TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/4 W191 2132554-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.09.2018
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Entscheidungsdatum

04.09.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W191 2132554-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.07.2016, Zahl 1093283400-151687252, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.08.2018 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXXgemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am 03.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

Eine EURODAC-Abfrage ergab keine Übereinstimmung bezüglich der erkennungsdienstlichen Daten des BF.

1.2. In seiner Erstbefragung am 04.11.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Burgenland, Competence Center (CC) Eisenstadt, gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari unter Nennung seiner Personaldaten und Vorlage einer Tazkira (afghanisches Personaldokument) im Wesentlichen Folgendes an:

Er stamme aus XXXX, Distrikt Jaghuri (auch Jaghori), Provinz Ghazni, sei Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und (schiitischer) Moslem. Seine Familie (Eltern, vier Halbgeschwister und Ehefrau) befänden sich zuhause.

Er sei vor ca. einem Monat über Iran, Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien bis nach Österreich gereist.

Als Fluchtgrund gab der BF an, dass im Dorf XXXX drei Ingenieure von den Taliban getötet worden seien. Er selbst sei in einem Sammeltaxi davor gewesen und fälschlich von den Taliban kontrolliert worden, sodass er ihnen habe sagen müssen, dass diese weiter hinten nachkämen. Die anderen Insaßen hätten dies den Familien der ermordeten Personen erzählt. Diese wie auch die Polizei, die ihn für einen Spion der Taliban halte, hätten ihn sodann verfolgt, sodass er habe fliehen müssen.

1.3. Bei seiner Einvernahme am 28.06.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Regionaldirektion Niederösterreich, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, bestätigte der BF im Wesentlichen die Richtigkeit seiner bisher gemachten Angaben und korrigierte die Niederschrift der Erstbefragung u.a. darin, dass nicht drei Ingenieure, sondern zwei Ingenieure und ein Lehrer getötet worden seien. Sein Vater sei gestorben, als der BF noch klein gewesen sei. Der BF habe Eisen verkauft und als Schweißer gearbeitet.

Seine Ehefrau XXXX sei 26 Jahre alt und derzeit bei ihrem Onkel in Herat aufhältig. Sie hätten vor einem Jahr geheiratet und dort zwei Monate lang vor seiner Ausreise in Herat gelebt. Mit seiner Frau habe er regelmäßig über Viber Kontakt, es gehe ihr gut, aber sie habe Angst.

Befragt nach seinen Fluchtgründen schilderte der BF sein Vorbringen bezüglich der Ermordung von drei Personen (ein Ingenieur, ein Lehrer und ein Fahrer) näher unter Anführung von Details. Nachfragen konnte er hinreichend plausibel und nachvollziehbar beantworten.

Der BF legte mehrere Belege zu seiner Integration in Österreich vor (Deutschkursbestätigung, Unterstützungsschreiben, Bestätigung über ehrenamtliche Tätigkeiten und Bestätigungen über die Teilnahme an sozialen Projekten).

Ihm wurden laut Niederschrift "18 Seiten Länderfeststellungen" ausgehändigt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen drei Werktagen Stellung zu nehmen, worauf der BF verzichtete; er kenne Afghanistan.

1.4. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 22.07.2016 den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 03.11.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF sei unglaubhaft. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen und es komme daher auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG nicht in Betracht. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse - im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen - glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Seine Fluchtgeschichte beurteilte das BFA als unglaubhaft und begründete dies mit angeführten Unstimmigkeiten in den Aussagen des BF.

Subsidiärer Schutz wurde ihm nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes nicht gegeben sei.

1.5. Gegen diesen Bescheid brachte der BF fristgerecht mit Schreiben seines Rechtsberaters vom 09.08.2016 das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und "Mangelhaftigkeit des Verfahrens" ein.

Die weitwendige Beschwerdebegründung enthält Ausführungen zur Lage der Hazara bzw. Schiiten in Afghanistan unter Zitierung aus diversen Berichten (etwa des UN-Menschenrechtskommissars, in englischer Sprache) und zur Sicherheitslage sowie Rechtsausführungen.

Die Beschwerde setzt sich mit den vom BFA als unstimmig angeführten Aussagen des BF auseinander und versucht, angebliche Widersprüche aufzuklären.

Schließlich wird auf die außergewöhnlichen Integrationsleistungen des BF in der relativ kurzen Zeit seines Aufenthaltes in Österreich hingewiesen.

