TE Vwgh Erkenntnis 2018/9/25 Ra 2018/01/0276

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Veröffentlicht am 25.09.2018
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
10/11 Vereinsrecht Versammlungsrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §13 Abs2;
AVG §13 Abs5;
B-VG Art133 Abs4;
B-VG Art133 Abs5;
VersammlungsG 1953 §2 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §7 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kienesberger, über die Revision der XY, vertreten durch die Freimüller Obereder Pilz Rechtsanwält_innen GmbH in 1080 Wien, Alser Straße 21, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 24. November 2017, Zl. VGW-103/048/15541/2017-1, betreffend Rechtzeitigkeit einer Beschwerde in einer Angelegenheit nach dem Versammlungsgesetz 1953 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Vorgeschichte

1 Mit Bescheid der Landespolizeidirektion Wien (LPD) vom 9. Oktober 2017 wurden die von der Revisionswerberin angezeigten Versammlungen "Antifaschistischer Protest gegen den Aufmarsch deutschnationaler Burschenschafter", welche zu näher bezeichneten Zeiten von Oktober bis Dezember 2017 an der Rampe der Universität Wien, Universitätsring 1, stattfinden sollten, gemäß § 7a Abs. 4 Versammlungsgesetz 1953 (VersG) untersagt.

2 Dieser Bescheid wurde der Revisionswerberin am 9. Oktober 2017 zugestellt. Die vierwöchige Beschwerdefrist (§ 7 Abs. 4 VwGVG) endete am 6. November 2017.

3 Am 6. November 2017 erhob die Revisionswerberin vorab mit E-Mail Beschwerde gegen diesen Bescheid an das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht). Die Beschwerde langte bei der LPD um 19:11 Uhr ein.

4 Zusätzlich wurde die Beschwerde durch die Revisionswerberin am 7. November 2017 per Einschreiben zur Post gegeben. Angefochtener Beschluss

5 Mit dem angefochtenen Beschluss wurde die Beschwerde der Revisionswerberin gemäß § 7 Abs. 4 iVm § 31 VwGVG als verspätet zurückgewiesen (I.) und ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei (II.).

6 Begründend stellte das Verwaltungsgericht fest, die Beschwerde sei erst am 7. November 2017 und somit außerhalb der Beschwerdefrist zur Post gebracht worden und daher verspätet.

Verfahren vor den Höchstgerichten

     7 Gegen diesen Beschluss erhob die Revisionswerberin

Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH).

     8 Dieser lehnte mit Beschluss vom 27. Februar 2018, E 60/2018-

5, die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

9 Begründend führte der VfGH aus, die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen habe, dass die Beschwerde nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eingebracht worden und daher als verspätet anzusehen sei, nicht anzustellen.

10 Sodann erhob die Revisionswerberin gegen den angefochtenen Beschluss die vorliegende außerordentliche Revision.

11 Die belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zulässigkeit

12 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die Beschwerde gegen den Bescheid der LPD vom 9. Oktober 2017 per E-Mail bereits am 6. November 2017 und somit rechtzeitig eingebracht worden sei.

13 Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof ist nur dann unausweichlich, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher nach dem Revisionsmodell nicht dazu berufen, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern - diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten (vgl. zu allem VwGH 27.2.2018, Ra 2018/01/0052, mwN auf die Vorjudikatur).

14 Die Beurteilung der Rechtzeitigkeit einer Beschwerde an das Verwaltungsgericht zählt zu den Fragen, denen in der Regel keine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukommt (vgl. idS VwGH 5.10.2016, Ra 2016/10/0080, mwN, zu einer - sich im Rahmen der hg. Judikatur haltenden - Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Kenntnisnahme im Sinn von § 17 Abs. 3 ZustG).

15 Demgegenüber zeigt die Revision im vorliegenden Fall eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung des Verwaltungsgerichtes auf.

16 Die Revision ist daher zulässig und berechtigt. Kein Kernbereich der Versammlungsfreiheit

17 Der Verwaltungsgerichtshof hat - unter Hinweis auf die neuere Rechtsprechung des VfGH (insbesondere VfSlg. 19.818/2013) - festgehalten, dass Fragen des Eingriffs in den Kernbereich des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit Rechtssachen betreffen, die gemäß Art. 133 Abs. 5 B-VG (nach wie vor) von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen sind. Entscheidungen, die den Kernbereich der Versammlungsfreiheit betreffen - wie die Untersagung oder die Auflösung einer Versammlung -, fallen in die ausschließliche Zuständigkeit des VfGH. Darüber hinaus habe der VfGH aber nicht zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung "in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht" (vgl. VwGH 27.2.2018, Ra 2017/01/0105, mwN).

18 In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof z.B. die Übertretung des § 2 Abs. 1 VersG (Pflicht des Veranstalters zur Anzeige einer beabsichtigten Versammlung) als eine Angelegenheit außerhalb des Kernbereichs der Versammlungsfreiheit angesehen (vgl. VwGH 22.3.2018, Ra 2017/01/0359, mwN).

19 Vorliegend betrifft der beim Verwaltungsgericht angefochtene Bescheid der LPD die Untersagung einer Versammlung und somit den Kernbereich der Versammlungsfreiheit.

20 Gegenstand des angefochtenen Beschlusses ist dagegen alleine die Rechtzeitigkeit der Beschwerde der Revisionswerberin. Diese verfahrensrechtliche Frage betrifft - wie der VfGH im zitierten Beschluss vom 27. Februar 2018, E 60/2018-5, ausführte - die Anwendung des einfachen Gesetzes und somit nicht den Kernbereich der Versammlungsfreiheit.

21 Daher ist der Verwaltungsgerichtshof zur Beurteilung

dieser Frage zuständig.

