TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/5 W150 2128647-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.08.2018
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Entscheidungsdatum

05.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs2 Z1
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z4
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W150 2128647-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde des Herrn XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, ZVR-Zahl 460937540, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , VerfahrensZl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe, dass der Spruchpunkt VI. wie folgt zu lauten hat:

"Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab dem Zeitpunkt der Enthaftung."

und Spruchpunkt VIII. wie folgt zu lauten hat:

"Gemäß § 13 Absatz 2 Ziffer 1 Asylgesetz haben Sie Ihr Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 01.09.2017 verloren",

als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer wurde am 10.07.2015 im Zuge einer fremdenrechtlichen Kontrolle von zivilen Exekutivbediensteten am Hauptbahnhof in Wien aufgegriffen und stellte im Rahmen dieser Amtshandlung einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 12.07.2015 erfolgte die Erstbefragung des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in der Sprache Dari unter Beiziehung einer sprachkundigen Person. Im Rahmen dieser Befragung gab der Beschwerdeführer zusammengefasst und soweit verfahrensrelevant an, dass er ledig und am XXXX .1999 im Dorf XXXX , im Bezirk XXXX , in der Provinz Panjshir, geboren sei. Er sei afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und Angehöriger der tadschikischen Volksgruppe und habe neun Jahre lang die Grundschule in XXXX besucht, sein letzter ausgeübter Beruf sei der eines KFZ-Lehrlings gewesen. Seine Mutter sei verstorben, sein Vater, zwei Brüder sowie drei Schwestern würden noch in XXXX leben. Seine Familie besitze zwei Häuser in Afghanistan, sein Vater habe die Familie ernährt, die finanzielle Situation sei in Ordnung gewesen. Der Beschwerdeführer habe drei Monate vor der Befragung illegal von XXXX aus Afghanistan verlassen und sei in den Iran gereist. Die Weiterreise sei teilweise schlepperunterstützt über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn bis nach Österreich erfolgt. Seine Tazkira habe er in seiner Heimat, einen Reisepass habe er nie besessen. Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der Beschwerdeführer an, dass die Sicherheitslage in XXXX sehr schlecht sei und er in einem sicheren Land leben möchte. Er habe Angst vor dem Krieg und befürchte bei einer Rückkehr getötet zu werden.

3. Mit Gutachten vom 02.10.2015 wurde durch einen Sachverständigen festgestellt, dass der Beschwerdeführer zum Untersuchungszeitpunkt (02.10.2015) mindestens 17,6 Jahre alt gewesen sei. Das errechnete "fiktive Geburtsdatum" laute XXXX .1998 und es könne daher zum Zeitpunkt der Asylantragstellung (10.07.2015) von einem Mindestalter von 17,37 Jahren ausgegangen werden. Anhand des "fiktiven Geburtsdatums" vollende der Beschwerdeführer am 07.04.2015 sein 18. Lebensjahr.

