TE Lvwg Erkenntnis 2018/10/17 LVwG-AV-635/001-2018

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Veröffentlicht am 17.10.2018
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Entscheidungsdatum

17.10.2018

Norm

NAG 2005 §41a Abs10
NAGDV 2005 §9 Abs7
ABGB §184

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch seinen Richter Dr. Marvin Novak, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von mj. Frau A, vertreten durch die Pflegemutter Frau B, ***, ***, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Zwettl vom 5. Juni 2018, Zl. ***, zu Recht:

1.   Der Beschwerde wird stattgegeben, der angefochtene Bescheid wird behoben und es wird der Beschwerdeführerin die beantragte Verlängerung ihres Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ gemäß § 41a Abs. 10 iVm § 8 Abs. 1 Z 2 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, (NAG) für die Dauer von zwölf Monaten, beginnend mit 19. Mai 2018, erteilt.

2.   Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision zulässig.

Weitere Rechtsgrundlagen:

ad 1.:    § 28 Abs. 1 und 2 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG)

ad 2.:    § 25a des Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG)

         Art. 133 Abs. 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG)

Entscheidungsgründe:

1.   Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren:

1.1. Die nunmehrige Beschwerdeführerin, mj. Frau A, eine Staatsangehörige der Republik Ruanda, beantragte am 4. April 2018 durch ihre Pflegemutter als gesetzliche Vertreterin die Verlängerung ihres Aufenthaltstitels
„Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ (§ 41a Abs. 10 NAG).

1.2. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Zwettl vom 5. Juni 2018 wurde dieser Antrag abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass ein Gerichtsbeschluss bzw. eine Vereinbarung zwischen den leiblichen Eltern und dem Jugendwohlfahrtsträger nicht vorgelegt worden sei und dass somit zwingende rechtliche Voraussetzungen nicht erfüllt seien.

1.3. In der dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde wird im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Die Beschwerdeführerin leide an einer schweren chronischen Erkrankung und sie benötige umfangreiche medizinische Betreuung unter hygienischen Bedingungen: Tägliche Gabe von Spiegelmedikamenten, engmaschige Blutabnahmen, regelmäßige kinderärztliche Untersuchungen und Spitalskontrollen, regelmäßige Untersuchungen mit Ultraschall und MRT, Ergotherapie, Psychotherapie, regelmäßiger Verbandswechsel, Versorgung mit Inkontinenzeinlagen und Verbandsmaterial sowie mit speziell maßangefertigten Stützstrümpfen.

Die Abweisung des nunmehrigen Verlängerungsantrages könne eine Abschiebung in ihren Herkunftsstaat bedeuten, wo sie in einem Waisenhaus untergebracht würde. Auf Grund fehlender medizinischer Versorgung und mangelnder Hygiene könnte sich ihr Gesundheitszustand binnen kurzer Zeit lebensgefährlich verschlechtern bzw. könnte dies auch zum Tod führen. Auch ihr psychischer Zustand sei auf Grund von traumatischen Kindheitserlebnisses und der fortschreitenden Erkrankung derzeit besorgniserregend.

2.   Zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren:

2.1. Die eingebrachte Beschwerde samt Verwaltungsakt wurde von der belangten Behörde – ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung – dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zur Entscheidung vorgelegt.

2.2. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ersuchte die belangte Behörde in Folge um Stellungnahme, ob der Beschwerdeführerin aus Behördensicht die beantragte Verlängerung im Lichte des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. März 2017, Zl. ***, zur Pflegeelternschaft kraft Gesetzes zu bewilligen sei.

2.3. Mit Schreiben vom 12. September 2018 gab die Behörde dazu an, dass auch im Lichte dieses Erkenntnisses die Bewilligung nicht zu erteilen sei, weil einerseits die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben seien und andererseits der Aufenthalt und die Betreuung der Beschwerdeführerin von Anfang an nur vorübergehend beabsichtigt gewesen seien.

2.4. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich führte am 4. Oktober 2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. An dieser Verhandlung nahmen die Pflegemutter der Beschwerdeführerin sowie ein Vertreter der belangten Behörde teil.

Die Pflegemutter tätigte insbesondere Ausführungen zum schlechten Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin und zur familiären Situation. Vorgelegt wurde von ihr u.a. ein Arztbericht des *** vom 26. September 2018.