Rechtzeitigkeit der Beschwerde

22 Die Revisionswerberin bringt vor, sie habe ihre Beschwerde per E-Mail bereits am 6. November 2017 und somit fristwahrend bei der belangten Behörde eingebracht.

23 Dieses Vorbringen bestätigt sich nach der Aktenlage:

24 Bereits im Beschwerdeschriftsatz ist ausdrücklich angeführt, dass die Beschwerde vorab per E-Mail eingebracht wird ("EINSCHREIBEN vorab per E-Mail: LPD-W-Vereinsreferat@polizei.gv.at"). Das Einlangen bei der belangten Behörde (§ 12 VwGVG) noch am 6. November 2017 ergibt sich aus der (im Verwaltungsakt der belangten Behörde) ersichtlichen Empfangsbestätigung der LPD ("LPD-W-SVA-3-Vereins-Versamml-Medienr-Angel@polizei.gv.at"), die um 19:11 Uhr an die Revisionswerberin gesendet wurde ("Wir haben Ihre E-Mail erhalten und werden Ihr Anliegen sobald wie möglich bearbeiten").

25 Gemäß § 13 Abs. 2 AVG können schriftliche Anbringen der Behörde in jeder technisch möglichen Form übermittelt werden, mit E-Mail jedoch nur insoweit, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind. Etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten sind im Internet bekanntzumachen.

26 Gemäß § 13 Abs. 5 AVG ist die Behörde nur während der Amtsstunden verpflichtet, schriftliche Anbringen entgegenzunehmen oder Empfangsgeräte empfangsbereit zu halten, und, außer bei Gefahr im Verzug, nur während der für den Parteienverkehr bestimmten Zeit verpflichtet, mündliche oder telefonische Anbringen entgegenzunehmen. Die Amtsstunden und die für den Parteienverkehr bestimmte Zeit sind im Internet und an der Amtstafel bekanntzumachen.

27 Nach dieser Rechtslage gilt ein Anbringen noch am selben Tag (und damit als rechtzeitig) eingebracht, wenn die Behörde auch außerhalb ihrer Amtsstunden Empfangsgeräte empfangsbereit hält und das Anbringen nach dem Ende der Amtsstunden (aber noch am letzten Tag einer allfälligen Frist) bei ihr einlangt. Entscheidend ist allerdings, ob die Behörde von der ihr nach § 13 Abs. 2 zweiter Satz AVG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht und ihre mangelnde Bereitschaft zur Entgegennahme elektronischer Anbringen außerhalb der Amtsstunden mit der Wirkung bekundet, dass sie auch dann, wenn sie bereits in ihren elektronischen Verfügungsbereich gelangt sind, erst zu einem späteren Zeitpunkt - mit Wiederbeginn der Amtsstunden - als eingebracht und eingelangt gelten (vgl. VwGH 26.9.2017, Ra 2017/04/0086, mwN, vgl. auch VwGH 23.1.2018, Ra 2017/05/0296, und VwGH 2.8.2017, Ra 2017/03/0071, jeweils mwN).

28 Die Revision bringt vor, dass im vorliegenden Fall keine organisatorischen Beschränkungen des elektronischen Verkehrs nach § 13 Abs. 2 und 5 AVG bestanden bzw. bekanntgemacht wurden und verweist auf die "Informationen zum E-Mail-Verkehr mit den Landespolizeidirektionen (Kundmachung gemäß § 13 Abs. 2 AVG)", https://www.polizei.gv.at/alle/e_mail.aspx, (18.12.2017).

29 Diese im Internet

(https://www.polizei.gv.at/alle/e_mail.aspx 13.6.2018) durch die LPDen kundgemachten Informationen sehen eine allgemeine Unzulässigkeit der Einbringung mit E-Mail nicht vor. So heißt es in diesen Informationen:

"E-Mails sind eine weit verbreitete Kommunikationsform zwischen Bürgerinnen und Bürgern, Wirtschaft und Behörden. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Verkehr mit den Landespolizeidirektionen technischen Einschränkungen unterliegt, der Sicherheit wegen sowie um Netzwerk und E-Mail-System vor Überbelastungen zu schützen."

30 Auch eine Einschränkung der Einbringung auf die Amtsstunden ist an dieser Stelle nicht vorgesehen.

31 In den im Internet veröffentlichten Hinweisen des Vereinsreferates der LPD wird die von der Revisionswerberin verwendete elektronische Adresse (LPD-W-Vereinsreferat@polizei.gv.at) als Adresse zur Anzeige einer Versammlung bekanntgegeben. Beschränkungen des elektronischen Verkehrs nach § 13 Abs. 2 und 5 AVG, insbesondere eine Beschränkung der Einbringung mit E-Mail auf die dort angeführten Parteienverkehrszeiten, sind nicht vorgesehen (vgl. 32 versammlungen.aspx 12.6.2018).

33 Im Übrigen hat die LPD die ihr im Rahmen des Vorverfahrens eingeräumte Gelegenheit, etwaige Beschränkungen der Einbringung mit E-Mail nach § 13 Abs. 2 und 5 AVG darzulegen, nicht wahrgenommen und keine Revisionsbeantwortung erstattet.

34 Daher ist davon auszugehen, dass keine derartigen Beschränkungen bestehen und die Beschwerde der Revisionswerberin rechtzeitig mit E-Mail bei der LPD eingebracht wurde.

35 Dies hat das Verwaltungsgericht verkannt und den angefochtenen Beschluss mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

Ergebnis

     36 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2

Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

     37 Von der beantragten Verhandlung vor dem

Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.

38 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 25. September 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018010276.L00

Im RIS seit

26.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

28.12.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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