TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/12 W176 2161731-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.10.2018
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Entscheidungsdatum

12.10.2018

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W176 2161731-1/12E

W176 2161724-1/12E

W176 2161735-1/9E

W176 2161739-1/9E

W176 2161726-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. NEWALD als Einzelrichter über die Beschwerde von (1.) XXXX , geboren am XXXX 1976, (2.) XXXX , geboren am XXXX 1978, (3.) XXXX , geboren am XXXX 2003, (4.) XXXX , geboren am XXXX 2007, sowie (5.) XXXX , geboren am XXXX 2012, alle syrische Staatsangehörige, alle vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.05.2017, Zlen. (1.) 15-1087824206-151363643, (2.) 15-1087822800-151364178, (3.) 1087823503-151364887/BMI-BFA_KNT_AST_01_TEAM_01, (4.) 1087823710-151364909/BMI-BFA_KNT_AST_01_TEAM_01 bzw. (5.) 1087823808-151364917/BMI-BFA_KNT_AST_01_TEAM_01, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 14.06.2018 zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) und XXXX , XXXX , XXXX sowie XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , XXXX , XXXX , XXXX sowie XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930(B-VG), nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) brachten am 16.09.2015 für sich sowie ihre minderjährigen Kinder, die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer (BF3 bis BF5), Anträge auf internationalen Schutz ein.

Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes noch am Tag der Antragstellung brachte der BF1 im Wesentlichen Folgendes vor: Er sei in Damaskus geboren, bekenne sich zum Islam sunnitischer Ausrichtung und habe Syrien am XXXX 2015 verlassen. Als Fluchtgrund gab er an, dass im Jänner 2012 sein Haus in Syrien während eines Luftangriffes zerstört worden sei und er deswegen mit seiner Familie in eine andere Ortschaft flüchten habe müssen. Er habe wegen des Bürgerkrieges und den täglichen Luftangriffen Angst um sich und seine Familie. Er sei ca. eineinhalb Monate zuvor vom syrischen Geheimdienst gesucht worden und habe sich deswegen entschlossen, mit seiner Familie Syrien zu verlassen. Durch seine Tätigkeit beim syrischen Roten Halbmond habe er immer wieder Probleme mit den syrischen Behörden gehabt.

Die BF2 gab in der Erstbefragung an, sie sei ebenfalls in Damaskus geboren, bekenne sich zum Islam sunnitischer Ausrichtung und habe gemeinsam mit dem BF1 und den BF3 bis BF5 Syrien am XXXX 2015 verlassen. Als Fluchtgrund gab sie an, dass in Syrien Krieg herrsche und sie ihren Kindern eine bessere Zukunft bieten wolle. Der BF1 werde aufgrund seiner Arbeit von den syrischen Behörden verfolgt.

2. Am 10.05.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) erstmalig niederschriftlich einvernommen, führte der BF1 - zusammengefasst - Folgendes an: Er sei syrischer Staatsbürger und gehöre der Volksgruppe der Araber an. 2011 hätten die Konflikte in Syrien begonnen und der BF1 habe beim Roten Halbmond, UNICEF und UNRWA gearbeitet, bis er Syrien verlassen habe. Aufgrund seiner Tätigkeit beim Roten Halbmond sei er "unterdrückt" worden. Er habe Verwundete, egal von welcher Kriegspartei, versorgt, deswegen habe er immer mit der entgegengesetzten Seite Probleme bekommen. Ca. ein Monat vor der Ausreise sei ein Mann von der Regierung zum ihm gekommen und habe ihm mitgeteilt, es sei bekannt, dass er einem der Al Nusra-Front angehörenden Mann mit Schussverletzung am Bein geholfen habe. Es gebe einen Militärbericht über diesen Vorfall. Der Mann von der Regierung habe dem BF1 gesagt, dass er das Land verlassen solle und er ihm dabei - gegen Bezahlung - helfen würde. Bei einer Rückkehr werde der BF1 exekutiert, da ihm vorgeworfen werde, dass er gegen den syrischen Präsidenten arbeite. Der BF1 legte u.a. seinen syrischen Personalausweis, seinen syrischen Führerschein, sein Militärbuch, ein Armee-Dienstzertifikat, sein Militärbefreiungs-Zertifikat, seine Ausweiskarte für Freiwillige bei den Vereinten Nationen, Ausweiskarten des Roten Halbmonds/Roten Kreuzes, sein Familienbuch, einen Auszug aus dem syrischen Personenstandsregister, seine Heiratsurkunde, diverse Schriftstücke des Roten Halbmonds/Roten Kreuzes, ein Zertifikat über eine Erste Hilfe-Ausbildung sowie Fotokopien von Lichtbildern, die den BF1 bei der Tätigkeit für den Roten Halbmond in Syrien zeigen.

