TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/6 W236 2202290-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.09.2018
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Entscheidungsdatum

06.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55

Spruch

W236 2202290-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Lena BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.07.2018, Zl. 13-481408010/170556634, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 08.02.2009 gemeinsam mit seiner damaligen Ehefrau und drei gemeinsamen minderjährigen Kindern in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.07.2010 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer jedoch der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 01.08.2011 erteilt (diese wurde zuletzt bis zum 01.08.2018 verlängert).

Begründend wurde kurz zusammengefasst festgehalten, dass den Angaben des Beschwerdeführers insofern keine extreme Furcht glaubhaft entnommen werden könne, als er am 01.12.2009 seine Absicht kundgetan habe, freiwillig in sein Heimatland zurückzukehren. Auch seien in Gesamtbetrachtung der von ihm in seinen Einvernahmen gemachten niederschriftlichen Angaben zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte festzustellen gewesen, die eine Gewährung von Asyl nach sich ziehen würden. Die Gewährung des subsidiären Schutzes wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sich die allgemeine aktuelle Lage in Tschetschenien derzeit als problematisch darstelle. Darüber hinaus sei der vom Bundesasylamt eingeholten ärztlichen Stellungnahme eines Facharztes für Psychiatrie zu entnehmen, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers wegen seines psychischen Zustandes derzeit nicht möglich sei.

1.3. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

1.4. Da der Beschwerdeführer mit seinem russischen Reisepass eine Reise nach Moskau unternommen hatte, erfolgte am 02.08.2013 eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers. Auf seine Reise angesprochen, obwohl er in Österreich subsidiären Schutz habe und dieses Verhalten in einem deutlichen Widerspruch zu seinen seinerzeitigen Angaben, von den russischen Behörden verfolgt zu werden, stehe, gab der Beschwerdeführer an, dass er in der Ukraine gewesen sei und es keinen Direktflug aus der Ukraine nach Wien gegeben habe. Damit konfrontiert, dass er Österreich gar nicht hätte verlassen dürfen, führte er aus, dies zu wissen. Seine Mutter würde aus gesundheitlichen Gründen ständige Pflege benötigen. Seine Schwester habe sie in die Ukraine begleitet. Nun sei sie jedoch wieder zu Hause, weil sie in der Ukraine nicht aufgenommen worden sei. Er habe diesbezüglich auch ein Schreiben mitgebracht. Auf Vorhalt, dass nicht davon auszugehen sei, dass er in Russland einer besonderen Gefährdung bzw. Verfolgung ausgesetzt sei, wenn er sich am Moskauer Flughafen habe ausweisen müssen, führte der Beschwerdeführer aus, am Flughafen für etwa eine Stunde angehalten worden zu sein. Er habe dann aber erklären können, dass er eine Familie in Österreich habe. Der Beschwerdeführer brachte darüber hinaus vor, nun wirklich ernsthafte Probleme zu haben, weil er sich von seiner Frau habe scheiden lassen. Die Kinder seien bei ihrer Mutter geblieben. Der Kindergarten habe sich kürzlich beschwert, dass die Kinder verwahrlost in den Kindergarten gekommen seien. Der Beschwerdeführer führte weiters aus, sich überlegt zu habe, die Kinder nach Hause nach Tschetschenien zu schicken. Darüber hinaus habe er 6.000,- Euro Schulden bei der Wien Energie. Die Frage, ob er nach wie vor in der Zohmanngasse gemeldet sei, bejahte der Beschwerdeführer. Er habe in Österreich gearbeitet, jedoch sei es schwierig, als subsidiär Schutzberechtigter eine Stelle zu bekommen.

1.5. Mit Erkenntnis vom 19.02.2015, GZ. W196 1405860-2/7E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes vom 28.07.2010 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet ab.

2. Verfahren über die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:

2.1. Aus einer Anfrage der ungarischen Asylbehörden vom 27.04.2017 ergab sich, dass der Beschwerdeführer (und zwei weitere Personen) wegen Menschenschmuggel verurteilt wurden.

