TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/3 W176 2180204-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.10.2018
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Entscheidungsdatum

03.10.2018

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W176 2180206-1/9E

W176 2180199-1/8E

W176 2180202-1/8E

W176 2180204-1/8E

W176 2193682-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. NEWALD als Einzelrichter über die Beschwerde von (1.) XXXX , geboren am XXXX

(2.) XXXX , geboren am XXXX , (3.) XXXX , geboren am XXXX , (4.) XXXX , geboren am XXXX sowie (5.) XXXX , geboren am XXXX , alle syrische Staatsangehörige, alle vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom (1.-4.) 24.11.2017 und (5.) vom 06.04.2018, Zlen. (1.) 1102972208/160106470, (2.) 1102977607/160106496, (3.) 1102977705/160106500, (4.) 1102977803/160106518 bzw. (5.) 1186277504/180314395, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 19.06.2018 zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) und XXXX , XXXX , XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930(B-VG), nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin brachte am XXXX .2015 für sich sowie die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer (die ihre minderjährigen Kinder sind) Anträge auf internationalen Schutz ein.

2. Bei ihrer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX .2016 brachte die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes vor: Sie sei in XXXX geboren und verheiratet, gehöre der Volksgruppe der Araber an, bekenne sich zum Islam sunnitischer Ausrichtung und habe Syrien am XXXX 2015 illegal verlassen. Als Fluchtgrund gab sie an, dass sie Syrien aufgrund von willkürlichen Bombardierungen verlassen habe; zwei ihrer Brüder, drei Neffen sowie andere Familienmitglieder seien bei Luftangriffen getötet worden.

3. Am XXXX .04.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) erstmalig niederschriftlich einvernommen, führte sie - zusammengefasst - Folgendes an: Ihre drei Kinder sowie die Brüder und die Mutter ihres Ehemannes hielten sich in Österreich auf seien, weswegen sie hier bleiben wolle. Auf Vorhalt, dass sie am 15.01.2016 eine Zustimmungserklärung für ein Konsultationsverfahren zur Familienzusammenführung abgegeben habe und die Niederlande (wo sich ihr Ehemann XXXX aufhalte) der Übernahme zugestimmt habe, gab sie an, dass sie nicht nach Holland wolle. Die gesamte Familie sei in Österreich, sie habe schon in Syrien mit ihrem Ehemann und dessen Eltern im gemeinsamen Haushalt gelebt, auch als ihr Mann Syrien schon verlassen habe. Sie sei auch mit diesen gemeinsam nach Österreich gekommen. Daher wolle sie, dass ihr Ehemann zur Familie nach Österreich komme. Ihr sei fälschlicherweise mitgeteilt worden, dass es sich bei der von ihr unterschriebenen Zustimmungserklärung um eine solche gehandelt habe, die es ihrem Ehemann ermöglichen würde, nach Österreich zu kommen.

4. Mit Bescheiden vom 16.04.2016 wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurück und stellte fest, dass zur Prüfung der Anträge die Niederlande zuständig seien.

5. Den dagegen erhobenen Beschwerden gab das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 05.10.2016 statt und hob die unter Punkt 4. dargestellten Bescheide auf.

6. Am XXXX .02.2017 abermals vor der belangten Behörde einvernommen, legte die Erstbeschwerdeführerin - soweit hier relevant - Kopien ihres Reisepasses sowie der Reisepässe der anderen Beschwerdeführer und eine Kopie ihrer Heiratsurkunde vor.

7. Bei einer weiteren Einvernahme vor der belangten Behörde am XXXX .11.2017 gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass ihr Ehemann als anerkannter Flüchtling in Holland lebe. Befragt zu ihren Fluchtgründen brachte sie vor, dass sie in Syrien aufgrund von Bombardierungen Angst um ihre Kinder gehabt habe und ihr Ehemann zum Reservedienst in syrische Armee des Regimes einberufen worden sei. Überdies wurde eine Übersetzung des syrischen Familienbuchs vorgelegt.

8. Mit Bescheiden vom 24.11.2017 wies die belangte Behörde die Anträge der Erst- bis Viertbeschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).

