TE Vwgh Erkenntnis 1999/11/5 97/21/0833

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Veröffentlicht am 05.11.1999
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Böheimer, über die Beschwerde des JT in Graz, geboren am 9. September 1976, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 15. Oktober 1997, Zl. Fr 811/1996, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, nach seinen Angaben im April 1995 in einem LKW versteckt nach Österreich eingereist, stellte am 2. Mai 1995 einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Als Fluchtgrund machte er geltend, dass er aus Liberia stamme und von der Regierung gesucht werde. Seit die Regierung an der Macht sei, gebe es nur Korruption und Kämpfe zwischen der "AFL" und der vom Beschwerdeführer unterstützten "NPFL". Er selbst gehöre einer 1989 gegründeten Studentenorganisation namens "SUOL" an, die noch nicht eingetragen sei, aber viele Mitglieder umfasse. Der Beschwerdeführer sei einer der fünf Führer dieser Organisation, deren Ziel es gewesen sei, sich der "NPFL" anzuschließen und die Regierung zu bekämpfen. "Ungefähr" zwischen 1993 und 1994 sei der Beschwerdeführer von Regierungstruppen der "AFL" verhaftet worden, weil er unter den Führern seiner Organisation gewesen sei, die Regierungseigentum zerstören sollten. In Haft sei er ungefähr ein Jahr im "Habel-Gefängnis" in Lofa gewesen. Als eines Tages Soldaten gekommen seien, um Nahrung zu bringen, habe sich der zur Hilfeleistung herangezogene Beschwerdeführer verstecken können. Es sei keine Wache anwesend gewesen, er habe sich bis zum Einbruch der Nacht versteckt. In der Folge sei er durch den Busch zu Fuß in die Elfenbeinküste geflüchtet, von wo er mit einem Tragflügelboot - im Laufe eines Tages - nach Libyen gelangt sei.

Mit Berufungsbescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Juni 1995, erlassen am 4. Juli 1995, wurde dem Ansylantrag des Beschwerdeführers rechtskräftig nicht Folge gegeben; eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (Zl. 95/01/0304) wurde als unbegründet abgewiesen.

Im Rahmen des gegen den Beschwerdeführer eingeleiteten Ausweisungsverfahrens stellte er bezogen auf Liberia einen Feststellungsantrag nach § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992. Dabei verwies er zunächst auf seine Angaben im Asylverfahren und führte in der Folge aus, dass er bei einer Rückkehr nach Liberia mit seiner Tötung durch die dort herrschende Regierung zu rechnen habe. Es habe in Kity City vor seiner Verhaftung eine Studentendemonstration gegen das dort herrschende Regime stattgefunden. Im Zuge dieser Demonstration, an der er leitend teilgenommen habe, sei "von uns" ein Regierungsgebäude niedergebrannt worden. Einige Tage danach sei er von der Polizei festgenommen und in der Folge von einem Gericht zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden. Nach Verbüßung dieser Haftstrafe müsse er, wie in seinem Land "so üblich", mit dem Tod rechnen. Deshalb sei er aus dem Gefängnis geflüchtet und habe sein Land verlassen.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (der belangten Behörde) vom 15. Oktober 1997 wurde gemäß § 54 Abs. 1 FrG festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in Liberia gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei; seine Abschiebung nach Liberia sei somit zulässig.

