TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/10 W150 2147949-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.09.2018
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Entscheidungsdatum

10.09.2018

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §3 Abs5
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W150 2147945-1/8E

W150 2147949-1/7E

W150 2147947-1/6E

W150 2198126-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerden der syrischen Staatsangehörigen (1.) Herrn XXXX , geboren am XXXX .1983, (2.) Frau XXXX , geboren am XXXX .1989, (3.) die mj. XXXX , geboren am XXXX .2016, vertreten durch die Zweitbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin und (4.) den mj. XXXX , geboren am XXXX .2018, vertreten durch die Zweitbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin, alle vertreten durch den MIGRANTINNENVEREIN ST. MARX, Pulverturmgasse 4/2/R01, 1090 Wien, Wien, ZVR-Zahl 086506993, gegen die Spruchteile I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (1.),

(2.) und (3.) vom 12.01.2017 sowie (4.) vom 28.05.2018, Zlen. (1.) XXXX , (2.) XXXX (3.) XXXX und (4.) XXXX zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX sowie XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, sowie XXXX und XXXX gemäß 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , sowie XXXX , XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) stellten am 22.10.2015 nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

2. Am 23.10.2015 wurde der BF1 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Erstbefragung unterzogen. Zusammengefasst gab er an, dass er verheiratet sei, der Volksgruppe der Araber angehöre und sich zur islamischen Religion (er sei Sunnit) bekenne. Er habe sechs Jahre lang die Grundschule und nachfolgend fünf Jahre lang das Gymnasium in XXXX besucht. Zuletzt sei er als Tischler tätig gewesen. Sein Vater, seine Mutter, ein Bruder und zwei Schwestern würden sich noch in Syrien befinden. Ein weiterer Bruder in Deutschland. Er sei am 10.10.2015 mit dem Reisebus legal aus Syrien ausgereist. Befragt zu seinem Fluchtgrund gab der BF1 an, dass in Syrien Krieg herrsche und von der Regierung verlangt worden sei, dass er umsonst für sie als Tischler arbeite. Er habe dies am Anfang auch getan, als er aber abgelehnt habe, sei er von einer Gruppe, die von der Regierung unterstützt worden sei, festgenommen worden. Er sei durch die Fürsprache eines Bekannten wieder freigekommen und habe sich aufgrund dieser Vorfälle dazu entschlossen, das Land mit seiner Frau gemeinsam zu verlassen. Vorgelegt wurde ein syrischer Reisepass.

Ebenfalls am 23.10.2015 wurde auch die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Erstbefragung unterzogen. Sie gab an, dass sie verheiratet sie, ebenfalls der Volksgruppe der Araber angehöre und Sunnitin sei. Sie habe sechs Jahre lang die Grundschule und sechs Jahre lang das Gymnasium, ebenfalls in XXXX , besucht. Die Fluchtroute betreffend machte die BF2 idente Angaben wie der BF1. Zu ihrem Fluchtgrund gab die BF2 an, dass ihr Mann Probleme gehabt habe, er habe gratis für die Regierung arbeiten müssen. Als er sich dagegen gewehrt habe, sei er für zehn Tage entführt worden. Nachfolgend seien sie aus Syrien in den Libanon geflohen. Es wurde ebenfalls ein syrischer Reisepass vorgelegt.

3. Am 03.11.2016 wurde die Drittbeschwerdeführerin (BF3) in Österreich geboren. Am 28.11.2016 wurde für diese durch den BF1 und die BF2 der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