Aus dem über eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 28.06.2017 letztlich eingeholten ungarischen Strafurteil eines Kreisgerichtes vom 24.06.2016 ergibt sich, dass der Beschwerdeführer als Mittäter eines Menschenschmuggels gemäß § 353 Abs. 1 und Abs. 2 Unterpunkt a und b ungarisches Strafgesetzbuch zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und einem auf die Dauer von fünf Jahren befristeten Aufenthaltsverbot in Ungarn verurteilt wurde, wobei vom Vollzug der Freiheitsstrafe für eine Probezeit von drei Jahren bedingt abgesehen wird.

Aus der Begründung dieses Urteils ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer gemeinsam mit zwei anderen Mittätern (alle wohnhaft in Wien) am 20.06.2016 abgesprochen habe, am 21.06.2016 mit zwei Fahrzeugen (darunter jenes des Beschwerdeführers) nach Ungarn zu fahren und von dort acht Personen, bei denen es sich um Staatsbürger aus Drittstaaten gehandelt habe und die über keinerlei für die Weiterreise aus Ungarn erforderliche Dokumente verfügt hätten, für eine Gegenleistung über Österreich nach Deutschland zu bringen. Letztlich stiegen am 21.06.2016 vier Personen für eine Gegenleistung von € 300 pro Person auf einem Parkplatz in das Auto des Beschwerdeführers, die beiden anderen Mittäter fuhren in dem zweiten Auto ohne Mitfahrer voraus. Beide Fahrzeuge wurden von der ungarischen Polizei angehalten und alle Personen einer Kontrolle unterzogen. Der Beschwerdeführer und seine Mittäter wurden festgenommen. Im Zuge der Verhandlung legte der Beschwerdeführer ein umfassendes Geständnis ab und räumte ein, sich seiner illegalen Handlung bewusst gewesen zu sein, sich jedoch aufgrund seiner sehr schwierigen finanziellen Situation zu der Tat entschlossen zu haben. Die Begehung der Tat tue ihm leid, er habe über die Konsequenzen nicht nachgedacht. Mildern wurden sohin das Geständnis, die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers und seine Unterhaltspflicht für "sechs" minderjährige Kinder gewertet.

Die gegen dieses Urteil seitens der ungarischen Staatsanwaltschaft erhobene Berufung wurde mit Beschluss des zuständigen ungarischen Gerichtshofes vom 20.03.2017 abgewiesen und die Strafe als angemessen beurteilt.

Der Beschwerdeführer befand sich von 21.06.2016 bis 20.03.2017 in Ungarn in Haft.