4. Am 04.05.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen. Im Rahmen dieser Befragung gab der Beschwerdeführer an, dass er Beschwerden habe, er habe Schläge gegen den Kopf bekommen und sei deswegen leicht reizbar. Er nehme Medikamente, den Namen kenne er nicht. Er nehme in der Früh eine Tablette und eine vor dem Schlafengehen. Nach jeder Mahlzeit nehme er Tropfen ein und zweimal pro Woche "andere Tropfen". Er wisse nicht, an welcher Krankheit er leide, er kenne nur die Symptome. Er leide seit etwa zwei Jahren an dieser Reizbarkeit. Die Erkrankung sei in Österreich festgestellt worden, als der Beschwerdeführer zum Arzt gegangen sei. Er sei bei Psychologen und im Spital in XXXX sowie einmal bei einem Arzt wegen "seinem Kopf" bzw. "der Beschwerden hinsichtlich seiner Aggressivität" vorstellig geworden. Er habe sich selbst verletzt und sei aus einem Turm gesprungen. Wenn er einen Anfall habe handle er ohne konkrete Absicht, er denke dann nicht nach. Seit seiner medikamentösen Einstellung habe er sozial eigentlich keine Schwierigkeiten mehr. Er sei KFZ-Mechaniker und habe von klein an mit seinem Vater in diesem Bereich gearbeitet. Der Beschwerdeführer gab an in XXXX geboren zu sein. Er sei 18 Jahre alt, er beuge sich der Altersfeststellung. Er habe nie eine Tazkira besessen, sondern nur Ausweise aus der internationalen Schule. Seine Familie lebe in XXXX . Zu seinen Bindungen in Österreich befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er solche nicht in einer maßgeblichen Intensität habe, dass er wegen dieser seinen Aufenthalt in Österreich nicht beenden wollen würde. Die Beweggründe für die Antragstellung auf internationalen Schutz betreffend gab der Beschwerdeführer an, dass er in Afghanistan eine Schule besucht habe, auf der die Kinder der wohlhabenden Familien unterrichtet worden seien. Er habe einen Schulfreund gehabt, dessen Vater ein hochrangiger Mujaheddin gewesen sei, eines Tages habe es einen Angriff auf den Freund gegeben und der Beschwerdeführer sei dazwischen gegangen - auch, weil, sie beide aus derselben Straße kamen und beide aus Panjshir gestammt hätten. Er sei dabei geschlagen und sehr schwer verletzt worden. Er sei etwa einen Monat lang im Koma und sechs Monate lang im Militärkrankenhaus in Kabul gelegen. Als er erwacht sei, habe er Verletzungen an seinem Kopf bemerkt. Sein Vater habe ihm mitgeteilt, dass er nicht mehr nach

XXXX zurückkehren könne und - mit Hilfe der Unterstützung seines Onkels väterlicherseits - sei der Beschwerdeführer nachfolgend geflohen. In XXXX habe der Beschwerdeführer nicht einmal leben können, als die Taliban noch nicht dort gewesen seien, jetzt sei es noch schlechter.

5. Am 17.03.2016 stellte sich der Beschwerdeführer im Landesklinikum

XXXX vor, als Grund für diese Vorstellung wurde "Wiederholtes Zusammenschlagen von Mitmenschen" angegeben. Es wurde eine Psychotherapie empfohlen und es wurden dem Beschwerdeführer Medikamente verordnet. Angeführt wurde, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan "mit einem Stock auf den Kopf geschlagen" worden sei und er "vor zwei Monaten" in "suizidaler Absicht in XXXX aus dem 3. Stock gesprungen" sei. In XXXX habe er "jemand niedergeschlagen" und "vorgestern" habe er "einen Mitbewohner niedergeschlagen". Es habe ihm "nachher leidgetan", dem Raufhandel sei ein Streit vorausgegangen. Er habe "mangelnde eigene Ressourcen zur Konfliktlösung".

6. Am 07.04.2016 wurde der Beschwerdeführer durch einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie begutachtet, welcher eine "unauffällige Auffassung, Konzentration und Merkfähigkeit" feststellte sowie anführte, dass der Beschwerdeführer "allseits orientiert, in der Stimmung eher ängstlich, psychomotorisch leicht angetrieben" sei und der "Duktus sei kohärent und zielführend". Das "Denken" sei "formal und inhaltlich" ohne Befund und "produktive Symptome" würden fehlen. Es wurde eine "emotional instabile Persönlichkeitsstörung (F60.3)" diagnostiziert. Weiters wurde eine CT-Untersuchung aufgrund eines fraglichen Schädelhirntraumas vor zwei Jahren veranlasst.

7. Am 26.05.2016 wurde der vom Beschwerdeführer gestellte Antrag auf internationalen Schutz erstmals abgelehnt (Spruchpunkt 1.). Dem Beschwerdeführer wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt 2.) und auch ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt 3.). Es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und es wurde festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (ebenfalls Spruchpunkt 3.). Dem Beschwerdeführer wurde eine Frist von zwei Wochen für eine freiwillige Ausreise gestellt (Spruchpunkt 4.).

