TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/31 W197 2112668-1

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Veröffentlicht am 31.07.2018
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Entscheidungsdatum

31.07.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W197 2112668-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Elmar SAMSINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX StA.: Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für

Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2015, Zahl: 821202310 - 1541905, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.02.2018, zu

Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. stattgegeben und gem. § 9 Abs. 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt. XXXX wird der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" gem. § 55 Abs. 1 AsylG 2005 für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer führt den im Verfahren verwendeten Namen, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, ist sunnitischer Moslem, reiste schlepperunterstützt und unrechtmäßig ins Bundesgebiet ein und stellte am 04.09.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) den bekämpften und im Spruch bezeichneten Bescheid mit dem es den Antrag des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich des Status des subsidiären Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abwies (Spruchpunkt II.), ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilte, gem. § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 i. V. m. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z. 2 und Abs. 3 FPG erließ, gem. § 52 Abs. 9 FPG feststellte, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.) und gem. § 55 Abs. 1-3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festsetzte (Spruchpunkt IV).

3. Dagegen erhob der Beschwerdeführer innerhalb offener Frist Beschwerde.

4. Am 20.02.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch. Der Beschwerdeführer beherrscht die deutsche Sprache so gut, dass es möglich war, die Beschwerdeverhandlung weitgehend auf Deutsch zu führen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers wird der unter Punkt I.1. angeführte Sachverhalt zur Feststellung erhoben, der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz Parwan.

1.2. Der Beschwerdeführer lebt seit knapp sechs Jahren in Österreich, ist gesund und arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer wurde in seinem Herkunftsland nie aus asylrelevanten Gründen verfolgt. Auch kann nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Lage geriete. Der Beschwerdeführer spricht gut Deutsch und hat das Sprachdiplom Niveau B1 erworben. Er hat die Externistenabschlussprüfung bestanden. In Österreich hat er das Lehrfach Kunststofftechnik begonnen, wobei er trotz seiner Bemühung vor allem in sprachlicher Hinsicht an seine Grenzen stieß. Die Aussichten des Beschwerdeführers, in Österreich wirtschaftlich Fuß fassen zu können, sind dennoch äußerst gut. Zwar ist der Beschwerdeführer nach wie vor in die Grundversorgung einbezogen. Doch möchte das Unternehmen, in dem der Beschwerdeführer die erwähnte Lehre begonnen hat, den Beschwerdeführer als Hilfskraft einsetzen.

1.3. Weiters hat der Beschwerdeführer im österreichischen Bundesgebiet schon zahlreiche Freunde und Unterstützer gefunden. Der Beschwerdeführer feiert Weihnachten und Ostern, er geht auf Bälle und nimmt an Wanderungen teil. Der Beschwerdeführer ist in Österreich unbescholten.

1.4. Entscheidungsrelevante Länderfeststellungen:

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

Parwan:

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden in der Provinz Parwan 140 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Das Bagram Airfield liegt in der Provinz Parwan (VoA 1.2.2017; vgl. auch: LWJ 12.11.2016). Als eine der sichersten Einrichtungen in Afghanistan ist dieser Flughafen Ziel von high-profile Angriffen durch Taliban und andere Aufständische (LWJ 12.11.2016; vgl. auch:

Pajhwok 26.10.2016). Aktiv sind die Taliban unter anderem in dem abgelegenen Dorf Dara Saidan in der Provinz (Tolonews 10.12.2016).

Militärische Operationen werden in der Provinz durchgeführt (Khaama Press 12.12.2016; Khaama Press 24.4.2016). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Taliban finden statt (Tolonews 3.1.2017; Pajhwok 29.10.2016).

Die Polizei hat in der Vergangenheit große Drogenmengen auf der Route der nördlichen Regionen beschlagnahmt. Etwa 100 Personen wurden in Zusammenhang mit Drogenschmuggel im Norden verhaftet (Pajhwok 6.10.2016).

Hazara:

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus.