2.2. Am 16.02.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zum Zwecke der Aberkennung des Status des subsidiären Schutzes gemäß § 9 AsylG 2005 niederschriftlich einvernommen, wobei er zunächst angab, gesund zu sein, an keinen chronischen Krankheiten zu leiden und sich in keiner ärztlichen Therapie zu befinden. Konfrontiert mit seiner Verurteilung in Ungarn und den drohenden Folgen der Aberkennung seines subsidiären Schutzstatus gab der Beschwerdeführer an, dass er mit den Folgen einverstanden sei, er wolle nicht lügen. Seine Mutter, die zwei Schlaganfälle erlitten habe und in Tschetschenien lebe, habe Geld für Arzneimittel benötigt. In Tschetschenien leben sein Vater, seine Mutter, sechs Schwestern, die allesamt verheiratet seien, und zwei Brüder, ein weiterer lebe in Deutschland. Über eine Schwester stehe er alle zwei Tage in Kontakt mit seiner Mutter. Seine Eltern seien schon Pensionisten, seine Geschwister seien in der Landwirtschaft tätig. Seine aus erster Ehe stammende älteste Tochter sei jetzt 19 Jahre alt und lebe bei seiner Mutter in Tschetschenien. Sie sei damals schon nicht mit nach Österreich gekommen. In Tschetschenien sei er seit seiner damaligen Ausreise nicht mehr gewesen, da dies der österreichische Staat nicht erlaube. Er selbst sei seit sechs Jahren geschieden, könne dazu aber keine Unterlagen vorlegen. Seine Ex-Ehefrau sei angeblich schon wieder verheiratet und habe drei weitere Kinder bekommen. Er selbst lebe ganz allein und sei in keiner neuen Lebensgemeinschaft oder Partnerschaft. Mit seiner Ex-Ehefrau habe er fünf gemeinsame Kinder, die in Österreich leben würden. Seine Ex-Ehefrau habe das alleinige Sorgerecht für diese fünf Kinder. Mit seinem ältesten Sohn telefoniere er etwa jeden zweiten Tag und habe über ihn auch Kontakt zu den anderen Kindern - sein Sohn gebe das Telefon weiter und dann rede er auch mit den anderen Kindern. Wenn er Freizeit habe, gehe er mit den Kindern spazieren und zu McDonald's; er mache dies etwa jede Woche, das komme auf das Wetter an. Er gebe seinen Kindern auch Taschengeld. Zuletzt habe er am Vortag mit seinem ältesten Sohn telefoniert und diesen auch gesehen. Seinen Unterhaltspflichten habe er bis dato nachkommen können, wenn er gearbeitet habe. Seine Ex-Ehefrau habe sich auch an das Jugendamt gewandt. Dieses zahle die Alimente, wenn er keine Arbeit habe. Derzeit zahle er selbst monatlich € 120 für alle Kinder. Da er sieben Monate nicht bezahlt habe, habe er einen Rückstand von € 2.000 angehäuft.

In Wien lebe noch eine Cousine, zu der er hin und wieder Kontakt habe, dieser sei aber nicht so gut.

Er selbst sei momentan obdachlos gemeldet und lebe von € 629 Mindestsicherung. € 100 würden abgezogen, da er € 2.000 Schulden habe. Er verdiene sich billig etwas dazu, indem er billige Teile am Markt kaufe und daraus Computer herstelle; ein Freund habe ihm gezeigt, wie das gehe. Sein monatliches Einkommen sei daher unterschiedlich, zwischen € 700 und maximal € 1.000. Er sei in den Jahren 2009 bis ca. 2017 bei einer Leihfirma angestellt gewesen und habe für eine Fleischerei gearbeitet, wobei er sich weder an den Namen der Leihfirma noch der Fleischerei erinnern könne. Danach sei er über die Leihfirma bei einer Firma beschäftigt gewesen, die unterschiedliche Lebensmittel hergestellt habe; er habe auch Ladetätigkeiten verrichtet. Er sei aber nicht durchgängig beschäftig gewesen, sondern habe immer nur ausgeholfen, wenn jemand krank oder im Urlaub gewesen sei oder bei großen Aufträgen. Belege für all diese Angaben könne er nicht vorlegen, da er vor sieben bis acht Monaten seine Tasche auf einer Parkbank stehen gelassen habe, in der sich alle Dokumente befunden hätten. Er habe nur noch ein Sprachkursdiplom. Außerdem habe er einen Sprachkurs auf dem Niveau A1 und einen auch dem Niveau A2 minus sowie einen Kurs über die europäische Geschichte besucht. Deutsch spreche er dennoch nicht so gut. Er sei nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation, habe jedoch zwei Freunde in Wien, wobei er nur ihre Vornamen nennen könne. Beide seien Tschetschenen. In Österreich würde er gerne wegen seiner Kinder bleiben, außerdem gefalle es ihm hier.

Der Beschwerdeführer legte in dieser Einvernahme folgende Unterlagen vor:

? Ladung des zuständigen Bezirksgerichtes vom 19.01.2018 zur Hauptverhandlung, in welcher der Beschwerdeführer als Angeklagter wegen § 198 Abs. 1 StGB (Verletzung der Unterhaltspflicht) geladen wurde - von diesem Vorwurf wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des zuständigen Bezirksgerichtes vom 22.02.2018 freigesprochen, da laut Sachverständigengutachten nicht mit der notwendigen Sicherheit intakte Arbeitsplatzfindungschancen, verbunden mit einem kontinuierlichen Gehalt über der Mindestsicherung für den Beschwerdeführer objektiviert werden konnten (das Urteil liegt im Akt ein);

? Teilnahmebestätigung des Österreichischen Integrationsfonds an einem Werte- und Orientierungskurs von 01.09.2016;

? Deutschdiplom vom 14.01.2014 über das Niveau A1 Grundstufe Deutsch

1.

