Entscheidungsdatum
24.08.2018Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W 199 2156581-1/10E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Michael SCHADEN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2017, Zl. 1081539510 - 151025594/BMI-BFA_KNT_AST_01_TEAM_01, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 6.8.2015 den Antrag, ihm internationalen Schutz zu gewähren (in der Folge auch als Asylantrag bezeichnet). Begründend gab er dazu bei seiner Befragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Landespolizeidirektion Steiermark, Anhaltezentrum Vordernberg) am nächsten Tag an, er stamme aus " XXXX " in Syrien und habe dieses Land Anfang 2014 verlassen, weil in letzter Zeit viele junge Männer vom Regime oder von der Miliz entführt worden seien, um zwangsweise rekrutiert zu werden. Aus Angst um sein Leben sei er geflüchtet. Bei einer Rückkehr habe er Angst, entführt oder verhaftet zu werden.
Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt; Regionaldirektion Kärnten in Klagenfurt) am 6.12.2016 legte der Beschwerdeführer Urkunden vor, und zwar ua. einen syrischen Personalausweis, ein syrisches Militärbuch, eine "Einberufung zum Militär", ein Universitätsabschlusszeugnis, eine Heiratsurkunde, die Geburtsurkunde seiner Ehefrau, einen Auszug aus dem Familienregister und eine Heiratsbestätigung jeweils im Original, weiters eine Kopie des Reisepasses seiner Ehefrau. Nach einer Kurzübersetzung des Militärbuchs, die in der Niederschrift über die Einvernahme enthalten ist, wurden dem Beschwerdeführer 2004, 2005, am 9.3.2006, 2008 und 2009/2010 Aufschübe erteilt; der letzte Aufschub war ab 20.5.2011 für neun Monate gültig. Die "Einberufung zum Militär" lautet darauf, dass der Beschwerdeführer bis zum 21.4.2012 bei der Militärbehörde erscheinen müsse. Auf die Frage, wie er zu diesen Dokumenten gekommen sei, gab der Beschwerdeführer an, er habe seinem Vater eine Vollmacht erteilt; der habe die Urkunden besorgt. Sodann schilderte er seine Lebensumstände in Syrien; 2006 bis 2011 sei er in Damaskus auf die Universität gegangen. Seine Eltern und zwei Schwestern lebten noch in Damaskus, seine Frau derzeit bei ihren Eltern in der Nähe von Damaskus.
Auf die Frage nach seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, sein Wehrdienstaufschub sei nur bis zum 21.4.2012 gültig gewesen. Von 14.4.2012 bis 12.10.2012 habe er sich bei seinen Großeltern in XXXX ) versteckt. Am 22.4.2012 habe ihn die Militärpolizei zu Hause (gemeint offenbar in Damaskus) gesucht und wegen der Rekrutierung nachgefragt. Ende Oktober 2012 sei XXXX , wo er gelebt habe, von der Freien Syrischen Armee übernommen worden. Er sei zurückgekehrt; es habe immer schwere Kämpfe zwischen der Freien Syrischen Armee und dem Regime gegeben. Er sei mit seiner Familie zur Landwirtschaft seiner Großeltern geflüchtet, wo es weniger Konflikte gegeben habe.
- Die Freie Syrische Armee habe ihn aufgefordert, auf ihrer Seite zu kämpfen. Er wolle aber keine Waffen tragen; für ihn gebe es keinen Unterschied zwischen dem Regime und der Freien Syrischen Armee. Er wolle auf keiner der beiden Seiten kämpfen.
Als ihn die Militärpolizei gesucht habe, seien seine Eltern zu Hause gewesen; die Polizei habe mit seinem Vater gesprochen und ihm gesagt, dass er sich am Vortag bei der Behörde hätte melden müssen. Den Vorgang, wie er von der Freien Syrischen Armee aufgefordert worden sei, schilderte der Beschwerdeführer so, dass er auf der Straße mit mehreren Freunden gestanden sei, aus einem Auto sei ein Mann ausgestiegen und habe zu ihnen gesagt, er solle sie vorbereiten, sie bekämen Waffen für die Volksverteidigungseinheit. -
Die Aufschübe zum Wehrdienst habe er erhalten, weil er studiert habe. Wenn er zum Militär müsste, hätte er Angst; er wolle keine Waffen tragen, er könne niemanden töten. Auf die Frage, ob er jemals konkret bedroht oder verfolgt worden sei, schilderte der Beschwerdeführer einen Vorfall 2011, als er mit dem Bus nach Damaskus gefahren sei und die Ausweise kontrolliert worden seien. Er habe seine Brieftasche (gemeint offenbar: und damit seine Ausweise) zu Hause vergessen gehabt und sei aus dem Bus geholt, misshandelt und für eine Woche in einem Feuerwehrgebäude angehalten worden, das als Gefängnis verwendet worden sei.