Zur Abweisung der Anträge im Asylpunkt wurde ausgeführt, es habe nicht festgestellt werden können, dass die Erst- bis Viertbeschwerdeführer in Syrien einer individuellen asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen seien bzw. eine solche künftig zu befürchten hätten.

9. Gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide erhoben die Erst- bis Viertbeschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachten im Wesentlichen vor, dass die Erstbeschwerdeführerin als Ehefrau eines Wehrdienstverweigerers mit großer Wahrscheinlichkeit von Verfolgungshandlungen durch das syrische Regime betroffen sein würde. Außerdem seien zwei ihrer Brüder bei der Freien Syrischen Armee (FSA) tätig gewesen und aus diesem Grund erhöhe sich die Gefahr, dass ihr eine oppositionelle Gesinnung zumindest unterstellt würde. Weiters gehöre die Erstbeschwerdeführerin der sozialen Gruppe der Frauen an, welche in Syrien einer erhöhten Verfolgungsgefahr ausgesetzt seien.

10. Mit Schreiben vom 18.12.2017, eingelangt am 19.12.2017, legte die belangte Behörde die Beschwerde samt den Bezug habenden Verfahrensunterlagen - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

11. Am 03.04.2018 brachte die Erstbeschwerdeführerin für den am 14.03.2018 in Österreich geborenen Fünftbeschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

12. Mit Bescheid vom 06.04.2018 wies die belangte Behörde diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Zugleich erkannte sie dem Fünftbeschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

13. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

14. Am 19.06.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm.

Bei ihrer Einvernahme gab die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen an, die syrischen Behörden wüssten, dass ihre zwei Brüder bei der FSA gewesen sei. Da überdies ihr Ehemann als Reservist gesucht werde, befürchte sie, im Rahmen einer "Sippenbestrafung" festgenommen und solange festgehalten zu werden, bis dieser wieder nach Syrien zurückkehre. Ihrem Ehemann sei in den Niederlanden als Flüchtling anerkannt worden, da er in Syrien als Reservist gesucht werde.

13. Mit einem am 11.07.2018 eingelangten Schriftsatz legten die Beschwerdeführer Unterlagen der niederländischen Asylbehörde vor, aus denen sich ergibt, dass XXXX 2016 eine "Aufenthaltsberechtigung Asyl" zuerkannt wurde und dieser bei seiner Einvernahme - neben Problemen mit dem "Islamischen Staat" (IS) - angegeben hatte, er sei in der Zeit, als XXXX noch von der syrischen Regierung kontrolliert worden sei, mehrmals zwecks Einziehung als Reservist zu Hause gesucht worden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer und den Fluchtgründen der Erstbeschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführer sind syrische Staatsangehörige arabischer Volksgruppenzugehörigkeit und sunnitisch-moslemischen Glaubens und stammen aus XXXX .

Die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführerinnen sind die ledigen Kinder der Erstbeschwerdeführerin. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Ehefrau von XXXX , syrischer Staatsangehöriger, geboren am XXXX .

Es kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass die Erstbeschwerdeführerin, bei einer Rückkehr nach Syrien wegen ihr (zumindest unterstellter) oppositioneller politischer Gesinnung Verfolgungshandlungen der syrischen Behörden von im gegebenen Zusammenhang ausreichender Intensität ausgesetzt wäre.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

Wehrdienstverweigerung / Desertion

Besonders aus dem Jahr 2012 gibt es Berichte von desertierten syrischen Soldaten, welche gezwungen wurden, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Falls sie sich weigerten, wären sie Gefahr gelaufen, erschossen zu werden (AI 6.2012).

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu 5 Jahren bestraft. Nach Verbüßen der Strafe muss der Wehrdienstverweigerer weiterhin den regulären Wehrdienst ableisten. Bei einer Wehrdienstverweigerung hat man die Möglichkeit sich zu verstecken und das Haus nicht mehr zu verlassen, das Land zu verlassen, sich durch Bestechung freizukaufen oder einer anderen Gruppierung beizutreten. Bezüglich Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während die einen eine Foltergarantie und Todesurteil sehen, sagen andere, dass Verweigerer sofort eingezogen werden (BFA 8.2017). Die Konsequenzen hängen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gibt, wären die Konsequenzen ernster (DIS 26.2.2015).