2.3. Ebenfalls am 16.02.2018 wurde die Ex-Ehefrau des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Zeugin niederschriftlich einvernommen. Diese gab im Wesentlichen an, von dem Beschwerdeführer seit Februar 2011 "geschieden" zu sein. Man sei nur traditionell verheiratet gewesen, weswegen es auch keine Scheidungsurkunde gebe. Sie habe sich von dem Beschwerdeführer getrennt, da sie dieser geschlagen habe und sie mit diesem nicht mehr zusammenleben habe wollen. Seit November 2014 sei sie mit einem anderen Mann traditionell verheiratet. Seit dieser Heirat habe sie keinen Kontakt mehr mit dem Beschwerdeführer. Er habe aber Kontakt zum ältesten Sohn. Gesehen habe sie den Beschwerdeführer zuletzt im Jahr 2015, da damals der Bruder des Beschwerdeführers und dessen Frau zu Besuch in Österreich gewesen seien und der Beschwerdeführer diese dann bei ihr abgeholt habe. Da sie aber im Oktober 2017 umgezogen sei, wisse der Beschwerdeführer nicht, wo sie derzeit wohne - zumindest hoffe sie dies.

Sie habe mit dem Beschwerdeführer fünf Kinder, habe für diese jedoch das alleinige Sorgerecht und die Kinder leben auch alle bei ihr. Der älteste Sohn habe den Beschwerdeführer vor Kurzem gesehen, die kleineren hätten ihn schon lange nicht mehr gesehen. Sie habe zwar vorgeschlagen, dass der älteste Sohn auch die kleineren Geschwister zu dem Treffen mitnehme, dies sei aber nicht geschehen. Der Beschwerdeführer habe keinen Platz, er wohne bei einem Freund und habe keine Möglichkeit, die Kinder zu sehen. Er könne sie nur auf der Straße irgendwo sehen, könne die kleinen Kinder aber nicht auf ein Wochenende mitnehmen. Sie sei nicht dagegen, vielmehr wolle das der Beschwerdeführer nicht. Bis jetzt habe er die Kinder nie mitgenommen. Die kleineren Kinder habe er zuletzt im Dezember 2017 vor Sylvester und zwei Mal im Jänner 2018 gesehen; einmal davon sei der Geburtstag einer Tochter gewesen. Da habe er sie getroffen und eine Torte gegessen. Dieses Treffen habe ca. 15 bis 20 Minuten gedauert, sie selbst sei währenddessen bei ihren kleinen Kindern zu Hause gewesen. Den ältesten Sohn sehe der Beschwerdeführe sehr selten. Seit Dezember 2017 habe er ihn vielleicht vier oder fünf Mal gesehen. Telefonieren würden sie allerdings alle zwei bis drei Tage, wobei der Beschwerdeführer da nur mit dem ältesten Sohn telefoniere. Vor Dezember 2017 habe der Beschwerdeführer den ältesten Sohn zuletzt im Oktober oder November 2016 gesehen. Befragt nach den Unterhaltsverpflichtungen des Beschwerdeführers gab dessen Ex-Ehefrau an, dass er zunächst gar nichts bezahlt habe. Dann sei sie zum Jugendamt gegangen und habe ihn angezeigt. Er habe dann sechs oder sieben Mal € 20 für vier Kinder bezahlt. Für die jüngste Tochter habe er nie bezahlt, da sie nicht seinen Nachnamen trage. Jetzt bekomme sie die Alimente vom Jugendamt.

