Entscheidungsdatum
25.09.2018Norm
AEUV Art.267Spruch
W230 2202808-1/8Z
W230 2203901-1/5Z
W230 2204522-1/4Z
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Philipp CEDE, LL.M., als Vorsitzenden und die Richterinnen Dr. Yoko KUROKI-HASENÖHRL und Dr. Esther SCHNEIDER als Beisitzerinnen in den Beschwerdesachen
1. der XXXX [AR AG], vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH, Schottenring 19, 1010 Wien, gegen den Bescheid der Finanzmarktaufsichtsbehörde vom 29.06.2018, Zl. FMA-UL0001.100/0008-LAW/2017,
2. der XXXX (PA LLP], vertreten durch Brandstätter Scherbaum Rechtsanwälte OG, Tuchlauben 13/12, 1010 Wien, gegen den Bescheid der Finanzmarktaufsichtsbehörde vom 29.06.2018, Zl. FMA-UL0001.100/0011-LAW/2017,
und
3. des XXXX [CC], vertreten durch Pelzmann Gall Rechtsanwälte GmbH, Wagramer Straße 19/33, 1220 Wien, gegen den Bescheid der Finanzmarktaufsichtsbehörde vom 29.06.2018, Zl. FMA-UL0001.100/0009-LAW/2017, abgeändert durch
Beschwerdevorentscheidung vom 09.08.2018, Zl. FMA-UL0001.110/0009-LAW/2018,
beschlossen:
A)
I. Die Verfahren werden gemäß § 39 Abs. 2 AVG iVm. § 24 und § 29 Abs. 2 VStG iVm. § 38 VwGVG verbunden.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen der Auslegung zur Vorabentscheidung vorgelegt:
II.1. Ist Art. 3 Absatz 1a Unterabsatz 4 Buchstabe iii) der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2013/50/EU des Europäischen Parlaments und des Rates, dahin auszulegen, dass es eine Voraussetzung für die Zulässigkeit "strengerer Anforderungen" für "Aktionäre oder natürliche oder juristische Personen" ist, dass die "Rechts- oder Verwaltungsvorschriften", in denen strengere Anforderungen für die Beteiligungspublizität vorgesehen sind, von einer Behörde, die der Mitgliedstaat gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2004/25/EG ... betreffend Übernahmeangebote benannt hat, "beaufsichtigt werden", und dass diese Beaufsichtigung die Einhaltung der strengeren Anforderungen zur Beteiligungspublizität im Sinne der Richtlinie 2004/109/EG umfasst?
II.2. Steht Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einer innerstaatlichen Praxis entgegen, nach der einer rechtskräftigen Entscheidung der Aufsichtsstelle gemäß Art. 4 der Richtlinie 2004/25/EG, mit der ein Verstoß einer Person gegen innerstaatliche Vorschriften, die in Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG ergangen sind, festgestellt wurde, Bindungswirkung auch im Rahmen eines gegen dieselbe Person geführten Strafverfahrens wegen Verletzung von daran anknüpfenden innerstaatlichen Normen in Umsetzung der Richtlinie 2004/109/EG (Transparenzrichtlinie) zukommt, so dass diese Person gehindert ist, die bereits rechtskräftig festgestellte Rechtsverletzung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu bestreiten?
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 9 B-VG in Verbindung mit § 25a Abs. 3 VwGG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
Zum Ausgangsverfahren:
1. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Ausgangsverfahren über Beschwerden gegen Straferkenntnisse der Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) zu entscheiden. Bei Erlassung dieser Straferkenntnisse stützte sich die FMA auf Vorschriften des Börsegesetzes 1989 (im Folgenden: BörseG 1989) in Umsetzung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2013/50/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (im Folgenden: Transparenzrichtlinie).
2. Bei der FMA handelt es sich um die in Artikel 24 Transparenzrichtlinie "zuständige Behörde". Sie ist daher für die "Wahrnehmung der Verpflichtungen aufgrund dieser Richtlinie zuständig" und hat sicherzustellen, "dass die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen Bestimmungen angewandt werden".
