TE Vwgh Erkenntnis 1999/10/27 97/09/0012

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Veröffentlicht am 27.10.1999
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Index

E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

ARB1/80 Art7;
AuslBG §1 Abs3;
AuslBG §4 Abs1;
AuslBG §4 Abs3 Z1;
AuslBG §4 Abs3 Z7;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde der G Ö in W, vertreten durch Mag. Dr. Michael Swoboda, Rechtsanwalt in Wien I, Wollzeile 24, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien von 28. November 1996, Zl. LGSW/Abt. 10/13117/1996, betreffend Feststellung gemäß Art. 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangen, vor der Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangte Behörde vom 28. November 1996 wurde der Berufung der Beschwerdeführerin (einer türkischen Staatsangehörigen) gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 keine Folge gegeben und damit der Bescheid des Arbeitsmarktservice Angestellte Wien vom 20. September 1996, mit dem der Antrag der Beschwerdeführerin vom 19. August 1996 auf Feststellung der Voraussetzungen gemäß Art. 7 des genannten Assoziationsratsbeschlusses abgewiesen worden war, bestätigt.

Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde - nach Wiedergabe der Bestimmung des Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 und des bisherigen Verfahrensverlaufes - im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin sei unbestrittenermaßen als Tochter eine Familienangehörige. Daneben werde vorausgesetzt, dass die Beschwerdeführerin die Genehmigung erhalten habe, zu dem türkischen Staatsangehörigen zu ziehen, und bei dieser Bezugsperson mindestens "fünf Jahre vom Antragszeitpunkt" ununterbrochen ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz habe. Eine Teilung der Wohnsitzzeiten wäre aus rechtlichen Gründen unmöglich. Da im Fall der Beschwerdeführerin "eine Heirat während der fünfjährigen geforderten Wohnsitzdauerzeit erfolgte, diese zwar wieder geschieden wurde, insofern aber ein Wechsel der obig ausgeführten Bezugsperson (von Vater zum Ehegatten) erfolgte", sei davon auszugehen, dass die Voraussetzung der fünfjährigen ununterbrochenen Wohnsitzdauer nicht gegeben sei. Die Eigenschaft des Familienangehörigen sei im Falle eines Kindes mit dem 21. Lebensjahr begrenzt. Die Beschwerdeführerin habe dieses Alter im Antragszeitpunkt bereits überschritten. Es sei daher die Selbsterhaltungsfähigkeit zu überprüfen und es müsse "eine durchgehende Versorgungskette zu den Eltern gewährleistet sein eine Unterbrechung derselben macht eine Anwendung im Sinne des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG unmöglich". Aus der Eheschließung gehe hervor, dass die Unterhaltspflicht des Vaters auf den Ehemann übergegangen sei und eine Unterbrechung der Versorgungskette stattgefunden habe. Die Berufungsausführungen seien nicht geeignet, die gewünschte Feststellung gemäß Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 zu erwirken.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid "wegen rechtswidriger Anwendung des Art. 7 des Beschlusses 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei (in der Folge ARB 1/80) in ihrem Recht auf freien Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt verletzt". Sie beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben und "Kostenersatz für alle regelmäßig anfallenden Kosten" zuzusprechen.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahren vor (wobei jedoch zweifelhaft bleibt, ob die Beschwerdeführerin ihren Antrag unter Verwendung eines Formblattes gestellt hat) und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Dem offenbar ohne Verwendung eines Formblattes gestellten Antrag der Beschwerdeführerin vom 19. August 1996 ist eine Einschränkung auf den ersten Satz (zweiter Gedankenstrich) des Art. 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 nicht entnehmbar. Die Berufung der Beschwerdeführerin enthält den Antrag, den erstinstanzlichen Bescheid aufzuheben und dahingehend abzuändern, dass festgestellt werde, die Beschwerdeführerin erfülle die Voraussetzungen des Art. 7 erster Satz zweiter Gedankenstrich und des Art. 7 zweiter Satz ARB Nr. 1/80 und habe somit freien Zugang zu jeder von ihr gewählten Beschäftigung im Lohn- und Gehaltsverhältnis. Gleichwohl haben beide Instanzen des Verwaltungsverfahrens ausschließlich über den ersten Satz (zweiter Gedankenstrich) des Art. 7 abgesprochen und jede Auseinandersetzung mit dessen zweiten Satz unterlassen. Prüfungsgegenstand im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist - da der Antrag der Beschwerdeführerin nur teilweise erledigt wurde - daher lediglich das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nach Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich leg. cit. Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation

(ARB Nr. 1/80) lautet:

"Art. 7

Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

-

haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorranges das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort sei mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;

-

haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.

Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in den betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war".