Dies begründete die belangte Behörde im Ergebnis damit, dass die Angaben des Beschwerdeführers - u.a. wegen der evident falschen Schilderung der Fluchtroute und wegen Widersprüchlichkeiten - unglaubwürdig seien und dass die von ihm behauptete Gefahr der Verfolgung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG daher nicht objektiviert werden könne. Was die Situation in Liberia anlange, so stelle sich diese "derzeit" so dar, dass - laut "Fischer Weltalmanach 1997" - sowohl die Hauptstadt Monrovia als auch die wichtigsten Hauptstraßen von Liberia weitestgehend unter Kontrolle der ECOMOG-Truppen stünden; außerdem existiere eine funktionierende Staatsgewalt "in Form eines am 01.09.1996 eingesetzten Staatsrates", weshalb einerseits davon auszugehen sei, dass allenfalls noch vereinzelt stattfindende kriegerische Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Bürgerkriegsparteien keinesfalls das gesamte Staatsgebiet erfassten, und andererseits, dass der Staat in der Lage sei, eine allfällige Verfolgung des Beschwerdeführers durch andere zu verhindern. Dazu komme, dass von der auf 18.000 Mann aufgestockten ECOMOG-Streitmacht die Entwaffnung und Demobilisierung der "Milizionäre" in Gang gesetzt worden sei. Angesichts dessen komme die belangte Behörde zu der Ansicht, dass der Beschwerdeführer für den Fall seiner Abschiebung nach Liberia nicht der aktuellen Gefahr einer Verfolgung gemäß § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG ausgesetzt wäre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift absah, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte für den Fall der Abweisung der Beschwerde Kostenzuspruch.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 10. Juni 1999, Zl. 95/21/0630) hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind.

In der Beschwerde wird zunächst geltend gemacht, dass dem angefochtenen Bescheid nicht mit Sicherheit zu entnehmen sei, welche Feststellungen die belangte Behörde zugrunde gelegt habe. Der Bescheid enthalte völlig unstrukturiert einerseits Vorbringen, andererseits standardisierte rechtliche Beurteilung und dazwischen eingeflochten möglicherweise "Feststellungen". Keinesfalls entspreche er § 60 AVG, wonach die maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen seien.

Mit diesem Vorwurf verkennt der Beschwerdeführer den Inhalt des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat nämlich einerseits mit ausreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass sie den Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren und im Verfahren vor den Asylbehörden insgesamt keinen Glauben schenke. Andererseits hat sie jedoch sehr wohl Feststellungen getroffen, und zwar betreffend die "derzeitige Situation" in Liberia, von welcher ausgehend sie zu dem Ergebnis gelangt ist, dass dem Beschwerdeführer dort keine Gefahr im Sinn des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG drohe. Der behauptete Begründungsmangel liegt daher nicht vor.

Wie die weiteren Beschwerdeausführungen zeigen, hat auch der Beschwerdeführer erkannt, dass die belangte Behörde seine Angaben nicht für glaubwürdig erachtet hat (und daher keine Feststellungen im Sinn seines Vorbringens treffen konnte). Er wendet sich nämlich gegen diese Beweiswürdigung und tritt mit einer Reihe von Argumenten den von der belangten Behörde in diesem Zusammenhang angestellten Überlegungen entgegen. Ob diese Argumente zutreffen bzw. ob sie vor dem Hintergrund der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) die Annahme rechtfertigen, die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung sei unschlüssig, kann freilich dahinstehen. Selbst die Zugrundelegung der vom Beschwerdeführer erstatteten Angaben führte nämlich nicht zu dem Ergebnis, er wäre für den Fall seiner Abschiebung nach Liberia dort im Sinn des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG gefährdet.

Diese Beurteilung geht von dem in der Beschwerde vertretenen Ansatz aus, wonach die von der belangten Behörde erblickten Widersprüche zwischen dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Asylverfahren und seinen Angaben im Antrag nach § 54 FrG "bei neutraler Wertung" nicht erkennbar seien. Eine Auflösung der von der belangten Behörde angenommenen Widersprüche ist dann weitgehend möglich, wenn man die Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt einerseits (erstattet am 19. Mai 1995) und vor der Fremdenpolizeibehörde andererseits (erstattet am 6. Dezember 1995) als jeweils unvollständige und unscharfe Darstellung ein und desselben einheitlichen Geschehens begreift. Demnach wäre der Beschwerdeführer einer der Führer der von ihm genannten Studentenorganisation gewesen (so die Angaben vom 19. Mai 1995) und hätte leitend an einer Demonstration dieser Organisation teilgenommen (siehe die Darstellung vom 6. Dezember 1995). Im Zuge dieser Kundgebung wäre beabsichtigt gewesen, dass der Beschwerdeführer mit anderen ein Regierungsgebäude zerstöre (19. Mai 1995), bzw. hätten die Demonstranten ein Regierungsgebäude niedergebrannt (6. Dezember 1995). Dabei (19. Mai 1995)/einige Tage danach (6. Dezember 1995) wäre der Beschwerdeführer festgenommen und in der Folge von einem Gericht zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden (6. Dezember 1995). Nach etwa einem Jahr (19. Mai 1995) sei ihm die Flucht aus dem Gefängnis gelungen.