3. Die angefochtenen Straferkenntnisse der FMA sind darauf gestützt, dass die beschwerdeführenden Parteien gegen die Vorschriften des BörseG 1989 über die Beteiligungspublizität verstoßen hätten. Konkret hat die FMA jene Vorschriften herangezogen, die beim Handeln gemeinsam vorgehender Rechtsträger ("acting in concert") eine gegenseitige Zurechnung von Beteiligungen an einer Emittentin vorsehen. Ein solches Handeln habe im konkreten Fall zu einer (den Beteiligten zuzurechnenden) Überschreitung der relevanten Beteiligungsschwelle von 30 % im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 der Transparenzrichtlinie geführt und sei damit mitteilungspflichtig gewesen. Mit den im Ausgangsverfahren erlassenen Straferkenntnissen sanktionierte die FMA die Nichtbeachtung dieser Mitteilungspflicht.
4. Als Rechtsgrundlage der Zurechnung von Beteiligungen wendete die FMA den Tatbestand des § 92 Z 7 BörseG 1989 an, der an die Verwirklichung des im österreichischen Übernahmegesetz (ÜbG) geregelten - dort auch als Auslöser für die übernahmerechtliche Angebotspflicht normierten - Tatbestands der "gemeinsam vorgehenden Rechtsträger" anknüpft (§ 1 Z 6 ÜbG, § 23 Abs. 1 ÜbG; vgl. auch den zugrunde liegenden Begriff des unionsrechtlichen Übernahmerechts in Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/25/EG).
5. Dabei ging die FMA zusammengefasst von Folgendem aus: Die Gruppe bestehend - unter anderem - aus der XXXX [AR AG] (der erstbeschwerdeführenden Partei im vorliegenden Ausgangsverfahren),
XXXX [PA LLP] (der zweitbeschwerdeführenden Partei im vorliegenden Ausgangsverfahren) sowie Herrn XXXX [CC] (dem Drittbeschwerdeführer im vorliegenden Ausgangsverfahren) habe als gemeinsam vorgehende Rechtsträger im Sinne von § 1 Z 6 ÜbG gehandelt. Die Stimmrechte dieser Parteien an der Emittentin (Conwert Immobilien SE) seien diesen Parteien erstmals am 29.09.2015 gemäß § 23 Abs. 1 ÜbG wechselseitig zuzurechnen gewesen.
In der Frage, ob der Tatbestand der "gemeinsam vorgehenden Rechtsträger" im Sinne von § 1 Z 6 ÜbG in Verbindung mit § 23 Abs. 1 ÜbG erfüllt sei, sehe sich die FMA an einen rechtskräftigen Bescheid der Übernahmekommission vom 22.11.2016 (berichtigt am 01.12.2016) gebunden. Aufgrund dieser Bindungswirkung dürfe die FMA im Hinblick darauf, ob die Parteien den objektiven Tatbestand der von der FMA angewendeten Strafnorm (wegen Verletzung der Beteiligungspublizitätspflichten) verwirklicht hätten, jedenfalls im Umfang der Frage, ob die Parteien als gemeinsam vorgehende Rechtsträger gehandelt hätten und ihnen die Beteiligung von über 30 % zuzurechnen sei, keine eigenständigen Ermittlungen mehr vornehmen. Im Strafverfahren der FMA sei daher vor allem nur noch die subjektive Tatseite zu klären gewesen. Die FMA sei auch an die rechtliche Qualifikation im Bescheid der Übernahmekommission gebunden. Mit dem erwähnten rechtskräftigen Bescheid habe die Übernahmekommission in Anwendung der zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG erlassenen Vorschriften des ÜbG verbindlich festgestellt, dass die im Verfahren vor der Übernahmekommission beteiligten Parteien zu Unrecht ein Pflichtangebot unterlassen hätten und dies damit begründet, dass die Parteien die für die Angebotspflicht relevante Schwelle von 30 % aufgrund des Zusammenrechnungstatbestands der "gemeinsam vorgehenden Rechtsträger" erreicht hätten. Für Näheres zu diesem Verfahren vor der Übernahmekommission verweist das vorlegende Gericht auf die Ausführungen in seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 16.08.2018, das vom Gerichtshof als Rechtssache C-546/18, XXXX u.a., geführt wird.