4. Am 09.12.2016 wurde der BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen. Vorgelegt wurden u.a. ein syrischer Personalausweis, ein syrischer Reisepass, eine Ausreisebestätigung aus Syrien, ein Familienbuch, ein Militärbuch (dem ein Aufschub bis 12.04.2006 zu entnehmen ist) sowie ein syrischer Führerschein. Es werde nicht von der Regierung nach dem BF1 gefahndet, sondern von Schlägern, die vom Regime unterstützt würden. Er sei einmal für zehn Tage festgenommen worden. Befragt zu seinem Fluchtgrund gab der BF1 an, dass er im Juni 2015 von Schlägern festgenommen worden sei. Er sei davor aufgefordert worden kostenlos für diese als Tischler zu arbeiten. Einmalig habe er dies auch getan, bei der zweiten und dritten Aufforderung habe der BF1 eine kostenlose Leistung verweigert. Nach der dritten Ablehnung sei er festgenommen worden. In den zehn Tagen der Anhaltung sei er auch geschlagen und verletzt worden. Der BF1 habe den Vorfall mit den Schlägern auch bei der Polizei gemeldet, dies sei Ende Juni 2015 gewesen, drei Monate vor der Ausreise, die Polizei habe ihm nicht geholfen, da die Polizei, der Geheimdienst und diese Schläger zusammengearbeitet hätten. In den drei Monaten sei er aufgrund von Geldzahlungen durch Bekannte von den Schlägern in Ruhe gelassen worden. Nach dem Vorfall habe er aus Angst nicht mehr in seinem Geschäft arbeiten können. Seinen Militärdienst habe der BF1 nicht abgeleistet. Es sei ihm durch die Bezahlung eines bestimmten Betrages möglich gewesen von 2006 bis 2015 keinen Wehrdienst ableisten zu müssen. Dies sei auch im Militärbuch vermerkt worden. Es sei ihm auch einmal - im Jänner 2015 - vom Geheimdienst gedroht worden, dieser habe vom BF1 verlangt, sein Geschäft zu schließen, was der BF1 auch für einen Tag gemacht habe. Es sei ihm kein Grund für diese Aufforderung mitgeteilt worden.

Anschließend an die Befragung des BF1 wurde auch die BF2 vor dem BFA einvernommen. Sie gab zusammengefasst an, dass die BF3 keine eigenen Fluchtgründe habe. Die BF2 sei wegen ihres Mannes ausgereist, eigene Gründe habe sie keine, es seien Schläger zu ihrem Mann gekommen, dies sei vor ihrer Hochzeit gewesen. Zu der Zeit als die Vorfälle passiert seien, seien sie verlobt gewesen.

5. Mit Bescheiden vom 12.01.2017 - zugestellt am 19.01.2017 - wies das BFA die Anträge der BF1 bis BF3 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde den BF1 bis BF3 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Den BF1 betreffend wurde zu seiner Person und seinen Fluchtgründen durch das BFA Folgendes festgehalten: Er sei Teil der Kernfamilie BF1 bis BF3 - dies sei durch die Vorlage des Familienbuches sowie der Geburtsurkunde der BF3 nachgewiesen worden. Er sei in seinem Herkunftsstaat in der Vergangenheit keiner Bedrohung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten ausgesetzt gewesen. Er habe Syrien wegen der allgemeinen Folgen des Bürgerkrieges verlassen. Den Vorfall mit dem Geheimdienst im Jänner 2015 betreffend wurde festgehalten, dass es nicht nachvollziehbar sei, dass es bis zur Ausreise trotz der Wiedereröffnung des Geschäftes keine Probleme mehr gegeben habe und eine legale Ausreise möglich gewesen sei. Aus dem Vorbringen zum Militärdienst, dass der BF1 aufgrund der Zahlung einer bestimmten Summe befreit worden sei könne keine Gefahr bzw. Furcht vor einer Einberufung zum Militärdienst festgestellt werden. Durch die Umstände, dass die vom BF1 angegebene Bedrohung durch Schläger nur aufgrund des Geldes erfolgt sei und er nach dem berichteten Vorfall noch drei Monate unbehelligt an seiner Wohnadresse aufhalten und nachfolgend legal ausreisen habe können wird bezüglich der behaupteten Zusammenarbeit der Schläger mit der Regierung kein Glauben geschenkt und auch nicht der Tatsache, dass der BF1 aufgrund der Furcht vor diesen Schlägern geflohen sei.

Dem Bescheid die BF2 betreffend sind die Feststellungen zu ihrer Person und ihren Fluchtgründen wie folgt zu entnehmen: Sie sei in ihrem Herkunftsstaat keiner Bedrohung ausgesetzt gewesen. Sie habe Syrien wegen der Folgen des Bürgerkrieges verlassen. Sie habe in der Gesamtheit betrachtet eine aktuell drohende individuelle Gefahr einer asylrechtlich relevanten Verfolgung nicht glaubhaft gemacht.