1.6. Mit ergänzender Beweismittelvorlage seines Rechtsberaters übermittelte der BF eine Bestätigung, dass er in Österreich das Schneidereihandwerk erlerne, sowie ein weiteres Empfehlungsschreiben bezüglich ehrenamtlicher Tätigkeiten.

1.7. Mit Schreiben seines nunmehrigen gewillkürten Vertreters vom 13.07.2017 übermittelte der BF ein Schreiben der Iranischen Christlichen Gemeinde in der Evangeliumsgemeinde vom 19.06.2017, wonach der BF seit Jänner 2017 die Veranstaltungen dieser Gemeinde besuche, Interesse für das Christentum zeige und den Wunsch geäußert habe, getauft zu werden. Nach Abschluss des Taufunterrichts in der Gemeinde werde er getauft werden. Der Unterricht beginne am 25.06.2017 und dauere einige Monate. Natürlich sollten die Bibelkenntnisse des BF noch vertieft werden, damit er besser den christlichen Glauben verstehe und danach lebe. Er bemühe sich in dieser Richtung.

1.8. Mit Schreiben seines Vertreters vom 09.01.2018 (wie auch noch zwei weitere Male) ersuchte der BF um eine positive Entscheidung in seinem Fall bzw. um eine mündliche Verhandlung, da die Ungewissheit seines Aufenthaltes in Österreich eine große Belastung für ihn darstelle.

Er legte sein Taufzeugnis (Taufe am 17.02.2018) und weitere Belege zu seiner Integration (Deutschkursbestätigungen) vor.

1.9. Mit Schreiben vom 25.04.2018 teilte der Präsident des BVwG dem Leiter der zuständigen Gerichtsabteilung mit, dass ein Volksanwaltsschreiben hinsichtlich einer Beschwerde über die Verfahrensdauer eingelangt sei.

1.10. Das BVwG führte am 06.08.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der der BF in Begleitung seines Vertreters persönlich erschien. Die belangte Behörde verzichtete im Vorhinein auf die Teilnahme an der Verhandlung.

Dabei gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"[...] RI [Richter]: Was ist Ihre Muttersprache?

BF: Dari.

RI an D [Dolmetsch]: In welcher Sprache übersetzen Sie für den BF?

D: Dari.

RI befragt BF, ob er D gut verstehe; dies wird bejaht.

Zur heutigen Situation:

RI: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?

BF: Ja.

RI: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF: Nein.

[...]

Der BF hat bisher eine Tazkira (afghanisches Personaldokument) sowie Belege zu seiner Integration (Deutschkurse, Radreparatur, Schneiderei) vorgelegt. Zu seinem Fluchtvorbringen hat er bisher keinen Beleg vorgelegt.

Im Beschwerdeverfahren hat er einen Taufschein der Iranischen Christengemeinde vorgelegt. Heute legt er weitere Belege zu seiner Integration (Schriftverkehr mit dem AMS, Einstellungszusage einer Fliesenfirma als Fliesenleger, Bestätigungen über ehrenamtliche Tätigkeiten bei Kinder-Spielen und bei der Wiener Tafel, Deutschkursbestätigungen) sowie zu seinem Nachfluchtgrund (Schreiben des Leiters der Iranischen Christlichen Gemeinde) vor, die in Kopie zum Akt genommen werden.

[...]

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen

Lebensumständen:

RI: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?

BF: Ja.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF: Ich bin Hazara.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?

BF: Ich bin Christ, seit 2017. Ich war vorher schiitischer Moslem.

RI: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?

BF: Ich bin verheiratet und habe keine Kinder.

RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF: Ich habe keine Schulbildung, nur die 1. Klasse in Afghanistan.

RI: Womit haben Sie sich in Ihrem Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt verdient bzw. wer ist für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen?

BF: Ich habe selbst gearbeitet, und etwas Geld habe ich von meinem Vater geerbt. Ich war Schweißer und habe ein Geschäft geführt.

RI: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

BF: Meine Gattin ist in Herat. Meine Mutter und mein Stiefvater leben in Jaghori.

RI: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder Gruppierung?

BF: Nein.

RI: Wann haben Sie Ihren Herkunftsstaat zuletzt genau verlassen?

BF: Als der Vorfall geschehen ist, weswegen ich Afghanistan verlassen habe, bin ich von Jaghori nach Herat gereist und bin zwei Monate später nach Europa aufgebrochen.

RI: Waren Sie da mit Ihrer Frau in Herat?

BF: Zuerst bin ich gereist, meine Frau ist nachgekommen.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF: Nein.