Seitens des Behördenvertreters wurde im Wesentlichen angegeben, dass die in § 41a Abs. 10 NAG normierten Voraussetzungen nicht erfüllt seien, weil es weder einen Gerichtsbeschluss noch eine Vereinbarung mit den leiblichen Eltern gebe. Mit dem im Behördenschreiben vom 12. September 2018 erfolgten Hinweis auf die Absicht zum vorübergehenden Aufenthalt sei von der Behörde kein Abweisungsgrund angesprochen worden.

2.5. Mit Schreiben vom 9. Oktober 2018 wurde seitens der belangten Behörde die Zustimmungserklärung der leiblichen Eltern nachgereicht.

3.   Feststellungen und Beweiswürdigung:

3.1. Feststellungen:

Die am *** geborene Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Republik Ruanda.

Sie reiste erstmals im August 2014 mit einem Schengenvisum nach Österreich ein und unterzog sich hier einer Tumoroperation. Im Jänner 2015 kehrte sie in ihren Herkunftsstaat zurück. Im März 2017 reiste sie abermals mit einem Visum nach Österreich ein, um hier erneut operiert zu werden. Ca. zwei Monate nach dieser Operation im Sommer 2017 wurde bei der Beschwerdeführerin erstmals eine schwere Bluterkrankung festgestellt und eine ausgedehnte Lymphangiomatose mit Exulzeration und Sekretion diagnostiziert.

Die Beschwerdeführerin erhält aktuell eine Sirolismustherapie (Spiegelmedikament). Es sind alle vier Wochen Blutspiegel-Kontrollen notwendig sowie regelmäßige Kontrollen beim Kinderarzt und im ***, fallweise auch mit Ultraschall und MRT. Regelmäßige Verbandswechsel, zum Teil stündlich, unter strengen hygienischen Bedingungen sind einzuhalten. Die Beschwerdeführerin benötigt eine Inkontinenzversorgung sowie eine Versorgung mit Stilleinlagen und speziellen Stützstrümpfen. Die Beschwerdeführerin steht zur Aufarbeitung ihrer Kindheitserlebnisse und wegen ihrer Erkrankung in Psychotherapie.

Die Nichteinhaltung der Therapie würde eine massive und lebensgefährliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin bewirken.

Die Beschwerdeführerin ist durch ihre unsichere aufenthaltsrechtliche Situation stark belastet und bezieht diese Problematik auf sich.

Organisiert wurden die Aufenthalte der Beschwerdeführerin in Österreich von C, einer pensionierten Kinderärztin, die in Ruanda ein ärztliches Hilfsprojekt ins Leben gerufen hat.

Die Beschwerdeführerin verfügt in ihrem Herkunftsstaat über ihre leiblichen Eltern, sie hat vor der Einreise nach Österreich allerdings in einem Waisenhaus gelebt und müsste dies auch im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat. Die Beschwerdeführerin verfügt über keine Verwandten in Österreich.

Die Beschwerdeführerin und ihre nunmehrigen Pflegeeltern haben sich noch vor der Operation der Beschwerdeführerin im Jahr 2017 kennengelernt.

Die Pflegeltern haben bei der Bezirkshauptmannschaft Zwettl in Folge um Bewilligung für ein privates Pflegeverhältnis ersucht, wobei diesem Pflegeverhältnis eine Zustimmung der leiblichen Eltern vom 9. Mai 2017 zu Grunde liegt („We […] allow […] to look after our daugther […] and organize der education and treatment as foster parents as long they stay together.“).

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Zwettl als Kinder- und Jugendhilfeträger vom 18. Mai 2017 wurde den Pflegeltern gemäß § 66 NÖ KJHG die Bewilligung erteilt, die Beschwerdeführerin in Pflege und Erziehung zu übernehmen, wobei in der Bescheidbegründung die Zustimmungserklärung der leiblichen Eltern und die Eignung der Pflegeeltern festgehalten wurde.

Die Beschwerdeführerin beantragte am 19. Mai 2017 durch ihre Pflegemutter als gesetzliche Vertreterin die erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ gemäß § 41a Abs. 10 NAG. Es wurde ihr daraufhin von der Bezirkshauptmannschaft Zwettl eine bis 18. Mai 2018 gültige Aufenthaltstitelkarte „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ ausgestellt.

Die Beschwerdeführerin beantragte am 4. April 2018 durch ihre Pflegemutter die verfahrensgegenständliche Verlängerung ihres Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“. Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Zwettl vom 5. Juni 2018 abgewiesen (s. Punkt 1.2. des dargelegten Verfahrensganges).