6. Die RL 2004/25/EG wurde in Österreich durch das Bundesgesetz betreffend Übernahmeangebote (Übernahmegesetz - ÜbG), BGBl. I Nr. 127/1998 (derzeitige Fassung BGBl. I Nr. 107/2017) umgesetzt.
Die Übernahmekommission, an deren Bescheid sich die FMA bei Erlassung der im Ausgangsverfahren strittigen Straferkenntnisse gebunden erachtete, ist die in Artikel 4 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote (im Folgenden RL 2004/25/EG) vorgesehene Aufsichtsstelle.
Es handelt sich bei der Übernahmekommission um eine von der FMA völlig getrennte und unterschiedliche Behörde.
Anwendbare Vorschrift des innerstaatlichen Rechts:
7. Im relevanten Tatzeitraum war das BörseG 1989 in der Fassung BGBl. I 98/2015 anwendbar (im Folgenden: BörseG 1989). § 92 Z 7 BörseG 1989 normierte als Tatbestand, der zu einer Zurechnung von Stimmrechten zu einer Person führt, den Fall von "Stimmrechte[n], die der Person gemäß § 23 Abs. 1 oder 2 ÜbG zuzurechnen sind" (die aktuelle Rechtslage kennt eine identische Regelung in § 133 Z 7 BörseG 2018). Damit knüpft § 97 Z 7 BörseG an § 23 Abs. 1 ÜbG an, der vorsieht, dass Stimmrechte eines Emittenten solchen Personen zuzurechnen sind, die als "[g]emeinsam vorgehende Rechtsträger" einzustufen sind. Ergänzend verweist der Gesetzgeber zur Umschreibung des Zurechnungstatbestands des § 23 Abs. 1 ÜbG auf die Legaldefinition des § 1 Z 6 ÜbG, in der der Begriff "gemeinsam vorgehende Rechtsträger" wie folgt umschrieben ist:
"6. Gemeinsam vorgehende Rechtsträger: natürliche oder juristische Personen, die mit dem Bieter auf der Grundlage einer Absprache zusammenarbeiten, um die Kontrolle über die Zielgesellschaft zu erlangen oder auszuüben, insbesondere durch Koordination der Stimmrechte, oder die aufgrund einer Absprache mit der Zielgesellschaft zusammenarbeiten, um den Erfolg des Übernahmeangebots zu verhindern. Hält ein Rechtsträger eine unmittelbare oder mittelbare kontrollierende Beteiligung (§ 22 Abs. 2 und 3) an einem oder mehreren anderen Rechtsträgern, so wird vermutet, dass alle diese Rechtsträger gemeinsam vorgehen; dasselbe gilt, wenn mehrere Rechtsträger eine Absprache über die Ausübung ihrer Stimmrechte bei der Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrats getroffen haben."
8. Die genannte Zurechnungsvorschrift führt somit zusammengefasst dazu, dass natürliche und/oder juristische Personen, die zur Erlangung oder Ausübung einer (gemeinsamen) wesentlichen Beteiligung (30%) am Emittenten zusammenwirken, sich gegenseitig ihre Beteiligungen am Emittenten zurechnen lassen müssen. Die Rechtsfolge der Zusammenrechnung nach § 92 Z 7 BörseG 1989 ist, dass diese Personen einer Verpflichtung zur Abgabe einer Mitteilung an den Emittenten im Sinne von Art. 9 der Transparenzrichtlinie unterliegen.
9. Der österreichische Gesetzgeber ist mit dieser Regelung über die Anforderungen der Transparenzrichtlinie hinausgegangen, weil ein derartiger Zurechnungstatbestand in der genannten Richtlinie nicht vorgesehen ist; insbesondere geht dieser Zurechnungstatbestand über die Fälle des Art. 10 Buchst. a wesentlich hinaus, weil diese enger definiert sind, etwa dadurch, dass sie das Vorhandensein einer verpflichtenden "Vereinbarung" zu einer "langfristig gemeinsamen Politik" voraussetzen (vgl. auch Maierhofer in Temmel, Börsegesetz - Praxiskommentar § 92 Rz 80; Fidler, Beteiligungspublizität zwischen Vollharmonisierung und Übernahmerecht, ZFR 2017, 222 [224] mit Hinweis auf Veil in Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht2, 442). Die für "gemeinsam vorgehende Rechtsträger" geltende Verpflichtung, nach dem BörseG 1989 eine entsprechende Mitteilung an den Emittenten zu richten, sowie die im Ausgangsverfahren angewendeten Strafsanktionen wegen Nichteinhaltung dieser Verpflichtung sind daher als "strengere Anforderungen" im Sinne von Art. 3 Absatz 1a Unterabsatz 4 Buchstabe
iii) der Transparenzrichtlinie anzusehen.
