Entscheidungsdatum
31.08.2018Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W 199 2128922-1/18E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Michael SCHADEN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.05.2016, Zl. 1077666610/150849025, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.01.2018 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und Frau XXXXgemäß § 3 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin, eine syrische Staatsangehörige, die der ethnischen Gruppe der Kurden angehört, stellte am 13.7.2015 den Antrag, ihr internationalen Schutz zu gewähren (in der Folge auch als Asylantrag bezeichnet). Begründend gab sie dazu bei ihrer Befragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Polizeiinspektion Traiskirchen EAST) am 15.7.2015 und bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt; Regionaldirektion Vorarlberg in Feldkirch) am 5.4.2016 an, sie habe Syrien verlassen, weil Kobane - ihr Herkunftsort - ein Kriegsgebiet sei und es dort tagtäglich Schießereien und Bombardments gebe. Sie sei wegen der allgemeinen Lage geflüchtet und da es keine Sicherheit mehr gegeben habe. Im Fall ihrer Rückkehr habe sie "Todesangst" vor dem "IS" (di. Daesh, der Islamische Staat, ISIS, ...), weil der "IS" in der Stadt Kobane gewesen sei. - Bei ihrer Befragung am 15.7.2015 wurde bei der Beschwerdeführerin ein syrischer Ausweis sichergestellt.
2. Mit dem Bescheid, dessen Spruchpunkt I angefochten ist (in der Folge der Einfachheit halber als angefochtener Bescheid bezeichnet), wies das Bundesamt den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005, Art. 2 BG BGBl. I 100 (in der Folge: AsylG 2005) ab (Spruchpunkt I), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erkannte es der Beschwerdeführerin den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II), gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilte es ihr die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 23.5.2017 (Spruchpunkt III).
Im angefochtenen Bescheid werden zunächst die Niederschriften der Befragung und der Einvernahme wiedergegeben. Das Bundesamt stellt fest, die Beschwerdeführerin sei "angeblich" Staatsangehörige von Syrien, habe ihr bisheriges Leben in Syrien verbracht und ein Jahr lang in der Türkei gelebt. Es habe nicht festgestellt werden können, dass es Drohungen oder Übergriffe gegen sie persönlich gegeben habe. Sie habe Syrien auf Grund der allgemein schlechten Lage verlassen und habe keine Verfolgung durch den syrischen Staat zu befürchten. Sodann trifft das Bundesamt Feststellungen zur Situation in Syrien, die es auf näher genannte Quellen stützt. Beweiswürdigend folgt es den Angaben der Beschwerdeführerin, die selbst angegeben habe, sie habe niemals Probleme mit staatlichen Institutionen gehabt, und die keine persönliche Verfolgung ins Treffen geführt habe. Rechtlich folgert es, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor, da der von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Sachverhalt bezüglich der behaupteten Verfolgung "in seiner Gesamtheit als nicht glaubhaft zu beurteilen" gewesen sei. Das Bundesamt kommt jedoch zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführerin auf Grund des innerstaatlichen Konfliktes in ihrer Heimat subsidiärer Schutz zu gewähren sei. Abschließend begründet es seine Entscheidung über die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005.
Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 27.5.2016 persönlich zugestellt.
3. Gegen Spruchpunkt I dieses Bescheides richtet sich die vorliegende, fristgerechte Beschwerde vom 23.6.2016.
4. Mit Schreiben vom 25.8.2017 teilte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien des Beschwerdeverfahrens mit, dass es beabsichtige, in seinem Erkenntnis Feststellungen zur Situation in Syrien zu treffen und sich dabei auf folgende Unterlagen und Berichte zu stützen:
* Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Syrien (5.1.2017)
* United States Department of State, Syria. Country Reports on Human Rights Practices 2015 (13.4.2016)
* UNHCR, UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen. 4., aktualisierte Fassung (November 2015)
* UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR's Country Guidance on Syria. "Illegal Exit" from Syria and Related Issues for Determining the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Syria (Feber 2017)
Das Bundesverwaltungsgericht stellte es den Parteien des Verfahrens frei, innerhalb von zwei Wochen dazu Stellung zu nehmen sowie ein ergänzendes Vorbringen zu erstatten, das sich auf den Gegenstand des Verfahrens beziehe.
Das Bundesamt äußerte sich nicht; die Beschwerdeführerin gab am 8.9.2017 eine Stellungnahme ab.
5. Am 24.1.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der nur die Beschwerdeführerin als Partei teilnahm und der ein Dolmetscher für die Sprache Kurmandschi beigezogen wurde. Das Bundesamt hatte auf die Teilnahme an der Verhandlung verzichtet. Das Bundesverwaltungsgericht erhob Beweis, indem es die Beschwerdeführerin in der Verhandlung vernahm und die Akten des Verfahrens einsah.
In der Verhandlung legte die Vertreterin der Beschwerdeführerin "aktuelle Mitteilungen und Zeitungsartikel vor, aus denen sich eine Generalmobilmachung der kurdischen Kräfte wegen des Einmarsches der türkischen Truppen in Nordsyrien ergebe". Das Bundesverwaltungsgericht ließ diese Meldungen - es handelt sich um drei Zeitungsartikel - aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Zur Situation in Syrien wird festgestellt:
1.1.1. Politische Lage
Seit 2011 herrscht in Syrien Gewalt. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg mit unzähligen Milizen und Fronten geworden. Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von Daesh, von der Kurdisch Demokratischen Unionspartei (PYD) und von anderen Rebellen-Fraktionen beherrschte Gebiete aufgeteilt. Das Regime beherrscht etwa ein Drittel des Staatsgebietes, einschließlich der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt, die Syrien noch nicht verlassen haben. Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen beherrschen verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten sie Regierungsstrukturen, auch irregulär aufgebaute Gerichte. Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Seit 2015 schickt Russland auch Truppen und Ausrüstung nach Syrien und hat außerdem begonnen, von syrischen Militärbasen aus Luftangriffe durchzuführen, die hauptsächlich auf Gebiete abzielen, welche die Rebellen beherrschen. Die von den USA geführte internationale Koalition führte Luftangriffe gegen Daesh durch.
Im Norden Syriens gibt es Gebiete, die unter kurdischer Kontrolle stehen ("Rojava" oder "Westkurdistan"). Daesh übernahm seit 2014 vermehrt die Kontrolle von Gebieten in den Gouvernements Deir al-Zour und Raqqa, außerdem in anderen Regionen des Landes. Er rief daraufhin ein "islamisches Kalifat" mit der Hauptstadt Raqqa aus.
Präsident Bashar al-Asad regiert die Arabische Republik Syrien seit 2000. 2014 wurde er wiedergewählt. Bei dieser Wahl gab es erstmals seit Jahrzehnten zwei weitere, jedoch relativ unbekannte Kandidaten. Die Wahl wurde nur in den von der Regierung beherrschten Gebieten abgehalten, sie wurde als undemokratisch bezeichnet.
Am 16.4.2016 fanden Parlamentswahlen statt. Die regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die Opposition bezeichnete auch diese Wahl, die auch nur in den von der Regierung beherrschten Gebieten stattfand, als "Farce". Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der "Nationalen Einheit" wurde gewählt. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen.