6. Gegen die oben angeführten Bescheide erhoben die BF1 bis BF3 fristgerecht am 14.02.2017 Beschwerde und begründete diese zusammengefasst damit, dass die BF aus XXXX stammen würden und sunnitische Moslems seien. Der BF1 sei einerseits von Schlägern und andererseits vom Geheimdienst bedroht worden. Der BF1 habe auch seinen Militärdienst noch nicht abgeleistet, da er sich freikaufen habe können. Der BF1 sei im wehrfähigen Alter und es drohe im eine Einberufung, der BF1 weigere sich für das syrische Regime in den Kampf zu ziehen. Das BFA sei nicht auf die vorgebrachten Aussagen der BF eingegangen und habe sie nicht näher zu asylrelevanten Themen befragt.

7. Die belangte Behörde legte, datiert mit 16.02.2017 - eingelangt am 20.02.2017 -, die Beschwerden - ohne von der Möglichkeit von Beschwerdevorentscheidungen Gebrauch zu machen - dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

8. Am 08.05.2017 wurde seitens der BF eine Stellungnahme eingebracht und es wurden Urkunden vorgelegt um das exilpolitische Engagement der BF1 und BF2 zu verdeutlichen. Die BF würden regelmäßig an Demonstrationen in Österreich teilnehmen, die sich sowohl gegen das Assad Regime als auch gegen den IS richten würden. Belegt wurde diese Aussage durch Fotografien, die den BF1 und die BF2 in Wien bei der Teilnahme an den berichteten Demonstrationen zeigen. Die BF1 und BF2 hätten durch diese Teilnahme ihre regimekritische Haltung öffentlich kundgetan und sie müssten demzufolge damit rechnen, dass sie dadurch ins Blickfeld der syrischen Behörden geraten könnten.

9. Am 26.03.2018 wurde der Viertbeschwerdeführer (BF4) in Österreich geboren. Am 04.04.2018 wurde für diesen von den vertretungsbefugten BF1 und BF2 der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz gestellt, welcher am 28.05.2018 hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten angewiesen wurde. Dem BF4 wurde im Familienverfahren subsidiärer Schutz zuerkannt.

10. Am 11.06.2018 wurde gegen den Bescheid den BF4 betreffend Beschwerde erhoben in der festgehalten wurde, dass der BF4 als nachgeborenes Kind seine Fluchtgründe von den Eltern ableite. Diese Beschwerde wurde am 11.06.2018 - eingelangt mit 13.06.2018 - dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung im Zuge des gegenständlichen Familienverfahrens vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der erhobenen Anträge auf internationalen Schutz vom 22.10.2015, 28.11.2016 und vom 04.04.2018 der Einvernahmen der BF1 und BF2 durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des BFA, der Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, in das Zentrale Melderegister, Fremdeninformationssystem, Strafregister und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zu den Beschwerdeführern:

Die BF tragen die im Spruch angeführten Namen und sind zu den dort jeweils angegebenen Daten geboren. Sie sind syrische Staatsangehörige sunnitischen Glaubens und gehören der arabischen Volksgruppe an.

Der BF1 und die BF2 sind sowohl traditionell als auch behördlich registriert verheiratet und die Eltern der minderjährigen und ledigen BF3 und des ebenfalls minderjährigen und ledigen BF4.

Die BF nehmen regelmäßig an Demonstrationen in Österreich teil, die sich sowohl gegen das Assad Regime als auch gegen den IS richten. Es besteht das reale Risiko, dass diese exilpolitischen Tätigkeiten den syrischen Behörden bekannt werden. Durch diese Teilnahme an Demonstrationen würde den BF eine oppositionelle politische Gesinnung zumindest unterstellt werden, was eine vorübergehende Festnahme oder eine länger dauernde Anhaltung bei einer Rückkehr nach Syrien zur Folge haben könnte.

Es droht daher dem BF1 bzw. der BF2 im Falle einer Rückkehr nach Syrien vom Regime bzw. dessen Sicherheitskräften festgenommen bzw. angehalten zu werden und im Rahmen dieser Anhaltung der Folter oder einer unmenschlichen Behandlung unterworfen zu werden.

Die BF sind in Österreich unbescholten.

Die Beschwerdeführer leben in Österreich als subsidiär Schutzberechtigte.

1.2. Zur im vorliegenden Fall relevanten Situation in Syrien:

1.2.1. Politische Lage

Seit 2011 tobt die Gewalt in Syrien. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg geworden, mit unzähligen Milizen und Fronten.

Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, vom sogenannten "Islamischen Staat" (IS), von der Kurdisch Demokratischen Unionspartei (PYD) und von anderen Rebellen- Fraktionen kontrollierte Gebiete aufgeteilt.