Am 6.6.2015 sei er von der Freien Syrischen Armee aufgefordert worden; dies sei der Grund für seine Ausreise gewesen. Auf die Frage, warum er erst am 9.6.2015 ausgereist sei, obwohl sein letzter Wehrdienstaufschub nur bis 21.4.2012 gegolten habe, gab der Beschwerdeführer an, er habe sich in XXXX aufgehalten, das bis heute unter der Kontrolle der Freien Syrischen Armee stehe. Vor dem Regime habe er sich in dieser Zeit nicht gefürchtet, weil von dieser Seite niemand nach XXXX komme, um ihn dort zu rekrutieren.
Im Falle einer Rückkehr nach Syrien erwarte ihn die Todesstrafe; er habe sich nicht beim Militär gemeldet.
2. Mit dem Bescheid, dessen Spruchpunkt I angefochten ist (in der Folge der Einfachheit halber als angefochtener Bescheid bezeichnet), wies das Bundesamt den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005, Art. 2 BG BGBl. I 100 (in der Folge: AsylG 2005) ab (Spruchpunkt I), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erkannte es dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II), gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilte es ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 23.4.2018 (Spruchpunkt III).
Im angefochtenen Bescheid werden zunächst die Niederschriften der Befragung und der Einvernahmen wiedergegeben. Das Bundesamt stellt fest, der Beschwerdeführer habe den Militärdienst nicht abgeleistet, es sei ihm ein Aufschub gewährt worden, der bis April 2012 gültig gewesen sei. Es gebe keine "aktuelle individuelle" gegen ihn gerichtete Gefahr einer Verfolgung. Es habe nicht festgestellt werden können, dass er "aktuell" zum Militär hätte einberufen werden sollen, dass er "aktuell" von den syrischen Behörden gesucht werde oder dass er von der Freien Syrischen Arme hätte rekrutiert werden sollen. Der Vorfall 2011 habe nicht den Ausschlag für seine Flucht gegeben. Sodann trifft das Bundesamt Feststellungen zur Situation in Syrien, die es auf näher genannte Quellen stützt. Beweiswürdigend heißt es, die Furcht des Beschwerdeführers vor einer Einberufung zum syrischen Militär sei nachvollziehbar. Die Angst vor einer unmittelbaren Einberufung relativiere sich dadurch, dass nach seinem Vorbringen die Militärpolizei am 22.4.2012 bei ihm zu Hause gewesen sei, er Syrien aber trotzdem erst am 9.6.2015 verlassen habe, somit erst drei Jahre nach Ablauf seines Aufschubes bzw. nach dem erwähnten Besuch der Militärpolizei. Darin erkenne das Bundesamt keinesfalls eine "unmittelbare Einberufung durch das syrische Regime". Der Beschwerdeführer habe zwar einen Einberufungsbefehl vorgelegt, es sei jedoch nicht nachvollziehbar, wie er zu diesem Schreiben gekommen sei. Die Behörde gehe "eher" davon aus "dass die erfolgte Rekrutierung so nicht stattgefunden haben kann". Denn warum, so fragt das Bundesamt, hätten die Eltern einen Einberufungsbefehl für den Beschwerdeführer entgegennehmen sollen; sie hätten wissen müssen, welche Folgen dies für ihn hätte. Die Dokumente, die er vorgelegt habe (Heiratsurkunde, Heiratsbestätigung, Auszug aus dem Familienregister und Geburtsurkunde der Ehefrau), habe er erst nach seiner Ausreise von seinem Vater besorgen lassen, sie seien zwischen dem 16.9.2015 und dem 17.12.2015 ausgestellt worden. Würde er durch das Regime verfolgt, so hätte er seinen Vater nicht einer Gefahr ausgesetzt und ihn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht beauftragt, sich in den Wirkungskreis der Behörden zu begeben, um für den Beschwerdeführer Dokumente zu besorgen. Der Vater hätte mit "immensen Repressalien" zu rechnen gehabt; deshalb gehe die Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer nicht konkret gefährdet gewesen sei, zum Militär einberufen zu werden. Darüber hinaus wäre es nicht einmal möglich gewesen, Dokumente für den Beschwerdeführer zu beantragen, wenn ihn das syrische Regime gesucht hätte. Die Behörden hätten in diesem Fall gar keine Dokumente ausgestellt. Sein Vater hätte