1.1.2. Sicherheitslage
Der im März 2011 begonnene Aufstand gegen das Regime ist in eine komplexe militärische Auseinandersetzung umgeschlagen, die alle Städte und Regionen Syriens betrifft. Nahezu täglich werden landesweit zwei- bis dreistellige Zahlen von Toten und Verletzten gemeldet. Die staatlichen Strukturen sind in vielen Orten zerfallen, das allgemeine Gewaltrisiko ist sehr hoch. Neben der Gefahr von Entführungen besteht jederzeit das Risiko, in bewaffnete Auseinandersetzungen zu geraten. Unterschiedslose Luftangriffe und Bodenangriffe des Regimes sowie willkürlicher Beschuss durch nichtstaatliche bewaffnete Oppositionsgruppen und terroristische Gruppen töten, verletzen und vertreiben weiterhin Zivilisten. Die Kampfhandlungen aller Parteien sind durch weit verbreiteten Mangel an Respekt für das internationale humanitäre Recht und die Verpflichtung der Kriegsparteien zum Schutz von Zivilisten geprägt. Mitte September 2016 handelten die USA und Russland nach monatelangen Gesprächen eine Waffenruhe aus. Sie sollte es möglich machen, dass humanitäre Hilfe die Kriegsgebiete erreicht, und sollte den Luftangriffen des Regimes auf die Opposition Einhalt gebieten. Sie sollte sieben Tage bestehen und galt für das syrische Regime und die Rebellen, jedoch nicht für die terroristischen Gruppen Daesh und Jabhat Fatah al-Sham. Nach ungefähr einer Woche wurde die Waffenruhe von der Armee bzw. vom Regime für beendet erklärt. Nach der Waffenruhe eskalierte die Gewalt, die Stadt Aleppo erlebte die heftigsten Bombardements durch das Regime und die russische Luftwaffe seit Beginn des Bürgerkrieges, während die Armee eine Bodenoffensive startete. Die USA brachen daraufhin Anfang Oktober 2016 die direkten Gespräche mit Russland über eine weitere Waffenruhe in Syrien ab. Ua. konnten sich die beiden nicht darauf einigen, welche der syrischen Rebellengruppen als terroristisch und welche als gemäßigt einzustufen seien. Ende Oktober kam es zu einer einseitig von Russland eingehaltenen humanitären Waffenruhe in Aleppo. Anfangs sollte sie acht Stunden dauern und am 20.10.2016 beginnen. Sie wurde jedoch bis 22.10.2016 verlängert. Danach erlebte Aleppo erneut schwere Kämpfe.
Nach dem Vormarsch auf die nordirakische Großstadt Mosul begann Anfang November 2016 auch eine Offensive zur Rückeroberung der syrischen Daesh-Hochburg Raqqa. An der Offensive (unter dem Namen "Wut des Euphrat") sind etwa 30.000 Kämpfer der Demokratischen Syrischen Kräfte (SDF), einer von den USA unterstützten kurdisch-arabischen Rebellenallianz, beteiligt, den Großteil davon stellen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG). Die türkische Armee begann im August 2016 einen Bodeneinsatz mit Panzern, der sich gegen Daesh und die YPG richtet. Die türkische Führung kündigte zudem an, die in Nordsyrien stationierten Soldaten könnten ihre Einsätze auch auf Raqqa ausdehnen. Die SDF-Miliz vereinbarte nach eigenen Angaben mit den USA, die Türkei von der Raqqa-Offensive auszuschließen.
Im Dezember 2016 nahmen syrische Regierungssoldaten nach einer Offensive, die von der russischen Luftwaffe unterstützt wurde, den Osten Aleppos ein, den seit 2012 bewaffnete Gruppen gehalten hatten. Evakuierungen von Kämpfern wie Zivilisten wurden durch erneute Gefechte zwischenzeitlich unterbrochen. Zugleich wurden Zivilisten aus den Orten Fua und Kafraja im Nordwesten Syriens evakuiert, die von Rebellen belagert wurden.
1.1.3. Rechtsschutz; Justizwesen
1.1.3.1. Gebiete unter der Kontrolle des Regimes
Das Justizsystem besteht aus mehreren Gerichtstypen, darunter sind Zivil-, Straf-, Militär-, Sicherheits- und religiöse Gerichte sowie ein Kassationsgericht. Die religiösen Gerichte behandeln das Familien- und Personenstandsrecht; Scharia-Gerichte sind für sunnitische und schiitische Muslime zuständig, Drusen, Christen und Juden haben ihre eigenen gerichtlichen Strukturen. Für diese Gerichte gibt es auch eigene Berufungsgerichte. Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Behörden sind in der Praxis jedoch oft politischen Einflüssen ausgesetzt. Die Ergebnisse von Fällen mit politischem Kontext scheinen oft schon vorbestimmt zu sein. Etwa 95 % der Richter der syrischen Regierung sind Baathisten oder stehen der Baath-Partei nahe.
Wenn Personen, von denen angenommen wird, dass sie Regierungsgegner sind, vor Gericht gebracht werden, so ist es wahrscheinlich, dass es sich dabei um das Anti-Terror-Gericht, das 2012 aufgebaut wurde, oder um ein Militärgericht handelt, obwohl es gegen die internationalen Standards für faire Prozesse verstößt, einen Zivilisten durch ein Militärgericht abzuurteilen. Das Anti-Terror-Gericht hält sich in seiner Arbeitsweise nicht an grundlegende Bedingungen einer fairen Gerichtsverhandlung. Manchmal dauern die Verhandlungen nur wenige Minuten und "Geständnisse", die unter Folter gemacht wurden, werden als Beweismittel akzeptiert. Außerdem wird das Recht auf Rechtsberatung stark eingeschränkt. In Militärgerichten haben Angeklagte kein Recht auf einen Anwalt. Manchmal werden Angeklagte auch nicht über ihr Urteil informiert. In den ersten zweieinhalb Jahren seit seiner Errichtung soll das Anti-Terror-Gericht mehr als 80.000 Fälle behandelt haben.
1.1.3.2. Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes
In Gebieten, die oppositionelle Gruppen beherrschen, wurden unterschiedlich eingerichtete Gerichte und Haftanstalten aufgebaut, die sich stark darin unterscheiden, wie sie organisiert sind und inwieweit sie sich an Rechtsnormen halten. Manche Gruppen folgen dem (syrischen) Strafgesetzbuch, andere dem Entwurf eines Strafgesetzbuches auf Grundlage der Scharia, während wieder andere eine Mischung aus Gewohnheitsrecht und Scharia anwenden. Erfahrung, Expertise und Qualifikation der Richter in diesen Gebieten sind oft sehr unterschiedlich und von den dominanten bewaffneten Gruppen dieser Gebiete beeinflusst. Manchmal münden Gerichtsverhandlungen vor Gerichten der Opposition in öffentliche Hinrichtungen, ohne dass der Angeklagte hätte Berufung einlegen oder Besuch von seiner Familie erhalten können.
1.1.3.3. Gebiete unter kurdischer Kontrolle
In "Rojava" wurde die "Verfassung von Rojava" erstellt, die als "sozialer Vertrag" zwischen den Bürgern der kurdischen Gebiete beschrieben wird und eine parlamentarische Demokratie mit Pluralismus und gleichen Rechten für Männer und Frauen vorsieht. Es wurden Komitees gegründet, welche die Erhaltung des "sozialen Friedens" zum Ziel haben und Straftaten unter diesem Gesichtspunkt regeln.