Das syrische Regime kontrolliert ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer, die noch nicht aus Syrien geflohen sind, lebt. Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen kontrollieren verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten oder wieder errichten diese Gruppierungen Regierungsstrukturen, inklusive irregulär aufgebauten Gerichten. Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Seit 2015 schickt Russland auch Truppen und Ausrüstung nach Syrien und begann außerdem Luftangriffe, von syrischen Militärbasen aus, auszuführen, wobei hauptsächlich auf von Rebellen kontrollierte Gebiete abgezielt wird. Die von den USA geführte internationale Koalition führte Luftangriffe gegen den IS durch.

Im Norden Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava oder Westkurdistan genannt werden. Noch sind die beiden größeren Gebietsteile voneinander getrennt, das Ziel der Kurden ist es jedoch entlang der türkischen Grenze ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen.

Der IS übernahm seit 2014 vermehrt die Kontrolle von Gebieten in den Gouvernements Deir al-Zour und Raqqa, außerdem in anderen Regionen des Landes. Der IS rief daraufhin ein "islamisches Kalifat" mit der Hauptstadt Raqqa aus.

Präsident Bashar al-Asad regiert die Arabische Republik Syrien seit dem Jahr 2000. 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Asad führten. Bei dieser Wahl gab es erstmals seit Jahrzehnten zwei weitere mögliche, jedoch relativ unbekannte, Kandidaten. Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten, wodurch ein großer Teil der syrischen Bevölkerung nicht an der Wahl teilnehmen konnte. Diese Wahl wurde jedoch als undemokratisch bezeichnet, die syrische Opposition bezeichnete sie als "Farce".

Am 16. April 2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden. Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als "Farce". Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der "Nationalen Einheit" bekam einen Parlamentssitz. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien, vom 5. Jänner 2017, S. 4 f.)

1.2.2. Rückkehr

Laut der International Organization for Migration (IOM) sind zwischen Januar und Juli 2017 602.759 vertriebene Syrer in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. 93 Prozent davon sind Binnenvertriebene gewesen und 7 Prozent kehrten aus der Türkei, dem Libanon, Jordanien und dem Irak nach Syrien zurück. Rückkehrer aus der Türkei und Jordanien kehrten hauptsächlich in die Provinzen Aleppo und Hassakah zurück (IOM 11.8.2017). Am Beginn des Jahres kam es zur Rückkehr von etwa 150.000 Personen (Zeitraum Januar-April 2017) nach Ost-Aleppo, wobei die Dauerhaftigkeit dieser Rückkehr fragwürdig ist, da die Zahl der beschädigten Unterkünfte in Ost-Aleppo sehr hoch ist (IDMC 2017).

Die Hauptfaktoren, die die Entscheidung zurückzukehren, beeinflussen, sind primär die Wiedervereinigung mit Familienmitgliedern, den Zustand des eigenen Besitzes/Grundstücks zu prüfen und in manchen Fällen auch die tatsächliche oder wahrgenommene Verbesserung der Sicherheitslage in Teilen des Landes (UNHCR 30.6.2017 und IOM 11.8.2017). Andere Rückkehrgründe können eine Verschlechterung der ökonomischen Situation am Zufluchtsort oder soziokulturelle Probleme sein (Die Presse 14.8.2017, vgl. IOM 11.8.2017).

Das Konzept von Binnenvertriebenen ist jedoch viel weiter gefasst, als jenes von Flüchtlingen. Binnenvertriebene sind all jene, die ihr Zuhause verlassen haben und dabei sehr kurze oder auch weite Entfernungen zurückgelegt haben. Kürzere Distanzen erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr. Beispielsweise kehren viele IDPs aus West-Aleppo nach Ost-Aleppo zurück, oder viele IDPs aus den Vorstädten von Damaskus kehrten in die Vororte Qabun oder Qudsaya zurück, nachdem diese von der syrischen Armee wieder erobert wurden. Das hauptsächliche Hindernis bei der Rückkehr bleibt das Fehlen von Sicherheit, wobei diese Einschätzung von der geographischen Herkunft, sozioökonomischen Lage und einer potentiellen Beteiligung im Widerstand gegen das syrische Regime beeinflusst wird (WI 7.7.2017).