Zur ersten Vorlagefrage:
10. Vor diesem Hintergrund stellt sich dem vorlegenden Gericht aber die Frage, ob die harmonisierenden Vorschriften der Transparenzrichtlinie und das in dieser Richtlinie verankerte Prinzip der Vollharmonisierung eine derartige "strengere" Regelung des österreichischen Rechts zulassen. Dies wäre nur der Fall, wenn diese Regelung die in der Richtlinie für "strengere" innerstaatliche Normen aufgestellten Voraussetzungen erfüllt.
11. Die Transparenzrichtlinie regelt die Voraussetzungen strengerer
Anforderungen wie folgt:
Deutsche Sprachfassung:
"Der Herkunftsmitgliedstaat darf für Aktionäre oder natürliche oder juristische Personen im Sinne der Artikel 10 oder 13 keine strengeren Anforderungen vorsehen als die in dieser Richtlinie festgelegten, es sei denn,
i) ...
ii) ...
iii) er wendet Rechts- oder Verwaltungsvorschriften an, die im Zusammenhang mit Übernahmeangeboten, Zusammenschlüssen und anderen Transaktionen stehen, die die Eigentumsverhältnisse oder die Kontrolle von Unternehmen betreffen, und von den Behörden, die gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote von den Mitgliedstaaten benannt wurden, beaufsichtigt werden."
Französische Sprachfassung:
"L'État membre d'origine ne peut pas soumettre un détenteur d'actions, ou une personne physique ou morale visée à l'article 10 ou 13, à des exigences plus strictes que celles énoncées dans la présente directive, sauf:
i) ...
ii) ...
iii) appliquer les dispositions législatives, réglementaires ou administratives adoptées en ce qui concerne les offres publiques d'acquisition, les opérations de fusion et d'autres opérations ayant des incidences sur la propriété et le contrôle des entreprises, qui sont surveillées par les autorités désignées par les États membres conformément à l'article 4 de la directive 2004/25/CE du Parlement européen et du Conseil du 21 avril 2004 sur les offres publiques d'acquisition."
Englische Sprachfassung:
"The home Member State may not make a holder of shares, or a natural person or legal entity referred to in Article 10 or 13, subject to requirements more stringent than those laid down in this Directive, except when:
(i) ...
(ii) ...
(iii) applying laws, regulations or administrative provisions adopted in relation to takeover bids, merger transactions and other transactions affecting the ownership or control of companies, supervised by the authorities appointed by Member States pursuant to Article 4 of Directive 2004/25/EC of the European Parliament and of the Council of 21 April 2004 on takeover bids."
12. In der (österreichischen) rechtswissenschaftlichen Literatur besteht keine Einigkeit darüber, ob die vom österreichischen Gesetzgeber in § 92 Z 7 BörseG geregelten "strengeren Anforderungen" mit den Voraussetzungen des Art. 3 der Transparenzrichtlinie kompatibel sind:
13. Ein Teil der Lehre vertritt die Auffassung, dass Art. 3 Abs. 1a Unterabsatz 4 Buchst. iii "nur für Rechtsvorschriften greift, die von den Übernahmebehörden vollzogen werden". Der österreichischen Übernahmekommission fehle es "im Rahmen der Beteiligungspublizität allerdings an einer entsprechenden Zuständigkeit" (Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht2 § 18 Rz 105). Diese Literaturmeinung geht also davon aus, dass im Zusammenhang mit Übernahmeangeboten, Zusammenschlüssen und anderen Transaktionen eine strengere Vorschrift über die einzuhaltende Beteiligungspublizität nur dann zulässig ist, wenn diese strengere Beteiligungspublizitätsvorschrift auch von jener (bzw. einer) Behörde "beaufsichtigt" wird, die als Behörde (Aufsichtsstelle) im Sinne von Art. 4 der Richtlinie 2004/25/EG eingerichtet und "benannt" ist. Die im Ausgangsverfahren angewendeten Beteiligungspublizitätsnormen werden jedoch nicht von der nach Art. 4 der Richtlinie 2004/25/EG eingerichteten (und der Europäischen Kommission offenbar nach Art. 4 leg.cit auch "benannten") Übernahmekommission, sondern von der FMA beaufsichtigt.