Der Pflegevater ist Vollzeit arbeitstätig, die Pflegemutter hat ihre Arbeit auf Grund der notwendigen intensiven Betreuung der Beschwerdeführerin gekündigt und ist inzwischen geringfügig beschäftigt. Die Beschwerdeführerin besucht in Österreich die Schule und sie ist in das Familienleben und den Alltag ihrer Pflegeeltern, die auch noch über vier leibliche Kinder verfügen, umfassend eingebunden. Gemäß der (glaubhaften und unbestrittenen) Auskunft der Pflegemutter besteht zur Beschwerdeführerin ein Verhältnis wie zwischen leiblichen Eltern und Kindern.

Gegen die Beschwerdeführerin besteht kein Einreise- oder Aufenthaltsverbot und es wurde gegen sie auch keine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Beschwerdeführerin verfügt über einen Reisepass mit einer Gültigkeit bis 19. Juni 2019. Eine Rückkehr in den Herkunftsstaat ist derzeit nicht beabsichtigt.

3.2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen beruhen – ebenso wie der dargelegte Verfahrensgang – auf der vorliegenden unbedenklichen und unstrittigen Aktenlage, insbesondere auf dem vorgelegten Arztbericht des *** vom 26. September 2018 sowie den glaubhaften und unwidersprochen gebliebenen Angaben der Pflegemutter in der durchgeführten Verhandlung.

4.   Maßgebliche Rechtslage:

4.1. § 41a Abs. 10 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, (NAG) lautet:

„Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“

§ 41a. […]

(10) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 bis 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, ein Aufenthaltstitel
‚Rot-Weiß-Rot – Karte plus‘ zu erteilen, wenn es sich um einen unbegleiteten minderjährigen Fremden handelt und sich der Minderjährige auf Grund eines

Gerichtsbeschlusses, kraft Gesetzes oder einer Vereinbarung der leiblichen Eltern mit dem Kinder- und Jugendhilfeträger zum Schutz des Kindeswohles nicht bloß vorübergehend in Obhut von Pflegeeltern oder des Kinder- und Jugendhilfeträgers befindet. Die Pflegeeltern gelten diesfalls als gesetzliche Vertreter im Sinne des § 19. Dieser Aufenthaltstitel ist gebührenfrei zu erteilen.“

4.2. § 9 Abs. 7 der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung, BGBl. II Nr. 451/2005 idgF, (NAG-DV) lautet:

„Weitere Urkunden und Nachweise für Aufenthaltstitel gemäß
§ 8 Abs. 1 Z 1 bis 3 NAG

§ 9. […]

(7) Zusätzlich zu den in § 7 genannten Urkunden und Nachweisen sind dem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ‚Rot-Weiß-Rot – Karte plus‘ gemäß § 41a Abs. 10 NAG ein Nachweis, dass sich der Minderjährige auf Grund eines Gerichtsbeschlusses, kraft Gesetzes oder einer Vereinbarung nicht bloß vorübergehend in der Obhut von Pflegeeltern oder des Kinder- und Jugendhilfeträgers befindet, anzuschließen.“

5.   Erwägungen des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich:

5.1. Zur beantragten Verlängerung des Aufenthaltstitels:

5.1.1. Die belangte Behörde stützte die Abweisung des Verlängerungsantrages der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ gemäß § 41a Abs. 10 NAG ausschließlich darauf, dass kein Gerichtsbeschluss bzw. keine Vereinbarung zwischen den leiblichen Eltern und dem Jugendwohlfahrtsträger vorgelegt worden sei.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

§ 41a Abs. 10 NAG sieht vor, dass sich der Minderjährige auf Grund eines Gerichtsbeschlusses, kraft Gesetzes oder einer Vereinbarung der leiblichen Eltern mit dem Kinder- und Jugendhilfeträger zum Schutz des Kindeswohles nicht bloß vorübergehend in Obhut von Pflegeeltern oder des Kinder- und Jugendhilfeträgers befindet.

Demgemäß verlangt auch § 9 Abs. 7 NAG-DV, dass dem Antrag ein Nachweis, dass sich der Minderjährige auf Grund eines Gerichtsbeschlusses, kraft Gesetzes oder einer Vereinbarung nicht bloß vorübergehend in der Obhut von Pflegeeltern oder des Kinder- und Jugendhilfeträgers befindet, anzuschließen ist.