8. Gegen diesen ersten Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 17.06.2016 eine Beschwerde aufgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des Bescheides.

9. Am 30.11.2016 wurde dem Beschwerdeführer durch das BFA mitgeteilt, dass er aufgrund seiner Straffälligkeit und einer eingebrachten Anklage einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann, durch die Staatsanwaltschaft sein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verloren habe.

10. Am 08.03.2017 wurde der Beschwerdeführer durch das Landesgericht Wiener Neustadt (LG Wiener Neustadt) wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 2. Fall StGB, mehrfach des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB, des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren verurteilt. 32 Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe wurden unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

11. Am 01.09.2017 wurde das gegen den Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 2. Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen gefällte Urteil des LG Wiener Neustadt vom 08.03.2017, GZ 36 Hv 98/ XXXX , durch das Oberlandesgericht Wien bestätigt und der Berufung (sowohl durch die Staatsanwaltschaft als auch durch den Beschwerdeführer) nicht stattgegeben.

12. Mit Beschluss vom 22.01.2018 hob das Bundesverwaltungsgericht den ersten Bescheid auf und verwiese die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Begründet wurde dies damit, dass das BFA im Bescheid festgestellt habe, dass der Beschwerdeführer an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung leide und er gesund sowie arbeitsfähig sei. Konträr dazu sei beweiswürdigend festgehalten worden dass der Beschwerdeführer entweder an einer Anpassungsstörung mit aggressiven Durchbrüchen oder an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung leide. Es sei eine CT-Untersuchung des Beschwerdeführers veranlasst worden, das BFA habe aber bereits vor Vorliegen des Ergebnisses die angefochtene Entscheidung erlassen. Weiters hätte aufgrund der unterschiedlichen Angaben ein psychologisches Gutachten erstellt werden müssen um den genauen psychischen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und die Notwendigkeit einer Behandlung feststellen zu können. Ohne fachärztliches Gutachten könne nicht beurteilt werden, welche Konsequenzen die psychische Erkrankung auf das Aussageverhalten des Beschwerdeführers habe.

13. Am 16.04.2018 wurde der Beschwerdeführer durch Frau XXXX , Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, einer psychiatrisch/neurologischen Begutachtung unterzogen. Dem mit 20.04.2018 datierten Sachverständigengutachten ist zu entnehmen, dass der Antragsteller an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung leide, die mit einer verminderten Impulskontrolle und Frustrationstoleranz, eingeschränkten Konfliktlösungsstrategien, streitsüchtigem Verhalten und der Tendenz zur Selbstverletzung einhergehe. Es läge keine psychische Erkrankung vor, die die Einvernahmefähigkeit bzw. die Aussagefähigkeit des Beschwerdeführers relevant beeinträchtigen würde. Der Beschwerdeführer sei ausreichend in der Lage gleichbleibende, konkrete Angaben zu Ereignissen aus seiner Vergangenheit zu machen.

