitachse-von-angriffen.htm, Zugriff 21.6.2017

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AI - Amnesty International (9.2013): Amnesty Journal Oktober 2013, Hinter den Bergen,

http://www.amnesty.de/journal/2013/oktober/hinter-den-bergen, Zugriff 21.6.2017

-

Gannuschkina, Swetlana (3.12.2014): UNHCR Veranstaltung "Informationsaustausch über die Lage in der Russischen Föderation/ Nordkaukasus" im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAM

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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