Die BF2 gab bei ihrer Befragung durch die belangte Behörde im Wesentlichen Folgendes an: Bei Beginn des Konflikts in Syrien habe sie ebenfalls begonnen, beim syrischen Roten Halbmond und auch beim dänischen Roten Kreuz mitzuhelfen, wofür sie - neben einem Zertifikat der UNRWA - Bestätigungen vorlegte. Sie habe gewusst, dass die Tätigkeit des BF1 sehr gefährlich sei. Die BF2 wäre bereit, zu ihrer Familie nach Syrien zurückzugehen, dies sei aber nicht möglich, da ihr Mann von der Regierung gesucht werde und sie bei einer Rückkehr von der Regierung entführt würde, damit diese an den BF1 herankomme.

3. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge der BF1 bis BF5 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).

Zur Abweisung der Anträge im Asylpunkt wurde ausgeführt, es habe nicht festgestellt werden können, dass die BF1 bis BF5 in Syrien einer individuellen asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen seien bzw. eine solche künftig zu befürchten hätten. Sie hätten Syrien aufgrund des Bürgerkrieges, aus wirtschaftlichen Gründen und aus Angst um ihre Sicherheit verlassen.

4. Gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide erhoben die BF1 bis BF5 fristgerecht Beschwerde und brachten im Wesentlichen vor, dass der BF1 als Angehöriger der sozialen Gruppe der wehrfähigen syrischen Männer, die sich weigern, an Kampfhandlungen teilzunehmen, bei einer Rückkehr nach Syrien einer maßgeblichen Verfolgung ausgesetzt sei. Weiters habe der BF1 fünf Jahre lang für den Roten Halbmond/Rote Kreuz in Syrien gearbeitet und im Rahmen dieser Tätigkeit ein Mitglied der Al Nusra-Front medizinisch versorgt, weshalb er in das Visier des syrischen Geheimdienstes geraten sei. Der Mann, den der BF1 damals versorgt habe, sei mittlerweile in einem Gefängnis gestorben und es sei davon auszugehen, dass er Informationen an das syrische Regime weitergegeben habe.

5. Mit Schreiben vom 16.06.2017, eingelangt am 19.06.2017, legte die belangte Behörde die Beschwerde samt den Bezug habenden Verfahrensunterlagen - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

6. Am 14.06.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche Beschwerdeverhandlung statt, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm.

Bei seiner Vernehmung gab der BF1 zusammengefasst Folgendes an: Er habe für das Regime gearbeitet und Einsätze durchgeführt, bei denen er Verletzten geholfen habe. Er sei nach außen hin als der Leiter des Syrischen Roten Halbmondes seines Bezirkes aufgetreten, habe aber, wenn dies notwendig gewesen sei, illegal auch Verletzten geholfen, die nicht auf der Seite des Regimes gestanden seien. Er sei kein Beamter, sondern sei als freiwilliger Helfer beim Roten Halbmond wie auch bei UNICEF sowie UNRWA tätig gewesen. Der Beschwerdeführer sei zwar ausgebildeter Helfer gewesen, hätte aber z. B. keine Wunden nähen dürfen, wie er dies getan habe. Im Jahr 2014 habe er einen Mann mit einer Schussverletzung behandelt, der der Opposition angehört habe. Wie der BF1 später erfahren habe, sei dieser Mann Mitglied der Syrischen Freien Armee (FSA) gewesen, weswegen er ein Jahr später Probleme mit der Regierung bekommen habe. Durch die Zahlung von Bestechungsgeld habe er es geschafft, gemeinsam mit seiner Familie Syrien zu verlassen und in den Libanon zu reisen. Auf Vorhalt, er habe vor der belangten Behörde angegeben, dass der von ihm behandelte Mann der Al Nusra-Front angehört habe, erwiderte der BF1, dass früher alle Oppositionellen als Angehörige der FSA bezeichnet worden seien und sich diese später in mehrere Organisationen, darunter die Al Nusra-Front, gespalten habe; welcher konkreten Miliz der genannte Mann angehört habe, könne er nicht sagen.