keine Möglichkeit gehabt, Dokumente für ihn zu bekommen bzw. zu beantragen. Weiters begründet das Bundesamt, weshalb es nicht von einer drohenden Rekrutierung durch die Freie Syrische Armee ausgeht und weshalb der Vorfall 2011 nicht die Flucht ausgelöst habe. Unter der Überschrift "Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr" beschäftigt sich das Bundesamt mit einer allgemeinen Gefahrenlage in Syrien, ohne sich mit der Situation des Beschwerdeführers als potentiell Wehrpflichtigen zu beschäftigen. Rechtlich folgert es, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor, weil der Beschwerdeführer eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen nicht glaubhaft gemacht habe. Seine Angabe, er habe Syrien auf Grund seiner Befürchtung verlassen, zum Militär einberufen zu werden, sei auf Grund seines Vorbringens nicht glaubhaft. Das Bundesamt kommt jedoch zum Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer auf Grund des innerstaatlichen Konfliktes in seiner Heimat subsidiärer Schutz zu gewähren sei. Abschließend begründet es seine Entscheidung über die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005.
Zum Wehrdienst stellt das Bundesamt fest (S 35 - 38 des Bescheides), männliche Staatsbürger Syriens unterlägen ab dem Alter von 18 Jahren dem verpflichtenden Wehrdienst. Im März 2011 habe Präsident Asad ein Dekret erlassen, mit dem er die Länge des verpflichtenden Wehrdienstes von 21 auf 18 Monate verringert habe. Alle Männer zwischen 18 und 40 Jahren kämen für den Militärdienst in Frage, ausgenommen Juden und staatenlose Kurden. Ausnahmen vom Militärdienst seien aus familiären Gründen möglich, zB wenn eine Familie nur einen Sohn habe oder bei schweren gesundheitlichen Problemen. Im November 2011 sei entschieden worden, den Aufschub der Einberufung aus administrativen oder schulischen Gründen aufzuheben. Eine vom Präsidenten unterstützte Zeitung habe im Jänner 2013 berichtet, dass das syrische Verteidigungsministerium damit begonnen habe, zusätzliche Wehrpflichtige einzuziehen. Immer wieder werde berichtet, dass Männer bei Kontrollen an Checkpoints zum Wehrdienst eingezogen würden. Auch von der Einberufung von Reservisten (ds. Personen, die bereits den Wehrdienst geleistet haben) werde berichtet. Die Regierung habe Schwierigkeiten, neue Rekruten auszuheben. Dies zwinge sie, die Einberufung auf jene auszuweiten, die ihren Militärdienst bereits abgeleistet hätten. Die Strafen für Wehrdienstverweigerung hingen von den Umständen ab und reichten von einem Monat bis zu fünf Jahren Haft. Für Desertion in Kriegszeiten sei eine Haftstrafe von drei bis fünf Jahren vorgesehen, vorausgesetzt, der Betroffene stelle sich innerhalb dreier Monate den Behörden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre mit einer hohen Haftstrafe zu rechnen. Desertion werde mit fünf bis zehn Jahren bestraft, wenn der Deserteur das Land verlassen habe. Obwohl die Soldaten streng beaufsichtigt würden, gebe es immer wieder Desertionen. Desertion könne - abhängig von den Umständen - einem Todesurteil gleichkommen, das oftmals auch unmittelbar vollstreckt werde. Grundwehrdiener würden mit Zwangsmaßnahmen zum Einsatz gezwungen, Soldaten, die sich weigerten, gegen Protestierende vorzugehen, drohten Haft und Folter. Außerdem werde berichtet, dass Soldaten sich verpflichten müssten, ihren Vorgesetzen Kameraden zu melden, die sich weigerten, auf Demonstranten zu schießen. Andere Soldaten seien Opfer von "Verschwindenlassen" geworden. Desertierte Soldaten hätten berichtet, dass sie gezwungen worden seien, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende zu schießen, darunter auch Frauen und Kinder. Falls sie sich weigerten, wären sie Gefahr gelaufen, erschossen zu werden. Eine große Zahl an Soldaten sei tatsächlich bereits getötet worden, als sie versucht hätten zu desertieren oder als sie sich geweigert hätten, auf Zivilisten zu schießen.
Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 25.4.2017 persönlich zugestellt.
3. Gegen Spruchpunkt I dieses Bescheides richtet sich die vorliegende, fristgerechte Beschwerde vom 8.5.2017.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1.1. Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005 ist das AsylG 2005 am 1.1.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren.
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz (in der Folge: BFA-VG; Art. 2 Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz BGBl. I 87/2012) idF des Art. 2 FNG-Anpassungsgesetz BGBl. I 68/2013 und des BG BGBl. I 144/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes.
1.2. Das vorliegende Verfahren war am 31.12.2005 nicht anhängig; das Beschwerdeverfahren ist daher nach dem AsylG 2005 zu führen.
2. Gemäß § 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, Art. 1 BG BGBl. I 33/2013 (in der Folge: VwGVG), idF BG BGBl. I 122/2013 ist das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens bereits kundgemacht waren, unberührt. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit im VwGVG nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG - wie die vorliegende - das AVG mit Ausnahme seiner §§ 1 bis 5 und seines IV. Teiles, die Bestimmungen weiterer, hier nicht relevanter Verfahrensgesetze und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, welche die Verwaltungsbehörde in jenem Verfahren angewandt hat oder anzuwenden gehabt hätte, das dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangen ist. Dementsprechend sind im Verfahren über die vorliegende Beschwerde Vorschriften des AsylG 2005 und des BFA-VG anzuwenden.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht - und somit auch das Bundesverwaltungsgericht - über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Verwaltungsbehörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde "unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens" widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Verwaltungsbehörde ist dabei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BGBl. I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine andere als die Zuständigkeit des Einzelrichters ist für die vorliegende Rechtssache nicht vorgesehen, daher ist der Einzelrichter zuständig.
Zu A)
1.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 Nr. L 337/9 [Statusrichtlinie - Neufassung] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10)
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 17.3.2009, 2007/19/0459; 28.5.2009, 2008/19/1031; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771; 17.3.2009, 2007/19/0459; 28.5.2009, 2008/19/1031; 6.11.2009, 2008/19/0012; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 28.5.2009, 2008/19/1031; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.2.1997, 95/01/0454; 9.4.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.2.2000, 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 9.3.1999, 98/01/0318; unter dem Aspekt des Art. 4 Abs. 4 Statusrichtlinie - Neufassung VwGH 3.5.2016, Ra 2015/18/0212; 13.12.2016, Ro 2016/20/0005). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
1.1.2. Der Verwaltungsgerichtshof folgte in seinem Erkenntnis VwSlg. 15.802 A/2002 zT seinem Erkenntnis VwSlg. 14.089 A/1994, wonach die Flüchtlingseigenschaft zu bejahen ist, "wenn die Einberufung aus einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen eine drohende allfällige Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen gewesen wäre"; ebenso seien die Umstände einzubeziehen, unter denen der Militärdienst abzuleisten sei. Dagegen wandte sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VwSlg. 15.802 A/2002 von der früheren Rechtsprechung tw. ab und sprach aus, "dass auch die Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung u.a. dann zur Asylgewährung führen kann, wenn das Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen - wie etwa bei der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt [...]. Ist Letzteres der Fall, so kann dies aber auch auf der - generellen - Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung beruhen, womit unabhängig von einer der Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion im konkreten Fall wirklich zugrunde liegenden religiösen oder politischen Überzeugung der erforderliche Zusammenhang zu einem Konventionsgrund gegeben wäre." Weiters sprach er aus, "[u]nter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann [...] demzufolge auch eine ‚bloße' Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein." (vgl. zuvor schon - aus der Zeit nach dem Erk. VwSlg. 14.089 A/1994 - VwGH 21.12.2000, 2000/01/0072, und VwSlg. 15.721 A/2001)
Dem folgte der Verwaltungsgerichtshof seither in ständiger Rechtsprechung (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0475; 25.3.2003, 2001/01/0009; 22.2.2005, 2003/21/0219; 1.3.2007, 2003/20/0111; 1.3.2007, 2003/20/0210; 27.4.2011, 2008/23/0124 [dieses Erk. und die beiden vorangegangenen auch zur möglichen Asylrelevanz des Zwanges zum Vorgehen gegen Mitglieder der eigenen Volksgruppe]; 25.3.2015, Ra 2014/20/0085; 14.9.2016, Ra 2016/18/0085 bis 0087; weiters - ohne sich auf den Zwang zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen zu beziehen - VwGH 22.10.2002, 2001/01/0197; 22.5.2003, 2000/20/0420;
19.10.2006, 2006/19/0064; 23.11.2006, 2005/20/0531; vgl. auch VwGH 16.4.2002, 99/20/0604; 12.11.2002, 2001/01/0019; 21.11.2002, 2000/20/0562; 25.3.2003, 2001/01/0470; 15.5.2003, 2002/01/0376;
21.4.2005, 2004/20/0315; 27.2.2007, 2004/21/0044; 26.9.2007, 2006/19/0561; 28.8.2008, 2008/22/0371, sowie - sich auch auf den Zwang zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen beziehend - VwGH 25.3.2003, 2001/01/0360; 21.2.2017, Ra 2016/18/0203, und - unter dem Aspekt eines Gewissenskonfliktes, weil ein Asylwerber "gegen Mitglieder der eigenen Volksgruppe vorgehen müsste" - VwGH 8.4.2003, 2001/01/0435).