1.1.4. Sicherheitsbehörden und regimetreue Milizen
Die Regierung erhält die Kontrolle über die uniformierten Polizei-, Militär- und Staatssicherheitskräfte aufrecht, kann jedoch jene über paramilitärische, nicht-uniformierte Pro-Regime-Milizen, die oft autonom und ohne Aufsicht oder Führung der Regierung arbeiten, nicht immer gewährleisten. Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden ist weit verbreitet. Das Generalkommando der Armee und der Streitkräfte kann einen Haftbefehl im Fall von Verbrechen durch Militäroffiziere, Mitglieder der internen Sicherheitskräfte oder Zollpolizeioffiziere (im Rahmen ihrer beruflichen Pflichten) ausstellen. Solche Fälle müssen vor einem Militärgericht verhandelt werden. In der Praxis ist keine rechtliche Verfolgung oder Verurteilung von Polizei- und Sicherheitskräften hinsichtlich Missbrauchs und Korruption bekannt, die Sicherheitskräfte operieren unabhängig und generell außerhalb des Gesetzes. Es gab 2015 keine Berichte von Aktionen der Regierung zur Reform der Sicherheitskräfte oder der Polizei. Die Shabiha bzw. die NDF und andere paramilitärische Gruppen mit Verbindung zum syrischen Regime sind an Menschenrechtsverletzungen beteiligt, darunter auch an Massakern, willkürlichen Tötungen, Entführungen von Zivilisten, willkürlichen Festnahmen und Vergewaltigungen als Kriegstaktik. Die Einheiten, die auf der Seite der Regierung kämpfen, sind sehr vielfältig. Manche gehören regulären Streitkräften an, andere gehören zu verschiedenen Milizen. Manche bestehen aus nicht mehr als ein paar Dutzend Männern, andere halten Tausende Männer unter Waffen und besitzen ihre eigenen Trainingscamps und Netzwerke. Auch Russland und der Iran unterstützen Asad militärisch.
1.1.4.1. Streitkräfte
Die Streitkräfte bestehen aus der Armee, der Marine und der Luftwaffe. Sie sind für die Verteidigung des nationalen Territoriums und den Schutz des Staates vor internen Bedrohungen verantwortlich. Vor dem Konflikt soll die syrische Armee eine Mannstärke von etwa 295.000 Personen gehabt haben. Es ist für die Armee schwierig, die auf Grund von Verlusten, Desertionen, Überlaufen und zahlreichen Wehrdienstverweigerern verlorenen Mannzahlen zu ersetzen. Nach Schätzungen von 2014 und 2015 betrug die Mannstärke der syrischen Armee zwischen 125.000 und 175.000. Durch die Verluste auf Grund des Konfliktes ist die Armee immer mehr auf ausländische Milizen angewiesen.
1.1.4.2. Zivile und militärische Sicherheits- und Nachrichtendienste
Syrien verfügt über eine Unzahl von Sicherheits- und Geheimdiensten mit überlappenden Aufträgen zur Sammlung von Informationen über die innere Sicherheit. Sie können Gegner des Regimes festnehmen und ausschalten. Die zahlreichen syrischen Sicherheitsbehörden arbeiten autonom und ohne klar definierte Grenzen zwischen ihren Aufgabenbereichen. Es gibt vier Hauptzweige der Sicherheits- und Nachrichtendienste. Der Militärische Nachrichtendienst, der Luftwaffennachrichtendienst und das Direktorat für Politische Sicherheit unterstehen dem Innenministerium. Das Allgemeine Nachrichtendienstdirektorat untersteht direkt dem Präsidenten. Diese vier Dienste arbeiten unabhängig voneinander und größtenteils außerhalb des Justizsystems, überwachen einzelne Staatsbürger und unterdrücken Stimmen innerhalb Syriens, die vom Regime abweichen. Der Staatssicherheitsapparat wird dazu verwendet, den Aufstand zu unterdrücken. Die größeren Organisationen haben ihre eigenen Gefängniszellen und Verhörzentren.
1.1.4.3. Polizei
Das Innenministerium kontrolliert vier verschiedene Abteilungen von Polizeikräften: Notrufpolizei, Verkehrspolizei, Nachbarschaftspolizei und Polizei gegen Unruhen.
1.1.4.4. Volkskomitees und Shabiha-Milizen
Die Shabiha sind bewaffnete Milizen, welche die regierende Baath-Partei unterstützen und der Asad-Familie treu sind. Sie kämpfen, um die Opposition zu unterdrücken und sich zu bereichern. Sie wurden in den 1970er Jahren in der Gegend von Latakia gegründet und bestanden aus einem Schmugglernetzwerk. 2000 wurden sie von Bashar al-Asad aufgelöst, 2011 nahmen sie ihre Tätigkeit wieder auf. Sie bestehen aus etwa 10.000 Mitgliedern und gehen skrupellos gegen die Opposition vor.
Zu Beginn des Konfliktes 2011 wurden außerdem die sogenannten Volkskomitees spontan gegründet oder von Nachrichtendiensten oder Pro-Asad-Geschäftsmännern als Gegenstück zur Mobilisierung oppositioneller Demonstranten rekrutiert. Die Volkskomitees, die anfangs nur ihre Nachbarschaften nach Zeichen des Widerstandes überwachen und Demonstrationen auflösen sollten, entwickelten sich mit der Zeit zu lokalen Autoritäten und später zu bewaffneten Milizen, nachdem der Staat an Macht verlor und die Opposition militarisiert wurde. Diese Milizen wurden von der Opposition häufig als "Shabiha" bezeichnet.
1.1.4.5. Kräfte der Nationalen Verteidigung (National Defence Forces - NDF)
Die Kräfte der Nationalen Verteidigung (National Defence Forces - NDF) sind eine Schirmorganisation für verschiedene Pro-Regime-Milizen und paramilitärische Gruppen, die sich erstmals 2013 organisierte. Sie wurden aus kriminellen Gruppen, Shabiha, und Volkskomitees, die lokal organisiert sind, gegründet und dienen dem Regime und der Armee. Ihre genaue Mannstärke ist nicht bekannt, Schätzungen schwanken zwischen 60.000 und 100.000 Personen. Diese Gruppen nehmen am bewaffneten Konflikt teil. Sie nehmen Personen fest, die sie der Unterstützung der Opposition verdächtigen, inhaftieren und foltern sie. Ihre Kämpfer gelten als regimetreuer als die wehrdienstleistenden Soldaten der syrischen Armee. Ihre Arbeit variiert nach Gebiet, manche Gruppen sind disziplinierter als andere. Es gibt Gruppen, die zu den NDF gehören und auf der Religionszugehörigkeit basieren. so gibt es zB christliche oder alawitische Gruppen.
1.1.4.6. Ausländische Kämpfer bzw. Angehörige ausländischer Streitkräfte für das Regime
Zusätzlich zu den lokalen Pro-Regime-Milizen gibt es va. seit 2013 einen stetigen Zustrom ausländischer schiitisch-islamistischer Kämpfer, die vom Iran und den mit ihm verbündeten regionalen paramilitärischen Gruppen unterstützt und trainiert werden. Die libanesische Hizbollah ist die bekannteste darunter. 2014 wurde ihre Mannstärke auf zwischen 3500 und 7000 Personen geschätzt. Außerdem sollen seit 2014 zwischen 2000 und 5000 irakische schiitische Kämpfer auf der Seite des Regimes in Syrien kämpfen. Irakische Kämpfer erhalten ihre Ausbildung im Iran und sollen eng mit der Hizbollah zusammenarbeiten. Auf der Seite der Regierung werden zunehmend Paramilitärs und schiitische Milizen eingesetzt, die großteils aus ausländischen Kämpfern bestehen. Darunter sind auch Kämpfer aus dem Iran, aus Pakistan und Afghanistan.