Bei ihrer Vernehmung schilderte auch die BF2 den Vorfall, bei dem der BF1 den oppositionellen Kämpfer medizinisch versorgt habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person der BF und den Fluchtgründen des BF1:

Die BF sind syrische Staatsangehörige arabischer Volksgruppenzugehörigkeit und sunnitisch-moslemischen Glaubens und stammen aus Damaskus.

Die BF3 bis BF5 sind die minderjährigen, ledigen Kinder des BF1 und der BF2. Der BF1 und die BF2 sind sowohl traditionell als auch standesamtlich verheiratet.

Es kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der BF1 bei einer Rückkehr nach Syrien wegen einer ihm (zumindest unterstellten) oppositionellen politischen Gesinnung Verfolgungshandlungen der syrischen Behörden von im gegebenen Zusammenhang ausreichender Intensität ausgesetzt wäre.

Die BF sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Stand: 25.1.2018:

Sicherheitslage

Der im März 2011 begonnene Aufstand gegen das Regime ist in eine komplexe militärische Auseinandersetzung umgeschlagen, die grundsätzlich alle Städte und Regionen betrifft. Nahezu täglich werden landesweit Tote und Verletzte gemeldet. Die staatlichen Strukturen sind in zahlreichen Orten zerfallen und das allgemeine Gewaltrisiko ist sehr hoch (AA 27.12.2017).

Grob gesagt stehen auf der Seite der syrischen Regierung Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah und schiitische Milizen, die vom Iran im Irak, in Afghanistan und im Jemen rekrutiert werden. Auf der Seite der diversen Gruppierungen, die zur bewaffneten Opposition bzw. zu den Rebellen gehören, stehen die Türkei, die Golfstaaten, die USA und Jordanien, wobei diese Akteure die Konfliktparteien auf unterschiedliche Arten unterstützen. Zudem sind auch die Kurden in Nordsyrien und der sogenannte Islamische Staat (IS) am Konflikt beteiligt (BBC 7.4.2017).

Mitte September des Jahres 2016 wurde von den USA und Russland, nach monatelangen Gesprächen, eine Waffenruhe ausgehandelt. Diese sollte ermöglichen, dass humanitäre Hilfe die Kampfgebiete erreichen kann; ausserdem sollte den Luftangriffen des syrischen Regimes auf die Opposition Einhalt geboten werden. Die Waffenruhe sollte sieben Tage bestehen und galt für das syrische Regime und die Rebellen, jedoch nicht für die terroristischen Gruppierungen "Islamischer Staat" (IS) und Jabhat Fatah ash-Sham (CNN 12.9.2016). Es soll in verschiedenen Gebieten mehr als 300 Verstöße gegen die Waffenruhe gegeben haben. Nach ungefähr einer Woche wurde die Waffenruhe von der syrischen Armee bzw. vom syrischen Regime für beendet erklärt. In dieser Zeit konnten keine humanitären Hilfslieferungen die Kampfgebiete erreichen (Zeit 19.9.2016).

Gebiete unter der Kontrolle des syrischen Regimes

Das Justizsystem Syriens besteht aus mehreren Gerichten, darunter Zivil-, Straf-, Militär-, Sicherheits- und religiöse Gerichte sowie ein Kassationsgericht. Die religiösen Gerichte behandeln das Familien- und Personenstandsrecht und regeln Angelegenheiten wie Eheschließungen, Scheidungen, Erb- und Sorgerecht. Was religiöse Gerichte betrifft, so sind Scharia-Gerichte für sunnitische und schiitische Muslime zuständig. Drusen, Christen und Juden haben ihre eigenen gerichtlichen Strukturen. Für diese Gerichte gibt es auch eigene Berufungsgerichte (SLJ 5.9.2016 und IA 7.2017). Manche Personenstandsgesetze wenden die Scharia unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Beteiligten an (USDOS 3.3.2017).

Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Behörden sind in der Praxis jedoch oft politischen Einflüssen ausgesetzt. Die Ergebnisse von Fällen mit politischem Kontext scheinen oft schon vorbestimmt zu sein (USDOS 3.3.2017).

