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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art139 Abs1 / AllgLeitsatz
Aufhebung der Flächenwidmungsplanänderung der Gemeinde Jochberg vom 09.07.92 mangels gesetzlicher Grundlage nach Aufhebung bzw Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Tir RaumOG 1994, jedoch nur im präjudiziellen Umfang infolge nicht auszuschließender, einer gänzlichen Aufhebung zuwiderlaufender Interessen der Parteien (vgl E v 28.11.96, G195/96 ua). Art140 Abs7 B-VG steht einer Aufhebung dieses Verordnungsteiles nicht entgegen, weil der Anlaßfall von der weiteren Anwendung des aufgehobenen Gesetzes ausgenommen ist, dem Anlaßfall all jene Fälle gleichzuhalten sind, die zu Beginn der mündlichen Verhandlung oder nichtöffentlichen Beratung in dem eine präjudizielle Gesetzesstelle betreffenden Gesetzesprüfungsverfahren bereits anhängig waren, und die Ausnahme des Anlaßfalles (und der gleichzuhaltenden Fälle) auch für die Prüfung der Gesetzmäßigkeit in solchen Fällen anwendbarer Verordnungen gilt. (Anlaßfall B3857/96, E v 30.09.97, Aufhebung des angefochtenen Bescheides).Spruch
Die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Jochberg vom 9. Juli 1992, mit der der Flächenwidmungsplan geändert wird, genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 22. Juli 1992, Zl. Ve1-546-216/61-2, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 29. Juli 1992 bis zum 13. August 1992, wird, soweit darin das Grundstück Gp 1335/6 des GB 82105 Jochberg als "Wohngebiet (Aufschließungsgebiet §12 Abs3)" ausgewiesen ist, als gesetzwidrig aufgehoben.
Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für Tirol verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B3857/96 eine Beschwerde anhängig, die sich gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung richtet, mit dem die Vorstellung der beschwerdeführenden Nachbarn gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde Jochberg als unbegründet abgewiesen wurde, mit dem der Bauwerberin die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage auf der Gp 1335/6, GB 82105 Jochberg, erteilt worden war.
Die Beschwerdeführer machen in ihrer - am 7. November 1996 beim Verfassungsgerichtshof eingelangten - Beschwerde geltend, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des Gesetzes vom 6. Juli 1993 über die Raumordnung in Tirol (Tiroler Raumordnungsgesetz 1994), LGBl. für Tirol 81/1993, idF der Kundmachungen LGBl. für Tirol 6/1995 und 68/1995 (im folgenden: TROG 1994), sowie eines darauf gestützten - gesetzwidrigen - Flächenwidmungsplanes in ihren Rechten verletzt worden zu sein.
2. Am 28. November 1996 begann die nichtöffentliche Beratung aus Anlaß bereits zu G195/96 ua. anhängiger Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren hinsichtlich des TROG 1994 und einiger darauf gegründeter Verordnungen. Das vorliegende Beschwerdeverfahren war zu diesem Zeitpunkt beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig (wie einleitend dargestellt: seit 7. November 1996). Mit Erkenntnis vom 28. November 1996 sprach der Verfassungsgerichtshof (ua.) aus, daß das TROG 1994 insoweit als verfassungswidrig aufgehoben wird, als ihm nicht durch die 1. Raumordnungsgesetz-Novelle, LGBl. für Tirol 4/1996, derogiert wurde, und daß das TROG 1994 insoweit verfassungswidrig war, als ihm durch die 1. Raumordnungsgesetz-Novelle, LGBl. für Tirol 4/1996, derogiert wurde (s. auch die Kundmachung im LGBl. für Tirol 3/1997).
II. Bei Behandlung der zu B3857/96 protokollierten Beschwerde sind - der Anregung des Beschwerdevorbringens folgend - beim Verfassungsgerichtshof Bedenken dahingehend entstanden, daß sich auch der dem bekämpften Bescheid zugrundeliegende Flächenwidmungsplan auf das aufgehobene bzw. als verfassungswidrig erkannte TROG 1994 stütze. Hiefür waren folgende Erwägungen maßgebend: Das TROG 1994
"ist zwar gemäß Art140 Abs7 B-VG auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände weiterhin anzuwenden, weil der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28. November 1996 nicht anderes ausgesprochen hat - und das scheint auch für die darauf gestützte Verordnung zu gelten; von dieser Wirkung sind nur Anlaßfälle des Gesetzesprüfungsverfahrens ausgenommen. Einem Anlaßfall sind jedoch - wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung seit VfSlg. 10067/1984 und 10616/1985 erkennt - all jene Fälle gleichzuhalten, die zu Beginn des eine präjudizielle Gesetzesstelle betreffenden Gesetzesprüfungsverfahrens bereits (wie hier: seit dem 7. November 1996) anhängig waren, wobei der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung und bei deren Unterbleiben der Beginn der nichtöffentlichen Beratung maßgebend ist.
