Entscheidungsdatum
06.09.2018Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15Spruch
W 199 2143351-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Michael SCHADEN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.10.2016, Zl. 1080651102, 150974652, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Ehemann der Beschwerdeführerin,XXXX, stellte am 24.9.2014 den Antrag, ihm internationalen Schutz zu gewähren (in der Folge auch als Asylantrag bezeichnet). Die Beschwerdeführerin stellte am 30.7.2015 einen Asylantrag.
Mit dem Bescheid, dessen Spruchpunkt I angefochten ist, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005, Art. 2 BG BGBl. I 100 (in der Folge: AsylG 2005) ab (Spruchpunkt I), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erkannte es ihr den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II); gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilte es ihr die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 3.10.2017 (Spruchpunkt III).
Dieser Bescheid wurde ihr am 10.10.2016 durch Hinterlegung beim Postamt zugestellt.
Gegen Spruchpunkt I dieses Bescheides richtet sich die vorliegende, fristgerechte Beschwerde vom 3.11.2016.
2. Am 29.4.2016 erhob der Ehemann der Beschwerdeführerin eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde), die am 3.5.2016 beim Bundesamt einlangte.
Mit Bescheid vom 4.10.2016, 1027124601, 140004346, wies das Bundesamt den Antrag des Ehemanns der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erkannte es ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II); gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilte es ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 3.10.2017 (Spruchpunkt III). Gegen Spruchpunkt I dieses Bescheides erhob er eine Beschwerde.
3. Das Verfahren, das den Ehemann der Beschwerdeführerin betrifft (und das beim Bundesverwaltungsgericht zu 2143348-1 geführt wird), hat ergeben, dass ihm auf Grund seiner Verfolgung Asyl zu gewähren ist.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Feststellungen über den Verfahrensgang ergeben sich aus den Akten der Verfahren über die Anträge der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes.
Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich die Beschwerdeführerin im Zuge von Kriegshandlungen eines Verbrechens schuldig gemacht hätte. Es gibt weiters keinen Hinweis darauf, dass sie "straffällig" iSd § 2 Abs. 3 AsylG 2005 geworden wäre, dh. dass sie rechtskräftig verurteilt worden wäre, und zwar wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes fällt, oder mehr als einmal wegen einer sonstigen vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist.
2. Rechtliche Beurteilung:
2.1.1. Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005 ist das AsylG 2005 am 1.1.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren.
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz (in der Folge: BFA-VG; Art. 2 Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz BGBl. I 87/2012) idF des Art. 2 FNG-Anpassungsgesetz BGBl. I 68/2013 und des BG BGBl. I 144/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes.
2.1.2. Das vorliegende Verfahren war am 31.12.2005 nicht anhängig; das Beschwerdeverfahren ist daher nach dem AsylG 2005 zu führen.
2.2. Gemäß § 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, Art. 1 BG BGBl. I 33/2013 (in der Folge: VwGVG), idF BG BGBl. I 122/2013 ist das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens bereits kundgemacht waren, unberührt. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit im VwGVG nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG - wie die vorliegende - das AVG mit Ausnahme seiner §§ 1 bis 5 und seines IV. Teiles, die Bestimmungen weiterer, hier nicht relevanter Verfahrensgesetze und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, welche die Verwaltungsbehörde in jenem Verfahren angewandt hat oder anzuwenden gehabt hätte, das dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangen ist. Dementsprechend sind im Verfahren über die vorliegende Beschwerde Vorschriften des AsylG 2005 und des BFA-VG idF des Art. 2 FNG-Anpassungsgesetz und des BG BGBl. I 144/2013 anzuwenden.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht - und somit auch das Bundesverwaltungsgericht - über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Verwaltungsbehörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde "unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens" widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Verwaltungsbehörde ist dabei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BGBl. I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine andere als die Zuständigkeit des Einzelrichters ist für die vorliegende Rechtssache nicht vorgesehen, daher ist der Einzelrichter zuständig.
Zu A)
1. § 2 Abs. 1 Z 22 erster Satz AsylG 2005 definiert als "Familienangehörigen" ua.: "wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat".
§ 34 AsylG 2005 steht unter der Überschrift "Familienverfahren im Inland" und lautet:
"(1) Stellt ein Familienangehöriger von
1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;
2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder
3. einem Asylwerber
einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist und
3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).
(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist;
3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und
4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.
(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:
1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;
2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;
3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG)."
2.1. Die Beschwerdeführerin ist "Familienangehörige" (iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005) ihres Ehemanns; dies gilt auch umgekehrt. Beide haben Asylanträge gestellt, keinem wurde bisher Asyl, beiden aber subsidiärer Schutz gewährt.
2.2. Dem Ehemann der Beschwerdeführerin ist Asyl zu gewähren, daher ist gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 auch ihr Asyl zu gewähren, ohne dass allfällige eigene Fluchtgründe untersucht werden mussten.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig. In dem Verfahren, das über die Beschwerde des Ehemanns der Beschwerdeführerin geführt worden ist, ist das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis gekommen, dass die Revision zulässig sei, weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage fehle, "ob die Säumnisbeschwerde, die ein Asylwerber erhebt, auch die Wirkung einer Säumnisbeschwerde in den Verfahren seiner Familienangehörigen iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 hat. Bejaht man diese Frage, anders als es das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Erkenntnis tut, so wäre die Säumnisbeschwerde, die der Beschwerdeführer erhoben hat, zulässig gewesen und der angefochtene Bescheid von einer unzuständigen Behörde erlassen worden, da ihn das Bundesamt erst nach Ablauf der Nachfrist erlassen hat. Das Bundesverwaltungsgericht müsste den angefochtenen Bescheid somit wegen Unzuständigkeit der ihn erlassenden Behörde aufheben und dürfte nicht in der Sache entscheiden. Somit hängt die Entscheidung von der Lösung dieser Rechtsfrage ab. Verneint man - mit dem vorliegenden Erkenntnis - diese Wirkung einer Säumnisbeschwerde jedoch, so stellt sich die weitere Frage, ob eine Säumnisbeschwerde zulässig ist, wenn in den Verfahren der Familienangehörigen iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 keine Säumnisbeschwerden erhoben werden. Bejaht man dies, anders als das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Erkenntnis, so hätte das wieder die Konsequenz, dass der angefochtene Bescheid von einer unzuständigen Behörde erlassen worden wäre. Somit hängt die Entscheidung von der Lösung auch dieser Rechtsfrage ab."
Die erste Frage stellt sich genauso im vorliegenden Verfahren. Bejaht man im Verfahren über die Beschwerde des Ehemanns der Beschwerdeführerin die zweite Frage, dann war über die - fingierte - Säumnisbeschwerde der Beschwerdeführerin zu entscheiden und der hier angefochtene Bescheid von einer inzwischen unzuständigen Behörde erlassen. Darüber hinaus könnte das vorliegende Erkenntnis nicht Bestand haben, wenn das Erkenntnis, das über die Beschwerde des Ehemanns der Beschwerdeführerin ergeht, aufgehoben würde, da es im Wege des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 mit ihm verknüpft ist. Schon deshalb ist die Revision zuzulassen.
Schlagworte
Asylgewährung, befristete Aufenthaltsberechtigung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W199.2143351.1.00Zuletzt aktualisiert am
25.10.2018