14. Die gegenteilige Literaturmeinung gesteht zwar zu, dass der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1a Unterabsatz 4 Buchst. iii) eine solche Sichtweise nahelegen würde, sie begründet die Richtlinienkonformität aber mit dem Hinweis darauf, dass die Entstehungsgeschichte für eine andere Interpretation spreche (vgl. näher Fidler, Beteiligungspublizität zwischen Vollharmonisierung und Übernahmerecht, ZFR 2017, 222).
15. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts könnte der grammatikalische Aufbau des Art. 3 Abs. 1a Unterabsatz 4 Buchst. iii) für die Sichtweise sprechen, dass die Ausnahmevorschrift verlangt, dass eine nach der Übernahmerichtlinie (2004/25/EG) benannte Behörde die strengeren Anforderungen zur Beteiligungspublizität beaufsichtigt. Denn soweit der Unionsgesetzgeber die Erlaubnis zur Anwendung strengerer Anforderungen davon abhängig macht, dass der Mitgliedstaat "Rechts- und Verwaltungsvorschriften an[wendet]", sind damit wohl nicht die "Rechts- und Verwaltungsvorschriften" des Übernahmerechts gemeint, sondern jene mit strengeren Anforderungen des Beteiligungstransparenzrechts. Andernfalls ergäbe die Präzisierung, dass diese "Rechts- und Verwaltungsvorschriften" mit dem Übernahmerecht "in Zusammenhang stehen" müssten ("... adopted in relation to ..."; "... adoptadas en relación con ..."), keinen Sinn.
16. Vor dem Hintergrund, dass der hier angesprochene Ausnahmetatbestand in eine Aufzählung eingebettet ist, spricht für die erwähnte Sichtweise auch der Vergleich mit den Buchstaben i) und
ii) des Artikels 3 Absatz 1a Unterabsatz 4 der Transparenzrichtlinie: In diesen anderen beiden Buchstaben wird ein bestimmter Regelungsgegenstand des Transparenzrechts (also nicht des Übernahmerechts) angesprochen, für den "strengere" Anforderungen zulässig sein sollen. Dies legt die Annahme nahe, dass der Unionsgesetzgeber Derartiges auch im Fall des Buchstaben iii) gemeint hat.
17. Für diese Sichtweise könnte ferner auch der Umstand sprechen, dass der Unionsgesetzgeber fordert, dass die "im Zusammenhang" mit dem Übernahmerecht stehenden "Rechts- und Verwaltungsvorschriften" von der nach der Richtlinie 2004/25/EG vom Mitgliedstaat benannten Behörde "beaufsichtigt" werden müssen. Hätte er mit den hier angesprochenen "Rechts- und Verwaltungsvorschriften" jene gemeint, die der Mitgliedstaat zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG erlassen hat (und nicht solche, die damit nur "in Zusammenhang" stehen - zu denken ist hier eben an Vorschriften zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie, die an übernahmerechtliche Tatbestände bloß anknüpfen), so käme der Voraussetzung, dass diese Rechts- und Verwaltungsvorschriften von einer nach Art. 4 der Richtlinie 2004/25/EG benannten Behörde beaufsichtigt werden müssen, keine eigenständige Bedeutung zu, weil bezüglich der Übernahmevorschriften ohnehin bereits die zitierte Richtlinie gebietet, dass die zu ihrer Umsetzung erlassenen Vorschriften von einer solchen Aufsichtsbehörde beaufsichtigt werden. Dem Unionsgesetzgeber ist im Zweifel aber nicht zu unterstellen, eine redundante Anordnung getroffen zu haben.