Aus den Materialien zum Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz aus 2012 geht hervor, dass § 41a Abs. 10 NAG den Voraussetzungen nach dem früheren § 69a Abs. 1 Z 4 NAG entspricht und dass die schutzbedürftige Personengruppe der Minderjährigen im Anwendungsbereich des NAG verbleiben sollte (s. RV 1803 BlgNR 24. GP, S 77).

Die Materialien zum Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 führten zu § 69a Abs. 1 Z 4 NAG im Wesentlichen Folgendes aus (RV 303 BlgNR 24. GP, S 54):

„Die vorgeschlagene Änderung erweitert den Anwendungsbereich für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 69a und soll damit den Rechtsschutz im Sinne des ‚Kindeswohles‘ in jenen Fällen stärken, in denen entweder ein Fall eines unbegleiteten Minderjährigen (§ 2 Abs. 1 Z 17) vorliegt, oder auf Grund von Vorfällen in der Familie (z.B. Verwahrlosung oder Missbrauch) der weitere Verbleib des Kindes im Familienverband nicht mehr möglich ist. Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 69a ist in beiden Fällen, dass sich der Minderjährige entweder ex lege oder auf Grund einer formellen Jugendwohlfahrtsmaßnahme, sei es auf Grund eines Gerichtsbeschlusses oder einer Vereinbarung zwischen den leiblichen Eltern und dem Jugendwohlfahrtsträger, nicht bloß vorübergehend in der Obhut von Pflegeeltern oder des Jugendwohlfahrtsträgers befindet.“

Die Bestimmung des § 41a Abs. 10 NAG wurde mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 dahingehend geändert, dass die Z 2 dieser Bestimmung („2. für einen Minderjährigen ein Aufenthaltsrecht nicht gemäß § 23 Abs. 4 NAG abgeleitet werden kann“) fallen gelassen wurde. Dies wurde mit dem Entfall von § 23 Abs. 4 NAG – der seinem Inhalt nach festlegte, dass sich die Art und die Dauer des Aufenthaltstitels eines Kindes im Regelfall nach dem Aufenthaltstitel der Mutter richteten – der als nicht mehr den Bedürfnissen der Praxis entsprechend und nicht mehr zeitgemäß bezeichnet wurde, begründet (s. RV 1523 BlgNR 25. GP, S 9).

Dass mit dieser Gesetzesänderung eine maßgebliche Änderung des Gesetzestelos – der Wahrung des Kindeswohles im Falle eines unbegleiteten Minderjährigen – beabsichtigt gewesen wäre, lässt sich den Erläuterungen nicht entnehmen und es ist derartiges auch sonst nicht zu erkennen.

Die Beschwerdeführerin ist als vom Sinn und Zweck der genannten Bestimmung erfasste schutzwürdige Person anzusehen. Gerade in ihrem Falle spricht das Kindeswohl für die Verlängerung ihres – von der Behörde ursprünglich auch zuerkannten – Aufenthaltstitels, wobei durch die erfolgte bescheidmäßige Bewilligung des Pflegeverhältnisses durch die belangte Behörde als Kinder- und Jugendhilfeträger in Verbindung mit der Zustimmung der leiblichen Eltern zum Pflegeverhältnis auch eine formelle behördliche Jugendwohlfahrtsmaßnahme vorliegt, die aus Sicht des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich dem im Gesetz genannten Gerichtsbeschluss bzw. der Vereinbarung zwischen den leiblichen Eltern und dem Jugendwohlfahrtsträger gleichzuhalten ist, zumal jedenfalls für den vorliegenden Fall keine sachliche Rechtfertigung für eine gegenteilige Sichtweise zu erkennen ist.

Festzuhalten ist dazu, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine im österreichischen Bundesgebiet aufhältige minderjährige Drittstaatsangehörige handelt, die in Österreich über keine Verwandten verfügt und als unbegleitete minderjährige Fremde anzusehen ist. Sie leidet an einer schweren Erkrankung und ist auf umfassende medizinische Betreuung angewiesen, wobei die Nichteinhaltung der Therapie eine massive und lebensgefährliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes bewirken würde. Durch ihre unsichere aufenthaltsrechtliche Situation ist sie stark belastet und sie bezieht diese Problematik auf sich. Sie befindet sich nicht bloß vorübergehend in der Obhut von Pflegeeltern, in deren Familienleben und Alltag sie umfassend eingebunden ist, und es besteht gemäß der Auskunft der Pflegemutter ein Verhältnis wie zwischen leiblichen Eltern und Kindern (wohingegen sie im Herkunftsstaat in einem Waisenhaus lebte). Die Pflegeltern haben bei der belangten Behörde um Bewilligung für das Pflegeverhältnis ersucht, wobei diesem Pflegeverhältnis eine Zustimmung der leiblichen Eltern zu Grunde liegt, und es wurde den Pflegeltern mit Bescheid der Behörde als Kinder- und Jugendhilfeträger vom 18. Mai 2017 diese Bewilligung auch tatsächlich erteilt.

