TE Vwgh Erkenntnis 2018/9/25 Ra 2018/05/0061

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Veröffentlicht am 25.09.2018
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
14/01 Verwaltungsorganisation
40/01 Verwaltungsverfahren
83 Naturschutz Umweltschutz

Norm

AVG §59 Abs1
IG-L 1997
IG-L 1997 §2 Abs6
UVPG 2000 Anh1 Spalte3
UVPG 2000 §1 Abs1 Z1
UVPG 2000 §2 Abs2
UVPG 2000 §3 Abs4
UVPG 2000 §3 Abs7
VwGG §42 Abs2 Z1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2018/05/0062
Ra 2018/05/0063
Ra 2018/05/0064
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Ra 2018/05/0151
Ra 2018/05/0152
Ra 2018/05/0153
Ra 2018/05/0154

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Artmann, über die Revision der revisionswerbenden Parteien 1. H S, 2. Mag. A K, MSc, 3. B H, 4. H W, 5. T R, 6. E S, 7. W A, 8. J S, 9. R R, 10. R D, 11. R S, 12. I T, 13. A M, 14. S L, 15. B B, 16. G E, 17. B K, 18. A W, 19. I S, 20. F K, 21. W P, 22. E Z, 23. S B, 24. G H, 25. F M, 26. O A, 27. K S, 28. J H, 29. K S, 30. H S, 31. H R, 32. L B, 33. K J, 34. M E, 35. M S, 36. A S, 37. T R, 38. E L, 39. Dr. B S, 40. M R, 41. E S, 42. E F, 43. F K, 44. H S, 45. C W, 46. S F, 47. H F, 48. F F, 49. E Z, 50. K A, 51. H L, 52. D M, 53. C M, 54. C P, 55. P L, 56. K S, 57. R H, 58. W T, 59. M J, 60. M Y, 61. L W, 62. M H, 63. M F, 64. A W, 65. A M, 66. E G, 67. H B, 68. C K, 69. W B, 70. A H, 71. H W, 72. R R, 73. S R, 74. S C, 75. P S, 76. A H, 77. Ing. H H, 78. M B, 79. G A, 80. K Z, 81. R B, 82. M G, 83. A G, 84. G B, 85. J H, 86. H W, 87. S K, 88. R K, 89. T K, 90. I H, 91. Mag. R G, 92. Mag. Dr. U G, 93. A S und 94. A D, alle in W, alle vertreten durch die Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 1010 Wien, Schubertring 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27. September 2017, Zl. W109 2147457-1/20E, betreffend Feststellung gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung; mitbeteiligte Partei: W reg. Gen. m. b. H. in W, vertreten durch die Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 12), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Eingabe vom 5. August 2015 beantragte die mitbeteiligte Partei bei der Wiener Landesregierung gemäß § 3 Abs. 7 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (UVP-G 2000) die Feststellung, dass für das Vorhaben „Projekt S“ keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei. Das Vorhaben hat nach den Antragsunterlagen die Errichtung von Wohnbauten, eines Kindergartens, einer Schule, eines Nahversorgers, einer sozialen Einrichtung und von Stellplätzen sowie die Verlängerung von zwei näher bezeichneten Straßen zum Gegenstand.

2        In weiterer Folge legte die mitbeteiligte Partei eine Verkehrsuntersuchung vom 1. Oktober 2015 sowie eine Luftschadstoffuntersuchung vom 24. Februar 2016 vor.

3        Die Wiener Landesregierung holte mehrere Gutachten und Stellungnahmen ein. Der unter anderem zur Beurteilung der projektbedingten Zusatzbelastung beigezogene luftreinhaltetechnische Amtssachverständige kam in seiner Stellungnahme vom 7. März 2016 zum Ergebnis, dass einzelne näher bezeichnete Zusatzimmissionen „aus technischer Sicht als irrelevant zu bewerten“ seien, führte aber aus, dass die Zusatzimmissionen für den „JMW an NO2“ im Bereich der Neubebauung „aus technischer Sicht als relevant zu bewerten“ seien; ferner sei in Bezug auf PM10 im Bereich der Neubebauung „statistisch mit 1-2 zusätzlichen Überschreitungstagen zu rechnen“.