Daß der angefochtene Bescheid im vorliegenden Fall nicht unmittelbar auf dem aufgehobenen bzw. als verfassungswidrig erkannten Gesetz, sondern auf einer Verordnung beruht, die nicht Gegenstand eines Normenprüfungsverfahrens im Zusammenhang mit den Verfahren G195/96 ua. war, sich aber andererseits auf das aufgehobene bzw. als verfassungswidrig erkannte Gesetz stützt, scheint dem nicht im Weg zu stehen. Der Verfassungsgerichtshof geht wie schon zu VfSlg. 13010/1992 vorläufig davon aus, daß die Anlaßfallwirkung auch für die Prüfung der Gesetzmäßigkeit in solchen Fällen anwendbarer Verordnungen gilt. Auch insoweit darf es nicht von den Zufälligkeiten des Geschäftsganges im Gerichtshof abhängen, ob ein Verordnungsprüfungsverfahren tatsächlich (mit) Anlaß des durchgeführten Gesetzesprüfungsverfahrens geworden ist, wenn es nur wegen Anhängigkeit weiterer Beschwerdeverfahren im Stichzeitpunkt gleichzeitig hätte anhängig gemacht werden können. Auch für ein solches Verfahren scheint die Anwendbarkeit des aufgehobenen Gesetzes beseitigt zu sein.
Geht man von dieser Annahme aus, so scheinen gegen die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnungsstelle dieselben Bedenken zu bestehen, die zur Feststellung der Gesetzwidrigkeit etwa der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Schönberg in Tirol vom 5. Dezember 1983, Zl. 031-2/1984, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 29. Mai 1984 bis 13. Juni 1984, soweit darin die GP 137 als Tourismusgebiet ausgewiesen ist, geführt haben: Auch sie ist auf das TROG 1994 gestützt und hat mit dessen Aufhebung bzw. mit der Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit ihre Grundlage verloren."
3. Die Tiroler Landesregierung legte die Verwaltungsakten vor, sah jedoch von der Erstattung einer Äußerung ab. Der Gemeinderat der Gemeinde Jochberg machte von der ihm eingeräumten Äußerungsmöglichkeit keinen Gebrauch.
III. 1. Das Verordnungsprüfungsverfahren ist zulässig; es ist nichts hervorgekommen, was gegen die Zulässigkeit der Anlaßbeschwerde oder die Präjudizialität des in Prüfung gezogenen Teiles des Flächenwidmungsplanes Jochberg sprechen würde.
2. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshof sind auch begründet.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist die inhaltliche Gesetzmäßigkeit von Verordnungen bezogen auf jenen Zeitpunkt zu prüfen, in dem sie angewendet wurden oder anzuwenden waren (VfSlg. 12755/1991 mwH). Im vorliegenden Fall ist die in Prüfung gezogene Verordnung daher an jener Rechtslage zu messen, von der die belangte Behörde bei Erlassung des angefochtenen Vorstellungsbescheides auszugehen hatte; es ist dies die Rechtslage am Tage der Zustellung der letztinstanzlichen Gemeindebescheide.
Die dem Verordnungsprüfungsverfahren zugrundeliegende Beschwerde richtet sich zwar gegen einen Bescheid der Gemeinde Jochberg, der nach Inkrafttreten der 1. Raumordnungsgesetz-Novelle (nämlich am 11. März 1996) ergangen ist, doch bezieht der in Prüfung gezogene Teil des Flächenwidmungsplanes Jochberg seine (Weiter-)Geltung im wesentlichen aus den Absätzen 1 und 3 des §109 TROG 1994, die von der 1. Raumordnungsgesetz-Novelle nicht betroffen waren. Somit ist Maßstab für die inhaltliche Gesetzmäßigkeit der - teilweise - in Prüfung gezogenen Verordnung (auch) das TROG 1994.
Mit der Aufhebung des TROG 1994 bzw. mit der Feststellung, daß dieses Gesetz verfassungswidrig war, hat der in Prüfung gezogene Teil des Flächenwidmungsplanes Jochberg seine Grundlage verloren. Wie im Prüfungsbeschluß näher dargelegt, steht Art140 Abs7 B-VG einer Aufhebung dieses Verordnungsteiles nicht entgegen, weil der Anlaßfall von der weiteren Anwendung des aufgehobenen Gesetzes ausgenommen ist, dem Anlaßfall all jene Fälle gleichzuhalten sind, die zu Beginn der mündlichen Verhandlung oder nichtöffentlichen Beratung in dem eine präjudizielle Gesetzesstelle betreffenden Gesetzesprüfungsverfahren bereits anhängig waren, und die Ausnahme des Anlaßfalles (und der gleichzuhaltenden Fälle) auch für die Prüfung der Gesetzmäßigkeit in solchen Fällen anwendbarer Verordnungen gilt. Denn es würde sonst in der Tat wieder allein von Umständen im Bereich des Gerichtshofes abhängen, ob ein Beschwerdefall Anlaßfall von Normenprüfungsverfahren wird. Die in VfSlg. 10067/1984 ins Treffen geführten Gründe schlagen auch hier durch.
Es trifft daher das vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluß geäußerte Bedenken zu, daß die genannte Verordnung aufgrund eines verfassungswidrigen Gesetzes erlassen wurde.
Da im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen ist, daß die gänzliche Aufhebung der Verordnung den rechtlichen Interessen der Parteien zuwiderläuft (Art139 Abs3, letzter Satz, B-VG), war die in Prüfung genommene Verordnung nur im präjudiziellen Umfang aufzuheben (vgl. VfGH 28.11.1996, G195/96 ua.).
3. Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur Kundmachung dieses Ausspruches stützt sich auf Art139 Abs5, erster Satz, B-VG.
IV. Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, hat der Gerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs4 VerfGG).
Schlagworte
VfGH / Prüfungsmaßstab, VfGH / Anlaßfall, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Feststellung Wirkung, VfGH / Prüfungszeitpunkt, VfGH / Verwerfungsumfang, Raumordnung, FlächenwidmungsplanEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1997:V79.1997Dokumentnummer
JFT_10029070_97V00079_00