1.1.5. Folter und unmenschliche Behandlung
Die weit verbreitete Anwendung von Folter in Syrien zeigt die Straflosigkeit, mit der die Konfliktparteien agieren. Folter wird eingesetzt, um an Informationen zu gelangen und um die Zivilbevölkerung zu bestrafen und zu terrorisieren. Folter und andere Misshandlungen nutzt das Regime schon seit Jahrzehnten, um Widerstand zu unterdrücken. Das Regime und die mit ihm verbündeten Milizen begehen physische Misshandlungen und Folter an Oppositionellen und Zivilisten. Regierungsangestellte misshandeln Gefangene. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und auch Minderjährigen sind weit verbreitet und werden als Kriegstaktik eingesetzt. Viele der Opfer von Folter sind Männer zwischen 18 und 60 Jahren. Das Regime foltert jedoch auch Frauen und Kinder, die sich in Gewahrsam befinden. Manche Opfer von Folter werden festgenommen, weil sie Aktivisten sind oder als Leute wahrgenommen werden, welche die Regierung nicht ausreichend unterstützen. Opfer von Folter werden auch Mitglieder oder Verwandte von Mitgliedern bewaffneter Gruppen.
Die syrischen Sicherheitskräfte führen willkürliche Festnahmen durch und lassen Festgenommene häufig in dem weiten Netzwerk an Haftanstalten in Syrien verschwinden. Viele der Häftlinge sind junge Männer im Alter von 20 bis 30 Jahren, jedoch sind auch Kinder, Frauen und ältere Menschen unter den Inhaftierten. Nach Berichten nehmen die Sicherheitskräfte die Familienmitglieder gesuchter Personen - darunter auch Kinder - fest, um diese Leute dazu zu bewegen, sich den Sicherheitskräften zu stellen. Nach Schätzungen sind seit 2011 in Gefängnissen der syrischen Regierung 17.723 Menschen durch Folter, Misshandlungen und katastrophale Haftbedingungen ums Leben gekommen. Das Regime stellt falsche Totenscheine aus, offenbar mit dem Ziel, die wahre Ursache und den Ort des Todes der Gefangenen zu verschleiern.
Aus Berichten der unabhängigen UN-Untersuchungskommission und mehrerer Menschenrechtsorganisationen geht hervor, dass die Streitkräfte der syrischen Regierung "Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Mord, Vernichtung, Folter, Vergewaltigung, Zwangsverschleppungen und andere unmenschliche Akte" begehen. Sie begehen außerdem schwere Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen wie Mord, Folter, Vergewaltigung und sonstige Formen sexueller Gewalt und Angriffe auf die Zivilbevölkerung. Willkürliche und unverhältnismäßige Luftangriffe, ua. mit Streumunition, Fassbomben, Chlorgas und Artilleriebeschuss fordern eine hohe Anzahl ziviler Opfer, zerstören ganze Stadtviertel und verbreiten Terror unter der Zivilbevölkerung in Gebieten, die von oppositionellen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden.
Rebellengruppen begehen ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen, wie Inhaftierungen, Folter, Hinrichtungen von (als solche wahrgenommenen) Andersdenkenden und Rivalen und konfessionell motivierte Tötungen von Zivilisten. Manche Gruppen fügen Gefangenen, von denen vermutet wird, sie seien Mitglieder regierungstreuer Milizen, schweren körperlichen und psychischen Schmerz zu, als Bestrafung oder Zwangsmittel oder um Informationen oder Geständnisse zu erlangen. Weiters begehen sie Massaker, Morde, Folter, Geiselnahmen, Verschwindenlassen, Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt und setzen Kinder in Kampfhandlungen ein. Auch Daesh agiert mit Brutalität. Er bestraft regelmäßig Opfer in der Öffentlichkeit und zwingt Bewohner, einschließlich Kinder, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen.
1.1.6. Korruption
Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International lag Syrien 2015 auf Platz 154 von 167 untersuchten Ländern. Das Gesetz sieht strafrechtliche Konsequenzen für Korruption vor, die Regierung hat die Regelungen jedoch nicht effektiv durchgesetzt. Beamte üben regelmäßig korrupte Praktiken aus, ohne dafür bestraft zu werden. Korruption ist ein allgegenwärtiges Problem bei Polizei, Sicherheitskräften, Regierung und anderen Behörden. In der syrischen Armee gibt es eine Tradition der Bestechung, und es ist möglich, durch Bestechung eine bessere Position oder einfachere Aufgaben zu erhalten. Korruption war bereits vor dem Bürgerkrieg weitverbreitet und beeinflusste das tägliche Leben der Syrer. Bürger müssen häufig Bestechungsgelder zahlen, um bürokratische Angelegenheiten abschließen zu können. Seit der Krieg ausgebrochen ist, vermeiden Syrer, die Verfolgung durch den Staat befürchten, den Kontakt zu offiziellen Institutionen. Stattdessen müssen sie - zB im Falle wichtiger Dokumente - auf den Schwarzmarkt zurückgreifen. Rebellen, Daesh und kurdische Einheiten erpressen ebenfalls Unternehmen und konfiszieren privates Eigentum in unterschiedlichem Ausmaß.
1.1.7. Allgemeine Menschenrechtslage
1.1.7.1. Seit Konfliktbeginn 2011 bis September 2016 wurden in Syrien ungefähr 430.000 Menschen getötet. 2015 verschlechterte sich die Menschenrechtssituation weiter. Regimeeinheiten führen weiterhin willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen und Folter an Häftlingen durch, von denen viele in Haft starben. Das Regime und seine Verbündeten führten willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten durch. Sie führten Angriffe mit Fassbomben (sie enthalten ein Gemisch aus Kerosin und dem Sprengstoff Trinitrotoluol [TNT] und werden von Hubschraubern abgeworfen), Artillerie, Mörsern und Luftangriffe auf zivile Wohngebiete, Schulen, Märkte und medizinische Einrichtungen durch, was zu zivilen Opfern führte. Lang anhaltende Belagerungen durch Regierungskräfte führen dazu, dass der eingeschlossenen Zivilbevölkerung Lebensmittel, ärztliche Betreuung und andere lebenswichtige Dinge vorenthalten werden. Außerdem werden Zivilisten beschossen bzw. angegriffen. Aufständische Gruppen begehen schwere Menschenrechtsverletzungen.
Menschenrechtsverletzungen durch Rebellengruppen waren zB Festnahmen, Folter, Hinrichtungen von Andersdenkenden oder Rivalen und konfessionell motivierte Tötungen von Zivilisten. Die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen wurden durch jihadistische bewaffnete Gruppen begangen. Daesh ist für systematische und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, die auch auf Zivilisten abzielen. Auch Jabhat Fatah al-Sham (früherer Name Jabhat al-Nusra) und einige andere extremistische Gruppen begehen Menschenrechtsverletzungen.
Syrische Kinder sind auch hinsichtlich Kinderehen gefährdet. Sexuelle Versklavung und Zwangsheiraten sind zentrale Elemente der Ideologie des Daesh. Mädchen und Frauen werden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, werden sexuell versklavt. Frauen erleben in von Daesh gehaltenen Gebieten willkürliche und schwere Bestrafungen, einschließlich Hinrichtungen durch Steinigung. Frauen und Männer werden bestraft, wenn sie sich nicht den Vorstellungen des Daesh entsprechend kleiden. Daesh-Kämpfer sind für standrechtliche Exekutionen gefangengenommener Regierungssoldaten, Angehöriger rivalisierender bewaffneter Gruppen sowie Medienschaffender und gefangengenommener Zivilpersonen verantwortlich. In den von ihm beherrschten Gebieten hat Daesh seine strenge Auslegung des islamischen Rechts eingeführt. Es kommt dort häufig zu öffentlichen Hinrichtungen. Unter den Opfern sind Menschen, denen Abfall vom Glauben, Ehebruch oder Diebstahl zur Last gelegt wird, sowie Leute, die wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung angeklagt wurden.