4        Im Hinblick darauf wurde von der Behörde ein humanmedizinischer Sachverständiger beigezogen. Dieser kam in seinem Gutachten vom 25. Mai 2016 (mit näheren Ausführungen) zum Ergebnis, dass bezüglich NO2 und PM10 auf Grund einer Kumulierung der Auswirkungen des gegenständlichen Vorhabens mit jenen anderer in einem räumlichen Zusammenhang stehenden, gleichartigen Vorhaben nicht mit erheblichen schädlichen, belästigenden oder belastenden Auswirkungen auf das Leben und die Gesundheit von Menschen zu rechnen sei.

5        In seiner Gutachtensergänzung vom 31. Oktober 2016 verneinte er mit näherer Begründung die Frage, ob die „zu erwartende relevante Immissionszusatzbelastung an NO2 (JMW) sowie die statistisch zu erwartenden 1 bis 2 zusätzlichen Überschreitungstage des Tagesmittelwerts (TMW) von PM10 in der Lage sind das Leben oder die Gesundheit von Menschen zu beeinträchtigen“.

6        Mit Eingabe vom 30. September 2016 erstattete die mitbeteiligte Partei eine Stellungnahme zur „Klarstellung des Vorhabens“, wonach „bei dem gegenständlichen Vorhaben die Errichtung von Wohnbauten unabhängig von der Errichtung der geplanten Aufschließungsstraße (...) möglich und - sollte die Straße nicht errichtet werden - vorgesehen“ sei.

7        Mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 6. Dezember 2016 wurde in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 7 in Verbindung mit § 3 Abs. 4 sowie Anhang 1 Z 9 lit. h UVP-G 2000 festgestellt, dass für das Straßenbauvorhaben des gegenständlichen Projektes keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei; in Spruchpunkt II. wurde gemäß § 3 Abs. 7 in Verbindung mit Anhang 1 Z 18 lit. b und gemäß § 3 Abs. 7 in Verbindung mit § 3 Abs. 2 und 4 sowie Anhang 1 Z 19 lit. b und Z 21 lit. b UVP-G 2000 festgestellt, dass für das Wohnbauvorhaben des Projektes keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei.

8        Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Erschließung der geplanten Wohnbauten über die derzeitige Straßenverbindung „verkehrstechnisch machbar und möglich“ sei, zur besseren Anbindung an die S-Straße und die H-Gasse aber eine Aufschließungsstraße (durch Verlängerung der L-P-Straße und der F-S-Straße und Verbindung dieser) errichtet werden solle. Die Errichtung der Wohnbauten sei ungeachtet der Errichtung der Straße vorgesehen; die Straße sei somit keine zwingende Voraussetzung für die Realisierung der Wohnbauten. Mangels funktionalen und sachlichen Zusammenhanges zwischen dem Straßen- und Wohnbauprojekt handle es sich um zwei Vorhaben.

9        Das Straßen- und Wohnbauprojekt liege in einem Gebiet der Kategorie D des Anhanges 2 des UVP-G 2000.

10       Zum Tatbestand des Neubaues sonstiger Straßen unter Berührung eines schutzwürdigen Gebietes (Z 9 lit. h des Anhanges 1 des UVP-G 2000) wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Verlängerung der beiden Straßen ein einheitliches Vorhaben darstelle. Dieses übersteige die in Z 9 lit. h des Anhanges 1 des UVP-G 2000 normierten Schwellen. Damit werde betreffend das Straßenbauvorhaben die Pflicht zur Einzelfallprüfung ausgelöst.

11       Nach Wiedergabe und Würdigung vor allem der oben dargestellten Gutachten kam die Behörde zum Ergebnis, dass durch den Straßenneubau nicht mit erheblichen schädlichen, belästigenden oder belastenden Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen sei.

12       Zum Tatbestand des Städtebauvorhabens (Z 18 lit. b des Anhanges 1 des UVP-G 2000) wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich beim Projekt um ein „multifunktionales“ Vorhaben handle. Ein Städtebauvorhaben setze jedoch zwingend Versorgungseinrichtungen mit einem über das Gebiet des Vorhabens hinausreichenden Einzugsbereich voraus; dies sei hier nicht gegeben. Andere Projekte in der Umgebung befänden sich in unterschiedlichen Stadien der Planung und Detaillierung, wobei es keine Anhaltspunkte für einen planerischen Gesamtwillen gebe. Ein Städtebauvorhaben im Sinne der genannten Bestimmung liege daher nicht vor.