Wenn Personen, von denen angenommen wird, dass sie Regierungsgegner sind, vor Gericht gebracht werden, so ist es wahrscheinlich, dass es sich dabei um ein Anti-Terror-Gericht, welches 2012 eingerichtet wurde, oder ein Militärgericht handelt, obwohl es gegen die internationalen Standards für faire Prozesse verstößt, einen Zivilisten vor einem Militärgericht zu verurteilen. Das Anti-Terror-Gericht hält sich in seiner Arbeitsweise nicht an grundlegende Bedingungen einer fairen Gerichtsverhandlung. Manchmal dauern die Verhandlungen nur wenige Minuten und "Geständnisse", welche unter Folter gemacht wurden, werden als Beweismittel akzeptiert. Außerdem wird das Recht auf Rechtsberatung stark eingeschränkt. In Militärgerichten haben Angeklagte kein Recht auf einen Anwalt. Manchmal werden Angeklagte auch nicht über ihr Urteil informiert (AI 17.8.2016; vgl. HRW 2.8.2017). In den ersten zweieinhalb Jahren seit seiner Errichtung soll das Anti-Terror-Gericht mehr als 80.000 Fälle behandelt haben (USDOS 3.3.2017).

Folter und unmenschliche Behandlung

Willkürliche Festnahmen, Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen durch die Einheiten der Regierung sind weit verbreitet und systemisch in Syrien und geschehen zudem in einem Klima der Straflosigkeit (HRW 12.1.2017). Folter wird eingesetzt, um an Informationen zu gelangen und um die Zivilbevölkerung zu bestrafen und zu terrorisieren (UNHRC 11.8.2016). Folter und andere Misshandlungen wurden durch das syrische Regime schon seit Jahrzehnten genutzt, um Widerstand zu unterdrücken (AI 17.8.2016). Das syrische Regime und die mit ihm verbündeten Milizen begehen physische Misshandlungen und Folter an Oppositionellen und Zivilisten. Regierungsangestellte misshandeln Gefangene. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und auch von Minderjährigen sind weit verbreitet und werden als Kriegstaktik eingesetzt (USDOS 3.3.2017). Manche Opfer von Folter werden festgenommen, weil sie Aktivisten sind, oder weil sie nicht als ausreichend regimetreu wahrgenommen werden. Mitglieder oder Verwandte von Mitgliedern bewaffneter Gruppen werden auch Opfer von Folter (UNHRC 11.8.2016). Berichten zufolge wurden Familienmitglieder durch die Sicherheitskräfte der syrischen Regierung festgenommen, darunter auch Kinder, um gesuchte Personen dazu zu bewegen, sich den Sicherheitskräften zu stellen (HRW 27.1.2016; vgl. AI 22.2.2017). Menschenrechtsgruppen zufolge hat das Regime seit März 2011 zwischen 17.500 und 60.000 Männer, Frauen und Kinder zu Tode gefoltert oder exekutiert. Die Toten werden häufig in Massengräbern begraben oder verbrannt und nur selten ihren Verwandten überstellt (Economist 20.12.2017). Das syrische Regime stellt falsche Totenscheine aus, offenbar mit dem Ziel, die wahre Ursache und den Ort des Todes der Gefangenen zu verschleiern (USDOS 3.3.2017).

Rebellengruppierungen begehen ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen, wie Inhaftierungen, Folter, Hinrichtungen von (als solche wahrgenommenen) Andersdenkenden und Rivalen (FH 1.2017). Manche oppositionelle Gruppen fügen Gefangenen, von denen vermutet wird, sie wären Mitglieder von regierungstreuen Milizen, schweren körperlichen und psychischen Schmerz zu, um Informationen oder Geständnisse zu erlangen, oder als Bestrafung oder Zwangsmittel (USDOS 3.3.2017). Auch der IS begeht Misshandlungen, Folter, Bestrafungen von Individuen, und agiert mit Brutalität. Der IS bestraft regelmäßig Opfer in der Öffentlichkeit und zwingt Bewohner, inklusive Kindern, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen (USDOS 3.3.2017).