18. Insgesamt legt eine grammatikalisch-logische Interpretation der Vorschrift die Annahme nahe, dass der Unionsgesetzgeber als Voraussetzung für eine "strengere Anforderung" bei der Beteiligungspublizität verlangt, dass diese Anforderung
-
zwar außerhalb des eigentlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie 2004/25/EG liegt,
-
jedoch damit "in Zusammenhang" steht
und
-
nach innerstaatlichem Recht der Zuständigkeit der (oder einer der) Behörde(n) unterworfen wurde, die- auch - hiefür speziell nach Art. 4 der Richtlinie 2004/25/EG benannt wurde(n).
19. Diese Auslegung dürfte auch zu keinen sinnlosen Ergebnissen und (entgegen der Meinung von Fidler, aaO) auch nicht zu unerwünschten Zufallseffekten führen, denn es bleibt in der Hand der Mitgliedstaaten, ob sie ihre Rechtsordnung entsprechend ausgestalten. Keiner weiteren Überlegungen bedarf es, wenn die nach der Richtlinie 2004/25/EG benannte Behörde identisch mit jener ist, die auch zur Beaufsichtigung der strengeren Beteiligungstransparenzvorschriften zuständig ist, etwa im Fall von Mitgliedstaaten, die sich dafür entscheiden, die Umsetzungsvorschriften beider Richtlinien von ein und derselben Aufsichtsstelle vollziehen zu lassen und diese Behörde der Kommission nach beiden Richtlinien benennen. Aber auch für einen Fall wie jenen der österreichischen Rechtslage, in der die Aufsichtsbehördenzuständigkeit zwischen Übernahmerecht (Übernahmekommission) und Beteiligungstransparenzaufsicht (FMA) getrennt sein soll, verlangt die oben dargestellte Auslegung nichts Unmögliches oder Unzweckmäßiges: Da die Richtlinie 2004/25/EG es nicht ausschließt, dass ein Mitgliedstaat - je nach Regelungsbereich - auch unterschiedliche und damit auch mehrere Behörden parallel als Aufsichtsstellen nach ihrem Art. 4 benennt, hätte Österreich zur Inanspruchnahme der Ermächtigung nach Art. 3 Absatz 1a Unterabsatz 4 Buchstabe iii) der Richtlinie 2004/109/EG die FMA für Zwecke der Beaufsichtigung von "strengeren Anforderungen" als - parallel zur Übernahmekommission sektoral zuständige - Aufsichtsstelle gemäß Art. 4 der Richtlinie 2004/25/EG benennen können. Dass dies geschehen wäre, ist für das vorlegende Gericht aber nicht belegt. Sollte es geschehen sein, ist jedenfalls nicht belegt, dass dies vor dem hier strittigen Tatzeitraum erfolgt ist.
20. Eine innerstaatliche Regelung, die vorsieht, dass die im Zusammenhang mit dem Übernahmerecht stehenden strengeren Publizitätsvorschriften von einer nicht im Sinne des Art. 4 der Richtlinie 2004/25/EG hiefür "benannten" Aufsichtsbehörde "beaufsichtigt" werden, würde nach der oben dargestellten Meinung die Voraussetzungen des Art. 3 der Transparenzrichtlinie nicht erfüllen.
21. Das vorlegende Gericht erachtet die Klärung, ob im gegebenen Zusammenhang Gesichtspunkte der grammatikalisch-logischen Interpretation vorgehen oder aber - entgegen dieser Gesichtspunkte - Motive einzelner am Rechtssetzungsprozess beteiligter Akteure ausschlaggebend sein sollten (dafür zB Fidler, aaO und die dort referierten Auffassungen), für klärungsbedürftig. Argumente der Transparenz und Rechtsklarheit, ebenso wie der Ausnahmecharakter der einzelnen Tatbestände des Art. 3 der Transparenzrichtlinie sprechen für eine restriktive Auslegung, dies nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass es den Mitgliedstaaten frei steht, durch entsprechende Umsetzung und explizite Benennung der Behörde zur Heranziehung dieser Ausnahmebestimmung selbst für Klarheit zu sorgen.