Nach dem Aufbau des ARB Nr. 1/80 regelt dieser unter anderem, welche Rechte türkischen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat auf dem Gebiet der Beschäftigung zustehen, wobei zwischen der Stellung türkischer Arbeitnehmer (Art. 6) und der Stellung der Familienangehörigen dieser Arbeitnehmer im Gebiet des Aufnahmemitgliedstaates (Art. 7) unterschieden wird. Bei der zweiten Personengruppe wird weiter unterschieden zwischen den Familienangehörigen, die die Genehmigung erhalten haben, zu dem Arbeitnehmer in den Aufnahmemitgliedstaat zu ziehen, und dort für gewisse Zeit ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz gehabt haben (Art. 7 Satz 1), und den Kindern eines solchen Arbeitnehmers, die im betreffenden Mitgliedstaat eine Berufsausbildung abgeschlossen haben (Art. 7 Satz 2). Als Familienangehörige eines türkischen Arbeitnehmers können sich auch Kinder auf die in Art. 7 Satz 1 eingeräumten Rechte auf dem Gebiet der Beschäftigung berufen. Die in dieser Bestimmung für jeden, der sich auf die Eigenschaft als Familienangehöriger berufen kann, aufgestellten Voraussetzungen sind jedoch enger als die Voraussetzungen, die nach Art. 7 Satz 2 nur für Kinder gelten. So hängen die Rechte der Familienangehörigen auf dem Gebiet der Beschäftigung von der Wohndauer im Aufnahmemitgliedstaat ab, und anfangs genießen Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft Vorrang beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Für Kinder gibt es dagegen in Art. 7 Satz 2 keine derartige Einschränkung. Er sieht vielmehr sogar ausdrücklich vor, dass die Rechte, die er den Kindern eines Arbeitnehmers verleiht, nicht von der Dauer ihres Aufenthalts im betreffenden Mitgliedstaat abhängen. Ferner geht aus dem einleitenden Satzteil des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 hervor, dass Art. 7 den Familienangehörigen und folglich auch den Kindern "freien Zugang ... zur Beschäftigung" im Aufnahmemitgliedstaat des türkischen Arbeitnehmers gewährt. Außerdem verlangt Art. 7 Satz 2 anders als Satz 1 nicht, dass die Kinder die Genehmigung erhalten haben, zu ihren Eltern im Aufnahmestaat zu ziehen (vgl. das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 19. November 1998 in der Rechtssache C-210/97, Haydar Akman gegen Oberkreisdirektor des Rheinisch-Bergischen-Kreises, Randnummern 21, 34, 35, 36 und 37).

Wie der Verwaltungsgerichtshof - unter Hinweis auf Judikatur des EuGH - bereits wiederholt dargelegt hat (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 1. Oktober 1997, Zl. 97/09/0131, und vom 20. Mai 1998, Zl. 97/09/0009) verlangt die praktische Wirksamkeit des Art. 7 Satz 1 des ARB Nr. 1/80, dass sich die Familienzusammenführung während einer bestimmten Zeit im tatsächlichen Zusammenleben des Betroffenen mit dem Arbeitnehmer in häuslicher Gemeinschaft manifestiert. Daraus folgt, dass der Betroffene während des in Art. 7 Satz 1 des ARB Nr. 1/80 vorgesehenen Zeitraums tatsächlich eine Wohngemeinschaft mit diesem Arbeitnehmer führt. Etwas anderes würde nur gelten, wenn objektive Gegebenheiten es rechtfertigen, dass der Wanderarbeitnehmer und sein Familienangehöriger im Aufnahmemitgliedstaat nicht zusammenleben.

Davon ausgehend kann im Beschwerdefall nicht abschließend beurteilt werden, ob die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 zu erfüllen vermag, weil die belangte Behörde es unterlassen hat, den dafür maßgebenden Sachverhalt (allenfalls nach zielführenden Ermittlungen) festzustellen. Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung zugrunde, die Beschwerdeführerin habe am 14. Juni 1989 ihren Wohnsitz im Bundesgebiet bei ihrem Vater begründet, die belangte Behörde ließ jedoch unbeantwortet, ob bzw. wann diese Wohngemeinschaft beendet wurde. Die festgestellte Tatsache, dass am 26. Juli 1994 bzw. "während der fünfjährigen Wohnsitzdauerzeit eine Heirat erfolgte", ist nicht nur insoweit unrichtig, als im Zeitpunkt dieser Eheschließung mehr als fünf Jahre seit Begründung des Wohnsitzes (14. Juni 1989) bereits verstrichen waren und demnach die Eheschließung mehr als fünf Jahre seit Begründung des Wohnsitzes beim Vaters erfolgte, sie beantwortet auch nicht, ob vor dieser Eheschließung eine Wohngemeinschaft zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Vater in der Dauer von fünf Jahren bestanden hat.

Insoweit die belangte Behörde angenommen hat, Familienangehörige im Sinn des Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 würden einer altersmäßigen Begrenzung (mit 21 Jahren) unterliegen, fehlt dieser von der belangten Behörde vorgenommenen Einschränkung die textliche und rechtliche Grundlage im genannten Assoziationsratsbeschluss. Schon aus diesem Grund waren die weiteren zur "Selbsterhaltungsfähigkeit bzw. der durchgehenden Versorgungskette" angestellten Überlegungen der belangten Behörde entbehrlich und für die Beurteilung des maßgebenden Sachverhaltes nicht zielführend. Ergänzend ist darauf zu verweisen, dass für die Personengruppe der "Kinder" im Sinn des Art. 7 Satz 2 ARB Nr. 1/80 gleichfalls keine altersmäßige Begrenzung besteht (vgl. hiezu R. Gutmann, Die Assoziationsfreizügigkeit türkischer Staatsangehöriger, Baden-Baden 1996, Seite 113, und das hg. Erkenntnis vom 20. Mai 1998, Zl. 97/09/0009).

Da der festgestellte Sachverhalt somit in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung des Bundeskanzlers

BGBl. Nr. 416/1994. Der in der Beschwerde verzeichnete Aufwand für Bundesstempelmarken war überhöht und konnte daher nicht zugesprochen werden.

Wien, am 27. Oktober 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997090012.X00

Im RIS seit

14.12.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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