13       Mit jeweils näherer Begründung kam die Behörde auch zum Ergebnis, dass die Tatbestände betreffend Einkaufszentren ( Z 19 lit. b des Anhanges 1 des UVP-G 2000) und der Errichtung öffentlich zugänglicher Parkplätze (Z 21 lit. b des Anhanges 1 leg. cit.) nicht erfüllt seien.

14       Gegen diesen Bescheid erhoben sämtliche Revisionswerber Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht.

15       Das Verwaltungsgericht holte ein Gutachten eines Sachverständigen für Raumplanung vom 24. Juli 2017 zur Frage der Multifunktionalität der geplanten Bebauung ein und führte eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

16       Ausweislich des Verhandlungsprotokolles wurde das gegenständliche Vorhaben im Zuge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens dahingehend eingeschränkt, dass die Schule entfallen solle.

17       Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurden die Beschwerden der revisionswerbenden Parteien als unbegründet abgewiesen und ausgesprochen, dass für das Vorhaben keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei.

18       Begründend wurde ausgeführt, dass es sich bei den revisionswerbenden Parteien offenkundig um Personen handle, die durch die Errichtung, den Betrieb oder den Bestand des Vorhabens gefährdet oder belästigt oder deren dingliche Rechte gefährdet werden könnten; sie seien daher Nachbarn im Sinne des § 3 Abs. 7a in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000.

19       Betreffend die Kundmachung des UVP-Feststellungsbescheides gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass der Bescheid auf der Homepage der belangten Behörde kundgemacht und den Nachbarn die Möglichkeit zur Akteneinsicht eingeräumt worden sei. Dem Gesetz sei eine Verpflichtung zur „vollumfänglichen Kundmachung, auch der Beilagen (allenfalls auch umfangreicher Planunterlagen)“ nicht zu entnehmen. Eine Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten ergebe sich daraus nicht, weil den Nachbarn das Recht auf Akteneinsicht zustehe.

20       In Bezug auf die Errichtung der Aufschließungsstraße wurde im Wesentlichen festgehalten, dass die Behörde ihren Überlegungen - unbestritten - das Vorliegen eines schutzwürdigen Gebietes der Kategorie D (belastetes Gebiet Luft) zugrunde gelegt habe. Bei Überschreiten der Schwellenwerte nach der 3. Spalte des Anhanges 1 des UVP-G 2000 sei daher gemäß § 3 Abs. 4 UVP-G 2000 in eine Einzelfallprüfung einzutreten. Beurteilungsgegenstand sei dabei der Schutzzweck des jeweiligen schutzwürdigen Gebietes. Zu prüfen sei, ob der Schutzzweck durch das Vorhaben wesentlich beeinträchtigt werde; bei Immissionen sei zu prüfen, ob diese für die Bevölkerung in einem Siedlungsgebiet gesundheitsgefährlich seien. Auch wenn die Einzelfallprüfung im Rahmen einer Grobprüfung erfolgen solle, könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Behörde diesen Rahmen durch die Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen verlassen habe.

21       Es sei nämlich „präzisierend“ auszuführen, dass „die im Rahmen des sog. ‚Schwellenkonzepts‘ gebildeten Irrelevanzschwellen“ herangezogen worden seien. Die Behörde könne sich jedoch, entgegen dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien, nicht unmittelbar auf solche in Leitfäden vorgeschlagene Schwellen stützen (Hinweis auf VwGH 21.12.2011, 2006/04/0144); vielmehr sei auf sachverständiger Grundlage zu klären gewesen, ob mit erheblichen belästigenden, belastenden oder schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen sei. Die Einzelfallprüfung habe ergeben, dass durch die geringe vom Vorhaben verursachte PM10-Zusatzbelastung, verbunden mit der bestehenden Grundbelastung, keine relevanten gesundheitlichen Auswirkungen zu erwarten seien. Aus diesem Grund sei der Schutzzweck des bestehenden belasteten Gebietes - Luft nicht wesentlich beeinträchtigt und keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen.

22       Zum Tatbestand „Städtebauvorhaben“ wurde zusammengefasst ausgeführt, dass das Vorhaben mehrfach nicht die Voraussetzungen nach Anhang 1 Z 18 lit. b UVP-G 2000 erfülle: Erstens fehle der Außenbezug, weil das Vorhaben keinen über das Projektgebiet hinausreichenden Einzugsbereich aufweise; zweitens sei das Vorhaben monofunktional auf Wohnnutzung ausgerichtet, und drittens seien die Schwellenwerte „von mindestens 15 ha (die Größe des Projektgebietes [betrage] ca. 8,5 ha) und - zusätzlich - einer Bruttogeschoßfläche von mehr als 150.000 m2 nicht erreicht (das Vorhaben [sei] maximal mit ca. 120.000 m2 geplant)“. Auch sei nicht ersichtlich, dass das Vorhaben Teil eines größeren Vorhabens sei.