RI: Haben Sie Kontakt zu Österreichern? Haben Sie in Österreich wichtige Kontaktpersonen, und wie heißen diese?

BF: Früher hatte ich mehr Kontakte, seitdem ich privat wohne, habe ich weniger Kontakte. Mit einer Person von der Wiener Tafel habe ich Kontakt.

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch die D verstehen können?

BF: Ich habe nicht alles verstanden.

RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen großteils verstanden und gebrochen auf Deutsch beantwortet hat.

RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

BF: Nein.

RI: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF: Nein, mein Antrag auf Arbeitserlaubnis beim AMS ist abgelehnt worden.

RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach? Wie ist Ihr Tagesablauf?

BF: Ich spiele Volleyball, fahre mit dem Fahrrad, arbeite bei der Wiener Tafel. Als ich noch im Heim gewohnt habe, hatte ich mehr Kontakte als jetzt, wo ich privat wohne.

RI: Warum wohnen Sie jetzt privat?

BF: Weil ich auf eigenen Beinen stehen wollte und mich mehr in die Gesellschaft integrieren wollte.

RI: Wie können Sie das bezahlen, die eigene Wohnung?

BF: Ich glaube, dass ich das Geld vom Sozialamt bekommen habe. Ich bekomme insgesamt ca. 350 EURO monatlich.

Angemerkt wird, dass der BF diesen Zuschuss offenbar im Rahmen der Grundversorgung vom Land Niederösterreich erhält.

RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?

BF: Nein.

RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF: Ich kommuniziere mit meiner Gattin täglich ca. vier Mal per Viber.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI: Sie wurden bereits im Verfahren vor dem Bundesasylamt zu den Gründen, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe), einvernommen. Die diesbezüglichen Niederschriften liegen im Akt ein.

Sind Ihnen diese Angaben noch erinnerlich und, wenn ja, halten Sie diese Angaben vollinhaltlich und unverändert aufrecht, oder wollen Sie zu Ihren Fluchtgründen noch etwas ergänzen oder berichtigen, das Ihnen wichtig erscheint? Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch die Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen.

BF: Das entspricht alles der Wahrheit, und ich habe alles vorgebracht.

RI: Wieso haben Sie dazu gar keine Belege?

BF: Ich bin nach dem Geschehen sofort geflüchtet und habe mein Leben gerettet.

RI: Sie hätten doch im Nachhinein Bestätigungen, etwa von Ihrer Frau oder von Ihrem Onkel, mit behördlicher Bestätigung, einholen können?

BF: Ich bin nach dem Geschehen geflüchtet und habe auch danach auch nicht so einen intensiven Kontakt gehabt.

RI: Aber Sie reden doch mit Ihrer Frau vier Mal am Tag?

BF: Ich spreche ja nur mit meiner Frau. Eine Frau alleine kann nirgendwo hingehen und Beweismittel organisieren.

RI: Sind jetzt drei Personen oder einer ermordet worden? Welche Profession hatten die Leute?

BF: Es sind drei Personen getötet worden, einer war Ingenieur, einer war Lehrer und einer war Fahrer.

RI: Wie geht es Ihnen mit dem Gefühl, dass Sie vielleicht am Tod der Personen schuld waren?

BF: Es tut mir sehr leid, dass drei unschuldige Personen getötet wurden, aber ich hatte selbst Angst. Später habe ich erfahren, dass sie Kinder hatten.

RI: Was würde Jesus dazu sagen?

BF: Jesus Christus weiß alles, deshalb hat er mir verziehen. Ich kannte ihn zwar damals nicht, aber er war bei mir.

RI: Aber ist nicht Isa im Islam auch ein Prophet?

BF: Sicher, ja, aber ich hatte nicht so viele Informationen über ihn, ich kannte ihn nur als Prophet.

RI: Was wissen Sie jetzt über ihn?

BF: Jetzt weiß ich, dass es einen lebenden Gott gibt, er ist der Sohn Gottes.

RI: Wissen Sie, wo das von der Auferstehung drinnensteht?

BF: Ich weiß es nicht auswendig, aber es steht in Gottes Wort. Es geschah in Palästina, es steht in der Bibel.

RI: Wissen Sie, aus welchen Teilen die Bibel besteht?

BF: Die Bibel besteht aus 66 Büchern und zwei Teilen, Altes und Neues Testament. Das Alte Testament besteht aus 39, das Neue Testament aus 27 Teilen.

RI: Wo steht das jetzt mit der Auferstehung?

