TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/5 W123 2160154-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.09.2018
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Entscheidungsdatum

05.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W123 2160154-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.05.2017, 1089749808-151482383/BMI-STM_AST_01_TEAM_01, nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 03.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am 04.10.2015 erfolgten Erstbefragung brachte der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund vor, dass aufgrund seiner Religion in Afghanistan sein Leben in Gefahr gewesen sei.

3. Im Rahmen der am 07.04.2017 vor der belangten Behörde erfolgten Einvernahme gab der Beschwerdeführer, zu seinen Fluchtgründen erneut befragt, ua Folgendes wortwörtlich an:

"[...]

Wenn ich nun aufgefordert werde meine Flucht- und Asylgründe zu schildern, gebe ich an:

VP: Mein größtes Problem war meine Religionszugehörigkeit. Ich gehöre den Hindu an. Die Mehrheit in Afghanistan sind Moslems. Sie haben mich gezwungen, dass ich den moslemischen Glauben annehme. Wie ich mit meiner Frau zum Sik Tempel in Kabul gegangen haben uns Moslems belästigt.

LA: Wann war dieser Vorfall mit Ihrer Frau?

VP: Es war öfters.

LA: Wie oft?

VP: Ich bin täglich mit meiner Frau in den Sik Tempel gegangen.

LA: Wie weit war der Tempel von Ihrem Haus entfernt wo sie gewohnt haben?

VP: Zu Fuß ca. 10 Minuten.

LA: Wie wurden Sie von der moslemischen Bevölkerung auf Ihrem Fußweg belästigt?

VP: Sie haben uns gestoßen, und an den Kleidern gezogen. Sie haben uns angespuckt. Sie haben gesagt, wenn wir zum moslemischen Glauben wechseln, dann werden wir nicht mehr belästigt.

LA: Wurden Sie bei diesen Vorfällen verletzt?

VP: Persönlich wurden wir nicht verletzt.

LA: Sie haben vorgebracht, dass Sie zum moslemischen Glauben gezwungen wurden. Erzählen Sie bitte davon.

VP: Im Juni 2015 sind fünf bewaffnete Männer als wir geschlafen haben zu uns gekommen. Zwei von denen haben zu uns gesagt, dass wir aufstehen sollen. Meine Eltern, meine Frau und ich mussten dann bei einer Wand im Haus stehen. Die anderen drei bewaffneten Männer haben dann unsere Kästen durchsucht. Geld und das Gold haben Sie mitgenommen. Sie haben gesagt, dass wenn ich zur Polizei gehe, dann werde ich am nächsten Tag umgebracht. Sie sind danach gegangen. Sonst ist nicht geschehen.

LA: Wie lange hat dieser Vorfall gedauert?

VP: Ca. eine Stunde.

LA: Ist jemand bei diesem Vorfall verletzt worden?

VP: Nein.

LA: Sind sie zur Polizei gegangen?

VP: Nein. Ich hatte Angst vor der Bedrohung dieser Männer.

LA: Wie sind diese Personen in das Haus gekommen. War die Haustür nicht versperrt.

VP: Sie haben die Tür beschädigt und sind so in das Haus gekommen.

LA: Erzählen sie bitte weiter?

VP: Ich habe Angst gehabt und bin zwei Tage nicht in mein Geschäft gegangen. Danach habe ich meine Arbeit in meinem Geschäft wieder aufgenommen.

LA: Wie weit ist ihr Haus von Ihrem Geschäft entfernt?

VP: Mit dem Taxi ca. 30 oder vierzig Minuten.

LA: Sind Sie immer mit dem Taxi zur Arbeit gefahren?

VP: Nicht immer. Manchmal auch mit dem Bus.

LA: Hat es noch andere Vorfälle gegeben wie Sie zum moslemischen Glauben wechseln sollten?

