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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art133 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, in der Revisionssache des C E (alias J O) in W, vertreten durch Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. November 2017, I411 1262293- 2/27E, betreffend Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 samt Rückkehrentscheidung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.
4 Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkennntis vom 27. Juli 2017, Ra 2017/22/0007, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 1. Dezember 2016 betreffend die Abweisung der Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) unter anderem hinsichtlich seines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) und der Erlassung einer Rückkehrentscheidung wegen Nichtdurchführung einer Verhandlung aufgehoben.
5 Im Folgeverfahren beraumte das BVwG eine Verhandlung an und lud dazu auch die Lebensgefährtin des Revisionswerbers, C.O., als Zeugin, die jedoch trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschien. Dies wurde sowohl vom Revisionswerber in der Verhandlung als auch in einem wenige Tage später an den Verhandlungsleiter adressierten E-Mail von C.O. mit einem Missverständnis begründet; C.O. habe geglaubt, es handle sich bei der zu eigenen Handen zugestellten Ladung nur um eine Information über den Termin des Revisionswerbers; sie stehe für Auskünfte zur Verfügung.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers neuerlich ab und erklärte eine ordentliche Revision für zulässig.
Beweiswürdigend führte des BVwG zur unterbliebenen Zeugenaussage von C.O. aus, diese sei in Asyl- und Aufenthaltsbelangen selbst in regelmäßigem Kontakt mit österreichischen Behörden gestanden; es sei nicht glaubhaft, dass sie die Ladung missverstanden habe, obwohl dem Revisionswerber eigenen Angaben zufolge die Bedeutung der Verhandlung bewusst gewesen und er auch von seinem Rechtsvertreter nochmals darauf hingewiesen worden sei; das Verhalten der Zeugin könne nur dahingehend gewürdigt werden, dass durch ihre Abwesenheit das Verfahren bewusst weiter verzögert und die Klärung des Sachverhaltes erschwert werden sollte.
Im Rahmen der Interessenabwägung kam das BVwG nach ausführlicher Auseinandersetzung mit der dazu ergangenen hg. Judikatur zu dem Ergebnis, dass der Eingriff in das Privat- und Familienleben des Revisionswerbers im Sinn des Art. 8 EMRK als verhältnismäßig anzusehen sei. Dabei berücksichtigte das BVwG seinen langen Aufenthalt in Österreich (18 Jahre), seine Lebensgemeinschaft mit der nigerianischen Staatsangehörigen C.O., die beiden gemeinsamen minderjährigen Kindern (fünf und drei Jahre) und den achtjährigen Sohn von C.O., sowie die Vorlage eines Sprachzertifikates auf Niveau A2 und eines Arbeitsvorvertrages. Dem hielt das BVwG entgegen, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers überwiegend unrechtmäßig sei, er zwei Asylanträge mit verschiedenen Identitäten gestellt, durch unrichtige Identitätsangaben (Name, Geburtsdatum, Herkunftsstaat, Vorlage eines gefälschten Reisepasses) eine Aufenthaltsbeendigung zu verhindern versucht habe und zweimal wegen seines unrechtmäßigen Aufenthalts bestraft worden sei; das Familienleben sei begründet worden, als der Aufenthalt des Revisionswerbers (damals auch der von C.O.) unsicher gewesen sei; der Revisionswerber sei nicht in den Arbeitsmarkt integriert, beziehe immer noch Grundversorgung und komme seinen Unterhaltspflichten nicht nach; er verfüge - wie sich in der Verhandlung gezeigt habe - nur über rudimentäre Sprachkenntnisse, die in keiner Relation zur Aufenthaltsdauer stünden; zu Nigeria bestünden noch Bindungen (zwei Schwestern mit deren Familien; Sprache, Schulbesuch).
Eine ordentliche Revision erklärte das BVwG für zulässig, weil das angefochtene Erkenntnis von der hg. Rechtsprechung, wonach bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen sei, abweiche. Fallbezogen stehe jedoch den persönlichen Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich ein größeres öffentliches Interesse gegenüber.
7 In ihrer Zulässigkeitsbegründung schließt sich die Revision dem vom BVwG angeführten Zulässigkeitsgrund des langen inländischen Aufenthalts an und rügt ergänzend, das BVwG habe kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt, weil es eine Einvernahme der Lebensgefährtin des Revisionswerbers über die tatsächliche Intensität des Familienlebens "trotz schriftlicher Entschuldigung unterlassen und darüber hinaus vorgreifend gewürdigt" habe.
8 Ein Verfahrensmangel führt nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, wenn das BVwG bei Vermeidung des Mangels zu einem anderen, für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis hätte gelangen können. Der Revisionswerber hat daher die Relevanz des Mangels durch ein konkretes tatsächliches Vorbringen aufzuzeigen. Im Fall einer unterbliebenen (bzw. auch unzureichenden) Vernehmung hat der Revisionswerber konkret darzulegen, was die betreffende Person im Fall ihrer (hinreichenden) Vernehmung ausgesagt hätte bzw. welche anderen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. etwa VwGH 23.5.2018, Ra 2018/22/0074, mwN; vgl. zum Erfordernis einer Relevanzdarstellung bei Verfahrensmängeln bereits in der Zulässigkeitsbegründung VwGH 3.8.2016, Ra 2016/07/0040, Rn. 21 mwN).
Diese Anforderungen erfüllt die Zulässigkeitsbegründung nicht. Sie enthält abgesehen von der Verfahrensrüge keinerlei Tatsachenvorbringen, das geeignet wäre, die Erheblichkeit der Befragung der Zeugin und darauf aufbauend die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung darzutun (vgl. VwGH 29.1.2016, Ra 2016/11/0005).
Das BVwG ging in seiner Entscheidung ohnedies - dem Vorbringen des Revisionswerbers folgend - davon aus, dass dieser mit C.O. eine Lebensgemeinschaft führe sowie mit ihr und den Kindern im gemeinsamen Haushalt lebe. Anzeichen dafür, dass das Familienleben von einer - über das vom BVwG angenommene Ausmaß hinausgehenden - Intensität gewesen wäre, ergeben sich weder aus den Verwaltungsakten noch der Beschwerde oder dem Verfahren vor dem BVwG. Auch C.O. brachte in ihrer - nachträglichen - Entschuldigung für ihr Fernbleiben von der Verhandlung diesbezüglich nichts vor.
9 Nach der ständigen hg. Rechtsprechung ist die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgte, nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. etwa VwGH 3.10.2017, Ra 2016/22/0056, mwN).
Es trifft zwar zu, dass - wie der Revisionswerber richtig hervorhebt - im Rahmen einer Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden in der Regel von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist. Das BVwG setzte sich jedoch eingehend mit der dazu ergangenen hg. Rechtsprechung auseinander und gelangte - unter Bedachtnahme auf die besonderen Umstände des hier gegebenen Falls (insbesondere die unrichtigen Identitätsangaben und die Vereitelung der Rückführung) unter gewichtender Abwägung des öffentlichen Interesses mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung - auf jedenfalls nicht unvertretbare Weise zum Überwiegen des öffentlichen Interesses und damit zur Versagung des beantragten Aufenthaltstitels (vgl. nochmals VwGH Ra 2016/22/0056).
10 Angesichts der jedenfalls nicht unvertretbaren Entscheidung des BVwG im Einzelfall liegt - entgegen der Ansicht des BVwG - fallbezogen kein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor. Auch in der Revision wurde keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher zurückzuweisen. Wien, am 4. Oktober 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RO2018220011.J00Im RIS seit
31.10.2018Zuletzt aktualisiert am
21.05.2019