1.2. Der Beschwerdeführer hat sich darauf berufen, er müsse mit der Einziehung zum Wehrdienst rechnen, zumal da sein letzter Aufschub längst abgelaufen sei. Dass der Aufschub abgelaufen ist, dürfte sich in der Tat aus dem vorgelegten Militärbuch ergeben. Das Bundesamt geht mit näherer Beweiswürdigung - deren Stichhaltigkeit hier nicht zu beurteilen ist - davon aus, dass der Beschwerdeführer bei seiner Ausreise aus Syrien von den syrischen Behörden nicht verfolgt worden ist und dass er (damals) aktuell nicht von der Einziehung vom Wehrdienst bedroht war. Das Bundesamt hat es jedoch verabsäumt, Feststellungen - auf Grund einer Prognose - dazu zu treffen, ob dem Beschwerdeführer - ungeachtet dessen, dass er, wie das Bundesamt meint, bei seiner Ausreise nicht bedroht gewesen sein soll - bei einer Einreise die Einziehung zum Wehrdienst droht, wie dies nach seinen Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid nicht von Vornherein ausgeschlossen werden kann. Wie oben ausgeführt, ist eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" bereits dann anzunehmen, wenn Verfolgungshandlungen zu befürchten sind, denn die Verfolgungsgefahr bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose.
2.1. Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Verwaltungsbehörde zurückverweisen, wenn sie notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ua. ausgesprochen:
"Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden [...].
Das Vorgesagte ist auch für die Begründung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen maßgeblich. Der Rechtsanspruch eines von einer Entscheidung Betroffenen auf die Beachtung der verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit erfasst angesichts des in § 28 VwGVG verankerten Systems auch die Frage, ob das Verwaltungsgericht seine Zuständigkeit zur Entscheidung in der Sache selbst dem § 28 VwGVG konform wahrnimmt. Das Verwaltungsgericht hat daher insbesondere nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 VwGVG verneint bzw wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG nicht Gebrauch macht [...]." (VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063; dem folgend VwGH 10.9.2014, Ra 2014/08/0005; 31.10.2014, Ra 2014/08/0011)
2.2. Im Beschwerdefall liegen die Voraussetzungen dafür vor, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückzuverweisen:
Das Bundesamt hat keine ausreichenden Feststellungen getroffen, die eine Prognose zuließen, ob, wann und mit welcher Wahrscheinlichkeit der Beschwerdeführer einberufen würde. Auch wenn man mit dem Bundesamt davon ausginge, dass der Beschwerdeführer bei seiner Ausreise vom syrischen Militär nicht gesucht worden ist, fehlt es an Feststellungen, welche die oben erwähnte Prognose möglich machen würden. Eine Gefährdung liegt nicht erst dann vor, wenn er tatsächlich einberufen worden ist, sondern bereits dann, wenn er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer Einberufung in absehbarer Zeit oder gleich bei seiner Einreise rechnen müsste.
3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
aktuelle Bedrohung, aktuelle Gefahr, Anhaltung, Asylantragstellung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W199.2156581.1.00Zuletzt aktualisiert am
25.10.2018