TE Bvwg Beschluss 2018/8/30 I404 2201902-1

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Veröffentlicht am 30.08.2018
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Entscheidungsdatum

30.08.2018

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §34
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

I404 2201902-1/4E

I404 2201901-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Gambia, und 2. XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Nigeria, beide vertreten durch den Verein Menschenrechte, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.06.2018, Zl.en 1048872902/140316810 und 1080425101/150977864, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerden werden die bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013, zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Die Erstbeschwerdeführerin, eine volljährige Staatsangehörige von Gambia, stellte am 22.12.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Hinsichtlich ihres Fluchtgrundes gab die Beschwerdeführerin an, dass sie nach dem Tod ihrer Eltern mit ihren beiden Geschwistern unter die Obhut ihres Onkels gekommen sei. Dieser habe sie mit einem sehr alten Mann, welcher im Alter ihres verstorbenen Vaters sei, verheiraten wollen. Dies habe sie abgelehnt. Daraufhin sei sie von ihrem Onkel mit dem Tod bedroht worden. Nach mehrmaliger Bedrohung durch ihren Onkel sei sie geflüchtet.

2. Am XXXX wurde der Zweitbeschwerdeführer als Sohn der Erstbeschwerdeführerin sowie eines nigerianischen Vaters geboren und für diesen am 30.07.2015 durch die Erstbeschwerdeführerin als seine gesetzliche Vertreterin ein Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren eingebracht. Die Erstbeschwerdeführerin führte für den Zweitbeschwerdeführer keine eigenen Asylgründe an, sondern ersuchte um Behandlung des Antrages im Rahmen des Familienverfahrens.

3. Am 13.03.2017 wurde die Erstbeschwerdeführerin von der belangten Behörde einvernommen und wiederholte im Wesentlichen ihre Fluchtgründe.

4. Mit dem nunmehr erstangefochtenem Bescheid vom 19.06.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Gambia (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie der Erstbeschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen die Erstbeschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Gambia zulässig ist (Spruchpunkt V.). Des Weiteren setzte die belangte Behörde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

5. Mit dem ebenfalls angefochtenem Bescheid vom 19.06.2018, wies die belangte Behörde den Antrag des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Zweitbeschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen den Zweitbeschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Gambia und Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Des Weiteren setzte die belangte Behörde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Im Bescheid finden sich ausschließlich Länderfeststellungen zu Nigeria. Bezüglich der Staatsangehörigkeit wurde beweiswürdigend angeführt, dass sich diese aus den Angaben der Erziehungsberechtigten ergeben würde.

6. Gegen diese Bescheide erhoben die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer, vertreten durch den Verein Menschenrechte, rechtzeitig und zulässig das Rechtsmittel einer Beschwerde. In der Beschwerde wird unter anderem vorgebracht, dass aufgrund der nigerianischen Staatsbürgerschaft des Zweitbeschwerdeführers eine gemeinsame Rückkehr weder nach Nigeria noch nach Gambia möglich sei. Die belangte Behörde gehe davon aus, dass der dreijährige Zweitbeschwerdeführer nach Nigeria abgeschoben werde und die Erstbeschwerdeführerin als Mutter und Obsorgeberechtigte nach Gambia. Wenn die belangte Behörde davon ausgehe, dass sich der dreijährige Zweitbeschwerdeführer in einem jungen, mit einer sehr hohen Lern- und Anpassungsfähigkeit verbundenen Alter befinde und dass eine kurze abschiebungsbedingte Unterbrechung des Familienlebens zuzumuten sei, so entbehre dies jeder Grundlage. Wenn die Behörde anführe, dass der Zweitbeschwerdeführer Verwandte in seinem Heimatstaat (gemeint wohl: Nigeria) habe, so werde dazu angeführt, dass dies die Erstbeschwerdeführerin nie behauptet habe. Der Kindesvater halte sich in Österreich auf und die Erstbeschwerdeführerin habe keinerlei Informationen bezüglich etwaiger Familienmitglieder des Vaters des Zweitbeschwerdeführers in Nigeria. Sie habe nie in Nigeria gelebt und sei ihr dies als Staatsbürgerin von Gambia auch gar nicht möglich. Außerdem wurde angeführt, dass der Zweitbeschwerdeführer einen sehr guten Kontakt zu seinem (namentlich genannten) Vater habe und dieser ihn jedes Wochenende hole und auch immer wieder zwei Tage bei ihm bleibe. Der Vater des Zweitbeschwerdeführers verfüge über einen Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" und zahle - entgegen den Feststellungen im Bescheid monatlich € 210 an Unterhalt. Eine Trennung der Familie würde einen massiven Eingriff in das Recht auf Familienleben darstellen.