Die staatlichen Sicherheitskräfte halten Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft.
1.1.7.2. Todesstrafe
Die Todesstrafe ist für verschiedene Verbrechen in Kraft. Zahlreiche Todesurteile wurden durch das Anti-Terrorgericht und Militärgerichte oftmals in mangelhaften Gerichtsverfahren verhängt.
1.1.7.3. Religionsfreiheit
In Syrien gibt es keine offizielle Staatsreligion, die Verfassung sieht jedoch vor, dass der syrische Präsident Muslim sein muss. Die Sunniten stellen 74 % der Bevölkerung und sind überall im Land präsent. Andere muslimische Gruppen, einschließlich Alawiten, Ismailiten und Schiiten, machen zusammen 13 % aus, die Drusen 3 %. Verschiedene christliche Gruppen bilden die verbleibenden 10 %. Vor dem Bürgerkrieg gab es in Syrien ungefähr 80.000 Jeziden. Diese Zahl könnte auf Grund des Zuzugs von Jeziden, die aus dem Irak nach Syrien flüchteten, mittlerweile höher sein.
Am Beginn des Konfliktes waren Angriffe auf Minderheiten kein zentraler Bestandteil des Krieges. Die Handlungen des Regimes haben jedoch dazu beigetragen, dass die konfessionelle Dimension des Konfliktes eskalierte. Die Minderheiten sind zwischen den konfessionellen Spannungen gefangen und in ihrer Loyalität gespalten. Viele entschieden sich dafür, das Regime zu unterstützen, da sie sich Schutz durch die syrische Regierung erhoffen, während andere Mitglieder von Minderheiten auf der Seite der Opposition stehen. Die alawitische Gemeinde, zu der Bashar al-Asad gehört, genießt einen privilegierten Status in der Regierung und dominiert auch den staatlichen Sicherheitsapparat und das Militär. Nichtsdestoweniger werden auch alawitische oppositionelle Aktivisten Opfer willkürlicher Verhaftungen, von Folter, Haft und Mord durch die Regierung. Alawitische Gemeinden und schiitische Minderheiten werden außerdem zu Opfern von Angriffen aufständischer extremistischer Gruppen. Dies gilt auch für andere schiitische Minderheiten.
Durch den Aufstieg und die Verbreitung extremistischer bewaffneter Gruppen seit 2014 werden Minderheiten vermehrt Menschenrechtsverletzungen durch deren Kämpfer ausgesetzt. Gruppen wie Daesh oder Jabhat Fatah al-Sham setzen Minderheiten Angriffen und Unterdrückung ihrer Religionsfreiheit aus und bestrafen jene hart, die gegen ihre Kontrolle sind. In Gebieten, die Daesh kontrolliert, wurden Christen gezwungen, eine Schutzsteuer zu zahlen oder zu konvertieren, oder sie liefen Gefahr, getötet zu werden. In Raqqa hält Daesh Tausende jezidische Frauen und Mädchen gefangen, die im Irak entführt und nach Syrien verschleppt wurden, um sie zu verkaufen oder an seine Kämpfer als Kriegsbeute zu verteilen.
Jabhat Fatah al-Sham und einige verbündete Rebellengruppen zielen im Norden des Landes mit Bomben und Selbstmordattentaten auf Drusen und Schiiten ab, laut Jabhat Fatah al-Sham eine Reaktion auf das "Massaker an Sunniten" durch die Regierung. Oppositionelle Gruppen entführen Mitglieder religiöser Minderheiten. Da sich die Motive politischer, ethnischer, konfessioneller und religiöser Gewalt überschneiden, ist es schwierig, Übergriffe als lediglich religiös motiviert zu kategorisieren.
1.1.8. Bewegungsfreiheit
Die steigende Anzahl an Checkpoints der verschiedenen bewaffneten Konfliktparteien, die schweren Kämpfe und die generell unsichere Lage im Land schränken die Bewegungsfreiheit der syrischen Bevölkerung und den Transport lebensnotwendiger Güter stark ein. Das syrische Regime blockiert systematisch Regionen, die von den Rebellen beherrscht werden, die Rebellen und Daesh wenden dieselbe Taktik auf von der Regierung beherrschte Gebiete an. In Gebieten unter ihrer Herrschaft beschränken Daesh und andere Regierungsgegner die Bewegungsfreiheit von Unterstützern der Regierung bzw. von Personen, von denen dies angenommen wird. Dies gilt besonders für die alawitische und schiitische Bevölkerung.
Das syrische Regime setzt Scharfschützen ein, um Sperrstunden durchzusetzen oder Zivilisten an der Flucht aus belagerten Städten zu hindern.
Die syrische Regierung verweigert die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten auf Grund der politischen Einstellung einer Person, ihrer Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert. Das Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum. Über Menschenrechtsaktivisten oder andere Aktivisten der Zivilgesellschaft, deren Familien oder Bekannte werden häufig Ausreiseverbote verhängt. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Grund oder Gültigkeitsdauer werden häufig nicht genannt.
In Gebieten, die von der Opposition kontrolliert werden, funktionieren Institutionen, die Identitätsdokumente ausstellten, nicht mehr. In Gebieten, die von der Regierung beherrscht werden, gibt es diese Institutionen noch, für manche Syrer ist es jedoch unmöglich geworden, sie zu erreichen. So können manche Personen Geburten, Eheschließungen oder Todesfälle nicht mehr eintragen lassen und sich keine neuen Identitätsdokumente ausstellen lassen. Durch den Bürgerkrieg sind auch die Kontrollmaßnahmen schwächer geworden. So werden "echte" Dokumente mit falschen Namen oder geänderten Informationen ausgestellt. Außerdem werden vermehrt gefälschte Dokumente benutzt.
1.1.9. Grundversorgung und Wirtschaft
Die syrische Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren zu einer Kriegswirtschaft entwickelt. Nicht nur das Regime profitiert von der Situation, sondern auch die Milizen jeglicher Ausrichtung zählen zu den Profiteuren. Der Schmuggel blüht, und Verhaftungen und Entführungen sind eine wichtige Säule der Ökonomie geworden. Aktuelle Wirtschaftsdaten sind praktisch nicht verfügbar oder sehr mit Vorsicht zu beurteilen. Millionen Syrer wurden in Arbeitslosigkeit und Armut gedrängt, die Arbeitslosenquote wird bei über 60 % geschätzt. Die Hauptursachen für Armut sind der Verlust von Eigentum und Beruf, der Verlust des Zugangs zu grundlegenden Leistungen, einschließlich solchen des Gesundheitswesens, und zu sauberem Wasser und steigende Lebensmittelpreise. 2015 lebten 83,4 % der Syrer unter der Armutsgrenze, 50 % in extremer Armut. 13,5 Mio. Menschen sind in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das Bruttoinlandsprodukt Syriens ist zwischen 2010 und 2015 um 55 % geschrumpft. Landwirtschaftlich nutzbare Flächen wurden durch den Konflikt dezimiert, daher stiegen die Lebensmittelpreise an. Die Lebensmittelproduktion in Syrien ist im Vergleich zur Zeit vor dem Konflikt um 40 % gesunken.
Das Bildungswesen in Syrien gilt als zusammengebrochen, denn während des Schuljahres 2014/2015 waren in mehreren Teilen des Landes 50,8 % der Kinder nicht in der Schule. Im November 2016 lebten etwa eine Mio. Menschen in Syrien im Belagerungszustand. Ein halbes Jahr zuvor waren es noch weniger als 500.000 Menschen gewesen. Die Bevölkerung in den belagerten Gebieten muss auf den Schwarzmarkt zurückgreifen, um Lebensmittel kaufen zu können.