VP: Fünf bis sechsmal als ich auf den Nachhauseweg war haben mich Männer aufgehalten. Sie haben von mir Geld verlangt. Einmal habe ich auch das Handy ihnen gegeben. Sonst ist nichts geschehen.

LA: Sind Sie deswegen zur Polizei gegangen?

VP: Nein. Ich hatte Angst.

VP: Erzählen sie bitte weiter

LA: Ein Monat vor meiner Ausreise bin ich in Kabul spazieren gegangen. Zwei Männer haben mich aufgehalten. Einer hat mich gehalten und der andere hat mich durchsucht. Sie haben mir das Geld weggenommen. Ich habe auch zwei oder drei Ohrfeigen erhalten.

LA; Wurden Sie bei diesem Vorfall verletzt?

VP: Nein.

[...]

LA: Haben Sie alle Fluchtgründe genannt?

VP: Zwanzig oder fünfundzwanzig Tage später sind wieder zwei bewaffnete Männer zu mir am Abend nach Hause gekommen. Sie haben mit mir Paschtu gesprochen. Sie haben zu mir gesagt, dass Sie meine Frau mitnehmen werden und Sie zu einer Moslemin machen. Sie haben meine Frau angegriffen. Alle haben geschrien. Sie sind dann weggelaufen. Meine Frau war zu dieser Zeit schwanger.

[...]"

4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Es wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 30.05.2017 Beschwerde, in welcher im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass dem Beschwerdeführer aus religiösen Gründen sowie aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe Verfolgung drohe. Der Beschwerdeführer gehöre der Glaubensgemeinschaft der Hindus an und sei aus diesem Grund laufend Verfolgungshandlungen seitens radikal-islamistischer Terroristen ausgesetzt.

6. Am 18.07.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentlich mündliche Verhandlung statt.

7. In der hg. am 02.08.2018 eingelangten Stellungnahme wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner religiösen Zugehörigkeit als Ungläubiger zu befürchten habe, von radikalen Islamisten ins Visier genommen zu werden. Er müsse unweigerlich als Andersgläubiger auffallen, da er nicht das Freitagsgebet besuche und die islamischen Zeiten des Betens nicht einhalte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer nennt sich XXXX , ist volljährig, Staatsangehöriger von Afghanistan. Der Beschwerdeführer stammt aus der Stadt Kabul. Der Beschwerdeführer ist traditionell verheiratet. Er ehelichte XXXX (W123 2160149-1) am 14.02.2015 in Kabul. Er hält sich derzeit gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinem Sohn XXXX (W123 2160153-1) in Österreich auf. Auch die Eltern des Beschwerdeführers sind in Österreich aufhältig. Eine Schwester des Beschwerdeführers lebt in London, eine andere in Belgien. Zwei Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers waren bei dessen Ausreise aus Afghanistan in Kabul wohnhaft.

Der Beschwerdeführer besuchte keine staatliche Schule, sondern sieben Jahre den Sikh-Tempel in Kabul, wo der Beschwerdeführer das Schreiben und das Lesen lernte. Er verbrachte sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan in Kabul. Der Beschwerdeführer lebte in Afghanistan als Inhaber eines Kleidergeschäftes unter sehr guten finanziellen Verhältnissen.

Der Beschwerdeführer war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Er ist in Afghanistan weder vorbestraft noch war er inhaftiert.

In Afghanistan besuchte der Beschwerdeführer täglich mit seiner Ehefrau den Sikh-Tempel in Kabul. Auf den Weg zu diesem Tempel wurde der Beschwerdeführer oft angespuckt, gestoßen und es wurde an seinem Gewand gezogen. Verletzungen trug der Beschwerdeführer aber nicht davon.

Der Beschwerdeführer ist gesund und strafrechtlich unbescholten. Er stellte am 03.10.2015 in Österreich den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz und finanziert sich seinen Unterhalt in Österreich aus Leistungen der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer brachte ein ÖSD-Zertifikat auf der Stufe A2 in Vorlage. Er war noch nie ehrenamtlich in Österreich tätig und verfügt auch über keine konkrete schriftliche Einstellungszusage. Der Beschwerdeführer ist in keinem Verein aktiv.