Geschätzte 67 Prozent der Rückkehrer (405.420 Personen) kehrten in die Provinz Aleppo zurück, 27.620 nach Idlib, 75.209 nach Hama,

45.300 nach Raqqa, 21,346 nach Damaskus-Umland und 27.861 in andere Provinzen. Berichten zufolge kehrten 97 Prozent der Vertriebenen zu ihrem eigenen Haus zurück, 1,8 Prozent leben bei Gastgebern, 1,4 Prozent in verlassenen Häusern, 0,14 Prozent in informellen Siedlungen und 0,03 Prozent in gemieteten Unterkünften. Der Zugang zu Nahrung und Haushaltsgegenständen der Rückkehrer liegt dieser Studie zufolge bei 80 und 83 Prozent, der Zugang zu Wasser und Gesundheitsversorgung nur bei 41 und 39 Prozent, weil die Infrastruktur des Landes durch den Konflikt extrem beschädigt wurde. Im Jahr 2016 lag die Zahl der Rückkehrer bei 685,662. Von diesen Rückkehrern wurden jedoch geschätzte 20.752 im selben Jahr und 21.045 im Jahr 2017 erneut vertrieben. Während die Zahl der Rückkehrer in Syrien steigt, ist die Zahl der Vertreibungen weiterhin hoch. So wurden von Januar bis Juli 2017 geschätzte

808.661 Personen aufgrund des Konfliktes vertrieben, viele davon zum zweiten oder dritten Mal. Laut IOM war die Rückkehr von IDPs hauptsächlich spontan, aber nicht notwendigerweise freiwillig, sicher oder nachhaltig (IOM 11.8.2017).

Länger zurückliegende Gesetzesverletzungen im Heimatland (z.B. illegale Ausreise) können von den syrischen Behörden bei einer Rückkehr verfolgt werden. In diesem Zusammenhang kommt es immer wieder zu Verhaftungen (AA 17.8.2017). Im Prinzip steht es syrischen Staatsangehörigen frei, mit ihrem syrischen Pass (oder bei einer Ausreise in den Libanon: mit gültigem Personalausweis) über alle funktionsfähigen Grenzübergänge, einschließlich dem Flughafen Damaskus, das Land zu verlassen. Syrische Staatsangehörige müssen eine Ausreisegebühr in einer Höhe zahlen, die vom Ausreisepunkt (Landgrenze oder Flughafen) abhängt. Auf Grundlage des Gesetzes Nr. 18 aus dem Jahr 2014 kann die Ausreise oder Rückkehr ohne gültigen Pass oder ohne die erforderliche Genehmigung oder über einen nicht genehmigten Ausreisepunkt je nach Umständen des Einzelfalls Freiheits- und/oder Geldstrafen nach sich ziehen. Es ist nicht klar, ob das Gesetz tatsächlich angewandt wird und ob Personen, die aus dem Ausland zurückkehren, gemäß Gesetz Nr. 18 von 2014 einer Strafverfolgung ausgesetzt sind (UNHCR 2.2017).

Personen werden bei der Einreise nach Syrien über den internationalen Flughafen Damaskus oder andere Einreiseorte kontrolliert. Bei männlichen Personen im wehrfähigen Alter wird auch kontrolliert, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben (IRB 19.1.2016; vgl. Zeit 10.12.2017). Männer im wehrfähigen Alter sind bei der Einreise besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu werden. Die Sicherheitsorgane haben am Flughafen freie Hand, und es gibt keine Schutzmechanismen, wenn eine Person verdächtigt und deswegen misshandelt wird. Es kann passieren, dass die Person sofort inhaftiert und dabei Opfer von Verschwindenlassen oder Folter wird. Oder der Person wird die Einreise nach Syrien erlaubt, sie muss sich jedoch zu einem anderen Zeitpunkt erneut melden und verschwindet dann. Eine Person kann auch Opfer von Misshandlungen werden, ohne dass es dafür einen bestimmten Grund gibt. Das System ist sehr unberechenbar (IRB 19.1.2016). Bereits im Jahr 2012 hat ein britisches Gericht festgestellt, dass für einen nach Syrien zurückkehrenden, abgelehnten Asylwerber im Allgemeinen bei der Ankunft die reale Gefahr besteht, aufgrund einer angenommenen politischen Gesinnung inhaftiert zu werden, und in der Folge schweren Misshandlungen ausgesetzt zu sein. Seit dieser Feststellung hat sich die Situation weiter verschlimmert. Es kann jedoch auch sein, dass eine Person, trotz eines abgelehnten Asylantrages, auch nach der Rückkehr nach Syrien noch als Unterstützer des Assad-Regimes angesehen wird (UK HOME 8.2016).

