TE Vwgh Erkenntnis 2018/10/4 Ra 2018/18/0229

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Veröffentlicht am 04.10.2018
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2018/18/0230 Ra 2018/18/0232 Ra 2018/18/0231

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision

1. Z F, 2. S F, 3. H F und 4. I F, alle vertreten durch Mag. Martin Führer, Rechtsanwalt in 3830 Waidhofen an der Thaya, Raiffeisenpromenade 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. März 2018, Zlen. W225 2160529- 1/9E, W225 2160528-1/15E, W225 2160520-1/10E, W225 2160527-1/11E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten richtet.

II. zu Recht erkannt:

In seinem übrigen Umfang wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien, alle afghanische Staatsangehörige, sind Mitglieder einer Familie; die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber sind Ehegatten, die Drittrevisionswerberin und der Viertrevisionswerber sind deren minderjährige Kinder im Alter von sechs und knapp drei Jahren.

2 Sie beantragten am 21. Juni 2015 bzw. 7. Dezember 2016 internationalen Schutz und stützten sich dabei - zusammengefasst - darauf, dass der Zweitrevisionswerber in eine jahrlange Blutfehde mit einer verfeindeten Familie verwickelt sei und bei Rückkehr nach Afghanistan getötet werden würde.

3 Mit Bescheiden vom 27. April 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge der revisionswerbenden Parteien auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel nach § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit und in der Sache geltend gemacht wird, das BVwG erachte eine Rückkehr der Familie in die Heimatprovinz Kabul unter dem Blickwinkel der Art. 2 und 3 EMRK für bedenkenlos, habe aber keine näheren Feststellungen getroffen, wo die Familie bei Rückkehr leben sollte und wie sie in Afghanistan ihren Lebensunterhalt bestreiten könnte. Entgegen den Annahmen des Verwaltungsgerichts erwarte die Familie bei Rückkehr eine existenzbedrohende Notlage. Auch die höchstproblematische Sicherheitslage (gerade in Kabul) sei vom BVwG nicht hinreichend bedacht worden; dies insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich bei den dritt- bis viertrevisionswerbenden Parteien um ein Kleinkind bzw. um Personen im Kindesalter handle, für die sich den Länderfeststellungen des angefochtenen Erkenntnisses eine besondere, näher umschriebene Gefährdung entnehmen lasse.

6 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revision ist teilweise zulässig und auch teilweise

begründet.

Zu I:

8 Keine Berechtigung kommt der Revision insoweit zu, als sie die Abweisung der Anträge auf Zuerkennung des Status von Asylberechtigten bekämpft. Insofern enthält die Revision kein Vorbringen, dem sich das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG für eine zulässige Revision entnehmen ließe. Zu II:

9 Berechtigung kommt der Revision insoweit zu, als sie zutreffend darauf verweist, dass das BVwG die möglichen Gründe für die Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten an die revisionswerbenden Parteien nicht ausreichend geprüft hat.

10 Das BVwG beschränkte seine Feststellungen darauf, dass den revisionswerbenden Parteien "eine Rückkehrmöglichkeit in ihre Heimatprovinz Kabul zur Verfügung" stehe und "soziale

Anknüpfungspunkte ... in Kabul" bestünden. Im Folgenden

argumentierte das BVwG zusammengefasst damit, dass der Zweitrevisionswerber ein arbeitsfähiger und arbeitswilliger junger Mann sei, dem es bei einer Wiederansiedlung in Kabul möglich sein sollte, seine Familie zu erhalten.

11 Mit diesen sehr allgemeinen und spekulativen Ausführungen wird das BVwG der in der hg. Rechtsprechung vor allem unter dem Gesichtspunkt der besonderen Vulnerabilität von Kindern bereits mehrfach dargelegten Verpflichtung, eine ganzheitliche Bewertung der möglichen Gefahren, die die Familie mit zwei minderjährigen Kindern bei Rückkehr nach Afghanistan zu erwarten habe, nicht gerecht. Eine konkrete Auseinandersetzung mit der tatsächlich vorzufindenden Rückkehrsituation lässt die Entscheidung des BVwG vermissen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 21.3.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479, mwN).

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher in Bezug auf die Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz und die darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat aufzuheben, in Bezug auf die Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten hingegen gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

13 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 4. Oktober 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180229.L00.1

Im RIS seit

30.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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