Entscheidungsdatum
02.10.2018Index
L92009 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung WienNorm
WMG §7 Abs2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Mag. Zotter in der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 05.09.2018 über die Beschwerde des Herrn A. B., vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, vom 08.03.2018, Zl. ..., in einer Angelegenheit des Wiener Mindestsicherungsgesetzes (WMG) nach Entscheidung eines Landesrechtspflegers und einer dagegen erhobenen Vorstellung, zu Recht erkannt:
I.
Der Beschwerde wird insoweit Folge gegeben als dem Beschwerdeführer für März 2018 Bedarfsorientierte Mindestsicherung von 308,08 Euro, für April 2018, Juni 2018, August 2018, September 2018, November 2018, Jänner 2019 und Februar 2019 von 248,62 Euro monatlich und für Mai 2018, Juli 2018, Oktober 2018 und Dezember 2018 von 268,44 Euro monatlich gebührt.
II.
Gegen diese Entscheidung ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Entscheidungsgründe
Mit dem angefochtenen Bescheid hat der Magistrat der Stadt Wien dem nunmehrigen Beschwerdeführer für den Zeitraum 1.3.2018 bis 28.2.2019 eine Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und einen Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs nach dem Wiener Mindestsicherungsgesetz zuerkannt. Die Leistung wurde mit monatlich 32,86 Euro bzw. 52,68 Euro bemessen. Der Berechnung wurde zugrunde gelegt, dass der Beschwerdeführer verheiratet ist und wurde für die Bemessung der Mindeststandard für Ehepaare herangezogen, obwohl davon ausgegangen wurde, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers mit ihm nicht im gemeinsamen Haushalt lebt. Als anrechenbares Einkommen wurden 19,82 Euro täglich an Notstandshilfe berücksichtigt.
Die dagegen erhobene Beschwerde, in der geltend gemacht wurde, dass der Beschwerdeführer von seiner Ehepartnerin getrennt lebe und daher ein höherer Mindeststandard heranzuziehen sei, hat das Verwaltungsgericht Wien mit Erkenntnis eines Landesrechtspflegers vom 1.6.2018 als unbegründet abgewiesen.
In der dagegen erhobenen Vorstellung wird vorgebracht, die Ehegattin des Beschwerdeführers lebe in Bosnien lebe und sei der Beschwerdeführer in Österreich alleine aufhältig. Der Beschwerdeführer sei für seine Ehegattin in Bosnien unterhaltspflichtig. Deshalb sei nicht der Mindeststandard für Ehepaare heranzuziehen. So werde nämlich der in Österreich allein lebende Beschwerdeführer fälschlicherweise so eingestuft, als ob seine Ehegattin ebenfalls Mindestsicherung bekommen würde. Dabei handle es sich um eine denkunmögliche Gesetzesanwendung, da der Beschwerdeführer alleine in Österreich lebe, müsse er jedenfalls so viel an Mindestsicherung erhalten wie eine alleinstehende Person und sei deshalb der Mindeststandard für einen Alleinstehenden anzuwenden.
Aufgrund des in der Vorstellung gestellten Antrages hat das Verwaltungsgericht Wien eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, an der weder der Beschwerdeführer noch ein Vertreter der belangten Behörde teilgenommen haben.
Aus dem Akteninhalt folgt nachstehender Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer, ein bosnischer Staatsangehöriger mit Recht auf Daueraufenthalt, bezieht seit zumindest März 2016 Bedarfsorientierte Mindestsicherung. Er ist verheiratet und lebt von seiner Ehegattin getrennt. Er ist arbeitslos und bezieht Notstandshilfe (bzw. im Zeitraum 20.01.2018 bis 4.4.2018 Krankengeld) in Höhe von täglich 19,82 Euro. Gegenüber seiner in Bosnien lebenden Ehefrau ist er unterhaltspflichtig, da diese über kein eigenes Einkommen verfügt. Die monatliche Miete beträgt 154 Euro. Er verfügt über kein verwertbares Vermögen.