Das syrische Gesetz bestraft auch Personen, welche versuchen in einem anderen Land Asyl zu suchen, um eine Strafe in Syrien zu vermeiden (USDOS 3.3.2017).

In den von oppositionellen Gruppierungen wie Jabhat Fatah ash-Sham oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierten Gebieten verfügen die bewaffneten Gruppen ebenfalls über Listen von "Dissidenten". Ihnen drohen Misshandlung und Verschwindenlassen. Auch oppositionelle Gruppen kontrollieren Rückkehrende, wobei die Bekanntgabe des Wohn- und Geburtsortes wichtig ist. SyrerInnen, die aus der Türkei in oppositionelle Gebiete zurückkehren, werden befragt. Es kommt außerdem zu Entführungen und Lösegelderpressungen durch bewaffnete Gruppen (SFH 21.3.2017).

Wie aus Berichten hervorgeht, betrachtet die Regierung bestimmte Aktivitäten von im Ausland lebenden Syrern als Ausdruck einer oppositionellen Einstellung, darunter Anträge auf Asyl, Teilnahme an regierungskritischen Protesten, Kontakte zu Oppositionsgruppen oder andere Ausdrucksformen der Kritik an der Regierung, einschließlich über soziale Medien (UNHCR 2.2017). Die syrische Regierung hat Interesse an politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland, auch deshalb, um oppositionelle Alternativen zum gegenwärtigen Regime zu unterbinden. Die Regierung überwacht Aktivitäten dieser Art im Ausland, auch in Österreich. Dass die syrische Regierung Kenntnis von solchen Aktivitäten hat, ist wahrscheinlich, und sie hat die Möglichkeit, ihr diesbezügliches Wissen zu nützen, wenn sich dazu die Gelegenheit ergibt. Eine Überwachung von exilpolitischen Aktivitäten passiert hauptsächlich an Orten mit einer größeren syrischen Gemeinde, weil sich dort eher Informanten der Regierung befinden können. Eine Gefährdung eines Rückkehrers im Falle von exilpolitischer Aktivität hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und von zahlreichen anderen Faktoren, wie dem familiären Hintergrund und den Ressourcen ab, die der Regierung zur Verfügung stehen (BFA 8.2017).

Im September 2017 sprach der damalige Generalmajor der syrischen Republikanischen Garden Issam Zahreddine eine Drohung gegen syrische Flüchtlinge aus. In einem Live-Interview mit dem syrischen Staatsfernsehen sagte er "Kehrt nicht zurück! Selbst wenn der Staat euch vergibt, wir werden niemals vergessen und verzeihen. Ein Rat von diesem Bart: Kommt nicht zurück!", umstehende Offiziere hätten dazu gelacht. Zum Berichtszeitpunkt befehligte er mehrere tausend Soldaten und leitete die Eroberung von Deir ez-Zour. Offiziell gibt das Assad-Regime vor, eine "nationale Versöhnung" in Syrien anzustreben. Syrer, die nicht gegen die Regierung kämpften, hätten demnach nichts zu befürchten (Spiegel 11.9.2017). Zahreddine, der im Oktober 2017 durch eine Landmine getötet wurde, entschuldigte sich später für die Aussage und sagte, dass sie missinterpretiert worden sei und er sich lediglich auf IS und Rebellenkämpfer bezog, die syrische Truppen getötet haben (Telegraph 18.10.2017). Im Dezember 2017 besuchte Ali Haidar, der syrische Minister für nationale Versöhnung (Minister of State for National Reconciliation), den Südlibanon und rief syrische Flüchtlinge aus den Provinzen Hama und Aleppo dazu auf, nach Hause zurück zu kehren, unter der Behauptung, dass die Situation in den Provinzen stabil sei (DS 2.1.2018).

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien, vom 5. Jänner 2017, S. 87 ff.)

1.2.3. Risikogruppen

In seinen Richtlinien "zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen" vom Oktober 2014 geht UNHCR u.a. von folgenden "Risikoprofilen" aus:

* Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen

* Angehörige ethnischer Minderheiten (u.a. Kurden)

* Mitglieder religiöser Gruppen (u.a. Sunniten)

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Person und den Familienverhältnissen der BF basieren auf deren Angaben sowie den vorgelegten Dokumenten (u.A. syrische Reisepässe, Familienbuch, Geburtsurkunden).

