TE Vwgh Erkenntnis 2018/9/11 Ra 2016/16/0104

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Veröffentlicht am 11.09.2018
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E6J;
E6O;
32/05 Verbrauchsteuern;
59/04 EU - EWR;

Norm

62001CJ0452 Ospelt VORAB;
62007CJ0521 Kommission / Niederlande;
62009CJ0072 Etablissements Rimbaud VORAB;
62009CJ0284 Kommission / Deutschland;
62009CJ0402 Tatu VORAB;
62010CJ0010 Kommission / Österreich;
62010CO0476 projektart VORAB;
EURallg;
EWR-Abk Art14;
NoVAG 1991 §15 Abs10;
NoVAG 1991 §6a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Thoma und Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Baumann, LL.M., über die Revision des E B in K, vertreten durch die Dr. Obermoser Wirtschaftstreuhand GmbH in 6370 Kitzbühel, St. Johannerstraße 49a, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 4. August 2016, Zl. RV/3100062/2014, betreffend Normverbrauchsabgabe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Kitzbühel Lienz), zu Recht erkannt:

Spruch

<spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 18. Oktober 2013 setzte das Finanzamt die Normverbrauchsabgabe (NoVA) für ein vom Revisionswerber am 21. Juni 2013 aus Liechtenstein importiertes Gebrauchtfahrzeug (Erstzulassung: 30. Oktober 2006) gemäß § 201 BAO fest. Dabei ermittelte es u.a. einen "Malus gemäß § 6a Normverbrauchsabgabegesetz" in Höhe von 3.700 EUR. In der Begründung führte das Finanzamt dazu aus, eine Verminderung des nach § 6a NoVAG 1991 ermittelten Malusbetrags im Verhältnis zur Wertentwicklung des Fahrzeugs komme nicht in Betracht, weil § 6a Abs. 6 NoVAG 1991 nur für aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet eingeführte Gebrauchtfahrzeuge gelte.

2 In der dagegen erhobenen (als Beschwerde zu behandelnden) Berufung vom 14. November 2013 brachte der Revisionswerber vor, Liechtenstein sei seit 1. Mai 1995 Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Mit dem EWR-Vertrag seien allen Mitgliedstaaten die "vier Freiheiten" des EU-Binnenmarktes gewährt worden. Aus Art. 14 des EWR-Abkommens folge, dass die Vertragsparteien auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten weder unmittelbar noch mittelbar höhere inländische Abgaben gleich welcher Art erheben dürften, als gleichwertige inländische Waren unmittelbar oder mittelbar zu tragen hätten. Da § 6a Abs. 6 NoVAG 1991 eine Verminderung des Malus im Verhältnis zur Wertentwicklung des Gebrauchtfahrzeugs nur für aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet eingeführte Fahrzeuge vorsehe, werde die Einfuhr aus Liechtenstein unmittelbar mit höheren Abgaben belastet, was eine eindeutige Vertragsverletzung darstelle.

3 Mit Erkenntnis vom 4. August 2016 wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht aus, nach § 6a Abs. 6 NoVAG 1991 sei bei Gebrauchtfahrzeugen, die unmittelbar aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet in das Inland gebracht würden, der Malus im Verhältnis zur Wertentwicklung des Gebrauchtfahrzeugs zu vermindern. Da der Revisionswerber das Gebrauchtfahrzeug aus Liechtenstein, einem Drittstaat, importiert habe, komme eine Verminderung des Malus im Verhältnis zur Wertentwicklung des Fahrzeugs nicht in Betracht. Im Zusammenhang mit dem EWR-Abkommen führte das Bundesfinanzgericht aus, da der EWR im Gegensatz zur Europäischen Gemeinschaft lediglich eine Freihandelszone und keine Zollunion darstelle, habe nicht der gesamte "acquis communautaire" im Bereich des freien Warenverkehrs übernommen werden können. Die Harmonisierung des Steuerrechts falle nicht unter den sachlichen Geltungsbereich des EWR-Abkommens. Im Bereich des freien Warenverkehrs seien im EWR die bestehenden Steuergrenzen aufrecht geblieben. Vor diesem Hintergrund sei die Einschränkung der Berücksichtigung der Wertentwicklung auf unmittelbar aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet in das Inland gebrachte Gebrauchtfahrzeuge nicht zu beanstanden.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision insoweit, als "§ 6a Abs. 6 NoVAG 1991 auf Gebrauchtfahrzeuge, die aus dem Drittland (Liechtenstein) importiert werden, keine Anwendung findet und aus diesem Grund der Malus nicht im Verhältnis zur Wertentwicklung des Fahrzeuges vermindert wird". Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden und hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Die Revision begründet ihre Zulässigkeit damit, dass keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu vorliege, ob eine Verminderung des Malus im Verhältnis zur Wertentwicklung des Gebrauchtfahrzeugs im Sinne des § 6a Abs. 6 NoVAG 1991 auch dann zu erfolgen habe, wenn das Fahrzeug aus einem EWR-Staat in das Inland gebracht werde.

