TE Vwgh Erkenntnis 2018/10/2 Ra 2017/08/0090

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Veröffentlicht am 02.10.2018
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §111 Abs1 Z1;
ASVG §33 Abs1;
ASVG §4 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des E C E in W, vertreten durch die Schmidtmayr Sorgo Wanke Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Ledererhof 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 27. Februar 2017, LVwG-S-160/001-2016, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Bezirkshauptmannschaft Mödling), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 14. Dezember 2015 wurde der Revisionswerber schuldig erkannt, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als das gemäß § 9 VStG zur Vertretung nach außen berufene Organ der P-M GmbH zu verantworten, dass es diese Gesellschaft als Dienstgeberin unterlassen habe, dreizehn namentlich genannte nach dem ASVG in der Krankenversicherung pflichtversicherte Personen, die im Zeitpunkt einer Kontrolle der Finanzpolizei am 13. Februar 2014 beschäftigt gewesen seien, vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden. Über den Revisionswerber wurden gemäß § 33 Abs. 1 iVm. § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG dreizehn Geldstrafen in Höhen zwischen EUR 1000,-- und EUR 2000,-- verhängt.

2 In seiner gegen dieses Straferkenntnis gerichteten Beschwerde brachte der Revisionswerber unter anderem und zusammengefasst vor, Verletzungen der Meldepflichten im Sinn des § 33 Abs. 1 ASVG seien nicht vorgelegen. Die Bezirkshauptmannschaft Mödling sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die von der P-M GmbH beauftragten "Regalbetreuer", die insbesondere keine persönliche Arbeitspflicht getroffen habe, Dienstnehmer im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG gewesen wären. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Innehabung eines Gewerbescheines durch die "Regalbetreuer" und die daraus folgende Pflichtversicherung nach dem GSVG eine Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 4 ASVG ausschließe. Die Gebietskrankenkasse habe zuvor bei mehreren Überprüfungen das Vorliegen selbständiger Tätigkeiten nicht beanstandet. Der Revisionswerber habe sich auf die Richtigkeit dieser ihm mitgeteilten Rechtsansicht verlassen können, zumal die - vom Revisionswerber näher dargestellte - Tätigkeit der "Regalbetreuer" weiterhin der entsprochen habe, die von der Gebietskrankenkasse in Prüfung gezogen worden sei.

3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 In seiner Begründung gab das Verwaltungsgericht den Verfahrensgang und das wesentliche Vorbringen der Parteien in geraffter Form wieder und führte in der Folge aus, der Beschwerde komme keine Berechtigung zu. Unter Berücksichtigung des gesamten Akteninhaltes stehe fest, dass die im Straferkenntnis genannten Personen ("Regalbetreuer") "rechtlich als Dienstnehmer" zu qualifizieren seien. Die P-M GmbH sei ihrer Pflicht als Dienstgeberin zur Anmeldung dieser Beschäftigten vor Arbeitsbeginn beim örtlich zuständigen Krankenversicherungsträger - der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse - nicht nachgekommen.

5 Im Weiteren zitierte das Verwaltungsgericht den Wortlaut des § 4 Abs. 2 ASVG und führte aus, dass die "von dieser Entscheidung erfassten Personen als Regalbetreuer nicht unternehmerisch am Markt auftreten und über keine nennenswerten Betriebsmittel verfügen". Fest stehe, "dass die Preiskalkulation und die Durchläufräume des Unternehmens P(...) in strikter zeitlicher und monetärer Vorgabe festgelegt werden". Es liege ein "Umgehungskonstrukt" vor, um die Dienstnehmereigenschaft dieser Personen zu verschleiern. Das "Beweisverfahren" sei so "zu werten", dass "in der Realität des täglichen Arbeitslebens" eine Vertretung der "Regalbetreuer" nicht stattfinde bzw. in Hinblick auf die "erforderliche umfangreiche Einschulung" die eigenständige Wahl einer "Vertretung durch fremde Personen realitätsfremd, ja beinahe denkunmöglich ist". Die Tätigkeit der "Regalbetreuer" sei jedenfalls als Dauerschuldverhältnis und daher nicht als Werkvertrag anzusehen. Vom "Vorliegen einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung" sei "nicht auszugehen", da "fixe Touren" vorgegeben gewesen seien. Es bestehe "faktisch die Gebundenheit der spruchgenannten Regalbetreuer in Bezug auf Arbeitsort, Arbeitszeit und arbeitsbezogenes Verhalten". In Hinblick auf die "geringe Qualifikation" sei im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Fehlen eines eigenen selbstverantwortlichen Entscheidungsbereiches "auszugehen", sodass das Fehlen von Weisungen in Bezug auf das Arbeitsverfahren für sich genommen nicht gegen die Annahme einer Beschäftigung in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit spreche. Für die P-M GmbH bestünden "Kontrollmöglichkeiten". Die "Regalbetreuer" seien "nach dem Gesamtbild" im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes "in einer Weise in die betriebliche Organisation eingebunden, dass ausdrückliche Weisungen und Kontrollen durch ¿stille Autorität' substituiert werden". Das Ergebnis der Prüfung der Gebietskrankenkasse hinsichtlich der rechtlichen Stellung der "Regalbetreuer" habe für das vorliegende Verfahren keine Bindungswirkung.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, erwogen:

7 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner Revision unter anderem vor, das Verwaltungsgericht habe seine Pflicht zur Begründung seiner Entscheidung verletzt. Das Erkenntnis enthalte keine Feststellungen und keine Beweiswürdigung. Es sei nicht zu erkennen, welchen Sachverhalt das Verwaltungsgericht seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt habe. Dadurch werde eine Überprüfung der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung verunmöglicht. Auch habe keine Auseinandersetzung mit dem Verschulden des Revisionswerbers unter Berücksichtigung des im Verfahren erstatteten Vorbringens, wonach die Gebietskrankenkasse das Vorliegen selbständiger Tätigkeiten bestätigt habe, stattgefunden.

8 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

9 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Anforderungen an Form und Inhalt eines verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses, dass die Begründung der Entscheidung in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben, erfordert. Die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen sohin erstens in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, zweitens in der Beweiswürdigung und drittens in der rechtlichen Beurteilung. Lässt eine Entscheidung die Trennung dieser Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei oder die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, dann führt ein solcher Begründungsmangel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon aus diesem Grund (vgl. etwa VwGH 11.5.2018, Ra 2017/02/0247; 14.12.2017, Ra 2017/07/0089; sowie grundlegend VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076).

10 Diesen Anforderungen wird das angefochtene Erkenntnis in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. In der Begründung schließen unmittelbar an die Wiedergabe des Verfahrensganges rechtliche Erwägungen an. In diese eingeflochten wurde die bloß bruchstückhafte Angabe vereinzelter Tatsachen, von denen das Verwaltungsgericht erkennbar ausgeht. Insgesamt ist den Ausführungen des Verwaltungsgerichtes nicht zu entnehmen, welchen Sachverhalt es seiner Beurteilung, die für die P-M GmbH tätigen "Regalbetreuer" seien in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG tätig gewesen, zugrunde gelegt hat. Damit enthält das angefochtene Erkenntnis nicht bloß keine Trennung der einzelnen Elemente der Begründung, sondern - wie im Übrigen zuvor auch schon das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 14. Dezember 2015 - überhaupt keine tauglichen Tatsachenfeststellungen. Dem folgend fehlt auch eine Beweiswürdigung. Auf dieser Grundlage kann eine Überprüfung, ob das Verwaltungsgericht zu Recht vom Vorliegen von Dienstverhältnissen im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG (vgl. zu den maßgeblichen Kriterien unter vielen etwa VwGH 24.4.2014, 2013/08/0258; 1.10.2015, Ro 2015/08/0020) und damit Meldepflichten nach § 33 Abs. 1 ASVG ausgegangen ist, nicht erfolgen. Die Entscheidung entzieht sich daher einer nachprüfenden Kontrolle.

11 Es entspricht im Übrigen der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das Verwaltungsgericht die Pflicht hat, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. etwa VwGH 27.7.2017, Ro 2017/07/0016; 11.4.2018, Ra 2017/08/0124, jeweils mwN).

12 Im vorliegenden Fall wäre daher das Verwaltungsgericht - nach Bejahung objektiv bestehender Meldepflichten im Sinn des § 33 Abs. 1 ASVG - verpflichtet gewesen, sich in der Folge auch mit dem Vorbringen des Revisionswerbers auseinanderzusetzen, er habe sich hinsichtlich der Unterlassung von Meldungen auf eine ihm - nach seinen Ausführungen auf korrekter und vollständiger Sachverhaltsgrundlage - erteilte Rechtsauskunft der Gebietskrankenkasse verlassen können, wonach von den "Regalbetreuern" selbständige Tätigkeiten verrichtet würden. Erst auf der Grundlage zu diesem Vorbringen getroffener Feststellungen kann eine Beurteilung des Verschuldens des Revisionswerbers erfolgen (vgl. zu den in der Rechtsprechung zur Erkundigungspflicht des Meldepflichtigen entwickelten Grundsätzen etwa VwGH 2.9.2015, Ra 2015/08/0073, 0075; 20.6.2018, Ra 2017/08/0012, mwN; vgl. im Übrigen dazu, dass durch eine bloße "Nichtbeanstandung" die Erkundigungspflicht noch nicht aufgehoben wird, VwGH 24.7.2018, Ra 2018/08/0184, mwN).

13 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am 2. Oktober 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017080090.L00

Im RIS seit

25.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

15.01.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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