Es kann in Bezug auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden, dass dieser in Afghanistan aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt wurde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in die Städte Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Bei einer Rückkehr kann er mit finanzieller Hilfe seiner beiden Schwestern und Schwager in London und Belgien rechnen und könnte seine Existenz in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif auch - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, in den Städten Herat oder Mazar-e-Sharif eine einfache Unterkunft zu finden.

Der Beschwerdeführer kann die Hauptstadt Kabul sowie die Städte Herat und Mazar-e-Sharif - über Kabul - von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

1.2. Zum Herkunftsstaat:

1.2.1. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018

Sicherheitslage

Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).

Balkh

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port, Nahra-i-Shahi, Dihdadi, Balkh, Daulatabad, Chamtal, Sholgar, Chaharbolak, Kashanda, Zari, Charkont, Shortipa, Kaldar, Marmal, und Khalm; die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y).

Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (CSO 4.2017).

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35).

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017).

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Reuters 22.3.2018). Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (Tolonews 24.3.2018).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Balkh

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT 6.3.2018, Pajhwok 10.7.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.3.2018; vgl. Tolonews 7.3.2018, PT 6.3.2018, Tolonews 22.4.2017).

Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 7.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Balkh

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.1.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017).

Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.2.2018).

Herat

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe (UN OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o. D.). Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (CP 21.9.2017). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (Pajhwok o.D.; vgl. NPS o.D.).

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz (AJ 8.3.2012). Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion (AJ 8.3.2012; vgl. EN 9.11.2017). Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet (Pajhwok 13.1.2018). Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. (Tolonews 10.11.2017). Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min. 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen (Pajhwok 13.1.2018; vgl. EN 9.11.2017). Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (UNODC 11.2017).

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen (PPG 26.2.2018; vgl. RFE/RL 23.2.2018). Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen (Tolonews 4.3.2018). Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden (Tolonews 14.3.2018).

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (Khaama Press 25.10.2017).

Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern (Pajhwok 21.1.2017).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (AN 18.2.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Herat

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 15.1.2017). Auch werden Luftangriffe verübt (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017); dabei wurden Taliban getötet (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (AJ 25.6.2017; vgl. AAN 11.1.2017). In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (MdD o. D.).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Herat

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018;

vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren (RFE/RL 23.2.2018;

vgl. Gandhara 22.2.2018, IP 13.8.2017, NYT 5.8.2017). Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an (FAZ 1.8.2017; vgl. DW 1.8.2017). Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen (AF 14.3.2018; vgl. Tolonews 4.3.2018). Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017).

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (UNAMA 2.2018).

ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (ACLED 23.2.2017).

Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

Sikhs/Hindus

Schätzungen zufolge sind die Sikhs seit 500 Jahren in Afghanistan präsent. Bis 1992, als die Mujahedin die Oberhand gewannen, war die Sikh-Gemeinschaftt innerhalb der afghanischen Gesellschaft gut gefestigt und die Anzahl ihrer Mitglieder zählte in den 1940er Jahren mehr als 25.000 Personen landesweit (AH 20.8.2014). In Jalalabad, der Hauptstadt der Provinz Nangarhar, lebte im Jänner 2017 weiterhin eine bedeutende Anzahl an Sikhs (AJ 1.1.2017). Berichten zufolge siedelten sich Sikhs und Hindus hauptsächlich in Kabul sowie in den Provinzen Nangarhar, Ghazni, Helmand, Khost und Kunduz an (HO U.K. 2.2017). Jahrzehntelange Instabilität und Intoleranz haben Migrationsströme verstärkt, und dadurch ist die Gemeinschaft landesweit zurückgegangen (HO U.K 2.2017; vgl. USCIRF 2017, AH 25.8.2016). Fehlender Zugang zum Arbeitsmarkt ist laut Sikh-Führern der Hauptgrund für die Emigration. Sie berichten von einer verstärkten Emigration, nachdem sich die wirtschaftliche Lage für ihre Gemeinschaften verschlechtert habe und es zu erhöhten Sicherheitsbedenken gekommen sei (USDOS 15.8.2017). Die Gemeinschaft der Sikhs und Hindus in Afghanistan wird auf ca. 900 Mitglieder geschätzt (USDOS 20.4.2018).

