Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 2005 §3 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek, die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching und Mag. Brandl sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Mai 2017, Zl. W150 2130250-1/9E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (Mitbeteiligter:
H A in W, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer, Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies den Antrag des Mitbeteiligten, eines Staatsangehörigen Syriens, der sich nur von 2006 bis 2007 in Syrien aufhielt, ansonsten von seiner Geburt bis zu seiner Flucht im Jahr 2015 im Irak lebte, auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 10. Juni 2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status als Asylberechtigten als unbegründet ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).
Der Abweisung des Antrags auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten legte das BFA zusammengefasst zugrunde, es könne nicht festgestellt werden, dass der Mitbeteiligte in Syrien einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. eine solche jetzt bestehe.
2 In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Mitbeteiligte zu seiner Verfolgung in Syrien im Wesentlichen vor, er habe als "Abkömmling" seines Vaters in Syrien keinen Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen und sei aufgrund seiner Abstammung dort gefoltert worden.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Beschwerde des Mitbeteiligten statt, erkannte diesem den Status eines Asylberechtigten zu, stellte fest, dass dem Mitbeteiligten die Flüchtlingseigenschaft zukomme und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Nach Wiedergabe des wesentlichen Verfahrensgangs traf das BVwG unter "1. Feststellungen": zwar Länderfeststellungen zu Syrien, jedoch keine Feststellungen zum Fluchtgrund des Mitbeteiligten aus Syrien. Unter "2. Beweiswürdigung": legte das BVwG dar, dass die vom Mitbeteiligten vorgelegten Dokumente "in Verbindung mit seinen Angaben ein stimmiges Bild sein Fluchtvorbringen betreffend" ergeben würden. Nach Prüfung des Verwaltungsaktes und Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei kein Grund ersichtlich, an der Glaubwürdigkeit des Mitbeteiligten zu zweifeln. Weitere konkretere Darlegungen zur Beweiswürdigung traf das BVwG nicht. Unter "3. Rechtliche Beurteilung": führte das BVwG aus, dem Mitbeteiligten drohe hauptsächlich aufgrund seiner Abstammung eine vom syrischen Regime ausgehende asylrelevante Verfolgung. Als Sohn eines "Flüchtlings" bzw. als "Auslandssyrer" könne nicht ausgeschlossen werden, dass er im Rahmen einer Sanktionierung seines Verhaltens mit willkürlicher Bestrafung bis hin zu seiner Tötung zu rechnen habe. Die hinreichende Intensität solcher Verfolgungshandlungen bedürfe aufgrund der derzeitigen Situation mit einer Vielzahl schwerer Menschenrechtsverletzungen keiner weiteren Begründung. Die Gründe für seine Verfolgung durch das syrische Regime seien wesentlich in der ihm zugeschriebenen oppositionellen politischen Gesinnung zu sehen. Zusammengefasst ergebe sich, dass sich der Mitbeteiligte aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner oppositionell-politischen Gesinnung außerhalb Syriens aufhalte.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des BFA mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses. Der Mitbeteiligte beantragte in seiner Revisionsbeantwortung die kostenpflichtige Zurück-, in eventu Abweisung der Revision.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Die Revision ist betreffend den im Zulässigkeitsvorbringen aufgezeigten Begründungsmangel zur fehlenden Beweiswürdigung hinsichtlich der im Rahmen der rechtlichen Beurteilung getroffenen dislozierten Feststellungen zur aktuellen Verfolgung des Mitbeteiligten in seinem Herkunftsland Syrien zulässig und berechtigt.
7 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. VwGH 26.6.2018, Ra 2018/20/0307, mwN).
8 Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Mitbeteiligte bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Mitbeteiligte im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. - im vorliegenden Fall - des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 3.5.2016, Ra 2015/18/0212, mwN; Aktualität der Verfolgung).
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 23.5.2018, Ra 2018/22/0027, mwN).