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich verbessert.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zu Identität, Religion, Volksgruppenzugehörigkeit, Herkunft, Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers stützen auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben im Verfahren. Von den festgestellten Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers konnte sich das Bundesverwaltungsgericht in der Beschwerdeverhandlung überzeugen. Weiters wurde mit E-Mail vom 01.06.2018 ein Deutschzertifikat des Beschwerdeführers Niveau B1 in Vorlage gebracht. Die Feststellungen zu seinen Verhältnissen in Österreich ergeben sich aus seinem diesbezüglich glaubhaften Vorbringen, der Einsichtnahme in das Grundversorgungsinformationssystem und das Strafregister und den glaubhaften und widerspruchsfreien Aussagen der in der Beschwerdeverhandlung vernommenen Zeugen.

2.2. Es kann der Beweiswürdigung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beschwerdeführers vor dem Bundesverwaltungsgericht, nicht entgegengetreten werden, wenn es davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland keine konkrete Verfolgung zu befürchten hätte. Eine solche versuchte er vor dem Bundesamt zwar noch darzutun, indem er vorbrachte, seine gesamte Familie sei von den Taliban ermordet worden. Vor dem Bundesverwaltungsgericht relativierte er jedoch alles, und gab an, vor dem Bundesamt gelogen zu haben. Der Schlepper habe ihm eingeredet, er solle lügen. Seine Eltern seien inzwischen in Deutschland.

2.3. Der Beschwerdeführer gab an und belegte mit zahlreichen Unterlagen, bereits Arbeitserfahrung zu haben. Er ist im arbeitsfähigen Alter, gesund, verfügt über Arbeitserfahrung, spricht eine der Landessprachen und würde daher im Lichte der aktuellen Rechtsprechung - siehe unten - im Falle einer Rückkehr in sein Herkunftsland - allenfalls in die Landeshauptstadt Kabul - jedenfalls nicht in eine ausweglose Lage geraten. Exzeptionelle Umstände, wie sie der VwGH in seiner jüngeren Rechtsprechung für die Gewährung von subsidiärem Schutz fordert, kamen nicht hervor.

2.4. Die oben getroffenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den zitierten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage in Afghanistan - Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Stand 30.01.2018. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchpunkt A):

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn 1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 leg. cit.) offensteht oder 2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6 leg. cit.) gesetzt hat.

Flüchtling i. S. d. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht.

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist.

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet.

Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet.

Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine so genannte inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.

Wie festgestellt, hat der Beschwerdeführer eine wie immer geartete, erhebliche und aktuelle Verfolgung im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan nicht glaubhaft bzw. nicht konkret geltend gemacht und ergibt sich für den Beschwerdeführer - wie in der Beweiswürdigung dargelegt - vor dem Hintergrund der oben getroffenen Länderfeststellungen im Fall seiner Rückkehr auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verfolgung in asylrelevanter Intensität und aus asylrelevanten Gründen. Selbst die schwierige allgemeine Lage im Heimatland eines Asylwerbers ist - für sich allein - nicht geeignet, die für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorauszusetzende Bescheinigung einer konkret gegen den Asylwerber gerichteten drohenden Verfolgungshandlung darzutun.

3.1.2. Bei Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiären Schutz ist eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060; 24.03.2015, Ra 2014/19/0021, m. w. N.). Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden Judikatur des VwGH ist eine solche Situation aber nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (vgl. VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174). Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443). Auf Grundlage der getroffenen Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und unter Einbeziehung der dieser Entscheidung zugrunde gelegten Länderfeststellungen, ist davon auszugehen, dass die Schwelle des Art. 3 EMRK im vorliegenden Fall keineswegs erreicht ist. Da der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig ist, ist zudem nicht davon auszugehen, dass er durch eine Zurückschiebung nach Afghanistan seiner Lebensgrundlage beraubt würde (vgl. i. d. Z. die aktuellen Entscheidungen des VwGH 13.09.2016, Ra 2016/01/0096; 08.09.2016, Ra 2016/20/0063 und 25.05.2016, Ra 2016/19/0036). Dem jungen, arbeitsfähigen und gesunden Beschwerdeführer steht es zudem offen, sich in Kabul, wo die Sicherheitslage im Lichte der aktuellen Länderberichte jedenfalls nicht prekär ist, niederzulassen. Da die bloße Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation für den Beschwerdeführer, dies bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, im Lichte der Rsp. des VwGH (vgl. 25.01.2016, Ra 2016/19/0036) nicht für die Gewährung subsidiären Schutzes hinreicht, sondern eine reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit eine Verletzung des Art. 3 EMRK darzutun ist, was der Beschwerdeführer nicht vermochte, muss dem Beschwerdeführer auch die Gewährung subsidiären Schutzes versagt bleiben (vgl. zu dem Ganzen insbesondere auch jüngst VwGH 25.04.2016, Ra 2017/01/0016).