BF: Leider weiß ich das nicht, ich bin Analphabet. Ich habe von der Kirche einen USB-Stick bekommen, den ich als Hörbuch anhöre, und ich sehe auch Videos an.

RI: Steht es im Alten oder Neuen Testament?

BF: Es steht im Neuen Testament.

RI: Was ist das Evangelium?

BF: Das sind Leute, die über Jesus geschrieben haben.

Anmerkung: Richter erwähnt Lukas und Markus, BF ergänzt nach Nachdenken Matthäus und Johannes.

RI: Erzählen die alle vier, dass Jesus auferstanden ist?

BF: Ja.

RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

BF: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Vor ein paar Jahren hat eine junge Frau ein Schriftstück eines Mullahs verbrannt. Man hat sie gnadenlos und bestialisch hingerichtet und sie beschuldigt, den Koran verbrannt zu haben. Ich bin konvertierter Christ und in den Augen der Muslime ein Ungläubiger. Was machen sie dann mit mir?

RI: Was sagt Ihre Frau dazu, dass Sie konvertiert sind?

BF: Meine Frau will nur mich, ich habe meiner Frau nur von Jesus Christus erzählt, aber nicht, dass ich schon konvertiert bin. Dies deshalb, weil ich Angst hatte, dass jemand bei ihr wäre und dies hören würde und sie dann als alleinstehende Frau Probleme bekäme.

RI: Was wird sie sagen, wenn Sie ihr dies einmal mitteilen?

BF: Die Leute in Afghanistan haben nicht so viele Informationen über Jesus Christus. Es wäre daher normal, wenn sie etwas geschockt wäre.

RI: Würde sie trotzdem weiter zu Ihnen stehen?

BF: Ja, meine Frau liebt mich sehr.

RI: Ist das auch eine arrangierte Ehe?

BF: Sie ist das Enkelkind meines Onkels väterlicherseits.

Der RI bringt unter Berücksichtigung des Vorbringens des BF auf Grund der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Informationen die dieser Niederschrift beiliegenden Feststellungen und Berichte [...] in das gegenständliche Verfahren ein.

Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.

RI folgt BFV [Vertreter des BF] Kopien dieser Erkenntnisquellen aus und gibt ihm die Möglichkeit, dazu sowie zu den bisherigen Angaben des BF eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen.

BFV stellt keine Fragen und legt eine vorbereitete schriftliche Stellungnahme vom 02.08.2018 vor, die zum Akt genommen wird.

RI: Wenn Sie Analphabet sind und sind dann als Fliesenleger tätig, da müssen Sie doch auch Schriftstücke wie etwa Wegstrecken- und Zeitbestätigungen ausstellen, wie machen Sie das?

BF: Ich arbeite nur als Fliesenleger, das macht dann alles der Firmeninhaber.

RI: Lernen Sie nicht gerade Lesen und Schreiben?

BF: Doch, ich lerne es gerade.

[...]

RI befragt BF, ob er D gut verstanden habe; dies wird bejaht. [...]"

Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).

Das BFA beantragte nicht die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde und beteiligte sich auch sonst nicht am Verfahren vor dem BVwG. Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 04.11.2015 und der Einvernahme vor dem BFA am 28.06.2016, die Tazkira und mehrere Belege zur Integration des BF sowie die Beschwerde vom 09.08.2016

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Aktenseiten 105 bis 164)

* Einsicht in das im Beschwerdeverfahren vorgelegte Schreiben der Iranischen Christlichen Gemeinde vom 19.06.2017 sowie den Taufschein (17.02.2018)

* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 06.08.2018 sowie Einsichtnahme in die in der Verhandlung vorgelegten Dokumente:

? Belege zur Integration der BF

? Schreiben der Iranischen Christlichen Gemeinde vom 04.08.2018

* Einsicht in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom BVwG zusätzlich in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat, zur Volksgruppe der Hazara und zur Religion sowie in der Provinz Logar (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018)

o Zusammenfassung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom April 2016 sowie Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern vom Dezember 2016 sowie

o Artikel in Asylmagazin 3/2017 "Überleben in Afghanistan? Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung" von Friederike Stahlmann

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX, geboren am XXXX, ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Die Muttersprache des BF ist Dari.

Der BF bekannte sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam und ist nach seiner Konversion seit 17.02.2018 getaufter Christ (Iranische Christliche Gemeinde).