7. In der Folge legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Rechtliche Beurteilung

1.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

Gemäß § 7 Abs. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht u. a. über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Z. 1) sowie über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG (Z. 3).

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt gegenständlich somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 VwGVG trat dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2014 in Kraft. Gemäß Abs. 2 leg. cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchpunkt A) 1. Aufhebung und Zurückverweisung (Spruchpunkt I.):

1.1. Die §§ 28 Abs. 1 bis 3 und 31 VwGVG lauten wie folgt:

Erkenntnisse und Beschlüsse

Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

...

Beschlüsse

§ 31. (1) Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.

(2) An seine Beschlüsse ist das Verwaltungsgericht insoweit gebunden, als sie nicht nur verfahrensleitend sind.

(3) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind § 29 Abs. 1 zweiter Satz, 2a, 2b, 4 und 5 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

1.2. § 50, § 52 Abs. 1, 6, 8 und Abs. 9 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) sowie § 9 Abs. 1 BFA-VG, in der geltenden Fassung lauten wie folgt:

Verbot der Abschiebung

§ 50. (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

(4) ...

Rückkehrentscheidung

...

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Schutz des Privat- und Familienlebens

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

1.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Voraussetzungen, unter denen das Verwaltungsgericht von der in § 28 Abs. 3 VwGVG festgelegten Befugnis zur Aufhebung und Zurückverweisung Gebrauch machen darf, im Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, näher präzisiert.

Danach hat die meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichts Vorrang und bildet die Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme, deren Inanspruchnahme begründungspflichtig ist und die strikt auf den ihr gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Zur Aufhebung und Zurückverweisung ist das Verwaltungsgericht bei "krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken" befugt, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die Verwaltungsbehörde "jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen", "lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt" oder "bloß ansatzweise ermittelt" hat oder wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Behörde "Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer ‚Delegierung' der Entscheidung)".

Die Mangelhaftigkeit des behördlichen Ermittlungsverfahrens resultiert im vorliegenden Fall insbesondere daraus, dass die Behörde in Hinblick auf einem für das Verfahren auf internationalen Schutz zentralen Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat.

1.3. So ist es der Behörde anzulasten, dass sie im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit des in Österreich, als Sohn einer Mutter, welche Staatsangehörige von Gambia ist, und eines nigerianischen Vaters, geborenen Zweitbeschwerdeführers keinerlei Ermittlungen durchgeführt hat, sondern in ihrem Bescheid von dessen nigerianischer Staatsbürgerschaft ausging. Im Rahmen der Entscheidungsbegründung der belangten Behörde findet sich in diesem Kontext lediglich der Satz "Die Feststellungen Ihrer religiösen Zugehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit sowie Ihrer Staatsangehörigkeit ergeben sich aus den Angaben Ihrer Erziehungsberechtigten" (siehe Bescheid Seite 47). Eine weitere Begründung der angenommenen nigerianischen Staatsbürgerschaft des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers findet sich im angefochtenen Bescheid nicht, insbesondere enthält dieser keinerlei objektive Feststellungen zur Erlangung der nigerianischen oder gambischen Staatsbürgerschaft, welche eine objektive Basis für die Beurteilung der Staatsangehörigkeit des Minderjährigen darstellen würden.

Insofern hat die Behörde in einem für das Verfahren auf internationalen Schutz zweifelsfrei wesentlichem Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen und erweist sich das Verfahren sohin vor diesem Aspekt als grob mangelhaft. Die Eruierung des Herkunftsstaats eines Antragstellers stellt eine für das Verfahren auf internationalen Schutz zentrale Frage dar, auf welche das gesamte weitere Verfahren im Sinne der Prüfung einer auf diesen Staat bezogenen Rückkehrgefährdung aufbaut.