Sikhs und Hindus sind Diskriminierungen ausgesetzt und berichten von ungleichem Zugang zu Regierungsposten und Belästigungen in Schulen sowie verbaler und physischer Misshandlung an öffentlichen Orten. Präsident Ashraf Ghani hat sich mit Sikhs und Hindus im September 2015 getroffen, um das Opferfest zu zelebrieren (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 15.8.2017). Quellen zufolge sind Hindus weniger gefährdet als Sikhs; der Grund dafür ist das Fehlen sichtbarer charakteristischer Merkmale (z.B. Kopfbedeckung) bei den Hindus (USDOS 15.8.2017).

Staatliche Diskriminierung gibt es nicht, auch wenn der Weg in öffentliche Ämter für Hindus/Sikhs schon aufgrund fehlender Patronagenetzwerke schwierig ist (AA 5.2018). Trotz gesellschaftlicher Diskriminierung bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften weiterhin Regierungsposten auf Gemeindeebene sowie an der afghanischen Handelskammer und im Oberhaus (CRS 13.12.2017; vgl. USDOS 15.8.2017). Dieser Sitz ist zurzeit durch eine Frau der Sikh-Gemeinschaft, Anarkali Hunaryar, besetzt (AB 23.11.2017; vgl. RFE/RL 30.12.2016).

Berichten zufolge schicken Mitglieder der Sikh- und Hindu-Gemeinschaften ihre Kinder aus Angst vor Schikane durch ihre Mitschüler nicht in staatliche Schulen. In der Vergangenheit haben sie ihre Kinder in private Hindu- und Sikh-Schulen geschickt, jedoch sind heutzutage viele davon geschlossen. Grund dafür ist der Rückgang beider Gemeinschaften und die Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen für deren Mitglieder. In Kabul befindet sich eine staatlich finanzierte Schule für Sikh-Kinder. Die Regierung hat Schulen in den Provinzen Helmand und Ghazni geschlossen, nachdem die Zahl der Anmeldungen zurückgegangen war. Die Regierung stellt proportional weiterhin dieselben finanziellen Mittel für Lehrergehälter, Schulbücher und Schulerhalt zur Verfügung wie auch bei anderen Schulen. Das Bildungsministerium (MoE) stellt den Bildungsplan für die Sikh-Schule zusammen - ausgenommen davon ist der Religionsunterricht. Die Gemeinschaft bestellt einen Lehrer für den Religionsunterricht, der vom Bildungsministerium bezahlt wird. Eine privat finanzierte Sikh-Schule in Jalalabad wird von einer NGO, dem schwedischen Komitee für Afghanistan, unterstützt. Einige Sikh-Kinder besuchen internationale Privatschulen. An der medizinischen Universität in Kabul studiert ein Sikh. Da Hindus keine eigenen Schulen haben, gehen ihre Kinder in Sikh-Schulen (USDOS 15.8.2017).

Nichtmuslim/innen wie z. B. Sikhs, Hindu und Christen waren Belästigung ausgesetzt und in manchen Fällen sogar Gewalt (AJ 1.1.2017). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen. Hindus und Sikhs verlautbarten, es sei ihnen weiterhin möglich, ihre Religion öffentlich zu praktizieren; dennoch leiden sie unter gesellschaftlicher Diskriminierung (USDOS 15.8.2017; vgl. USCIRF 2017, CRS 13.12.2017). Es gibt drei aktive gurdwaras (Gebetsstätte für Sikhs) und fünf Hindu-mandirs (Tempel). Buddhistischen Ausländern ist es erlaubt, in hinduistischen Tempeln zu beten (CRS 13.12.2017).