2.4. Mit dem o.a. Bescheid vom 05.07.2018 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 28.07.2010, Zl. 09 01.620-BAT, zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG 2005 von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.). Die ihm mit Bescheid vom 29.06.2016 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VII.).

Begründet wurde die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Wesentlichen damit, dass die Gründe für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorlägen. Dem Beschwerdeführer sei der subsidiäre Schutzstatus aufgrund der damaligen schlechten Sicherheitslage in Tschetschenien gewährt worden. Diese habe sich laut aktuellem Länderinformationsblatt zur Russischen Föderation jedoch maßgeblich verbessert und stünde dem Beschwerdeführer aufgrund der in Russland bestehenden Bewegungsfreiheit auch die Möglichkeit zu, außerhalb Tschetscheniens einen Wohnsitz zu nehmen. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden sei.

Der Beschwerdeführer habe noch enge Bindungen zu seinem Herkunftsstaat, da dort seine Eltern, Geschwister und seine Tochter aus erster Ehe leben und er mit diesen alle zwei Tage telefoniere. Im Falle des Beschwerdeführers liege auch kein schützenswertes Privat- und Familienleben in Österreich vor. Der Beschwerdeführer habe überwiegend von der Sozialhilfe gelebt und sei seit Jahren obdachlos gemeldet. Er spreche die Deutsche Sprache schlecht und habe auch sonst keine integrativen Maßnahmen gesetzt. Von seiner Frau sei er zumindest seit dem Jahr 2012 geschieden. Zu seinen fünf Kindern, für die die Ex-Ehefrau des Beschwerdeführers das alleinige Sorgerecht habe, habe er kaum Kontakt. Lediglich mit dem ältesten Sohn telefoniere er regelmäßig. Seinen Angaben, er sehe die Kinder auch regelmäßig, konnte vor dem Hintergrund der Angaben seiner Ex-Ehefrau in Zusammenschau mit dem zum Teil äußerst jungen Alter der Kinder zum Zeitpunkt der Scheidung und der daraus resultierenden mangelnden Beziehung zwischen Vater und Kindern, keine Glaubhaftigkeit beigemessen werden. Eine maßgebliche persönliche Bindung zu seinen Kindern habe der Beschwerdeführer nicht darzutun vermocht. Den Kontakt könne er auch vom Ausland aus aufrechterhalten.

2.5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 27.07.2018 durch seine damalige Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde, in welcher neben der Darstellung des Verfahrensganges und einer Aneinanderreihung von Textbausteinen und höchstgerichtlicher Judikatur kein individueller Bezug auf das Verfahren des Beschwerdeführers genommen wird.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungs- und Gerichtsakten des Beschwerdeführers (insbesondere auch zu seinem Vorverfahren), der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Strafregister werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zum wesentlichen Verfahrensgang:

Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.07.2010, Zl. 09 01.620-BAT, der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Russische Föderation zuerkannt. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.07.2018, Zl. 13-481408010/170556634, wurde der dem Beschwerdeführer zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt und die ihm erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen. Dem Beschwerdeführer wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 27.07.2018 fristgerecht Beschwerde.

1.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und trägt den im Spruch genannten Namen. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des zuständigen ungarischen Kreisgerichtes vom 24.06.2016 gemäß § 353 Abs. 1 und Abs. 2 Unterpunkt a und b ungarisches Strafgesetzbuch als Mittäter eines Menschenschmuggels zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und einem auf die Dauer von fünf Jahren befristeten Aufenthaltsverbot in Ungarn verurteilt; vom Vollzug der Freiheitsstrafe wurde für eine Probezeit von drei Jahren bedingt abgesehen. Der Beschwerdeführer sprach sich gemeinsam mit zwei anderen Mittätern (alle wohnhaft in Wien) am 20.06.2016 ab, am 21.06.2016 mit zwei Fahrzeugen (darunter jenes des Beschwerdeführers) nach Ungarn zu fahren und von dort acht Personen, bei denen es sich um Staatsbürger aus Drittstaaten handelte und die über keinerlei für die Weiterreise aus Ungarn erforderliche Dokumente verfügten, für eine Gegenleistung über Österreich nach Deutschland zu bringen. Letztlich stiegen am 21.06.2016 vier Personen für eine Gegenleistung von € 300 pro Person auf einem ungarischen Parkplatz in das Auto des Beschwerdeführers, die beiden anderen Mittäter fuhren in dem zweiten Auto ohne Mitfahrer voraus. Beide Fahrzeuge wurden von der ungarischen Polizei angehalten und alle Personen einer Kontrolle unterzogen. Der Beschwerdeführer und seine Mittäter wurden festgenommen. Mildern wurden in dem Urteil das Geständnis des Beschwerdeführers, seine Unbescholtenheit und seine Unterhaltspflicht für seine minderjährigen Kinder gewertet.