14. Am 30.05.2018 wurde der Beschwerdeführer erneut durch das BFA - vor Ort in der Justizanstalt XXXX - niederschriftlich einvernommen. In dieser Einvernahme gab er im Wesentlichsten an, dass er gesund sei und nur "etwas zur Beruhigung" nehme. Er arbeite in der Schlosserei der Justizanstalt. Bei der durchgeführten CT-Untersuchung sei "nichts festgestellt" worden, er "habe nichts". Er habe keine "Erkrankung am Gehirn". Die Gelegenheit zur Äußerung das psychiatrisch/neurologische Sachverständigengutachten betreffend wollte der Beschwerdeführer nicht wahrnehmen - "Dazu möchte ich nichts sagen". Dokumente aus seinem Heimatland habe er sich nicht schicken lassen, da er "nichts habe". Deutschprüfungen habe er keine abgelegt und er habe auch keine sozialen oder privaten Bindungen in Österreich. Er habe mit seinem Vater gemeinsam als Mechaniker in Afghanistan gearbeitet. Er habe vor zwei Monaten mit seiner Familie (Vater, zwei Brüder und drei Schwestern) gesprochen, diese habe sich zu diesem Zeitpunkt in Kabul befunden. Befragt zu dem - in vorher stattgefundenen Befragungen angegebenen - Angriff auf den Beschwerdeführer gab dieser nunmehr an, dass "er sich nicht erinnern könne und auch nicht darüber reden möchte". Es sei 2015 "oder so" gewesen, er wisse aber nichts mehr und wolle auch keine Angaben mehr dazu machen. Er glaube nicht, dass man ihn in Afghanistan "suche", derartiges habe er auch nie angegeben. Es würde ihn nur die allgemeine Sicherheitslage an einer Rückkehr hindern. Gegen eine Rückkehr in seine Heimatprovinz Panjshir spreche, dass er nicht wisse wo er dort hingehen solle, er kenne sich nicht aus. In XXXX gebe es keine Sicherheit. Was gegen eine Rückkehr nach Kabul spreche, wisse der Beschwerdeführer nicht, außer, dass es dort auch unsicher sei und er Angst habe dort zu sterben. Andere Gründe als die Sicherheitslage gebe es nicht. Befragt ob er in Kabul Arbeit finden würde, gab der Beschwerdeführer an: "Vielleicht schon. Ich weiß es aber nicht.". Sein bester Freund lebe in Kabul, mit diesem habe er auch Kontakt, dem Freund ginge es gut.

15. Am 05.06.2018 wurde der Beschwerdeführer - erneut - durch das LG Wiener Neustadt wegen des Verbrechens der versuchten absichtlich schweren Körperverletzung gemäß § 15, 87 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Höhe von 20 Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde in diesem Urteil der Beschluss gefasst, dass die zur Erstverurteilung gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen wird. Dieses Urteil ist aufgrund eines Rechtsmittels an den OGH noch nicht rechtskräftig. 16. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 07.06.2018 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchteil I.) als auch des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchteil II.) ab. Die belangte Behörde sprach aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchteil III.). Weiters wurde ausgeführt, dass gegen den Beschwerdeführer gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG und § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung erlassen werde (Spruchteil IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchteil V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde dem Beschwerdeführer keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchteil VI.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG aberkannt werde (Spruchteil VII.). Es wurde angeführt, dass der Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 30.11.2016 verloren habe (Spruchteil VIII.). Die belangte Behörde erließ gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 4 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchteil IX.).

Dazu führte das BFA wie folgt aus:

Die Identität des Beschwerdeführers könne aufgrund der Tatsache, dass dieser keine Originaldokumente in Vorlage bringen könne, nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer stamme aus der Provinz Panjshir und habe einen Teil seines Lebens in der Provinz XXXX verbracht. Er leide an keiner lebensbedrohlichen und in seinem Herkunftsstaat nicht ausreichend behandelbaren Erkrankung. Er habe Berufserfahrung als Mechaniker und im Bereich der Schlosserei. Er sei in Österreich strafrechtlich verurteilt worden. Er habe keine Verfolgung in seinem Heimatland glaubhaft machen können und es läge keine allgemeine Gefährdungslage in Bezug auf die Herkunftsprovinz Panjshir, noch für ganz Afghanistan vor. Die Provinz XXXX betreffend sei von einer allgemeinen Gefährdungslage auszugehen. Der Beschwerdeführer könne seinen Lebensunterhalt in seiner Heimatprovinz, wie auch in Kabul bestreiten. Zusammengefasst festgehalten wurde, dass der Beschwerdeführer keine asylrechtlich relevante Verfolgung glaubhaft habe machen können und auch ein Asylausschlussgrund (die strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers) vorliege.