1.1.10. Medizinische Versorgung
Die Gesundheitsversorgung hat sich in Syrien durch den andauernden Konflikt dramatisch verschlechtert. Mehr als die Hälfte der öffentlichen Krankenhäuser und etwa die Hälfte der öffentlichen Gesundheitszentren sind geschlossen oder funktionieren nur teilweise. Die medizinische Versorgung in der Hauptstadt Damaskus ist gut bis befriedigend.
1.1.11. Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG)
Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) sind der bewaffnete Flügel der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD). Bis 2014 war der Militärdienst bei der YPG freiwillig. Seit 2014 gibt es jedoch in den Gebieten, welche die PYD beherrscht, eine gesetzliche Verpflichtung zum Wehrdienst. Jede Familie ist dazu verpflichtet, ein Familienmitglied im Alter von 18 bis 30 Jahren als "Freiwilligen" für einen sechsmonatigen Wehrdienst bei der YPG aufzubieten. Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, kommt es zu Zwangsrekrutierungen (auch von Minderjährigen) oder zu rechtlichen Konsequenzen. Dieses Gesetz wurde nicht von einer dazu legitimierten staatlichen Instanz beschlossen, sondern von einem von der PYD eingesetzten Gremium. Beim bewaffneten Arm der PYD, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), handelt es sich nicht um eine quasi-staatliche Armee, sondern um eine Parteimiliz. Das Gesetz sieht keine Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen vor.
Die Sicherheitskräfte der PYD haben nach Berichten eine unbekannte Zahl von Männern und Frauen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren an Checkpoints und an ihren Wohnsitzen in kurdischen Gebieten festgenommen und sie gezwungen, für die YPG zu kämpfen.
1.1.12. Frauen
Viele Abschnitte des Familien- und Strafrechtes behandeln Frauen und Männer ungleich, so das Familienstandsgesetz und das Staatsbürgerschaftsrecht. Eine Frau ist laut Gesetz zwar berechtigt, die Scheidung einzureichen, sie hat jedoch nicht immer das Recht auf Alimente, beispielsweise wenn sie dieses Recht aufgibt, um ihren Ehemann zu überzeugen, dass er der Scheidung zustimmt. Sie verliert zudem das Sorgerecht für ihre Söhne ab dem Alter von 13 Jahren und für ihre Töchter ab dem Alter von 15 Jahren an die Familie des früheren Ehemannes. Für Muslime ist das Familienstandsgesetz durch die Scharia geregelt, für Christen durch das Kirchengesetz, das manchmal Scheidung verbietet. Frauen können die Staatsbürgerschaft nicht an ihre Kinder weitergeben. Frauen sind Gewalt, Diskriminierung und starken Einschränkungen ihrer Rechte ausgesetzt. Es geschehen Vergewaltigungen durch Wächter und Sicherheitskräfte in Haftanstalten. Vergewaltigung ist zwar nach dem Gesetz strafbar, die Regierung vollstreckt dieses Gesetz jedoch nicht. Außerdem kann der Täter Straffreiheit erlangen, wenn er das Opfer heiratet, um so das soziale Stigma einer Vergewaltigung zu vermeiden.
Menschenrechtsorganisationen berichten außerdem von einem Anstieg sogenannter Ehrenmorde auf Grund der hohen Anzahl an Vergewaltigungen durch die Regierungseinheiten und sexuelle Versklavung und Ausbeutung durch Daesh.
Auch an Checkpoints, die von den verschiedenen bewaffneten Gruppen besetzt sind, sowie bei Hausdurchsuchungen durch Sicherheitskräfte kommt es zu Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen.
Die Anzahl an Kinderehen ist hoch, besonders bei vertriebenen und flüchtenden Familien, die junge Töchter verheiraten, um sie vor Vergewaltigung zu schützen oder eine Vergewaltigung zu vertuschen, oder aus wirtschaftlicher Not.
In Konfliktgebieten werden Frauen auch Opfer von Entführungen durch bewaffnete Gruppen, die ihre Gegner nicht militärisch besiegen konnten und Entführungen dazu nutzen, um die Gegenseite zur Kapitulation zu zwingen.
Extremistische Gruppen, wie Daesh oder Jabhat Fatah al-Sham, setzen Frauen in den von ihnen beherrschten Gebieten diskriminierenden Beschränkungen aus, zB strengen Kleidervorschriften, Einschränkungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, bei der Bewegungsfreiheit und beim Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt. In Gebieten, die Daesh beherrscht, wurde ein Dokument veröffentlicht, das Frauen unter Androhung der Todesstrafe die Befolgung von 16 Punkten vorschreibt, darunter, das Haus nicht ohne einen männlichen nahen Verwandten zu verlassen, weite Kleidung, ein Kopftuch und einen Gesichtsschleier zu tragen, Friseursalons zu schließen, in der Öffentlichkeit nicht auf Stühlen zu sitzen und keine männlichen Ärzte aufzusuchen. In Raqqa gründete Daesh die "al-Khansaa"-Brigade, die hauptsächlich aus nicht-syrischen Frauen besteht und die Regeln des Daesh bei Frauen durchsetzen soll.
Außerhalb der Gebiete, die unter der Kontrolle des Regimes stehen, unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen sehr stark voneinander. Sie reichen von extremer Diskriminierung, sexueller Versklavung und erdrückenden Verhaltens- und Kleidungsvorschriften in Gebieten des Daesh zu formaler Gleichberechtigung in den Gebieten unter PYD, wo Regierungssitze immer von einer Frau und einem Mann besetzt sind und Frauen in der Politik und im Militärdienst gut vertreten sind.
1.2. Die Beschwerdeführerin ist syrische Staatsangehörige, gehört der ethnischen Gruppe der Kurden an und ist Muslimin; ihre Muttersprache ist Kurmandschi. Sie hält sich seit Juli 2017 in Österreich auf.
Die Beschwerdeführerin stammt aus der Gegend um Kobane und verließ sie, bevor Daesh diese Gegend belagerte und zT besetzte.
Bei einer Rückkehr nach Syrien droht ihr Verfolgung durch die YPG, die eine Generalmobilmachung in den von ihr beherrschten Gebieten ausgerufen hat, um sich der türkischen Invasion in und um Afrin entgegen zu stellen. Die Beschwerdeführerin würde mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit dazu gezwungen werden, sich am militärischen Widerstand gegen diese Invasion zu beteiligen; würde sie sich weigern, wie sie dies beabsichtigt, so liefe sie Gefahr, bestraft zu werden.
Zum weiten Vorbringen der Beschwerdeführerin werden keine Feststellungen getroffen.
2. Beweiswürdigung:
Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:
2.1.1. Die Feststellungen zur Lage in Syrien beruhen auf dem Bericht des Bundesamtes (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation) und auf den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (November 2015). Auf diese Erwägungen bezieht sich auch eine weitere Unterlage des Flüchtlingshochkommissärs der Vereinten Nationen (Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR's Country Guidance on Syria. "Illegal Exit" from Syria and Related Issues for Determining the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Syria [vom Feber 2017]). Auf den "Erwägungen" beruhen ua. die Feststellungen über Menschenrechtsverbrechen der syrischen Streitkräfte (zweiter Abschnitt des Abschnitts über "Folter und unmenschliche Behandlung"; Z 13 der "Erwägungen"). Auf dem Bericht des United States Department of State 2015, der auch im Übrigen die Feststellungen stützt, beruht die Beschreibung der Fassbomben (S 2 des Berichts; erster Absatz im Abschnitt über die allgemeine Menschenrechtslage).