Die Frage der Staatsangehörigkeit des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers weist auch - unabhängig von dem geführten Familienverfahren - für das Verfahren seiner Mutter erhebliche Relevanz auf, da eine Rückkehrentscheidung der Erstbeschwerdeführerin und ihres Sohnes lediglich gemeinsam erfolgen kann.

Entgegen den Ausführungen im Bescheid ist es nicht zulässig, den dreijährigen Zweitbeschwerdeführer ohne einen Obsorgeberechtigten bzw. ohne seine Mutter in sein Herkunftsland abzuschieben.

1.4. Weiters übersieht die belangte Behörde, dass der Zweitbeschwerdeführer auch über Familienangehörige in Österreich verfügt, zumal der Vater des Zweitbeschwerdeführers, der zum Aufenthalt in Österreich berechtigt ist, in Österreich wohnhaft ist. Die Behörde hat übersehen, dass eine Trennung daher zu einem Eingriff in das Familienleben des Zweitbeschwerdeführers führt und zwar unabhängig davon, ob der Zweitbeschwerdeführer mit seinem Sohn in einem gemeinsamen Haushalt wohnt. Dass Kontakt besteht und der Kindsvater auch zum Unterhalt des Zweitbeschwerdeführers beiträgt, wurde in der Beschwerde vorgebracht. Im Bescheid des Zweitbeschwerdeführers finden sich dazu keinerlei Feststellungen und auch in der rechtlichen Würdigung erfolgte diesbezüglich keine Interessensabwägung.

Die belangte Behörde hat sohin unter Verstoß gegen den Grundsatz der Offizialmaxime, der sie zur amtswegigen Erhebung des gesamten wahren Sachverhaltes verpflichtet, keine umfassenden Ermittlungen getätigt und daraus resultierend auch keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Damit hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt.

Von einer ganzheitlichen Würdigung des individuellen Parteivorbringens kann im vorliegenden Fall somit nicht gesprochen werden und sind die in den angefochtenen Bescheiden beweiswürdigend angeführten Argumente im zu beurteilenden Fall zur Begründung einer negativen Entscheidung geeignet.

1.5.Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofeszu § 28 Abs. 3 VwGVG- nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auch anzuführen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Notwenigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes Feststellungen der belangten Behörde zu ergänzen, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich macht (vgl. VwGH vom 26.04.2017, Zl. Ra 2016/19/0290). Auch unter Effizienzgesichtspunkten gebietet sich daher eine Heranziehung des § 28 Abs. 3 VwGVG, zumal die Verwaltungsbehörde die erforderlichen Ermittlungsschritte und damit die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes im Sinne des Gesetzes zumindest mit der gleichen Raschheit und mit nicht höheren Kosten als das Verwaltungsgericht bewerkstelligen wird können. Angesichts der oben angeführten Verhandlungspflicht des BVwG bei einer Sachentscheidung ist daher nicht anzunehmen, dass die zur Erforschung der materiellen Wahrheit ergänzenden Ermittlungen unter Wahrung des Parteiengehörs durch das Bundesverwaltungsgericht selbst mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wären. Wobei es bei der Beurteilung der Kostenersparnis und Raschheit darüber hinaus nicht auf die Auswirkungen auf das Gesamtverfahren, sondern nur auf die Ersparnis an Zeit und Kosten für die jeweilige konkrete Amtshandlung ankommt. Dass die Zurückverweisung den gesamten Verfahrensverlauf verlängert, ist bei der Zeit- und Kostenersparnis nicht in Rechnung zu stellen, weil ansonsten eine kassatorische Entscheidung nie in Frage käme (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG, § 66 Rz 20 mwN).

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, waren in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

2. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.

Weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war, konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

B) Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Familieneinheit, Familienverfahren, Kassation,
mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I404.2201902.1.00

Zuletzt aktualisiert am

30.10.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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