Die BF haben bei allen Befragungen von Anfang an im Wesentlichen übereinstimmende Angaben gemacht.

Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung, dass der BF1 sowie die BF2 in Österreich an mehreren Demonstrationen gegen das syrische Regime teilgenommen haben ergibt sich aus dem Vorbringen - aus einer schriftlichen Stellungnahme der BF - und auch aus den die Stellungnahme ergänzenden fotografischen Aufnahmen. Auf diesen Aufnahmen, die offenkundig in Wien aufgenommen worden sind, sind der BF1 und die BF2 im Vordergrund zu sehen, im Hintergrund sind diverse Fotos und auch Tische mit Informationsmaterial zu erkennen. Der BF1 und die BF2 halten auf diesen Fotos die Flagge, die von der syrischen Opposition verwendet wird hoch, auch die BF3 trägt diese Flagge um den Kopf gewickelt bzw. auch als Schal. Auf einer Aufnahme ist im Hintergrund der Teil eines Banners zu sehen, auf dem zu lesen ist:

"Stop Kill Civilians in Syria".

Wie den Länderberichten zu entnehmen ist, betrachtet die syrische Regierung bestimmte Aktivitäten von im Ausland lebenden Syrern als Ausdruck einer oppositionellen Einstellung, darunter auch die Teilnahme an regierungskritischen Protesten und Kontakte zu Oppositionsgruppen oder andere Ausdrucksformen der Kritik an der Regierung, einschließlich über soziale Medien. Die syrische Regierung hat Interesse an politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland, auch deshalb, um oppositionelle Alternativen zum gegenwärtigen Regime zu unterbinden. Die Regierung überwacht Aktivitäten dieser Art im Ausland, auch in Österreich. Dass die syrische Regierung Kenntnis von solchen Aktivitäten hat, ist wahrscheinlich, und sie hat die Möglichkeit, ihr diesbezügliches Wissen zu nützen, wenn sich dazu die Gelegenheit ergibt. Eine Überwachung von exilpolitischen Aktivitäten passiert hauptsächlich an Orten mit einer größeren syrischen Gemeinde, weil sich dort eher Informanten der Regierung befinden können. Eine Gefährdung eines Rückkehrers im Falle von exilpolitischer Aktivität hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und von zahlreichen anderen Faktoren ab. Im gegenständlichen Fall haben der BF1 und die BF2 an öffentlich zugänglichen Orten gegen das syrische Regime und den durch dieses Regime verübten Menschenrechtsverletzungen ("Stop Kill Civilians in Syria") protestiert und somit ist davon auszugehen, dass den BF eine regimekritische Einstellung zugerechnet werden würde.

Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass den BF mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeiten eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und diese Unterstellung eine Festnahme bzw. Anhaltung zur Folge haben würde.

2.2. Die Feststellungen zur Situation in Syrien beruhen auf den genannten (aktualisierten Quellen), die schon das BFA seinen Bescheiden zugrunde legte. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität deren Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da eine Senatsentscheidung in den einschlägigen Bundesgesetzen nicht vorgesehen ist, liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt habe.

Gemäß § 28 abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß " 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Die Beschwerde wurde fristwahrend erhoben und es liegen auch die anderen Prozessvoraussetzungen vor.

3.1. Zu Spruchpunkt A)

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 23.07.1999, 99/20/0208; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Von mangelnder Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law² [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203).

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; 15.03.2001, 99/20/0036). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwSlg. 16.482 A/2004). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" (VwSlg. 16.482 A/2004) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).

3.1.2. Die BF würden nach den getroffenen Feststellungen im Falle einer Rückkehr nach Syrien vom Regime bzw. den dort agierenden Sicherheitsorganen mit hinreichender Sicherheit wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeiten - die BF haben in Österreich belegter Weise an Demonstrationen gegen das syrische Regime teilgenommen - festgenommen und angehalten werden. Diese Tätigkeiten der BF würde zur Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung führen, was dazu führen würde, dass die BF im Rahmen einer erfolgenden Anhaltung Folter oder unmenschlicher Behandlung ausgesetzt wären. Es liegt daher eine der Schwere und Art nach asylrelevante Verfolgung aus einem asylrelevanten Grund vor.