Korruption

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex von 2015 von Transparency International liegt Syrien auf Platz 173 von 176 untersuchten Ländern (TI 2016). Das Gesetz sieht strafrechtliche Konsequenzen für amtliche Korruption vor, die Regierung setzt die diesbezüglichen Regelungen jedoch nicht effektiv durch. Beamte üben regelmäßig korrupte Praktiken aus, ohne dafür bestraft zu werden. Korruption ist weiterhin ein allgegenwärtiges Problem bei Polizei, Sicherheitskräften, Regierung und anderen Behörden (USDOS 3.3.2017). Milizen verlangen beispielsweise für das Passieren von Checkpoints, die sie kontrollieren, Bestechungsgelder (CMEC 16.3.2016; vgl. IRIN 22.6.2017). In der syrischen Armee gibt es eine Tradition der Bestechung, und es gibt die Möglichkeit, durch Bestechung eine bessere Position oder einfachere Aufgaben zu erhalten (FIS 23.8.2016).

Korruption war bereits vor dem Bürgerkrieg weitverbreitet und beeinflusste das tägliche Leben der Syrer. Bürger müssen häufig Bestechungsgelder zahlen, um bürokratische Angelegenheiten abschließen zu können. Seit der Krieg in Syrien ausgebrochen ist, vermeiden Syrer, die Verfolgung durch den Staat befürchten, den Kontakt zu offiziellen Institutionen. Stattdessen müssen sie - z.B. im Falle wichtiger Dokumente - auf den Schwarzmarkt zurückgreifen (FH 1.2017).

Rebellen, der IS und kurdische Einheiten erpressen ebenfalls Unternehmen und konfiszieren privates Eigentum in unterschiedlichem Ausmaß (FH 1.2017).

Allgemeine Menschenrechtslage

Das Syrian Observatory for Human Rights dokumentierte 331.765 Todesfälle seit dem Beginn der Revolution im Jahr 2011 bis zum 15. Juli 2017, schätzt jedoch dass etwa 475.000 Personen getötet wurden (SOHR 16.7.2017).

Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt (UNHCR 11.2015).

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Gleichzeitig zeigt die Regierung außerdem wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien. Sie schikaniert und inhaftiert Mitglieder der Communist Union Party, der Communist Action Party, der Arab Social Union und islamistischer Parteien (USDOS 3.3.2017).

Die syrische Regierung, regierungstreue Einheiten und Sicherheitskräfte führen weiterhin willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen und Folter an Häftlingen durch, von denen viele in der Haft umkommen bzw. getötet werden. Das Regime und seine Verbündeten führten willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten durch. Sie führten Angriffe mit Fassbomben, Artillerie, Mörsern und Luftangriffe auf zivile Wohngebiete, Schulen, Märkte und medizinische Einrichtungen durch, was zu zivilen Opfern führte (UKFCO 21.4.2016, AI 22.2.2017 und USDOS 3.3.2017).

Die staatlichen Sicherheitskräfte halten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen sind unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllen (AI 22.2.2017; vgl. SD 18.10.2017). Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Es fehlt an Nahrung, Trinkwasser, Platz, Hygiene und Zugang zu medizinischer Versorgung. (USDOS 3.3.2017).

Syrische Kinder sind auch hinsichtlich Kinderehen gefährdet (USDOS 27.6.2017; vgl. UNOCHA 31.7.2017).

Langanhaltende Belagerungen durch Regierungskräfte führen dazu, dass der eingeschlossenen Zivilbevölkerung Lebensmittel, ärztliche Betreuung und andere lebenswichtige Dinge vorenthalten werden. Außerdem werden Zivilisten beschossen bzw. angegriffen (AI 22.2.2017). Bezüglich der von Rebellen kontrollierten Bevölkerungszentren setzte die Regierung auf die Strategie, diese vor die Wahl zu stellen, aufzugeben oder zu (ver)hungern, indem sie Hilfslieferungen einschränkte und tausende Zivilisten aus zurückeroberten Gebieten vertrieb (FH 1.2017). Auch Rebellengruppen belagern Gebiete (USDOS 3.3.2017).

Auch aufständische Gruppen begingen schwere Menschenrechtsverletzungen wie Festnahmen, Folter und Exekutionen von wahrgenommenen politischen Andersdenkenden und Rivalen, wobei das Verhalten jedoch zwischen den unterschiedlichen Rebellengruppen variiert (FH 1.2017).

Der IS ist für systematische und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, welche auch auf Zivilisten abzielen. Auch Jabhat Fatah ash-Sham [ehemals Jabhat al-Nusra] und einige andere extremistische Gruppen begehen Menschenrechtsverletzungen (UKFCO 21.4.2016; vgl. USDOS 3.3.2017).