Die Erlassung des Einreiseverbotes betreffend wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer in Österreich straffällig geworden sei und zu einer erheblichen Freiheitsstrafe in der Höhe von vier Jahren verurteilt wurde. 32 Monate dieser Freiheitsstrafe seien bedingt nachgesehen worden, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren. Er habe innerhalb von einem Jahr eine Vielzahl an Delikten begangen, er sei in Österreich wegen schweren Raubes, vierfach dem Vergehen der Körperverletzung, Nötigung, gefährlicher Drohung und versuchten Diebstahls verurteilt. Nach Rechtskraft der ersten Verurteilung sei der Beschwerdeführer erneut angezeigt und vom LG Wiener Neustadt am 01.02.2018 zu 20 Monaten Freiheitsstrafe wegen versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung verurteilt worden. Die gewährte bedingte Nachsicht eines Teiles der ersten Haftstrafe wurde widerrufen. Dieses Urteil sei aufgrund einer erfolgten Berufung noch nicht rechtskräftig.

Das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers betreffend wurde festgestellt, dass dieser keine in Österreich zum dauernden Aufenthalt berechtigten Verwandten habe und sich derzeit in Haft befinde. Er sei illegal in das Bundesgebiet eingereist und sein Aufenthalt in Österreich sei ein vorübergehender Aufenthalt. Es wurde ausgeführt, dass grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass ein Neustart in Kabul jenen Rückkehrern, die über familiäre oder soziale Netzwerke in Afghanistan oder direkt in Kabul verfügen, leichter falle als Leuten ohne ein solches Netzwerk. Der Beschwerdeführer habe direkt in Kabul seinen Vater und seine Geschwister, sowie eine Tante und auch seinen besten Freund. Diese könnten ihm eine Unterkunft zur Verfügung stellen und ihm bei der Arbeitssuche behilflich sein. Seine Familie außerhalb Afghanistans könnte ihn auch mit Geldmitteln unterstützen, wie dies auch schon der Fall gewesen sei. Auch gehe aus den UNHCR-Richtlinien hervor, dass selbst ein nicht vorhandenes Netzwerk dieser Art nicht bedeutet, dass man alleinstehende und leistungsfähige Männer nicht nach Kabul zurückschicken könne. Weiters verfüge der Beschwerdeführer auch über Schulbildung und Berufserfahrung.

Es lägen keine der drei Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 vor und somit sei dem Beschwerdeführer auch kein Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen gewesen.

Die ausgesprochene Rückkehrentscheidung betreffend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Österreich keine zum dauernden Aufenthalt berechtigten Verwandte habe und es werde mit einer Rückkehrentscheidung nicht in sein Familienleben eingegriffen. Der Beschwerdeführer verfüge über mäßige Deutschkenntnisse, habe bisher keine Deutschprüfung absolviert und habe keine nennenswerten privaten Bindungen in Österreich. Demgegenüber stehe das Interesse der Öffentlichkeit an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens, wogegen der Beschwerdeführer alleine schon mit seiner illegalen Einreise verstoßen habe. Weiters sei er gerichtlich zu vier Jahren Haft verurteilt worden und stelle aufgrund des schweren Verbrechens, das er verübt habe, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar. Eine erneute Verurteilung - die aufgrund einer Berufung noch nicht in Rechtskraft erwachsen sei - sei ein starkes Indiz dafür, dass der Beschwerdeführer noch immer nicht gewillt sei sich an die österreichischen Gesetze zu halten. Die Abschiebung nach Afghanistan sei zulässig.

Die aufschiebende Wirkung wurde ausgeschlossen, da der Beschwerdeführer aufgrund seiner Straftaten eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstelle.

Zum Verlust des Aufenthaltsrechtes wurden die Verurteilungen des Beschwerdeführers angeführt.