Kremation

Berichten zufolge werden Hindus und Sikhs von großen Teilen der muslimischen Bevölkerung als Außenseiter (bzw. "Nicht-Afghanen") betrachtet (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018). Viele Muslim/innen lehnen insbesondere die Feuerbestattung ab, die im Hinduismus und Sikhismus das zentrale Begräbnisritual darstellt (AA 5.2018). Hindus und Sikhs berichten weiterhin von Störungen während ihrer traditionellen Feuerbestattungen durch Anrainer/innen aus der Nähe ihrer Kremationsstätte (shamshan). Obwohl ihnen die Regierung Grund für eben diesen Zweck zur Verfügung gestellt hat, beschweren sich Sikhs, dass der Ort zu weit von urbanen Zentren entfernt liege und es somit u.a. wegen der schlechten Sicherheitslage unbenutzbar sei. Die Regierung stellt weiterhin Polizeiunterstützung für die Sikh- und Hindugemeinschaft zur Verfügung, während diese ihre Kremationsrituale abhält (USDOS 15.8.2017). Mitglieder der Sikh- und Hindu-Gemeinschaft zeigten sich besorgt über Dispute bzgl. der Landvergabe für ihre Kremationsstätten (HO U.K. 2.2017). Aus Angst vor Vergeltung bevorzugen sie es, Entschädigungen nicht durch Gerichte einzuklagen. Mitglieder der beiden Gemeinden geben an, dass sie ihre Fälle allgemein nicht an ein ziviles Gericht herantragen, sondern sie es vorziehen, ihre Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde zu lösen. Sikhs und Hindus haben die Möglichkeit, sich an Schlichtungsstellen z.B. das Sondergericht für Land- und Besitzfragen ("Special Land and Property Court") zu wenden. Beide Gemeinschaften geben an, sich durch diese Mechanismen nicht geschützt zu fühlen. Auch wird oft von illegaler Aneignung der Sikh-Grundstücke durch staatliche Mitarbeiter berichtet. Laut Vertreter/innen dieser Minderheitenreligionen haben Gerichte Nichtmuslim/innen nicht dieselben Rechte wie Muslimen und Musliminnen zuerkannt und sie der hanafitischen Rechtsprechung unterstellt (USDOS 15.8.2017).

1.2.2. EASO-Bericht "Afghanistan Netzwerke" aus Jänner 2018

Die Unterstützungspflicht der Großfamilie

Die wechselseitige Verpflichtung, einander innerhalb der Großfamilie zu helfen und zu unterstützen, ist stark, und die Traditionen, Verantwortung für Menschen innerhalb der Gruppe zu übernehmen, sind tief verwurzelt. Je enger die Verwandtschaft, desto stärker ist die Pflicht zu helfen und zu unterstützen. Mehrere Menschen, mit denen Landinfo in Kabul sprach, äußerten die Ansicht, dass es unmöglich sei, Menschen aus dem engsten Umfeld wie Brüder, die Kinder des Bruders des Vaters etc. zurückzuweisen, es sei denn, es besteht ein schwerwiegender Konflikt innerhalb der Familie. Man könne sich unmöglich vorstellen, dass ein Afghane kein Dach über dem Kopf anbietet, wenn die Alternative wäre, dass ein enges Familienmitglied auf der Straße stünde. Es ist kulturell inakzeptabel, eine Person, die um Zuflucht ersucht, abzuweisen, und das gilt insbesondere für enge Verwandte. Die Dauer des Aufenthaltes ist von den Mitteln der Familie abhängig. Die Pflichten gegenüber der Großfamilie gelten für alle Afghanen ungeachtet der ethnischen Zugehörigkeit, unter Paschtunen sind sie aber wahrscheinlich am stärksten ausgeprägt.