10 Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis gegen die ihm obliegende Begründungspflicht verstoßen:
11 Selbst wenn man die Ausführungen des BVwG im Rahmen der rechtlichen Beurteilung, wonach - zusammengefasst - dem Mitbeteiligten als Sohn eines Regimegegners und der daraus ihm zugeschriebenen oppositionellen politischen Gesinnung seitens der syrischen Regierung eine maßgebliche Verfolgungsgefahr drohe, als zwar dislozierte, aber ausreichende Feststellungen zur aktuellen Verfolgungsgefahr im Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG wertet, mangelt es dazu einer hinreichenden Darlegung der diesen Feststellungen zugrundeliegenden Beweiswürdigung. Diese Erwägungen zur Beweiswürdigung können nur dann kurz ausfallen, wenn keine einander widersprechenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vorliegen. Bei Widersprüchen der Behauptungen und Aussagen einer Verfahrenspartei und sonstigen Ermittlungsergebnissen hingegen bedarf es einer klaren und übersichtlichen Zusammenfassung der maßgeblichen, bei der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen, damit der Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes auf ihre inhaltliche Richtigkeit überprüfen kann (vgl. VwGH 25.5.2016, 2013/06/0097, mwN).
12 Gemäß § 18 VwGVG ist Partei (des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens) auch die belangte Behörde. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren ist damit zumindest ein Zweiparteienverfahren, in dem der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, die gleichen Parteirechte (unter anderem Recht auf Akteneinsicht, Parteiengehör, Ladung zur Verhandlung, Fragerecht an die Parteien, Zeugen und Sachverständigen, Zustellung der Entscheidung) wie dem Beschwerdeführer zukommen. Es stehen sich damit der Beschwerdeführer und die belangte Behörde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich gleichberechtigt gegenüber (vgl. VwGH 29.5.2018, Ra 2018/03/0018, mwN; vgl. idS zum BFA § 21 Abs. 1 BFA-VG).
13 Wenn das BVwG von der Entscheidung des BFA abweichen will, ist es daher gehalten, auf die beweiswürdigenden Argumente des BFA einzugehen und nachvollziehbar zu begründen, aus welchen Gründen es zu einer anderen Entscheidung kommt.
14 In diesem Sinn weist die Revision zu Recht auf Beweisergebnisse hin, die zu dem sich auf Syrien beziehenden Fluchtvorbringen des Mitbeteiligten in Widerspruch stehen, wie etwa dessen Aussage vor dem BFA, er habe während seines Aufenthalts in Syrien von 2006 bis 2007 problemlos ein syrisches Militärbuch erhalten, obwohl er damals als Sohn eines zwischen 1966 und 1968 aus Syrien geflohenen, zu einer Freiheitsstrafe von 50 Jahren verurteilten, 1991 verstorbenen Regimegegners gefoltert worden sei, er nie politisch oder parteipolitisch tätig gewesen sei, in Syrien keine persönlichen Probleme mit staatlichen Behörden, dem Militär, Gerichten oder der Polizei habe, dort nicht behördlich gesucht werde und eine seiner vier Schwestern nach wie vor in Syrien lebe. Insbesondere die problemlose Ausstellung von Dokumenten durch den Herkunftsstaat ist ein Indiz für das Nichtbestehen einer Verfolgungssituation (vgl. VwGH 15.5.2003, 2001/01/0499, zur Bedeutung der erfolgreichen Beantragung der Ausstellung oder Verlängerung eines Reisepasses des Heimatstaates durch einen Asylwerber für die konkrete aktuelle Verfolgungsgefahr zum Zeitpunkt der Entscheidung; sowie VwGH 4.9.1996, 95/21/0853). Ebenso fehlen Feststellungen zur behaupteten Verfolgung während des Aufenthalts in Syrien von 2006 bis 2007 sowie zu den Gründen der Rückkehr in den Irak im Jahr 2007, um eine aktuelle asylrelevante Verfolgungsgefahr des Mitbeteiligten hinreichend beurteilen zu können.
15 Das angefochtene Erkenntnis war somit infolge eines wesentlichen Begründungsmangels wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
16 Dem Mitbeteiligten steht bei diesem Ergebnis gemäß § 47 Abs. 3 VwGG kein Anspruch auf Kostenersatz zu.
Wien, am 25. September 2018
Schlagworte
Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel AllgemeinParteibegriff - Parteienrechte Allgemein diverse Interessen RechtspersönlichkeitParteiengehör AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017010203.L00Im RIS seit
30.10.2018Zuletzt aktualisiert am
13.11.2018