Die Feststellungen zur "Rückkehr" beruhen auf der Information des Flüchtlingshochkommissärs (UNHCR, Relevant Country of Origin Information ..., S 3 f.; zweiter Absatz des Abschnitts) und auf seinen "Erwägungen" (Z 11; dritter Absatz des Abschnitts).
Alle zitierten Unterlagen, auf denen diese Feststellungen beruhen, stammen von angesehenen Einrichtungen, sodass keine Bedenken dagegen bestehen, sich darauf zu stützen; sie stützen sich ihrerseits auf die Berichte zahlreicher anerkannter staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen.
2.1.2. Die Feststellungen zu den kurdischen Volksverteidigungskräften beruhen zunächst auf dem Bericht des Bundesamtes, zudem (zweiter Absatz des Abschnitts) auf dem Bericht des United States Department of State 2015 (S 52). Der Großteil der Feststellungen (ab dem dritten Absatz) stützt sich auf die Information des Flüchtlingshochkommissärs (UNHCR, Relevant Country of Origin Information ..., S 20 bis 26).
2.2.1. Die Feststellungen zur ethnischen Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin, zu ihrer Religion und zu ihrer Muttersprache stützen sich auf ihre glaubwürdigen Angaben.
2.2.2. Die Feststellungen zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin beruhen auf folgenden Überlegungen:
2.2.2.1. Die Beschwerdeführerin gab bei ihrer Befragung am 15.7.2015 an, sie stamme aus Kobane in Syrien und habe dieses Land verlassen, weil Kobane ein Kriegsgebiet sei und es dort tagtäglich Schießereien und Bombardments gebe. Dies sei ihr einziger Fluchtgrund.
Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt am 5.4.2016 gab die Beschwerdeführerin an, sie sei seit etwa acht Monaten verlobt und sei nach Österreich gekommen, weil hier ihr Verlobter sei. Sie sei alleine geflüchtet. Im September 2014 sei sie aus Syrien ausgereist und habe sich etwa ein Jahr lang in der Türkei aufgehalten. Von dort sei sie ausgereist, um zu ihrem Verlobten zu kommen, damit sie später eine Familie gründen könne. Ihr Verlobter stamme aus ihrem Dorf. Sie habe die Türkei im Juli 2015 verlassen und sei am 3.7.2015 in Griechenland angekommen. Auf den Vorhalt, sie sei am 21.6.2015 in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt worden, antwortete sie nicht. Auf die Frage nach ihrem Fluchtgrund gab sie an, sie sei wegen der allgemeinen Lage geflüchtet und da es keine Sicherheit mehr gegeben habe. Das Leben sei sehr teuer gewesen, es habe keine Schule und keine Zukunft mehr gegeben. Die Frage, ob sie jemals verfolgt worden sei, verneinte die Beschwerdeführerin. Mit ihrer Verlobung habe die Flucht nichts zu tun; als sie Syrien verlassen habe, habe sie ihren Verlobten noch nicht gekannt, er habe ihr Dorf schon vor langer Zeit verlassen. Der Verlobte sei seit zwei Jahren in Österreich. Auf den Vorhalt, sie habe angegeben, dass sie sich vor acht Monaten verlobt habe, aber vor einem Jahr ausgereist sei, gab die Beschwerdeführerin an, sie hätten das telefonisch vereinbart. Weitere Fluchtgründe habe sie nicht. Im Fall ihrer Rückkehr habe sie "Todesangst" vor dem "IS", weil der "IS" in der Stadt Kobane gewesen sei. Auf den Vorhalt, das sei bereits länger her, gab sie an, das treffe zu, aber man wisse nie, wann sie zurückkämen.
2.2.2.2. In ihrer Beschwerde wirft die Beschwerdeführerin dem Bundesamt vor, es habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien unvollständig und setzten sich nicht mit der konkreten Gefährdungssituation der Beschwerdeführerin auseinander. Hauptsächlich fehlten Berichte über die Situation von Frauen in von islamistischen Gruppierungen umkämpften Gebieten wie Kobane, über die Situation von Angehörigen der kurdischen Volksgruppe, insbesondere in Kobane und Umgebung, und über die Gefahr der Zwangsrekrutierungen kurdischer Frauen für die Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG). Auch eine mögliche Gefährdung der Beschwerdeführerin als alleinstehende Frau im Bürgerkrieg fehle in den Länderberichten der belangten Behörde. Die Beschwerde verweist in dieser Beziehung auf die "UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen" (4., aktualisierte Fassung vom November 2015), und fährt fort, das Bundesamt verkenne vollständig "die prekäre Sicherheitslage von alleinstehenden Frauen in Syrien" und habe es verabsäumt, sich näher mit der Situation einer Frau im Kriegsgebiet auseinanderzusetzen. Seine Länderberichte reichten daher als Begründung "zur Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz" (sic) nicht aus. Das Bundesamt hätte "jedenfalls" auf die Konkretisierung der Angaben der Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer entscheidungsrelevanten Fluchtgründe dringen müssen, so, was es für die Beschwerdeführerin bedeute, dass es keine Sicherheit und keine Zukunftsperspektive mehr gebe bzw. ob sie eine besondere Gefährdungslage erlebt habe, "besonders im Hinblick auf die notorisch bekannte Lage der Situation der - speziell westlich orientierte - Frauen in Syrien" (sic). Diesbezüglich hätte die Beschwerdeführerin angeben können, dass es ihr als Frau nicht erlaubt oder nicht möglich gewesen sei, die Universität zu besuchen, obwohl sie das habe tun wollen. Es sei "notorisch bekannt", dass Frauen zunehmend unter Druck gesetzt würden, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken. Hinsichtlich der Rückkehrbefürchtungen hätte das Bundesamt "jedenfalls" nachfragen müssen, weshalb die Beschwerdeführerin Todesangst vor dem "IS" habe. Dann hätte sie ausgeführt, dass sie sich fürchte, von der YPG zwangsrekrutiert zu werden, da alle, auch junge und alte Menschen, gegen den "IS" kämpfen müssten. Weiters hätte sie angeben können, dass sie, als der "IS" vor zwei Jahren Kobane angegriffen habe, sofort geflüchtet sie, da sie Angst gehabt habe, als Geisel oder als Sklavin genommen oder getötet zu werden. Das Bundesamt habe auch nicht verkennen können, dass die Beschwerdeführerin eine junge Frau sei, die ohne Kopftuch und westlich gekleidet selbständig nach Europa geflüchtet sei, um zu ihrem Verlobten zu gelangen. (Die Beschwerde erwähnt nicht, dass sich die Beschwerdeführerin telefonisch verlobt hatte.) Es hätte daher, so die Beschwerde, prüfen müssen, welche Lebensweise die Beschwerdeführerin in Österreich anstrebe und ob sie tatsächlich gewillt sei, sich in "das in Syrien kontinuierlich restriktiver werdende islamische Rollenbild der Frau" einzufügen. Das Bundesamt hätte "jedenfalls spezifisch" nachfragen müssen, ob sie als alleinstehende Frau eine besondere Gefährdungslage erlebt habe oder im Fall der Rückkehr befürchte. Die Beschwerdeführerin hätte dann erklären können, dass sie vor dem Krieg nie ein Kopftuch getragen habe, westlich gekleidet gewesen sei und gebildet und religiös liberal eingestellt gewesen sei. Im Krieg sei sie auf Grund der Anwesenheit islamistischer Gruppierungen gezwungen gewesen, sich zu verhüllen, auf den Besuch der Universität zu verzichten und nur in Begleitung auf die Straße zu gehen. Die Beschwerdeführerin gebe "im Beschwerdegespräch" (gemeint ist vermutlich das Gespräch mit der Verfasserin der Beschwerde oder der Rechtsberatungsorganisation) weiters an, dass sie sich in Österreich wohl fühle und jetzt als Frau so leben könne, wie sie wolle. Sie trage Jeans und keine langen Kleider und Röcke mehr und kein Kopftuch; all diese Dinge würden von islamistischen Gruppierungen jedenfalls als unislamisch betrachtet und sie würden die Beschwerdeführerin als Ungläubige betrachten. Es sei "sinngemäß auf die Judikaturlinie des Asylgerichtshofes bzw. des Bundesverwaltungsgerichts zu afghanischen Frauen" hinzuweisen, wonach das Bundesamt bei afghanischen Mädchen und Frauen von Amts wegen auch ohne initiatives Vorbringen näher aufgezählte Fragen zu klären habe (Hinweis auf AsylGH 3.1.2011, C2 415583-1/2010/5E; die Entscheidung betrifft, wie sicherheitshalber zu erläutern ist, nicht Syrien, sondern Afghanistan). Auch im Falle syrischer Frauen, die aus von islamistischen Gruppierungen umkämpften Gebieten wie Kobane stammten, hätte das Bundesamt "jedenfalls" die genannten Fragen stellen müssen. Es hätte weiters durch Länderberichte und gezielte Nachfragen ermitteln müssen, ob die Beschwerdeführerin Verfolgung auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe zu befürchten habe. Kobane werde von verschiedenen islamistischen Gruppierungen, ua. dem "Islamischen Staat" (Anführungszeichen nicht im Original), umkämpft, welche die Kurden generell als Ungläubige verfolgten. Das Bundesamt "hätte ermitteln müssen, inwieweit hier eine Gruppenverfolgung der Kurden in Kobane und Umgebung zu befürchten" sei.