Sexuelle Versklavung und Zwangsheiraten sind zentrale Elemente der Ideologie des IS. Mädchen und Frauen werden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, werden sexuell versklavt (USDOS 27.6.2017). Frauen erleben in vom IS gehaltenen Gebieten willkürliche und schwere Bestrafungen, inklusive Hinrichtungen durch Steinigung. Frauen und Männer werden bestraft, wenn sie sich nicht den Vorstellungen des IS entsprechend kleiden (USDOS 3.3.2017).

IS-Kämpfer sind für Exekutionen von gefangengenommenen Zivilpersonen, Regierungssoldaten, Angehörigen rivalisierender bewaffneter Gruppen sowie Medienschaffenden und verantwortlich. In den vom IS kontrollierten Gebieten hat der IS seine strikte Auslegung des islamischen Rechts eingeführt. Es kommt dort häufig zu öffentlichen Hinrichtungen. Unter den Opfern befinden sich Menschen, denen Abfall vom Glauben, Ehebruch, Schmuggel oder Diebstahl zur Last gelegt wird, sowie Menschen, die wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung angeklagt wurden (AI 22.2.2017; vgl. USDOS 3.3.2017).

Aus den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. Aktualisierte Fassung:

Bestimmte Berufsgruppen

Berichten zufolge wurden bestimmte Berufsgruppen von allen Kriegsparteien angegriffen, und zwar aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit einer gegnerischen Kriegspartei oder weil sie Meinungen vertreten oder Handlungen unternommen hatten, die eine gegnerische Kriegspartei unterstützten.

....

Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen

Berichten zufolge ist Syrien eines der weltweit gefährlichsten Länder für Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen. Abgesehen davon, dass humanitäre Helfer in Schusswechsel geraten, werden sie laut Meldungen Opfer gezielter Entführungen, Inhaftierungen und Gewalthandlungen durch staatliche und nichtstaatliche Akteure, die die Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen trotz ihrer Neutralität als Unterstützer einer der Kriegsparteien ansehen.

...

UNHCR ist der Auffassung, dass Berufsgruppen wie Journalisten und Bürgerjournalisten, Dozenten und Lehrer, Ärzte und sonstiges Gesundheitspersonal, Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen, Menschenrechtsaktivisten und Künstler je nach den Umständen des Einzelfalls aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder anderer maßgeblicher Gründe wahrscheinlich internationalen Schutz benötigen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Situation in Syrien basieren auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Syrien vom 25.01.2018). Das genannte Länderinformationsblatt stützt sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Syrien ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die Feststellungen zur Person der BF ergeben sich aus den Angaben des BF1 und der BF2 im Zusammenhang mit den von ihnen vorgelegten Dokumenten.

Die Feststellung zur Rückkehrgefährdung des BF1 stützt sich auf folgendes Erwägungen:

Zunächst ist aufgrund der von den BF vorgelegten Dokumente davon auszugehen, dass der BF1 tatsächlich beim syrischen Roten Halbmond tätig war. Weiters ist aufgrund der lebensnahen und im Wesentlichen übereinstimmenden Schilderungen des BF1 und der BF2 vor allem in der Beschwerdeverhandlung anzunehmen, dass auch das Vorbringen bezüglich der Probleme, die der BF1 mit den syrischen Behörden habe, da er einen oppositionellen Kämpfer medizinisch versorgt habe, den Tatsachen entspricht. Was den Umstand angeht, dass der BF1 vor der belangten Behörde angab, der Kämpfer habe der Al Nusra-Front angehört, während er in der Beschwerdeverhandlung von einer Zugehörigkeit des Mannes zu FSA sprach, ist ihm zugutezuhalten, dass sich der Ausdruck "Freie Syrische Armee" im Lauf des militärischen Konfliktes in Syrien von einer Art als Sammelbegriff für die gesamte bewaffnete Opposition zu einer Bezeichnung bloß eines (zunehmend an Bedeutung verlierenden) Teils derselben gewandelt hat.