Darüber hinaus ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 41a Abs. 10 NAG und zur Pflegeelternschaft kraft Gesetzes zu verweisen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 21. März 2017, Zl. ***, ausgeführt, dass die Pflegeelternschaft nach § 184 ABGB kraft Gesetzes – auf die Art des Begründungsaktes oder die Rechtsgrundlage dafür kommt es nicht an – gegeben ist, wenn die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale, nämlich einerseits die tatsächliche (gänzliche oder teilweise) Besorgung der Pflege und Erziehung im Sinn einer rechtmäßigen und regelmäßigen Betreuung, andererseits die geforderte persönliche Beziehung im Sinn des Bestehens oder zumindest der Absicht zum Aufbau einer dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern vergleichbaren emotionalen Bindung vorliegen. Beide Begriffselemente setzen in der Regel eine weitgehende Eingliederung des Kindes in den Haushalt und Lebensablauf der Pflegeeltern voraus. Im Falle des Vorliegens dieser Voraussetzungen ist selbst einer allfälligen gerichtlichen Übertragung des Obsorgerechtes an ein Mitglied der Pflegefamilie keine weitere Bedeutung beizumessen (vgl. wiederum das genannte Erkenntnis sowie darauf Bezug nehmend auch etwa VG Wien 10.11.2017, Zl. VGW-151/023/12253/2017).

Im vorliegenden Fall werden die Tatbestandsmerkmale des § 184 ABGB erfüllt und es ist somit auch kraft Gesetzes eine Pflegeelternschaft gegeben.

Die Beschwerdeführerin erfüllt daher – zumal kein Einreise- oder Aufenthaltsverbot gegen sie besteht und auch keine Rückkehrentscheidung erlassen wurde – die Voraussetzungen für die Verlängerung des beantragten Aufenthaltstitels.

Eine gegenteilige Rechtsauffassung würde aus Sicht des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich dem Kindeswohl zuwiderlaufen, wobei nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes der verfassungsrechtliche Auftrag zur Wahrung des Kindeswohles im Rahmen der Gesetzesvollziehung besteht und das Kindeswohl auch eine Auslegungsleitlinie in der Rechtsordnung darstellt (vgl. VfSlg. 19.941/2014).

5.1.2. Der Beschwerde ist somit stattzugeben und es ist der Beschwerdeführerin die beantragte Verlängerung ihres Aufenthaltstitels in konstitutiver Weise zu erteilen (vgl. etwa VwGH 15.12.2015, Zl. Ra 2015/22/0125). Die ausgesprochene Befristung auf zwölf Monate gründet sich auf § 20 Abs. 1 NAG, wobei gemäß § 20 Abs. 2 NAG die Gültigkeitsdauer eines verlängerten Aufenthaltstitels mit dem auf den letzten Tag des letzten Aufenthaltstitels folgenden Tag beginnt, wenn seither nicht mehr als sechs Monate vergangen sind. Die Gültigkeit beginnt dementsprechend mit 19. Mai 2018 (vgl. etwa VwGH 9.8.2018, Zl. Ra 2017/22/0043).

5.2. Zur Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Aus Sicht des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich ist die ordentliche Revision hinsichtlich der Frage, ob die im vorliegenden Beschwerdeverfahren einzig strittige Rechtsfrage tatsächlich im Sinne des Gesetzes gelöst wurde bzw. ob das hg. Verständnis des zitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 21.3.2017, Zl. Ra 2015/22/0160) tatsächlich der höchstgerichtlichen Intention und dem Gesetz entspricht (s. Punkt 5.1.1. der Erwägungen), zulässig. Die gegebene Rechtslage erscheint ungeachtet der hg. Erwägungen nicht derartig eindeutig, dass eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung von vorneherein ausscheiden würde.

Schlagworte

Fremden- und Aufenthaltsrecht; Rot-Weiß-Rot-Karte-plus; Pflegeverhältnis; Kindeswohl;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2018:LVwG.AV.635.001.2018

Zuletzt aktualisiert am

24.10.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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