9 Die Revision ist zulässig und begründet.

10 Art. 14 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. L 1 vom 3. Jänner 1994, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) lautet:

"Die Vertragsparteien erheben auf Waren aus anderen Vertragsparteien weder unmittelbar noch mittelbar höhere inländische Abgaben gleich welcher Art, als gleichartige inländische Waren unmittelbar oder mittelbar zu tragen haben.

Die Vertragsparteien erheben auf Waren der anderen Vertragsparteien keine inländischen Abgaben, die geeignet sind, andere Produktionen mittelbar zu schützen."

11 Art. 14 des ERW-Abkommens ist nahezu wortgleich mit Art. 110 AEUV (ex.-Art. 90 EGV).

12 Im Urteil vom 7. April 2011, C-402/09, Ioan Tatu, hat der EuGH ausgesprochen, dass eine Steuer, die von einem Mitgliedstaat bei der erstmaligen Zulassung von Kraftfahrzeugen zum Zwecke ihrer Inbetriebnahme erhoben werde, eine inländische Abgabe darstelle, die an Art. 110 AEUV zu messen sei (Rn. 32).

13 Daher dürfe ein Mitgliedstaat keine Steuer einführen, die auf Kraftfahrzeuge bei deren erstmaligen Zulassung in diesem Mitgliedstaat erhoben werde, wenn diese steuerliche Maßnahme in der Weise ausgestaltet sei, dass sie die Inbetriebnahme von in anderen Mitgliedstaaten erworbenen Gebrauchtfahrzeugen erschwere, ohne zugleich den Erwerb von Gebrauchtfahrzeugen desselben Alters und mit derselben Abnutzung auf dem inländischen Markt zu erschweren (vgl. EuGH 7.4.2011, C-402/09, Ioan Tatu, Rn. 61).

14 Nichts anderes kann aufgrund der nahezu wortgleichen Regelung des Art. 14 des EWR-Abkommens für den Import von Gebrauchtfahrzeugen aus einem Mitgliedstaat des EWR gelten, ist doch das EWR-Abkommen integraler Bestandteil der Unionsrechtsordnung, sodass ihm im Rahmen der Zuständigkeit der EU Anwendungsvorrang (somit auch gegenüber späterem, entgegenstehendem innerstaatlichem Recht) zukommt (vgl. EuGH 24.6.2011, C-476/10, Projektart u.a., Rn. 32 und 49, EuGH 28.10.2010, Etablissements Rimbaud, C-72/09, Rn. 19, EuGH 23.9.2003, C-452/01, Ospelt und Schlössle Weissenberg, Rn. 27; sowie EuGH 20.10.2011, C-284/09, Kommission/Deutschland, Rn. 95 bis 99, EuGH 16.6.2011, C- 10/10, Kommission/Österreich, Rn. 42, EuGH 11.6.2009, C- 521/07, Kommission/Niederlande, Rn. 33 und 35, Daragan, ZErb 10/2016, 281).

15 Das in § 6a NoVAG 1991 normierte Bonus-Malus-System wurde erst durch das Ökologisierungsgesetz 2007, BGBl. I Nr. 46/2008, eingeführt und war gemäß § 15 Abs. 10 NoVAG 1991 lediglich auf Vorgänge nach dem 30. Juni 2008 anzuwenden. Kraftfahrzeuge, die bereits vor diesem Zeitpunkt erstmals in Österreich zum Verkehr zugelassen worden waren, blieben von dieser Regelung unberührt.

16 Das vom Revisionswerber am 21. Juni 2013 aus Liechtenstein importierte Gebrauchtfahrzeug wurde bereits am 30. Oktober 2006 erstmals zum Verkehr zugelassen. Wäre die Erstzulassung dieses Fahrzeugs zu diesem Zeitpunkt in Österreich erfolgt, wäre dafür noch kein Malus im Sinne des § 6a NoVAG 1991, BGBl. 695/1991 idF BGBl. I Nr. 46/2008, angefallen, sodass ein gleichartiges, im Inland bereits zugelassenes, Gebrauchtfahrzeug mit keinem Malus belastet wäre. Daher hätte das Bundesfinanzgericht aufgrund des Art. 14 des EWR-Abkommens auch bei der Ermittlung des NoVA-Betrags anlässlich des Imports des Gebrauchtfahrzeugs durch den Revisionswerber am 21. Juni 2013 keinen Malus nach § 6a NoVAG 1991 berücksichtigen dürfen.

17 Da das Bundesfinanzgericht dies verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

18 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 11. September 2018

Gerichtsentscheidung

EuGH 62001CJ0452 Ospelt VORAB
EuGH 62009CJ0072 Etablissements Rimbaud VORAB
EuGH 62009CJ0402 Tatu VORAB
EuGH 62010CO0476 projektart VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016160104.L00

Im RIS seit

26.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

20.11.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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