Diese solcherart vereinbaren Angaben lassen keinen Schluss darauf zu, der Beschwerdeführer müsse in Liberia aus den in § 37 Abs. 2 FrG genannten Gründen mit einer Bedrohung von Freiheit oder Leben rechnen, zumal die Höhe der über ihn verhängten Freiheitsstrafe im Hinblick auf das von ihm selbst zugestandene Verhalten nicht indiziert, dass mit der Verurteilung in Wahrheit seine politische Gesinnung hätte getroffen werden sollen.

Was eine Gefährdung im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG anlangt, so hat der Beschwerdeführer zwar ergänzend vorgebracht, dass er nach Verbüßung der Haftstrafe, wie dies in seinem Land "so üblich" sei, mit dem Tode rechnen müsse. Diesem Vorbringen kann der Beschwerde folgend und entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht mit einem "Kosten-Nutzen-Kalkül" (der Art, dass eine Tötung nach der Haft jedes Sinnes entbehre) entgegnet werden; es vermag jedoch deshalb nicht zum Erfolg zu führen, weil es sich als begründungslos, bloß vage in den Raum gestellte Behauptung erweist, die den eingangs dargestellten Anforderungen an ein Vorbringen im Verfahren nach § 54 FrG nicht genügt. Auch die in der Beschwerde in diesem Zusammenhang unter Behauptung eines der belangten Behörde vorzuwerfenden Ermittlungsfehlers nachgeholte "Präzisierung", der Beschwerdeführer habe gemeint, "er würde die Haft nicht überleben und wenn ja, dann würde man ihn sicher zu Ende der Haftzeit umbringen", stellt keine konkrete, entsprechend untermauerte Angabe betreffend eine den Beschwerdeführer spezifisch und aktuell drohende Gefährdung dar. Dem insoweit behaupteten Ermittlungsfehler ermangelt es daher schon an der erforderlichen Relevanz. Gleiches gilt für den Vorwurf, die belangte Behörde habe es unterlassen, den Beschwerdeführer näher zu Haft, Haftbedingungen und Flucht zu befragen, weil auch diesbezüglich nicht dargetan wird, welche konkreten Ergebnisse eine derartige Befragung erbracht hätte. Schließlich unterlässt die Beschwerde aber auch eine Darstellung, zu welchem Resultat die Beiziehung eines anderen Dolmetschers geführt hätte. Die Verfahrensrüge, der Beschwerdeführer hätte unter Beiziehung eines weiteren Dolmetschers neuerlich befragt werden müssen, erweist sich damit - soweit sie nicht ohnehin nur darauf abzielt, die von der belangten Behörde erblickten Widersprüche aufzulösen - gleichfalls als nicht zielführend.

Den Feststellungen der belangten Behörde über die "derzeitige Situation in Liberia" stellt die Beschwerde Presseartikel und Berichte des UNHCR gegenüber, aus denen sich ein "wesentlich anderes Bild vom politischen Umfeld in Liberia" ergebe. Der Beschwerdeführer übersieht dabei jedoch, dass die von ihm erwähnten Quellen aus dem Frühjahr/Sommer 1996 stammen und insoweit daher keine Beurteilung der Verhältnisse im Bescheiderlassungszeitpunkt (17. Oktober 1997) erlauben. Wenn der Beschwerdeführer schließlich vorbringt, schon allein seine Flucht und - gegebenenfalls - seine Stellung als abgeschobener Flüchtling lasse von den jeweiligen Bürgerkriegsparteien eine Behandlung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG erwarten, so ist ihm zu erwidern, dass er ein derartiges Bedrohungsszenario im Verwaltungsverfahren nicht vorgebracht hat. Einer nunmehrigen Berücksichtigung dieser, im Übrigen nicht näher konkretisierten Angaben steht daher das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG) entgegen.

Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 5. November 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997210833.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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