3.1.3. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 leg. cit. nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 leg. cit. vorliegt.

Gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 leg. cit. in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

8. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311/1985, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z. 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 in Verbindung mit 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz [ASVG], BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

Gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z. 1 vorliegt.

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 [518]; EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar2 [1996] Art. 8 Rz 16; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 [518]; EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Der Beschwerdeführer hält sich seit nunmehr mehr seit knapp sechs Jahren durchgehend in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer hat vielfach erkennbare Anstrengungen (siehe oben Punkt II.1.) unternommen, um sich in Österreich unter den gegebenen Umständen von Beginn seines Aufenthaltes an in sprachlicher und gesellschaftlicher Hinsicht zu integrieren. Er hat ein Sprachdiplom auf dem Niveau A1 erworben, die Beschwerdeverhandlung konnte in deutscher Sprache geführt werden und der Beschwerdeführer hat die die Externistenabschlussprüfung erfolgreich abgelegt. Der Beschwerdeführer ist zwar noch in die Grundversorgung einbezogen. Er hat jedoch bereits eine Lehre begonnen und sein damaliger Arbeitgeber möchte ihn als Hilfskraft beschäftigen.

Aus all den dargetanen Umständen ergibt sich, dass der Beschwerdeführer mehrere der oben angeführten Kriterien, die bei der Abwägung der betroffenen Interessen maßgeblich zu berücksichtigen sind, erfüllt und diese sehr intensiven private Interessen auch die öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts in Österreich überwiegen. So hat der Beschwerdeführer gezeigt, dass er mit Beginn seines Aufenthalts stets um eine möglichst umfassende und letztlich auf Dauer angelegte persönliche und gesellschaftliche Integration in Österreich bemüht war und gerade deshalb auch einen entsprechend hohen Grad der Integration in sprachlicher und gesellschaftlicher Hinsicht während seines langjährigen Aufenthalts erreicht hat.

Es wird nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, im Rahmen einer Güterabwägung grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt, doch ist im gegenständlichen Fall aus den eben dargelegten Gründen in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das Interesse an der - nicht nur vorübergehenden - Fortführung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich - insbesondere auch unter Berücksichtigung des vom Beschwerdeführer in Österreich rechtmäßig verbrachten Zeitraumes - dennoch höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

Abschließend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten ist, weshalb im Fall des Verbleibens im Bundesgebiet auch keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu erkennen ist.

Da im Hinblick auf die oben dargelegten Abwägungen zum Entscheidungszeitpunkt das Interesse des Beschwerdeführer an der Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens in Österreich im konkreten Fall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen überwiegt und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen nicht nur vorübergehenden Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben darstellen würde, war der Beschwerde stattzugeben und gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

3.2. Zu Spruchpunkt B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, sondern ausschließlich das Resultat einer eingehenden Glaubwürdigkeitsauseinandersetzung, basierend auf den konkret im Verfahren präsentierten Angaben der beschwerdeführenden Partei ist. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In vorliegendem Fall liegen daher die Voraussetzungen für die Zulassung der ordentlichen Revision nicht vor, es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus, Aufenthaltsdauer, Deutschkenntnisse,
Glaubhaftmachung, innerstaatliche Fluchtalternative, Integration,
Interessenabwägung, Lebensgrundlage, mangelnde Asylrelevanz, non
refoulement, Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig,
Sicherheitslage, Verfolgungsgefahr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W197.2112668.1.00

Zuletzt aktualisiert am

31.10.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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