Das erlassene Einreiseverbot betreffend stellte das BFA fest, dass der Beschwerdeführer rechtskräftig verurteilt worden ist. Das volle Ausmaß von zehn Jahren sei ausgeschöpft worden, da die Art und Weise wie der Beschwerdeführer seine Verbrechen verübt habe und um welche Verbrechen es sich gehandelt habe, erschreckend gewesen seien. Er habe die Taten über einen Zeitraum von fast einem Jahr verübt und es könne nicht von einer Einzeltat ausgegangen werden. Er habe ein Verbrechen und sieben weitere Vergehen verübt.

17. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in welcher er zusammengefasst Folgendes vorbrachte:

Der Beschwerdeführer sei in seiner Heimat in großer Gefahr gewesen und wenn er nach Afghanistan zurückkehren würde, wäre er wieder dieser Gefahr ausgesetzt. Es bestehe die Gefahr, dass der Beschwerdeführer für die Taliban arbeiten müsse, das BFA habe sich nicht mit der persönlichen Situation des Beschwerdeführers auseinandergesetzt.

Die Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzes betreffend wurde ausgeführt, dass im Falle einer Abschiebung des Beschwerdeführers eine massive Verletzung des Art. 2 und 3 EMRK drohe und ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes betreffen würde.

Es sei weiters festgestellt worden, dass die Provinz Nangahar zu den relativ volatilen Provinzen in Afghanistan gehöre und dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers dorthin eine Gefahr für sein Leben bedeute. Der Beschwerdeführer habe keine Verwandtschaft in Kabul, somit sei die innerstaatliche Fluchtalternative Kabul nicht zumutbar. Den Beschwerdeführer würden ohne Unterstützung der Familie oder Bekannten in Afghanistan massive Probleme erwarten.

Die Bemessung des Einreiseverbotes mit zehn Jahren erscheine in Anbetracht der Tatsache, dass das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen müsse als nicht geboten. Es werde beantragt nach einer Verhältnismäßigkeitsprüfung das Einreiseverbot aufzuheben in eventu werde beantragt vom Einreiseverbot abzusehen.

18. Am 25.06.2018, einlangt am 03.07.2018, legte das BFA dem gegenständlichen Verfahrensakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

19. Am 10.07.2018 wurde hg. der gegenständlichen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrags auf internationalen Schutz vom 10.07.2015, der Einvernahmen des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des BFA, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des BFA vom 07.06.2018, der im Verfahren vorgelegten Unterlagen, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, in das Zentrale Melderegister, Fremdeninformationssystem, Strafregister und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zum Beschwerdeführer:

Der volljährige Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger moslemischen Glaubens (genauer: Sunnit) und Angehöriger der tadschikischen Volksgruppe. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.

Er reiste (spätestens) am 10.07.2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. In Afghanistan hat er die Grundschule besucht und Berufserfahrung als Mechaniker gesammelt. In Österreich geht der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Haft in der Justizanstalt einer Tätigkeit in der dortigen Schlosserei nach.

Sein Vater, seine Schwester, eine Tante sowie der beste Freund des Beschwerdeführers befinden sich in Kabul. In Österreich hat der Beschwerdeführer weder verwandtschaftliche noch soziale Anknüpfungspunkte. Er verfügt über keine maßgeblichen Deutschkenntnisse - er hat keine Deutschprüfungen als Nachweis darüber absolviert. Sprachliche oder berufliche Integrationsaspekte liegen beim Beschwerdeführer in Österreich nicht vor.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner schweren lebensbedrohlichen Erkrankung und ist arbeitsfähig.

Im Falle eine Rückkehr nach Afghanistan würde der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten.

Mit Urteil des LG Wiener Neustadt vom 08.03.2017, Zl. 36 Hv 98/16k, rechtskräftig nach Bestätigung durch das OLG mit 01.09.2017, wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 2. Fall, der mehrfachen Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB, des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren verurteilt. Ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe in der Dauer von 32 Monaten wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Als mildernd wurde ein teilweise abgelegtes Geständnis, die Tatbegehung teils als Jugendlicher und dass es hinsichtlich des Diebstahls beim Versuch geblieben ist angeführt. Als erschwerend wurde das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen (eines Verbrechens sowie sieben Vergehen) angesprochen.