Stämme und Clans

Die soziale Organisation in Stämmen und Clans beruht auf der Annahme eines gemeinsamen Vorfahren und somit einer vermuteten Beziehung zwischen den Mitgliedern des Stammes/Clans. Einige Stämme und Clans der Paschtunen sind groß und umfassen Millionen Menschen.

Es wird angenommen, dass die Paschtunen die größte Stammesgesellschaft der Welt bilden; ihre Sozialstruktur besteht aus Stämmen, die ihrerseits in Clans gegliedert sind. Der Begriff Clan wird auch von anderen ethnischen Gruppen verwendet und bilden einen wichtigen Teil der Sozialstruktur in ländlichen Gebieten Afghanistans. So ist die Abstammung zum Beispiel auch für Hazara wichtig und gilt als Grundlage ihrer Sozialstruktur, obwohl die meisten ihre Vorfahren höchstens acht Generationen zurückverfolgen können. Im Gegensatz zu den Paschtunen und Hazara ist die tadschikische Bevölkerung Afghanistans nicht in Stämmen und Clans organisiert, sie hat auch keine Vorstellungen eines gemeinsamen Ahnen.

In Afghanistan besteht eine Tradition der lokalen Selbstverwaltung, und der Stammesführer verfügt in diesem Zusammenhang über große Macht. Die führenden Familien innerhalb der Stämme genießen hohen sozialen und wirtschaftlichen Status. Die Identifikation mit einem Stamm/Clan ist ein wichtiger sozialer Indikator um zu zeigen: ‚Ich bin einer von euch'. Die verschiedenen Stämme/Clans bilden jedoch keine homogene Gruppe, unterschiedliche politische, wirtschaftliche, soziale und wertebezogene Trennlinien können die Mitglieder spalten. Die verschiedenen Regime, die das Land regiert haben, hatten sowohl Anhänger als auch Gegner innerhalb desselben Stammes und Clans. Das gilt auch noch heute, in den meisten Stämmen findet man Anhänger und Gegner sowohl des Staatsbildungsprojektes als auch der bewaffneten Opposition.

Zugang zum Arbeitsmarkt

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gibt es lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarkts. Der Arbeitsmarkt besteht zu einem großen Teil aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder.

Ein Mitarbeiter einer Botschaft vor Ort beschrieb, wie Tagelöhner von der Straße weg angeheuert werden. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Diese Treffpunkte befinden sich an speziellen Orten der Stadt. Hier treffen sich Arbeitssuchende und Anbieter von Arbeit am frühen Morgen und einigen sich über Tagelöhnerschaft und kurzzeitige geringfügige Tätigkeiten, für gewöhnlich manuelle Hilfsarbeit, manchmal auch qualifiziertere Arbeit. Durch das Mitführen seiner eigenen Werkzeuge oder Ausrüstung zeigt der Arbeitssuchende, was er kann. Nach einem kurzen Gespräch und einer Prüfung entscheidet der "Arbeitgeber", wer angeheuert wird. Viele bewerben sich, aber nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt in etwa 300 Afghani (ca. USD 4,3) für Hilfsarbeiter, während gelernte Kräfte bis zu 1.000 Afghani (ca. USD 14,5) pro Tag verdienen können.

Zugang zur Unterkunft

Für Fahrer und andere Reisende, Tagelöhner, Straßenverkäufer, Jugendliche, unverheiratete Männer und andere, die über keine permanente Wohnmöglichkeit in der Gegend verfügen, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität. Dabei handelt es sich um einfache, große Zimmer, wo Tee und einfaches, billiges Essen aufgetischt wird. Um wenig Geld kann man hier auch übernachten. Nach Quellen von Landinfo beträgt der Preis zwischen 30 und 100 Afghani (in etwa USD 0,4 bis 1,4) pro Nacht. Diese Lokale werden örtlich als chai khana bezeichnet - generell bekannt als samawar - oder übersetzt Teehaus. In Kabul und den anderen großen Städten gibt es viele solcher chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden, und es ist nichts Ungewöhnliches, dass Gäste alleine kommen. Der afghanische Forscher Hafizullah Emadi bezeichnet die chai khana als wichtige Treffpunkte und Orte der Sozialisierung.