3.1.2. Lebensumstände:

Der BF lebte in XXXX, Distrikt Jaghori, Provinz Ghazni, gemeinsam mit seiner Mutter und seinen vier Halbgeschwistern. Sein Vater starb, als der BF noch klein war. Der BF verkaufte Eisen und war als Schweißer erwerbstätig.

Der BF heiratete im Jahr 2014 seine nunmehrige Ehefrau und verzog aufgrund eines angegebenen Vorfalles ca. im August 2015 mit ihr zu ihrem Onkel in Herat.

3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

3.2.1. Der BF verließ aufgrund eines angegebenen Vorfalles in Ghazni, bei dem drei Personen von den Taliban getötet wurden (ein Ingenieur, ein Lehrer und ein Fahrer), nachdem der BF bei seiner Kontrollierung durch die Taliban fälschlich für den Ingenieur gehalten worden war und darauf verwiesen hatte, dass dieser im nachfolgenden KFZ sitze, Afghanistan, weil er die Verfolgung durch die Familien der getöteten Personen fürchtete.

3.2.2. Der BF befürchtet, im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner inzwischen erfolgten Konversion vom Islam zum Christentum von anderen Personen getötet zu werden, weil er nach der dort allgemein vorherrschenden Ansicht als Moslem (Schiit) nicht die Religion wechseln hätte dürfen. Der BF ist jedoch gewillt, auch im Fall der Rückkehr seinen christlichen Glauben offen und nach außen hin erkennbar auszuüben, seine Konversion zum Christentum nicht zu widerrufen und nicht wieder zum Islam überzutreten.

Der BF ist in Österreich mit dem Christentum in Berührung gekommen - in Afghanistan hätten die Menschen wenig Informationen über Jesus Christus - und hat sich nach Absolvierung eines Taufkurses taufen lassen. Er ist Mitglied in der Iranischen Christlichen Gemeinde in der Evangeliumsgemeinde und besucht dort regelmäßig nach wie vor den Gottesdienst.

Der BF konnte seinen in Österreich gesetzten Nachfluchtgrund glaubhaft darlegen.

3.3. Es liegen keine Gründe vor, nach denen der BF von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen wäre oder nach denen ein Ausschluss des BF hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hätte. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

3.4. Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Das Vorliegen schwerwiegender Verwaltungsübertretungen ist nicht bekannt. Der BF ist irregulär in das Bundesgebiet eingereist.

Der BF bemüht sich außerordentlich intensiv um seine Integration in Österreich. Er hat Deutschkurse besucht, Deutschprüfungen abgelegt, erlernt das Schneidereihandwerk, hat an diversen Kursen teilgenommen, hat versucht, erlaubte Erwerbstätigkeiten auszuüben (Antrag beim AMS), und führt vielfach freiwillig ehrenamtliche Tätigkeiten aus.

3.5. Zur Lage im Herkunftsstaat der BF:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

3.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", Schreibfehler teilweise korrigiert):

"[...] 2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 06.05.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 06.05.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 03.05.2017). Am 04.05.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 04.05.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.03.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 06.05.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.05.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 151.2016; vgl. AB 295.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 21.08.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28.02.2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.03.2018; vgl. TS 28.02.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 07.03.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.03.2018; vgl. TD 07.03.2018, NZZ 28.02.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.04.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.05.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.05.2018).

Am 07.06.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.06.2018 - 20.06.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich Am 04.06.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 07.06.2018; vgl. Reuters 07.06.2018, RFL/RL 05.06.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 05.06.2018). Die Taliban selbst gingen am 09.06.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.06.2018; vgl. TH 10.06.2018, Tolonews 09.06.2018).

[...]

2. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.02.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.)

[...]

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.02.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 09.03.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.03.2016).

[...]

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.08.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.02.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.02.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.02.2018).

[...]

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 06.06.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.02.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.02.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.02.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.02.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.02.2018, NZZ 21.03.2018, UNGASC 27.02.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.03.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 01.06. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.02.2018; vgl. Slate 22.04.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.03.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.03.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.01.2018; vgl. BBC 29.01.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.01.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.01.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.05.2018; AD 20.05.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.02.2018), [...]

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei zwölf Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 07.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 07.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 07.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

[...]

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.05.2018; vgl. DW 06.05.2018, AJ 06.05.2018, Tolonews 06.05.2018, Tolonews 29.04.2018, Tolonews 220.4.2018).

[...]

Zivilist/innen

[...]

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 01.01.2009 - 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 01.01.2018 - 31.03.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.04.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56,3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14,5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29,2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.04.2018).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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