Wenn jemand den Wehrdienst verweigert und geflohen ist, gibt es die Möglichkeit seinen Status zu "regularisieren", wobei möglicherweise auch ein signifikanter Betrag zu entrichten ist (gerüchteweise bis zu 8.000 USD). Eine solche "Regularisierung" schützt allerdings nicht automatisch vor Repressalien oder einer zukünftigen Rekrutierung. Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen (BFA 8.2017).

Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (so genannte externe Desertion), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt (BFA 8.2017).

In vielen Fällen erwartet Deserteure der Tod. Möglicherweise werden sie inhaftiert, befragt und gefoltert, wobei die Behandlung eines Deserteurs auch davon abhängt wer er ist, welcher Konfession er angehört, wie wohlhabend er ist etc. Die große Sorge vieler ist hierbei auch, dass dies nicht nur den Tod des Deserteurs oder die Vergeltung gegen ihn, sondern auch Maßnahmen gegen seine Familie nach sich ziehen kann. Die gängige Vorgehensweise ist, Deserteure nicht zurück an die Front zu schicken, sondern sie zu töten. Berichten zufolge werden sie an Ort und Stelle erschossen. Theoretisch ist ein Militärgerichtsverfahren vorgesehen und Deserteure könnten auch inhaftiert und dann strafrechtlich verfolgt werden. Außergerichtliche Tötungen passieren dennoch (BFA 8.2017; vgl. FIS 23.8.2017). Für ‚desertierte', vormals bei der Armee arbeitende Zivilisten gelten dieselben Konsequenzen wie für einen Deserteur. Solche Personen werden als Verräter angesehen, weil sie über Informationen über die Armee verfügen (FIS 23.8.2016).

Im Gegensatz zum Beginn des Konfliktes haben sich mittlerweile die Gründe für Desertion geändert: Nun desertieren Soldaten, weil sie kampfmüde sind und dem andauernden Krieg entkommen wollen (BFA 8.2017).

Auch Familien von Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern haben mit Konsequenzen zu rechnen. Eine Familie kann von der Regierung unter Druck gesetzt werden, wenn der Deserteur dadurch vielleicht gefunden werden kann. Familienmitglieder (auch weibliche) können festgenommen werden, um den Deserteur dazu zu bringen, sich zu stellen. Manchmal wird ein Bruder oder der Vater eines Deserteurs ersatzweise zur Armee rekrutiert (FIS 23.8.2016; vgl. BFA 8.2017).

In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle des Regimes gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bzgl. Wehrdienst getroffen. Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt, sondern stattdessen bei der Polizei eingesetzt werden. Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen, was jedoch schwer zu beweisen ist (BFA 8.2017).

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Situation in Syrien basieren auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Syrien vom 25.01.2018, S 43f). Das genannte Länderinformationsblatt stützt sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Syrien ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer ergeben sich aus den Angaben der Erstbeschwerdeführerin im Zusammenhang mit den vor ihr vorgelegten Dokumenten und den Unterlagen aus dem XXXX betreffenden Verfahren vor der niederländischen Asylbehörde.

Die Feststellung zur Rückkehrgefährdung der Erstbeschwerdeführerin stützt sich auf folgende Erwägungen: Vor dem Hintergrund der Unterlagen, die aus dem niederländischen Asylverfahren betreffend XXXX vorgelegt wurden, ist es glaubwürdig, dass dieser von den syrischen Behörden gesucht wird, um ihn als Reservisten zum syrischen Militär einzuziehen. Wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt, finden sich Berichte bezüglich der Konsequenzen von Wehrdienstverweigerung auf die Familie, denen zufolge auch weibliche Familienmitglieder festgenommen werden können, um den Gesuchten dazu zu bringen, sich zu stellen. In Zusammenhang mit dem Umstand, dass die Erstbeschwerdeführerin nach ihrem glaubwürdigen Vorbringen illegal aus Syrien ausgereist ist, und der Tatsache, dass sie aus (dem lange vom IS beherrschten) XXXX stammt, kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass sie insbesondere im Zuge der Grenzkontrolle bei einer Einreise nach Syrien verhaftet und angehalten würde, dies verbunden mit der erheblichen Gefahr von Misshandlung bis hin zum "Verschwindenlassen". Somit ist auch davon auszugehen, dass die Erstbeschwerdeführerin in eine in der aktuellen Position des UNHCR angeführte Risikogruppe, nämlich jene der "Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen" fällt (zur Indizwirkung von UNHCR-Positionen vgl. etwa VwGH 16.1.2008, 2006/19/0182, m.w.N.).