Die gegen dieses Urteil seitens der ungarischen Staatsanwaltschaft erhobene Berufung wurde mit Beschluss des zuständigen Gerichtshofes vom 20.03.2017 abgewiesen und die Strafe als angemessen beurteilt. Der Beschwerdeführer befand sich von 21.06.2016 bis 20.03.2017 in Ungarn in Haft.

In Österreich ist der Beschwerdeführer unbescholten.

Der Beschwerdeführer ist von seiner in Österreich subsidiär schutzberechtigten Ehefrau, mit der er lediglich nach traditionellem islamischem Ritus verheiratet war, seit zumindest dem Jahr 2012 getrennt. Die Obsorge über die fünf gemeinsamen Kinder im Alter von 14, zwölf, zehn, neun und acht Jahren kommt der ehemaligen Ehefrau des Beschwerdeführers alleinig zu. Der Beschwerdeführer hat zu seinem 14jährigen Sohn regelmäßigen telefonischen Kontakt. Der persönliche Kontakt zu den fünf Kindern beschränkt sich auf wenige Besuche pro Jahr. Seiner Unterhaltsverpflichtung für die fünf minderjährigen Kinder kommt der Beschwerdeführer nur sporadisch nach. Der Beschwerdeführer lebt mit seiner ehemaligen Ehefrau und den gemeinsamen Kindern seit September 2012 nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt.

In Österreich lebt noch eine Cousine des Beschwerdeführers, zu der er sporadischen Kontakt pflegt. Ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis kann nicht festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 08.02.2009 zunächst aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und anschließend aufgrund der ihm erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigungen aufgrund der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtmäßig in Österreich auf. Er absolvierte im September 2016 einen Werte- und Orientierungskurs sowie im Jänner 2014 eine Deutschprüfung auf dem Niveau A1 Grundstufe Deutsch 1 und verfügt über angemessene Deutschkenntnisse. Ob der Beschwerdeführer in Österreich noch weitere Kurse und Ausbildungen absolvierte, kann nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer ging in Österreich während seines gesamten Aufenthaltes im Bundesgebiet insgesamt nur sechs Monate einer Beschäftigung nach; zuletzt war er im Sommer 2016 für drei Wochen beschäftigt. Für die übrige Zeit seines Aufenthaltes im Bundesgebiet lebte der Beschwerdeführer von der Grundversorgung bzw. von der Mindestsicherung. Aktuell bezieht der Beschwerdeführer Mindestsicherung; er ist seit September 2012 obdachlos gemeldet.

Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer arbeitsfähig und gesund ist.

Bis zu seiner Ausreise aus Tschetschenien im Oktober 2008 lebte der Beschwerdeführer ausschließlich in der Russischen Föderation. Der Beschwerdeführer beherrscht sowohl die russische als auch die tschetschenische Sprache in Wort und Schrift. In Tschetschenien leben noch die Eltern des Beschwerdeführers, seine sechs Schwestern samt Familien, zwei seiner Brüder sowie seine Tochter aus erster Ehe. Der Beschwerdeführer steht mit seinen Eltern und seinen Schwestern in wöchentlichem Telefonkontakt. Die Familienangehörigen des Beschwerdeführers in Tschetschenien leben von der Landwirtschaft.

