TE Vwgh Beschluss 2018/10/4 Ra 2017/22/0056

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Veröffentlicht am 04.10.2018
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Index

E1P;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

12010P/TXT Grundrechte Charta Art24 Abs2;
ABGB §6;
B-VG Art133 Abs4;
FrG 1997 §28 Abs2;
NAG 2005 §23 Abs4 idF 2015/I/070;
NAG 2005 §46 Abs1 Z2;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, in der Revisionssache des mj. D E E in W, vertreten durch Mag. Ronald Geppl, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Josefstädter Straße 34/18, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 17. März 2017, VGW-151/004/15721/2016- 1, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde des Revisionswerbers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 20. Oktober 2016, mit dem sein Erstantrag vom 9. August 2016 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) wegen unzulässiger Inlandsantragstellung nach § 21 Abs. 1 und 3 NAG abgewiesen worden war, keine Folge.

Das Verwaltungsgericht begründete die Entscheidung im Wesentlichen damit, der Revisionswerber könne ein Aufenthaltsrecht weder von seiner Mutter noch von seinem Vater, beide nigerianische Staatsangehörige, ableiten. Einer Ableitung von der Mutter (die mit einem griechischen Staatsangehörigen verheiratet sei, über eine griechische Aufenthaltsbewilligung verfüge, im Jahr 2013 nach Österreich eingereist sei, sich seitdem hier aufhalte und ihren Aufenthalt nie legalisiert habe) stehe entgegen, dass diese über keinen Aufenthaltstitel in Österreich verfüge und daher die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 NAG nicht erfülle. Einer Ableitung vom Vater (der sich auf Grund eines gültigen Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" rechtmäßig in Österreich aufhalte) stehe entgegen, dass diesem - entgegen der Regelung des § 23 Abs. 4 NAG - die Pflege und Erziehung nicht allein zukomme, sondern beide Elternteile gemeinsam mit der Obsorge betraut seien. Die Bestimmung des § 23 Abs. 4 NAG begegne auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, sodass der Antrag im Ergebnis zu Recht abgewiesen worden sei.

2.2. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht zulässig sei.

3.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, in der - unter dem Gesichtspunkt eines Fehlens von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bzw. eines Abweichens von einer solchen Rechtsprechung - zur Zulässigkeit der Anfechtung zusammengefasst im Wesentlichen ausgeführt wird, das Verwaltungsgericht habe die Bestimmung des § 23 Abs. 4 NAG unrichtig ausgelegt. Nach dem über den Wortlaut der Bestimmung hinausgehenden Willen des Gesetzgebers müsse eine von den Grundsätzen des Art. 8 EMRK und Art. 24 Abs. 2 GRC geleitete verfassungskonforme Auslegung und Interessenabwägung zur Vermeidung einer Diskriminierung ergeben, dass ein Kind selbst bei gemeinsamer Obsorge der Eltern sein Aufenthaltsrecht grundsätzlich nach fallbezogener Abwägung auch vom Vater ableiten könne.

3.2. Mit diesem Vorbringen zeigt der Revisionswerber jedoch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf.

4.1. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, ist bei der Auslegung von Gesetzen in erster Linie vom Gesetzeswortlaut auszugehen (vgl. VwGH 5.9.2008, 2005/12/0029). Ein im Rahmen einer Interpretation nach dem (vermuteten) Willen des Gesetzgebers gewonnenes Auslegungsergebnis hat hinter die aus dem klaren und eindeutigen Wortlaut gewonnene Lösung zurückzutreten (vgl. VwGH 28.9.2016, Ro 2016/16/0015).

4.2. Laut der - im Entscheidungszeitpunkt noch maßgeblichen (siehe aber BGBl. I Nr. 145/2017) - Bestimmung des § 23 Abs. 4 NAG richteten sich beim Erstantrag eines Kindes die Art und Dauer des Aufenthaltstitels nach jenem der Mutter oder eines anderen Fremden, sofern diesem die Pflege und Erziehung zukommt, bei Ableitung vom Vater aber nur dann, wenn diesem aus einem anderen Grund als wegen Verzicht der Mutter allein das Recht zur Pflege und Erziehung zukommt (vgl. auch VwGH 10.12.2008, 2008/22/0886).