Diese Feststellungen stützen sich auf die im Akt einliegenden Unterlagen (Einkommensnachweise, Meldedaten). Darunter befindet sich auch eine Erklärung der Ehefrau des Beschwerdeführers, wonach sie außer den Unterhaltsleistungen ihres Ehegatten in Höhe von 52 Euro monatlich über kein Einkommen verfügt. Die Tatsache, dass die Ehegatten getrennt leben, blieb im Verfahren unbestritten.
Rechtlich ergibt sich Folgendes:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Wiener Mindestsicherungsgesetzes (WMG) in der im Beschwerdefall anzuwendenden, ab 1.2.2018 geltenden Fassung lauten:
§ 4.
(1) Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung hat, wer
1. zum anspruchsberechtigten Personenkreis (§ 5 Abs. 1 und 2) gehört,
2. seinen Lebensmittelpunkt in Wien hat, sich tatsächlich in Wien aufhält und seinen Lebensunterhalt in Wien bestreiten muss,
3. die in § 3 definierten Bedarfe nicht durch den Einsatz seiner Arbeitskraft, mit eigenen Mitteln oder durch Leistungen Dritter abdecken kann,
4. einen Antrag stellt und am Verfahren und während des Bezuges von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung entsprechend mitwirkt.
§ 7 Abs. 2 Z 2
Die Zurechnung zu einer Bedarfsgemeinschaft erfolgt nach folgenden Kriterien:
…
2. Volljährige Personen, zwischen denen eine Ehe besteht oder volljährige Personen, zwischen denen eine eingetragene Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft besteht und die im gemeinsamen Haushalt leben, bilden eine eigene Bedarfsgemeinschaft, auch wenn sie mit einem Eltern- oder Großelternteil in der Wohnung leben.
§ 10 Abs. 4
Gesetzliche oder vertragliche und der Höhe nach bestimmte Ansprüche der Hilfe suchenden Person auf Leistungen, die der zumindest teilweisen Deckung der Bedarfe nach § 3 dienen, sind auch dann anzurechnen, wenn die Hilfe suchende Person diese nicht nachhaltig, auch behördlich (gerichtlich) verfolgt, sofern die Geltendmachung weder offenbar aussichtslos noch unzumutbar ist. Dies ist von der unterhaltsberechtigten Person oder ihrer gesetzlichen Vertretung glaubhaft zu machen
§ 7 Abs. 2 Z. 2 WMG in der bis 31.1.2018 geltenden Fassung lautete:
Die Zurechnung zu einer Bedarfsgemeinschaft erfolgt nach folgenden Kriterien:
….
2. Volljährige Personen im gemeinsamen Haushalt, zwischen denen eine unterhaltsrechtliche Beziehung oder eine Lebensgemeinschaft besteht, bilden eine Bedarfsgemeinschaft.
Auf Grund der §§ 7 Abs. 5, 8 Abs. 4, 9 Abs. 3, 11 Abs. 2 und 17 Abs. 3 des Gesetzes zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Wien (Wiener Mindestsicherungsgesetz – WMG), LGBl. für Wien Nr. 38/2010, zuletzt geändert durch das Gesetz LGBl. für Wien Nr. 29/2013, wurde verordnet:
Artikel I
§ 1.
Mindeststandards, Grundbeträge zur Deckung des Wohnbedarfs und Geringfügigkeitsgrenze
(1) Für volljährige Personen ab dem 25. Lebensjahr, die in einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 1 WMG leben (Alleinstehende) beträgt der Mindeststandard EUR 863,04.
Dieser enthält folgenden Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs:
a) für volljährige Personen, soweit sie nicht unter lit. b fallen EUR 215,76;
(3) Für volljährige Personen ab dem vollendeten 25. Lebensjahr, die mit anderen Personene in einer Ehe, eingetragenen Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft (Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z. 2 WMG) leben, beträgt der Mindeststandard EUR 647,28.
§ 2.
Mietbeihilfenobergrenzen
(1) Die Mietbeihilfenobergrenzen betragen:
1. bei 1 bis 2 Bewohnerinnen oder Bewohnern EUR 322,54;
(2) Die Mietbeihilfenobergrenzen beinhalten den jeweiligen Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs.