Nicht festgestellt werden kann, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person drohen würde oder er im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Nicht festgestellt werden kann, dass eine ausreichend ausgeprägte und verfestigte entscheidungserhebliche individuelle Integration des Beschwerdeführers in Österreich vorliegt. Ein der Ausweisung entgegenstehendes Familienleben besteht nicht.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation:

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid vom 05.07.2018 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten. Gegen das im angefochtenen Bescheid auszugsweise zitierte, aktuelle (Stand 21.07.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 07.05.2018) "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zur Russischen Föderation, wurden vom Beschwerdeführer keine Einwendungen erhoben. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist auch keine Änderung bekannt geworden, sodass das Bundesverwaltungsgericht sich diesen Ausführungen vollinhaltlich anschließt und auch zu den seinen erhebt.

Dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Russischen Föderation, Stand 21.07.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 07.05.2018, sind folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zu entnehmen:

1.3.1. Politische Lage im Allgemeinen

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3.2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3.2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3.2017a).

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3.2017a).

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Russische Föderation - Innenpolitik,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 21.6.2017

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CIA - Central Intelligence Agency (15.6.2017): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 21.6.2017

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2017a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c24819, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2017c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 11.7.2017

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Kurier.at (13.7.2017): Nemzow-Mord: 20 Jahre Straflager für Mörder,

https://kurier.at/politik/ausland/nemzow-mord-20-jahre-straflager-fuer-moerder/274.903.855, Zugriff 13.7.2017

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RA - Russland Analysen (7.10.2016): Nr. 322, Bewegung in der russischen Politik?,

http://www.laender-analysen.de/russland/pdf/RusslandAnalysen322.pdf, Zugriff 21.6.2017

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Standard (29.7.2017): Alle Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldiggesprochen,

http://derstandard.at/2000060550142/Alle-Angeklagten-im-Mordfall-Nemzow-schuldig-gesprochen, Zugriff 30.6.2017

1.3.1.a. Politische Lage in Tschetschenien im Besonderen

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015).

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens zurücktreten, nachdem er von Kadyrow kritisiert worden war, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter in die föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen im September 2016, wenn auch das Republikoberhaupt gewählt wird, durchzuführen. Die Entscheidung erklärte man mit potentiellen Einsparungen durch das Zusammenlegen der beiden Wahlgänge, Experten gehen jedoch davon aus, dass Kadyrow einen Teil der Abgeordneten durch jüngere, aus seinem Umfeld stammende Politiker ersetzen möchte. Bei den Wahlen vom 18. September 2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Den offiziellen Angaben zufolge wurde Kadyrow mit über 97% der Stimmen im Amt des Oberhauptes der Republik bestätigt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld HRW über Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte (ÖB Moskau 12.2016). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 24.1.2017).

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die darauf aus wären, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtlern, aber auch von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert. Im März ernannte Präsident Putin Kadyrow im Zusammenhang mit dessen im April auslaufender Amtszeit zum Interims-Oberhaupt der Republik und drückte seine Unterstützung für Kadyrows erneute Kandidatur aus. Bei den Wahlen im September 2016 wurde Kadyrow laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt, wohingegen unabhängige Medien von krassen Regelverstößen bei der Wahl berichteten (ÖB Moskau 12.2016). Im Vorfeld dieser Wahlen zielten lokale Behörden auf Kritiker und Personen, die als nicht loyal zu Kadyrow gelten ab, z.B. mittels Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlungen, Todesdrohungen und Androhung von Gewalt gegenüber Verwandten (HRW 12.1.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.1.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):

Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/334746/476500_de.html, Zugriff 28.6.2017)

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ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (19.1.2015): The Unstoppable Rise Of Ramzan Kadyrov, http://www.rferl.org/content/profile-ramzan-kadyrov-chechnya-russia-putin/26802368.html, Zugriff 21.6.2017

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Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 21.6.2017

1.3.2. Sicherheitslage im Allgemeinen

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Ha

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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