Wie aus dem klaren und eindeutigen Wortlaut der hier noch anzuwendenden Bestimmung des § 23 Abs. 4 NAG hervorgeht, ist die Ableitung des Aufenthaltstitels eines Kindes vom Vater nur dann möglich, wenn diesem die Pflege und Erziehung allein zukommt und der Grund hierfür nicht in einem Verzicht der Mutter liegt. Auch aus den Materialien zum NAG ist kein anderer Wille des Gesetzgebers abzuleiten (vgl. ErläutRV 952 BlgNR 22. GP 129 f). Ebenso hat der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt, dass die Ausnahmebestimmung des § 23 Abs. 4 NAG nicht zum Tragen kommt, wenn - wie hier - dem in Österreich niedergelassenen Vater die Pflege und Erziehung nicht allein zukommt (vgl. etwa VwGH 31.5.2017, Ra 2017/22/0015, mwN).

Davon ausgehend kommt eine - vom Revisionswerber reklamierte -

Auslegung der Bestimmung des § 23 Abs. 4 NAG nach einem vermeintlich über den Wortlaut hinausgehenden Willen des Gesetzgebers jedenfalls nicht in Betracht. Der Revisionswerber verkennt, dass es nicht Aufgabe der Rechtsprechung ist, im Wege der Interpretation allenfalls als unbefriedigend angesehene Gesetzesbestimmungen zu ändern (vgl. VwGH 15.9.2009, 2009/11/0087).

4.3. Diesem Ergebnis steht die erst mit BGBl. I Nr. 145/2017 eingetretene Änderung der Rechtslage nicht entgegen.

5.1. Soweit der Revisionswerber mit Blick auf die Art. 8 EMRK und Art. 24 Abs. 2 GRC eine verfassungskonforme Auslegung und Interessenabwägung dahin einfordert, dass ein Kind auch bei gemeinsamer Obsorge der Eltern sein Aufenthaltsrecht vom Vater müsse ableiten können, ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof die bereits wiederholt an ihn herangetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bestimmung des § 23 Abs. 4 NAG bzw. gegen die vorangehende (soweit hier von Bedeutung gleichlautende) Bestimmung des § 28 Abs. 2 Fremdengesetz (FrG) 1997 nicht geteilt hat (vgl. etwa VwGH 5.9.2006, 2006/18/0243; 20.6.2002, 2002/18/0094, mit Hinweis auch auf VfGH 8.3.2000, G1/00, VfSlg. 15755, sowie die Materialien zur Novelle des § 28 Abs. 2 FrG 1997 durch BGBl. I Nr. 34/2000). Der Verwaltungsgerichtshof hat dabei auch festgehalten, dass die Art. 8 und 14 EMRK es nicht gebieten, den Familiennachzug zum Vater in jenen Fällen zu erleichtern, in denen sich die Mutter im Zeitpunkt der Geburt des Kindes bloß auf Grund einer vorübergehenden und kein Niederlassungsrecht umfassenden Berechtigung im Bundesgebiet aufhält (vgl. VwGH 18.5.2006, 2005/18/0711).

5.2. Der aufgezeigten Rechtsprechung steht auch das unionsrechtliche Grundrecht des Kindeswohls nach Art. 24 Abs. 2 GRC nicht entgegen. Der Revisionswerber hat auch nicht vorgebracht und es ist nicht ersichtlich, dass fallbezogen die Anknüpfung seiner fremdenrechtlichen Stellung an jene der Mutter weniger im Interesse des Kindeswohls gelegen wäre, als die von ihm gewünschte Anknüpfung an die fremdenrechtliche Stellung des Vaters.

6. Insgesamt wird daher in der Zulassungsbegründung keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 4. Oktober 2018

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017220056.L00

Im RIS seit

31.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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