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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AsylG 2005 §8 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und den Hofrat Mag. Nedwed sowie die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des O M, vertreten durch Mag. Claudia Weinwurm, Rechtsanwältin in 2620 Neunkirchen, Schraubenwerkstraße 3/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. März 2018, Zl. I405 2116916- 1/16E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde in Bezug auf den Status des Asylberechtigten richtet.
II. zu Recht erkannt:
In seinem übrigen Umfang wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Sudan, stellte am 5. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, aus dem sudanischen Bundesstaat An-Nil al-azraq (Blue Nile State) zu stammen und wegen seiner politischen Aktivitäten staatlich verfolgt zu werden.
2 Mit Bescheid vom 20. Oktober 2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf internationalen Schutz des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 und 55 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers in den Sudan fest und setzte eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis - mit einer Maßgabebestätigung hinsichtlich der Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen - ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
4 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, der Revisionswerber habe sein Fluchtvorbringen aus näher dargelegten Gründen nicht glaubhaft machen können. Dem Revisionswerber sei zwar eine Rückkehr in seine Heimatregion Blue Nile State "schwer zumutbar", er könne sich aber "in der Region rund um Khartum" wiederansiedeln, wo er bereits fünf Jahre während seines Studiums gewohnt habe und wo es die beste Versorgung mit Grundnahrungsmitteln sowie die beste medizinische Versorgung gebe. Der Revisionswerber sei den Feststellungen und Erwägungen zur Zumutbarkeit und Möglichkeit der Rückkehr in den Sudan auch nicht substantiiert entgegengetreten.
5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit und in der Sache geltend gemacht wird, das BVwG habe in Bezug auf die für nicht glaubhaft befundenen Fluchtgründe des Revisionswerbers seine Begründungspflicht verletzt. Der Beweiswürdigung des BVwG fehle eine über bloße Textbausteine hinausgehende Begründung, insbesondere eine Auseinandersetzung mit den Beweisergebnissen der durchgeführten mündlichen Verhandlung. Hinzu komme, dass das Verwaltungsgericht keine Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Revisionswerbers in der Umgebung von Khartum sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen habe, obwohl es Khartum als zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative ansehe. Diesbezüglich habe der Revisionswerber mehrmals angegeben, dass er über keine familiären oder sonstigen sozialen Anknüpfungspunkte in Khartum verfüge und aufgrund der mittlerweile in Khartum eingetroffenen Flüchtlinge aus dem Südsudan mit Versorgungsengpässen zu rechnen sei. Das BVwG habe auch selbst
festgestellt, dass "Menschen aus Konfliktregionen ... bei einer
Ansiedlung in Khartum mit Problemen rechnen müssen". Obwohl das Studium des Revisionswerbers bereits mehr als 10 Jahre zurückliege und auch erst nach dem Abschluss seines Studiums der Krieg in Blue Nile State ausgebrochen sei, gehe das BVwG ohne auf die von ihm selbst getroffenen Feststellungen über die Lage von Menschen aus Konfliktregionen sowie die mittlerweile in Khartum eingetroffenen Flüchtlingsströme einzugehen davon aus, dass dem Revisionswerber eine Wiederansiedlung in der Gegend um Khartum möglich sei. Die vom BVwG verwendeten Länderberichte aus den Jahren 2013 bis 2015 seien zum Teil veraltet, weil etwa die mittlerweile in Khartum eingetroffenen Flüchtlingsströme aus dem Südsudan keinerlei Erwähnung fänden. Die Versorgungslage in und um Khartum habe sich maßgeblich verschlechtert. Es treffe auch nicht zu, dass der Revisionswerber den Feststellungen zur Lage im Sudan nicht substantiiert entgegen getreten sei. In diesem Zusammenhang verweist die Revision auf Unterlagen, die der Revisionswerber im Verfahren vor dem BVwG vorgelegt hat.
6 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Die Revision ist teilweise zulässig und auch teilweise
begründet.
Zu I.:
8 Soweit die Revision sich gegen die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten wendet, vermag sie das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG für eine zulässige Revision nicht darzulegen. Entgegen dem Revisionsvorbringen hat das BVwG dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers nicht mit bloßen Textbausteinen, sondern in einer vertretbaren, auf die Umstände des Einzelfalles Bedacht nehmenden Beweiswürdigung den Glauben versagt. Die Verletzung eines tragenden und damit revisiblen Verfahrensgrundsatzes wird von der Revision somit nicht aufgezeigt.
Zu II.:
9 Berechtigung kommt der Revision insoweit zu, als sie im Ergebnis zutreffend darauf verweist, dass das BVwG die möglichen Gründe für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten an den Revisionswerber nicht ausreichend geprüft hat.
10 Die Begründung des Erkenntnisses, wonach eine Rückkehr des Revisionswerbers in die Heimatregion Blue Nile State "schwer zumutbar" sei, deutet - bei aller Ungenauigkeit dieser Formulierung - darauf hin, dass das BVwG von Verhältnissen in der Heimatregion auszugehen scheint, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Zuerkennung von subsidiärem Schutz rechtfertigen könnten.
11 Das BVwG geht im Folgenden aber offenbar davon aus, dass dem Revisionswerber eine inländische Fluchtalternative "in der Region rund um Khartum" offen stünde, ohne diese Einschätzung am Maßstab der hg. Rechtsprechung hinreichend zu begründen (vgl. zum Erfordernis ausreichender und konkreter Feststellungen zur Lage im Gebiet der inländischen Fluchtalternative etwa VwGH 29.4.2015, Ra 2014/20/0151, und 7.3.2018, Ra 2018/18/0103, u.a.).
12 In diesem Zusammenhang stützt sich das BVwG - wie die Revision zutreffend anführt - auf Länderberichte zur Lage im Sudan, die aus den Jahren 2013 bis 2015 stammen und politische Ereignisse im Herkunftsstaat des Revisionswerbers, die sich danach (bis zum Zeitpunkt der getroffenen Entscheidung im März 2018) ereignet haben, außer Acht lassen. Diesbezüglich erweist sich die Annahme des BVwG, der Revisionswerber sei den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat nicht substantiiert entgegen getreten, nach dem Akteninhalt als unrichtig. So wies der Revisionswerber etwa in seiner Stellungnahme vom 25. Jänner 2018 an das BVwG unter Berufung auf Berichte aus dem Jahr 2017 auf die "katastrophale Sicherheitslage und seine fehlende Existenzmöglichkeit im Falle einer Rückkehr" hin. Ungeachtet dessen war das BVwG nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gehalten, seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben (vgl. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0078, u.a.).
13 Schon deshalb vermögen die Erwägungen des BVwG zum Vorhandensein einer inländischen Fluchtalternative nicht zu überzeugen und werden der Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, eine ganzheitliche Bewertung der möglichen Gefahren, die der Revisionswerber bei Rückkehr in den Sudan zu erwarten hat, nicht gerecht. Eine konkrete Auseinandersetzung mit der tatsächlich vorzufindenden Rückkehrsituation lässt die Entscheidung des BVwG vermissen.
14 Das angefochtene Erkenntnis war daher in Bezug auf die Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz und die darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat aufzuheben, in Bezug auf die Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten hingegen gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 4. Oktober 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180165.L00.1Im RIS seit
30.10.2018Zuletzt aktualisiert am
16.11.2018