Hilfe aus entfernten Netzwerken

In einer Empfehlung des UNHCR an Asylländer im Juni 2005 heißt es, dass Hilfe und Unterstützung durch Netzwerke auf Gebiete beschränkt seien, wo diese Netzwerke physisch präsent sind. Nach Einschätzung von Landinfo verliert der Faktor geografische Nähe durch technologische Entwicklungen an Wichtigkeit für den Zugriff auf Netzwerke. Wie schon erwähnt, ist der Besitz von Mobiltelefonen "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten.

Geld kann über das Bankensystem überwiesen werden, doch nicht alle Afghanen verfügen über ein Bankkonto. Dies gilt vor allem für die ländliche Bevölkerung. In der Durchschnittsbevölkerung ist das Vertrauen in Banken und den Bankenapparat gering. Wer das Bankensystem nicht nutzen kann oder möchte, kann Geld über ein informelles Geldüberweisungssystem (hawala) überweisen. Es gibt ein gut etabliertes System für grenzüberschreitende Zahlungen und Überweisungen, in das die Menschen Vertrauen haben. Ein gewisser Prozentsatz der transferierten Summe wird als Gebühr verrechnet. Geld kann in alle Landesteile überwiesen werden, auch in die und aus den Nachbarstaaten, etwa Iran und Pakistan.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes sowie in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu Identität, Familienverhältnissen, Herkunft und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich gleichbleibenden und daher glaubhaften Angaben vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde, in dem Beschwerdeschriftsatz und in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufkommen lässt.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in sehr guten finanziellen Verhältnissen in Afghanistan lebte, ergibt sich aus seinen Ausführungen in der Einvernahme vor der belangten Behörde (vgl. AS 81, "LA: Wie ist es Ihnen wirtschaftlich ergangen in Afghanistan? - VP: mittelmäßig. - LA: Waren Sie wohlhabend? - VP:

Ja.").

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer brachte als fluchtauslösendes Ereignis im Wesentlichen vor, dass ihm in Afghanistan Verfolgung aufgrund seines Religionsbekenntnisses drohe.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich folgender Beweiswürdigung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid an und kommt ebenfalls zum Schluss, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen konnte:

"[...]

Befragt nach Ihren Flucht- und Asylgründen aus Ihrem Heimatland Afghanistan haben Sie niederschriftlich zu Protokoll gegeben, dass Sie aufgrund Ihrer Zugehörigkeit zum hinduistischen Glauben Probleme hätten. Sie berichteten, dass Sie öfters wenn Sie mit Ihrer Frau in den 10 Minuten zu Fuß entfernten Sikh Tempel gegangen sind belästigt wurden. Man hätte Sie an den Kleidern gezogen. Sie wären gestoßen und angespuckt worden und man hätte Ihnen gesagt, wenn Sie zum moslemischen Glauben wechseln würde, dass man Sie nicht mehr belästigen würde.

Sie schilderten auch, dass es öfters solche Vorfälle gegeben hat, jedoch wären Sie nie verletzt worden. Sie berichteten, dass Sie fünf oder sechs Mal auf dem Nachhauseweg von Männern aufgehalten wurden. Diese hätten von Ihnen Geld verlangt. Einmal hätten sie auch Ihnen das Handy gegeben. Vor dem BFA gaben Sie zu Protokoll, dass die Bevölkerung schon aufgrund der Sprache und auch Ihrer Bekleidung Sie als Hindus erkannt hätten. Weiters gaben Sie dezidiert an ‚Ich bin täglich mit meiner Frau in den Sik (berichtigt -Sikh) Tempel gegangen'.