In Hinblick auf das somit glaubwürdige Vorbringen, die syrischen Behörden hätten Kenntnis davon, dass der BF1 einen oppositionellen Kämpfer medizinisch versorgt hat, kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass ihm bei einer Rückkehr nach Syrien eine regimekritische bzw. oppositionelle Gesinnung zumindest unterstellt wird. Diese Einschätzung deckt sich auch mit den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (5. aktualisierte Fassung), wonach u.a. Personen, die in humanitären Hilfsorganisationen mitarbeiten, Gefahr laufen, einer besonderen Verfolgung ausgesetzt zu sein, wobei diese Verfolgung - wie auch im Fall des BF1 anzunehmen ist - daraus resultiert, dass diese Mitarbeiter trotz ihrer Neutralität als Unterstützer einer Kriegspartei angesehen werden. Somit ist auch davon auszugehen, dass der BF1 in eine in der aktuellen Position des UNHCR angeführte Risikogruppe, nämlich jene der "Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen" fällt (zur Indizwirkung von UNHCR-Positionen vgl. etwa VwGH 16.1.2008, 2006/19/0182, m.w.N.).

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der stützt sich bezüglich des BF1 und der BF2 auf eine aktuelle Abfrage des Strafregisters, während sich die Unbescholtenheit der BF3 bis BF5 bereits aus ihrem Alter ergibt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels einfachgesetzlicher materienspezifischer Sonderregelung liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. 51/1991 (AVG) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung BGBl. Nr. 194/1961 (BAO), des Agrarverfahrensgesetzes BGBl. Nr. 173/1950 (AgrVG), und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 BGBl. Nr. 29/1984 (DVG), und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Zu Spruchpunkt A):

3.2.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Bei der Entscheidung, ob eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung besteht, handelt es sich immer um eine Prognoseentscheidung, die eine auf die Zukunft gerichtete Verfolgung verlangt. Das Wort "Furcht" bezieht sich dabei nicht nur auf Personen, die tatsächlich verfolgt wurden, sondern auch auf solche, die einer Situation aus dem Wege gehen möchten, die eine Gefahr der Verfolgung in sich birgt. (vgl. UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, vom 30. November 2016, S. 1)

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; 15.03.2001, 99/20/0036). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwSlg. 16.482 A/2004). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" (VwSlg. 16.482 A/2004) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).

3.2.1.2. Wie sich aus den Feststellungen ergibt, läuft der BF1 mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, in Syrien aufgrund einer ihm (zumindest unterstellten) politischen Gesinnung Verfolgungshandlungen von ausreichender Intensität ausgesetzt zu sein. Somit besteht ein ausreichender Konnex zu einem in der GFK genannten Grund.

Eine Inanspruchnahme des Schutzes durch den syrischen Staat ist für ihn schon deswegen auszuschließen, weil die Verfolgung gerade von diesem ausgeht.

Vom Vorliegen einer zumutbaren innerstaatliche Fluchtalternative kann schon deshalb nicht ausgegangen werden, da die Annahme einer solchen im Widerspruch zum aufgrund der Situation in Syrien bereits gewährten subsidiären Schutz stünde (vgl. VwGH 25.3.2015, Ra 2014/18/0168; 29.6.2015, Ra 2014/18/0070).

Da sich auch kein Hinweis auf einen der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe ergeben hat, war dem BF1 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

3.2.2.1. § 34 AsylG 2005 lautet:

"(1) Stellt ein Familienangehöriger von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist und

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG)."

Gemäß § 22 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

3.2.2.2. Die BF2 als Ehefrau des BF1, die diese Ehe schon vor der Einreise nach Österreich geschlossen hat, und die BF3 bis BF5 als minderjährige, unverheiratete Kinder des BF1 sind dessen Familienangehörige iSd § 22 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005.

Daher war ihnen - bei Fehlen von Hinweisen auf Endigungs- oder Ausschlussgründe sowie vor dem Hintergrund der Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit - gemäß § 34 AsylG 2005 ebenfalls der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen und gleichfalls gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festzustellen, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.2.3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.3. Zu Spruchpunkt B):

3.3.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.3.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Asylgewährung, asylrechtlich relevante Verfolgung, begründete Furcht
vor Verfolgung, Bürgerkrieg, erhebliche Intensität,
Flüchtlingseigenschaft, inländische Schutzalternative,
innerstaatliche Fluchtalternative, maßgebliche Wahrscheinlichkeit,
medizinische Versorgung, mündliche Verhandlung, Nachvollziehbarkeit,
politische Gesinnung, Prognoseentscheidung, Unzumutbarkeit,
Verfolgungsgefahr, Verfolgungshandlung, Wahrscheinlichkeit,
wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W176.2161731.1.00

Zuletzt aktualisiert am

24.10.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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