Der Beschwerdeführerin sei nicht vorzuwerfen, dass sie nicht selbständig von den nun genannten Problemen berichtet habe. Sie habe sich nie in einer vergleichbaren Befragungssituation befunden, habe keine Rechtsberatung gehabt und habe nicht gewusst, welche Informationen für das Bundesamt wichtig seien. Sie habe die Fragen so kurz wie möglich beantwortet, um die unangenehme Befragungssituation hinter sich zu bringen. Im Rahmen seiner Manuduktions- und Ermittlungspflichten hätte das Bundesamt "jedenfalls spezifischer nachfragen müssen". Hätte es Länderberichte zur Situation von Frauen "in von islamistischen Gruppierungen besetzen Gebieten wie Kobane" eingeholt, so hätten "auch diese" (gemeint sind offenbar die Berichte) "jedenfalls" die Grundlage für explizite Fragestellungen dazu gegeben. Die ergänzenden Angaben zu den Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen in der Beschwerde fielen daher auf Grund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor dem Bundesamt iSd § 20 Abs. 1 Z 2 BFA-Verfahrensgesetz (in der Folge:
BFA-VG; Art. 2 Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz BGBl. I 87/2012) nicht unter das Neuerungsverbot des § 20 BFA-VG.
2.2.2.3. In ihrer Stellungnahme vom 8.9.2017 verwies die Beschwerdeführerin zunächst auf das Vorbringen in der Beschwerde und führte weiter aus, sie pflege einen westlichen Lebensstil, der sich an ihrem Äußeren und an ihrer inneren Einstellung zeige. Sie habe sich in Syrien nicht frei nach ihrem Willen kleiden können, ohne männliche Begleitung sei "das Verlassen des Hauses sehr eingeschränkt" gewesen. Ihre Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens sei "aufgrund des herrschenden Krieges sehr eingeschränkt" gewesen. Insbesondere an Kontrollpunkten des "IS" seien Frauen, auch die Beschwerdeführerin, dazu gezwungen gewesen, sich den Kleidungs- und Verhaltensvorschriften des "IS" anzupassen. Darüber hinaus stehe Aleppo (wo die Beschwerdeführerin nach einer Angabe geboren ist [nach der anderen in Kobane]; möglichweise ist aber ihr Wohnort Kobane gemeint) unter der Kontrolle der kurdischen YPG. Wie auch im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation festgehalten sei, sei jede Familie dazu verpflichtet, zumindest ein Familienmitglied für den Wehrdienst zu stellen. Die Wehrpflicht "bei den Kurden" treffe auch Frauen. Die besonderen Gefahren für Frauen, Opfer von Gewalt zu werden, seien in den Berichten des Bundesamtes gut dokumentiert. Ergänzend dazu werde auf den aktuellen Bericht der Staatendokumentation des Bundesamtes "Fact Finding Mission Report Syrien" vom August 2017 hingewiesen. Darin werde der Situation von Frauen ein eigenes Kapitel gewidmet. Als Beispiel für vulnerable Frauen würden kurdische Frauen in kurdischen Gebieten mit oppositioneller Einstellung zur PYD angeführt. Dies decke sich mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin. Sie habe sich in ihrer Heimat davor gefürchtet, von der YPG zwangsrekrutiert zu werde. Dies zeige ihre oppositionelle politische Haltung. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei ihr auf Grund des Krieges und ihrer Zugehörigkeit zur Minderheit der Kurden nicht zur Verfügung gestanden. Der Fact Finding Mission Report Syrien bestätige auch die besonders hohe Gefahr, Opfer sexueller Gewalt zu werden. Die Beschwerdeführerin wäre, so die Stellungnahme, in Syrien auf Grund ihrer politischen Einstellung, ihrer Volksgruppe und ihres Geschlechtes asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt.
2.2.2.4. In der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ergänzte zunächst die Vertreterin der Beschwerdeführerin, die Beschwerdeführerin würde bei einer Rückkehr nach Syrien sowohl vom syrischen Regime als auch von der PYD als politisch Oppositionelle verfolgt werden. Sie habe mittlerweile "registriert", dass auf Youtube ein Video (XXXX) hochgeladen worden sei, in dem sie Verbrechen des syrischen Regimes anprangere. Dies sei im Rahmen einer Veranstaltung der "Kurdischen Zukunftsbewegung" in Syrien geschehen, bei der die Beschwerdeführerin aktiv gewesen sei. Als die Beschwerdeführerin später die Partei "Taiyar Al Mustakbal Al Kurdi fi Suria" (= Strömung der Kurdischen Zukunft in Syrien) erwähnte, merkte ihre Vertreterin an, das sei die Partei, die sie vorhin als "Kurdische Zukunftsbewegung" bezeichnet habe. Auch sei die Beschwerdeführerin, so ihre Vertreterin weiter, mittlerweile mit einem Mann verheiratet, der wegen politischer Aktivitäten gegen die syrische Regierung in Österreich Asyl erhalten habe. Dazu legte sie einen Bericht von Humans Right Watch vom 20.1.2010 vor, aus dem hervorgehe, dass Mitglieder der "Kurdischen Zukunftsbewegung" politisch verfolgt würden.
Dabei handelt es sich um den Syrien-Teil des Jahresberichts dieser Organisation
(https://www.hrw.org/world-report/2010/country-chapters/syria). Die relevante Passage (von der Beschwerdeführerin oder ihrer Vertreterin angezeichnet) lautet: "On May 11 a criminal court sentenced Mesh-al Tammo, spokesperson for the Kurdish Future Movement in Syria, to three-and-a-half years in prison for 'weakening national sentiments' and 'broadcasting false information.'" Sie bezieht sich offenbar auf den 11.5.2009.
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