Schon aufgrund der Tatsache, dass Sie jeden Tag sich auf der Straße mit Ihrer Frau bewegen konnten und sie jederzeit von der Bevölkerung als Hindus erkannt wurden geht hervor, dass es keine größeren Bedrohungen gegenüber Ihrer Person und Ihrer Frau gegeben hat.

Es wäre auch nicht plausibel gewesen, dass Sie sich und Ihre Frau täglich einer großen Gefährdung ausgesetzt hätten.

Sie brachten vor, dass im Juni 2015 fünf bewaffnete Männer als Sie bereits geschlafen hätten die Haustüre aufgebrochen wurde. Zwei von denen hätten Sie und ihre Familie aufgefordert aufzustehen und sich an die Wand zu stellen. Die anderen drei hätten die Kästen durchsucht und Geld und Gold von Ihnen mitgenommen. Dieser ganze Vorfall hätte eine Stunde gedauert. Sie hätten auch Ihnen mitgeteilt, wenn Sie die Polizei davon benachrichtigen würden, dass man Sie am nächsten Tag tötet. Aus Angst wären Sie zwei Tage lang nicht mehr in Ihr eigenes Kleidergeschäft gegangen. Danach hätten Sie wieder Ihrer Arbeit aufgenommen. Eine größere Gefährdung Ihrer Familie geht aus Ihrem Vorbringen nicht hervor, da Sie bereits nach zwei Tagen Ihre Arbeit wiederaufnahmen und außerdem hätten sie die Polizei nicht in Kenntnis gesetzt.

Ca. zwanzig oder fünfundzwanzig Tage später wären erneut zwei bewaffnete Männer zu Ihnen nach Hause gekommen. Ihre Eltern und Ihre Frau wären anwesend gewesen. Sie hätten gedroht, dass Sie Ihre Frau mitnehmen und Sie zu einer Moslemin machen würden. Als Ihre Frau von den Männern angegriffen worden wäre, hätten alle geschrien. Daraufhin wären die Beiden davongelaufen. Am nächsten Tag wäre Ihr Vater zur Polizei gegangen und hätte davon erzählt. Diese hätten Ihnen auch versprochen zu helfen. Nach Ihren Angaben ist danach nichts geschehen. Sie wären dann mit Ihrer Familie zu der Familie Ihrer Frau gezogen und hätten dort drei Monate gelebt. In dieser Zeit hätte es keine weiteren Vorfälle mehr gegeben und Sie hätten dann Afghanistan mit dem Flugzeug vom Flughafen in Kabul verlassen.

Wenn zwei bewaffnete Männer nur aufgrund von lautem Schreien von vier anwesenden Personen (Sie selbst, Ihre Frau und Ihre Eltern) davonlaufen, dann kann es sich kaum um eine große Bedrohung handeln. Weiters haben Sie auch die Hilfe der Polizei in Anspruch genommen und diese hätte Ihnen Ihre Hilfe angeboten.

Im erheblichen Widerspruch stehen diese beiden Vorfälle zu den Aussagen Ihrer Ehefrau. Laut ihren Aussagen wären diese Vorfälle umgekehrt gewesen. Zuerst wäre der Vorfall mit den zwei bewaffneten Männern gewesen und erst dann der mit den Fünfen.

Laut Länderinformationen ist es den Hindus möglich ihren Glauben öffentlich zu praktizieren, jedoch leiden Sie an gesellschaftlicher Diskriminierung, dabei ist zu bemerken, dass es keine staatlichen Diskriminierungen sind.

Zusammenfassend ist bezüglich Ihres Vorbringens festzuhalten, dass Sie gelegentlich Belästigungen aufgrund Ihrer Glaubenszugehörigkeit zu den Hindus im Heimatland ausgesetzt waren. Aus diesem konnten jedoch keine Umstände festgestellt werden die ausreichen um als f

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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