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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)Norm
B-VG Art140 Abs1 Z1 litdLeitsatz
Abweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des ABGB betreffend den generellen Ausschluss von der Annahme an Kindesstatt gleichgeschlechtlicher Paare nach deren Trennung; adoptionsbedingtes Erlöschen der familienrechtlichen Beziehungen gegenüber dem leiblichen Elternteil durch einen Wahlelternteil desselben Geschlechts verfassungskonform dahingehend interpretiert, dass ein "Wahlvater" an Stelle der leiblichen Mutter und eine "Wahlmutter" an Stelle des leiblichen Vaters trittRechtssatz
Abweisung eines - zulässigen - Parteiantrags auf Aufhebung des §197 Abs3 erster Satz ABGB.
Nach §197 Abs3 erster Satz ABGB erlöschen in jenen Fällen, in denen das Wahlkind nur durch einen Wahlvater (eine Wahlmutter) angenommen wird, die familienrechtlichen Beziehungen zum leiblichen Vater (zur leiblichen Mutter) und zu dessen (deren) Verwandten.
Angesichts der jüngeren Rechtsentwicklung in Bezug auf familienrechtliche Vorschriften hinsichtlich gleichgeschlechtlicher Paare ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen würde, gleichgeschlechtliche Paare mit verschiedengeschlechtlichen Paaren hinsichtlich der Möglichkeiten zur Annahme an Kindesstatt während aufrechter Beziehung gleich zu behandeln, für den Fall der Trennung - als Folge der Formulierung des §197 Abs3 ABGB - jedoch unterschiedliche Rechtsfolgen vorzusehen. Auch wenn durch die Annahme an Kindesstatt ein stabiles Umfeld im Sinn eines beständigen und ausgeglichenen Zuhauses für das Kind geschaffen werden soll, ist nicht ersichtlich, dass der Umstand der Trennung gleichgeschlechtlicher Paare - im Gegensatz zur Trennung verschiedengeschlechtlicher Paare - dem Kindeswohl widersprechen und den generellen Ausschluss der Annahme an Kindesstatt in solchen Fällen rechtfertigen würde.
In diesem Zusammenhang ist überdies hervorzuheben, dass das geltende Adoptionsrecht Bestimmungen enthält, die sicherstellen, dass die Annahme an Kindesstatt nur in jenen Fällen bewilligt wird, in denen - trotz Trennung - ein stabiles Umfeld und die Wahrung des Kindeswohles gewährleistet werden kann. So bedarf die gerichtliche Bewilligung der Annahme an Kindesstatt gemäß §195 Abs1 Z1 ABGB jedenfalls der Zustimmung des leiblichen Elternteils. Dabei ist davon auszugehen, dass diese Zustimmung nur in jenen Fällen erteilt werden wird, in denen eine gemeinsame Erziehung und Obsorge des Kindes sowie die rechtliche Institutionalisierung des Verhältnisses zur bestehenden Bezugsperson von beiden Teilen gewünscht und gelebt wird. Darüber hinaus haben im Rahmen der Prüfung des Kindeswohles im Einzelfall durch das Gericht jedenfalls auch der Aspekt der Trennung und die derzeitigen Verhältnisse zwischen getrennten Partnern oder Ehegatten Berücksichtigung zu finden.
Eine Auslegung, der zufolge die familienrechtlichen Beziehungen gegenüber jenem leiblichen Elternteil erlöschen, der durch einen seinem Geschlecht entsprechenden Wahlelternteil ersetzt wird, führt vor diesem Hintergrund im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz und Art8 iVm Art14 EMRK zu einem verfassungswidrigen Ergebnis. Der Wortlaut des §197 Abs3 ABGB lässt es jedoch zu, die Wendung "durch einen Wahlvater (eine Wahlmutter)" sowie "zum leiblichen Vater (zur leiblichen Mutter)" verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass im Fall der Einzeladoption durch den (ehemaligen) gleichgeschlechtlichen Partner des leiblichen Elternteils ein "Wahlvater" an die Stelle der leiblichen Mutter und eine "Wahlmutter" an die Stelle des leiblichen Vaters tritt. Die Möglichkeit der nicht auf ein bestimmtes Geschlecht bezogenen Verdrängung eines Elternteils ist dem ABGB seit dem Adoptionsrechts-Änderungsgesetz 2013 zudem nicht fremd. §197 Abs4 ABGB normiert, dass in dem Fall, dass ein Ehegatte, ein eingetragener Partner oder ein Lebensgefährte das Kind seines Ehegatten, eingetragenen Partners oder Lebensgefährten annimmt, die familienrechtlichen Beziehungen nach Maßgabe des Abs2 lediglich zum anderen Elternteil und zu dessen Verwandten erlöschen.
Da die gegenteilige Auslegung ein verfassungswidriges Ergebnis zur Folge hätte, ist eine verfassungskonforme Interpretation im vorliegenden Fall nicht nur zulässig, sondern vielmehr geboten. Der Umstand, dass die Gesetzesmaterialien von einer früheren Rechtslage ausgehen, macht die verfassungskonforme Interpretation nicht unzulässig. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, ist eine verfassungskonforme Auslegung selbst dann vorzunehmen, wenn in den Gesetzesmaterialien entgegenstehende Aussagen enthalten sind.
Schlagworte
Zivilrecht, Adoption, Homosexualität, Gleichbehandlung, Auslegung verfassungskonforme, Kinder, VfGH / ParteiantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:G69.2018Zuletzt aktualisiert am
09.03.2020