Die Feststellung zu strafgerichtlichen Unbescholtenheit stützt sich bezüglich der Erstbeschwerdeführerin auf eine aktuelle Abfrage des Strafregisters, während sich die Unbescholtenheit der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführern bereits aus ihrem Alter ergibt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels einfachgesetzlicher materienspezifischer Sonderregelung liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. 51/1991 (AVG) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung BGBl. Nr. 194/1961 (BAO), des Agrarverfahrensgesetzes BGBl. Nr. 173/1950 (AgrVG), und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 BGBl. Nr. 29/1984 (DVG), und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Zu Spruchpunkt A):

3.2.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Bei der Entscheidung, ob eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung besteht, handelt es sich immer um eine Prognoseentscheidung, die eine auf die Zukunft gerichtete Verfolgung verlangt. Das Wort "Furcht" bezieht sich dabei nicht nur auf Personen, die tatsächlich verfolgt wurden, sondern auch auf solche, die einer Situation aus dem Wege gehen möchten, die eine Gefahr der Verfolgung in sich birgt. (vgl. UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, vom 30. November 2016, S. 1)

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; 15.03.2001, 99/20/0036). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwSlg. 16.482 A/2004). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" (VwSlg. 16.482 A/2004) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).

3.2.1.2. Wie sich aus den Feststellungen ergibt, läuft die Erstbeschwerdeführerin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, in Syrien aufgrund einer ihr (zumindest unterstellten) politischen Gesinnung Verfolgungshandlungen von ausreichender Intensität ausgesetzt zu sein. Somit besteht ein ausreichender Konnex zu einem in der GFK genannten Grund.

Eine Inanspruchnahme des Schutzes durch den syrischen Staat ist für sie schon deswegen auszuschließen, weil die Verfolgung gerade von diesem ausgeht.

Vom Vorliegen einer zumutbaren innerstaatliche Fluchtalternative kann schon deshalb nicht ausgegangen werden, da die Annahme einer solchen im Widerspruch zum aufgrund der Situation in Syrien bereits gewährten subsidiären Schutz stünde (vgl. VwGH 25.3.2015, Ra 2014/18/0168; 29.6.2015, Ra 2014/18/0070).

Da sich auch kein Hinweis auf einen der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe ergeben hat, war der Erstbeschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

3.2.2.1. § 34 AsylG 2005 lautet:

"(1) Stellt ein Familienangehöriger von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist und

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG)."

Gemäß § 22 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

3.2.2.2. Die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer sind als minderjährige, unverheiratete Kinder der Erstbeschwerdeführerin deren Familienangehörige iSd 22 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005, weshalb ihnen - bei Fehlen von Hinweisen auf Endigungs- oder Ausschlussgründe sowie vor dem Hintergrund der Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit - gemäß § 34 AsylG 2005 ebenfalls der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen und gleichfalls gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festzustellen war, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.2.3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.3. Zu Spruchpunkt B):

3.3.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.3.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Asylgewährung, asylrechtlich relevante Verfolgung, Bürgerkrieg,
Familienangehöriger, Familienverfahren, Fluchtgründe,
Flüchtlingseigenschaft, inländische Schutzalternative,
innerstaatliche Fluchtalternative, mündliche Verhandlung,
Verfolgungsgefahr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W176.2180204.1.00

Zuletzt aktualisiert am

25.10.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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