Zur zweiten Vorlagefrage:
22. Die zweite Vorlagefrage entspricht im Prinzip der dritten Frage (II.3.) des Vorabentscheidungsersuchens in der Rechtssache C-546/18,
XXXX u.a., sie stellt sich im vorliegenden Verfahren jedoch in zweierlei Hinsicht modifiziert dar: Zum einen stellt sich diese Frage im vorliegenden Verfahren nicht aus der Perspektive und im Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/25/EG, sondern aus dem Blickwinkel und im Anwendungsbereich der Transparenzrichtlinie (Richtlinie 2004/109/EG in der Fassung Richtlinie 2013/50/EU). Zum anderen geht es in der Rs. C-546/18 darum, wie weit eine Behörde als Aufsichtsstelle iSd. Richtlinie 2004/25/EG beim Vollzug von Strafsanktionen in Umsetzung dieser Richtlinie im Lichte von Art. 47 der Charta der Grundrechte (GRC) an eine frühere rechtskräftige, bei Anwendung von Vorschriften in Umsetzung derselben Richtlinie ergangene, nicht-strafrechtliche Entscheidung derselben Behörde (Aufsichtsstelle) gebunden sein kann/darf (und zwar einerseits in Fällen bestehender Parteienidentität [Frage II.3. zu Rs. C-546/18], andererseits aber in Fällen ohne Parteienidentität [Frage II.4. zu Rs. C-546/18]).
23. Demgegenüber stellt sich im vorliegenden Verfahren die Frage, ob das Unionsrecht mit Art. 47 GRC einer Bindung an eine nicht-strafrechtliche rechtskräftige Entscheidung der "Aufsichtsstelle" im Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/25/EG in einem (Verwaltungs-)Strafverfahren vor der nach der Transparenzrichtlinie "zuständigen Behörde" (FMA) zur Sanktionierung von strengeren, aber - wegen des Zusammenhangs mit Übernahmesachverhalten im Sinne der Richtlinie 2004/25/EG - zulässigen Anforderungen gemäß der Transparenzrichtlinie (bei - hier gegebener - Parteienidentität) entgegensteht.
24. Das vorlegende Gericht verweist für Näheres auf die Ausführungen in seinem Vorabentscheidungsersuchen zu Rs. C-546/18 und fasst seine Erwägungen, übertragen auf das vorliegende Verfahren, im Folgenden nur gerafft zusammen:
25. Die FMA hat im Ausgangsverfahren ein Verwaltungsstrafverfahren geführt, das im Anwendungsbereich des Unionsrechts und daher der Charta der Grundrechte (GRC) liegt. Dabei hat sie sich an eine rechtskräftige Entscheidung der Übernahmekommission für gebunden erachtet, die ebenfalls im Anwendungsbereich des Unionsrechts, allerdings in einem nicht strafrechtlichen Verfahren, erging. Die Bindungswirkung führt dazu, dass die FMA in der Frage, ob die beschwerdeführenden Parteien im tatrelevanten Zeitraum als "gemeinsam vorgehende Rechtsträger" anzusehen waren und ihnen daher aufgrund wechselseitiger Zurechnung ihrer Beteiligungen ein Erreichen der Schwelle von 30% an der Emittentin anzulasten ist, weder Tatsachenermittlungen noch eine eigenständige rechtliche Beurteilung vornehmen kann. Das vorlegende Gericht stellt sich die Frage, ob Art. 47 GRC mit dieser Konsequenz vereinbar ist (oder ob diese Konsequent unionsrechtlich sogar geboten ist) oder aber bei Beachtung von Art. 47 GRC von der Annahme einer Bindungswirkung des Bescheids der Übernahmekommission im Strafverfahren Abstand zu nehmen ist.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 9 B-VG in Verbindung mit § 25a Abs. 3 VwGG nicht zulässig (keine gesonderte Anfechtbarkeit des bloß verfahrensleitenden Beschlusses; der Vorlagebeschluss im betroffenen Ausgangsverfahren unterscheidet sich insofern von Aussetzungsbeschlüssen in Parallelverfahren; siehe zur mangelnden Anfechtbarkeit von Vorlagebeschlüssen und Normenanfechtungen im Übrigen auch OGH 09.12.1996, 16 Ok 9/96; 03.05.2012, 10 ObS 67/12v [=RZ 2012, 279]).
Schlagworte
Angebotspflicht, Anwendungsbereich, Aufsicht, Aufsichtsbehörde,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W230.2203901.1.00Zuletzt aktualisiert am
29.10.2018