Am 01.02.2018 wurde der Beschwerdeführer erneut durch das LG Wiener Neustadt wegen des Verbrechen der versuchten absichtlich schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs. 1 StGB verurteilt. Es wurde eine Freiheitsstrafe von 20 Monaten verhängt und die bedingte Strafnachsicht zum Urteil vom 08.03.2017 widerrufen. Dieses Urteil ist aufgrund eines erhobenen Rechtsmittels noch nicht rechtskräftig.

1.2. Zur hier relevanten Situation in Afghanistan:

1.2.1. Kabul:

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018, S. 45ff.)

1.2.2. Sunniten:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechungnter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018, S. 264ff.)

1.2.3. Tadschiken:

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte (CRS 12.1.2015; vgl. LIP 5.2018); und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (CRS 12.1.2015). Sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus (LIP 5.2018). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten:In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (LIP 5.2018). Aus historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa Siedlungsgebiet oder Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pajshir) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Der Hauptführer der "Nordallianz", einer politisch-militärischen Koalition, ist Dr. Abdullah Abdullah - dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist (CRS 12.1.2015). Trotz seiner gemischten Abstammung, sehen ihn die Menschen als Tadschiken an (BBC 29.9.2014). Auch er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud, war (CRS 12.1.2015). Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan (CRS 12.1.2015); ein Amt, das speziell geschaffen wurde und ihm die Rolle eines Premierministers zuweist (BBC 29.2.2014).

Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018, S. 279f.)

1.2.4. Rückkehr:

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017).

Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiwillige Rückkehr von 58.817 Personen (98% aus Pakistan sowie 2% aus Iran und anderen Ländern) (UNHCR 3.2018).

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 20.4.2018). Nichtsdestotrotz versucht die afghanische Regierung die gebildete Jugend, die aus Pakistan zurückkehrt, aufzunehmen (BTI 2018). Von den 2.1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer/innen. In den informellen Siedlungen von Nangarhar lebt eine Million Menschen, wovon 69% Rückkehrer/innen sind. Die Zustände in diesen Siedlungen sind unterdurchschnittlich und sind besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen sind Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% haben keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% leben in überfüllten Haushalten (UN OCHA 12.2017).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Im Jangalak Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer, mit jeweils 2-3 Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor. IOM setzt im Zuge von Restart II unterschiedliche Maßnahmen um, darunter Rückkehr - und Reintegrationsunterstützung. In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird (BFA Staatendokumentation 4.2018).

NRC (Norwegian Refugee Council) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch hilft NRC Rückkehrer/innen bei Grundstücksstreitigkeiten. Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrer/innen aus Pakistan sollen auch die Möglichkeit haben die Schule zu besuchen. NRC arbeitet mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern. IDPs werden im Rahmen von Notfallprogrammen von NRC mit Sachleistungen, Nahrungsmitteln und Unterkunft versorgt; nach etwa zwei Monaten soll eine permanente Lösung für IDPs gefunden sein. Auch wird IDPs finanzielle Unterstützung geboten: pro Familie werden zwischen 5.000 und 14.000 Afghani Förderung ausbezahlt. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018, S. 324f.)

1.2.5. Beispiele für Behandlung psychischer erkrankter Personen in Afghanistan:

In der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat geistige Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt. Jedoch ist der Fortschritt schleppend und die Leistungen außerhalb von Kabul sind dürftig. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden genauso wie Kranke und Alte gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gemeinschaftliche Unterstützung sicherstellen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam. So existieren z. B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Personen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und bei anderen Nichtregierungsorganisationen behandelt werden. Einige dieser NGOs sind die International Psychological Organisation (IPSO) in Kabul, die Medica Afghanistan und die PARSA (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt" oder es wird ihnen durch eine "Therapie" mit Brot, Wasser

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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