Vorweg ist festzustellen, dass der Gesetzeswortlaut des § 7 Abs. 2 Z. 2 WMG in der anzuwendenden Fassung im Hinblick auf die hier maßgebliche Rechtsfrage nicht eindeutig und daher interpretationsbedürftig ist, da die semantische Bedeutung des, zwischen „Volljährige Personen, zwischen denen eine Ehe besteht“ und „volljährige Personen, zwischen denen eine eingetragene Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft besteht“ eingefügten Wortes „oder“ im Zusammenhang mit der Wortfolge „und die im gemeinsamen Haushalt leben“ unklar ist.
Da das Gesetz bei eingetragenen Partnerschaften und Lebensgemeinschaften für das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft ausdrücklich das Leben im gemeinsamen Haushalt anordnet, ergäbe sich durch die Ungleichbehandlung von Eheleuten, bei denen dieses Kriterium nicht zur Anwendung gelangt, eine unsachliche Schlechterstellung. Ebenso wie bei Lebensgemeinschaften und eingetragenen Partnerschaften, bietet nur die gemeinsame Haushaltsführung Anlass für den, vom Gesetzgeber angenommenen Synergieeffekt, der den dadurch verringerten Grundbedarf rechtfertigt.
Dafür spricht auch, dass in der bis 31.1.2018 in Geltung gestandenen Fassung des Wiener Mindestsicherungsgesetzes die Zurechnung von Eheleuten zu einer Bedarfsgemeinschaft nur im Falle des gemeinsamen Haushaltes erfolgte. Hätte der Gesetzgeber die Absicht gehabt, durch die Einfügung des Wortes „oder“ zwischen “Volljährige Personen, zwischen denen eine Ehe besteht“ und „volljährige Personen, zwischen denen eine eingetragene Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft besteht“ eine derart gravierende inhaltliche Änderung vorzunehmen, hätte er dies nicht nur sprachlich deutlicher gefasst, sondern auch in den erläuternden Bemerkungen zur Novelle ausgeführt und begründet. Das ist allerdings nicht der Fall.
Die von der belangten Behörde gewählte Interpretation widerspräche auch dem Zweck des Wiener Mindestsicherungsgesetzes, wonach sich die Leistungen am Bedarf der jeweils Hilfsbedürftigen zu orientieren haben. Alleine durch eine aufrechte Ehe ohne gemeinsamen Haushalt ist kein geringerer Bedarf anzunehmen als bei Unverheirateten, zumal allfällige Unterhaltsansprüche zwischen den Ehegatten zu berücksichtigen sind.
Die von der belangten Behörde gewählte Interpretation hieße daher, dem Gesetz einen verfassungswidrigen Inhalt zu unterstellen.
Nach dem Gesagten ist im Beschwerdefall der Berechnung der Mindestsicherung der Mindeststandard für einen Alleinstehenden (§ 1 Abs. 1 WMG-VO; 863,04 Euro) zugrunde zu legen. Dies ergibt unter Berücksichtigung des anrechenbaren Einkommens aus Notstandshilfe die im Spruch des Erkenntnisses angeführten Ansprüche auf Mindestsicherung.
Aufgrund der getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruches gegenüber der getrennt lebenden Ehefrau aussichtslos ist, da diese über kein Einkommen verfügt und vielmehr der Beschwerdeführer ihr gegenüber unterhaltspflichtig ist.
Ein Anspruch auf eine über den Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfes hinausgehende Mietbeihilfe besteht nicht, da die Miete den Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfes nicht übersteigt.
Die ordentliche Revision gegen diese Entscheidung ist zulässig, da zu der herangezogenen Bestimmung des § 7 Abs. 2 Z 2 WMG, die erst ab 01.02.2018 in Geltung steht, keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes oder Verfassungsgerichtshofes besteht.
Schlagworte
Mindestsicherung; Bedarfsgemeinschaft; Ehe; Lebensgemeinschaft; eingetragene Partnerschaft; Gleichheitssatz; Sachlichkeit; gemeinsamer Haushalt; Bedarf des Hilfsbedürftigen; Interpretation, verfassungskonformeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.242.028.7509.2018.VORZuletzt aktualisiert am
24.10.2018