Damit fallen die BF jedenfalls in eine von UNHCR angeführte Risikogruppe, nämlich der "Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen. (siehe oben Punkt 1.2.3.; zur Indizwirkung von UNHCR-Positionen vgl. etwa VwGH 16.1.2008, 2006/19/0182, m.w.N.). Eine Inanspruchnahme des Schutzes durch den syrischen Staat ist schon deswegen auszuschließen, da die Verfolgung gerade von diesem ausgeht.

Im Ergebnis ist bei der gebotenen prognostischen Beurteilung der Verfolgungsgefahr und bei Gesamtbewertung aller risikobegründenden Faktoren ein erhebliches Risiko für die BF, vom syrischen Regime aus den dargelegten Gründen verfolgt zu werden - und damit das Vorliegen der "maßgeblichen Wahrscheinlichkeit" der Verfolgung im Sinne der verwaltungsgerichtlichen Judikatur - zu bejahen.

Auf das weitere Vorbringen war nicht näher einzugehen, da den BF schon aufgrund des oben angeführten Grundes der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen war.

Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht nicht; die Annahme ebendieser würde im Widerspruch zum aufgrund der derzeitigen Situation in Syrien bereits gewährten subsidiären Schutz stehen (vgl. etwa VwGH 25.3.2015, Ra 2014/18/0168; VwGH 29.6.2015, Ra 2014/18/0070).

3.1.3. Zusammenfassend ergibt sich, dass sich der BF1 sowie die BF2 aus wohl begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer - und sei es auch nur durch die syrische Regierung unterstellten - oppositionell-politischen Gesinnung außerhalb Syriens aufhalten und dass auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C, D oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Der Beschwerde ist daher stattzugeben und dem BF1 sowie der BF2 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen.

3.1.4. Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 ist aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen der Status eines Asylberechtigten ebenfalls zuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

2. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und

3. gegen den Fremden, dem der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 fallen unter "Familienangehörige" insbesondere der Ehegatte, die [minderjährigen] Kinder, sofern diese ledig sind und im Falle von ledigen minderjährigen Kindern die Eltern des Fremden.

3.1.5. Die BF3 und der BF4 sind die minderjährigen, ledigen Kinder des BF1 und der BF2.

Dem BF1 und der BF2 war der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen und somit ist dieser Status auch auf die BF3 und den BF4 zu übertragen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war mit dem Ausspruch der Gewährung des Status von Asylberechtigten gleichzeitig festzustellen, dass den BF von Gesetzes wegen somit die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.1.7. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, zumal der entscheidungsrelevante Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt war. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 VwGVG kann - soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist - das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

Im vorliegenden Fall ergibt sich, dass aus dem Akteninhalt des Verwaltungsaktes in Verbindung mit der Beschwerde der maßgebliche Sachverhalt als geklärt anzusehen ist. Auch die gebotene Aktualität ist unverändert gegeben, zumal die dem Bescheid zugrunde gelegten Länderfeststellungen - ergänzt um aktuellere Feststellungen - unverändert die zur Beurteilung des konkreten Falls notwendige Aktualität aufweisen.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die hier anzuwendenden Regelungen erweisen sich als klar und eindeutig (vgl. dazu auch OGH 22.3.1992, 5 Ob 105/90; vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053).

Die Stattgabe der Beschwerden hinsichtlich des Spruchpunktes I. der angefochtenen Bescheide ergeht in Anlehnung an die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, in der jeweiligen Fassung.

Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

aktuelle Bedrohung, aktuelle Gefahr, Anhaltung, Asylgewährung,
asylrechtlich relevante Verfolgung, begründete Furcht vor
Verfolgung, Bürgerkrieg, Demonstration, erhebliche Intensität,
exilpolitische Aktivität, Festnahme, Flüchtlingseigenschaft, Folter,
Gesamtbetrachtung, Glaubhaftmachung, individuelle Gefährdung,
individuelle Verfolgungsgefahr, inländische Schutzalternative,
innerstaatliche Fluchtalternative, maßgebliche Wahrscheinlichkeit,
Nachvollziehbarkeit, politische Gesinnung, Prognose,
Prognoseentscheidung, real risk, reale Gefahr, Risikogruppe,
staatliche Schutzfähigkeit, staatliche Schutzwilligkeit, staatlicher
Schutz, unmenschliche Behandlung, Unzumutbarkeit, Verfolgungsgefahr,
Verfolgungshandlung, Wahrscheinlichkeit, wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W150.2147949.1.00

Zuletzt aktualisiert am

29.10.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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