23       Im Ergebnis sei für das Straßenbauvorhaben auf Grund der nicht zu beanstandenden Einzelfallprüfung der Behörde keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine UVP-Pflicht des Städtebauvorhabens seien nicht erfüllt. Daher könne es auch nicht zu einer Kumulation mit dem Straßenbauvorhaben kommen. Es erübrige sich somit, darauf einzugehen, ob sich die Fragestellungen an den Sachverständigen für Luftreinhaltung bzw. Umweltmedizin hätten auf beide Vorhaben beziehen müssen.

24       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, es wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

25       Die mitbeteiligte Partei, die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht und die Bundesministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus haben jeweils eine Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, die Revision kostenpflichtig zurück- bzw. abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

26       Die Revision ist in Anbetracht der Frage des Charakters des UVP-Feststellungsverfahrens als bloßes „Grobprüfungsverfahren“ zulässig.

27       In der Revision wird, auf das Wesentliche zusammengefasst, vorgebracht, dass das Verwaltungsgericht unzutreffend angenommen habe, dass aus der Feststellung des Vorliegens höherer als irrelevanter Zusatzimmissionen nicht unmittelbar die UVP-Pflicht des Vorhabens resultiere. Das eingeholte medizinische Gutachten diene nicht der „Absicherung“ der Entscheidung der Behörde, sondern der Widerlegung der vorliegenden Überschreitungen. Die in § 3 Abs. 4 UVP-G 2000 vorgesehene Grobprüfung sei unzulässigerweise so lange „detailliert“ worden, bis ein prima facie die UVP-Pflicht verneinendes Ergebnis festgestanden sei.

28       In Bezug auf den Tatbestand „Städtebauvorhaben“ werden einerseits ein Verstoß gegen die UVP-Richtlinie und andererseits eine falsche Auslegung des UVP-G 2000 vorgebracht. Beiden Normen sei es fremd, dass für das Vorliegen eines Städtebauvorhabens Bebauungsteile eine exklusive Nutzung entweder als Wohn- oder als Geschäftsbauten aufweisen müssten.

29       Als Verfahrensfehler monieren die Revisionswerber das Vorliegen widersprüchlicher Feststellungen sowie die Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes in mehreren Punkten und beanstanden, dass der UVP-Feststellungsbescheid von der belangten Behörde unvollständig im Internet kundgemacht worden sei, weil die zum Bescheidinhalt erklärten Beilagen nicht online bereitgestellt worden seien.

30       Der Revision lässt sich ferner entnehmen, dass das Vorhaben aus Sicht der Revisionswerber unrichtigerweise in zwei Vorhaben getrennt worden sei.

31       § 1 UVP-G 2000, BGBl. Nr. 697/1993, in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2016 lautet auszugsweise:

„Aufgabe von Umweltverträglichkeitsprüfung und Bürgerbeteiligung

§ 1. (1) Aufgabe der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) ist es, unter Beteiligung der Öffentlichkeit auf fachlicher Grundlage

1.   die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen festzustellen, zu beschreiben und zu bewerten, die ein Vorhaben

a)   auf Menschen, Tiere, Pflanzen und deren Lebensräume,

b)   auf Boden, Wasser, Luft und Klima,

c)   auf die Landschaft und

d)   auf Sach- und Kulturgüter

     hat oder haben kann, wobei Wechselwirkungen mehrerer Auswirkungen untereinander miteinzubeziehen sind,

...“

32       § 2 UVP-G 2000 in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2009 lautet auszugsweise:

„Begriffsbestimmungen

§ 2. ...

(2) Vorhaben ist die Errichtung einer Anlage oder ein sonstiger Eingriff in Natur und Landschaft unter Einschluss sämtlicher damit in einem räumlichen und sachlichen Zusammenhang stehender Maßnahmen. Ein Vorhaben kann eine oder mehrere Anlagen oder Eingriffe umfassen, wenn diese in einem räumlichen und sachlichen Zusammenhang stehen.

...“

33       § 3 UVP-G 2000 in der Fassung BGBl. I Nr. 58/2017 lautet auszugsweise:

„Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung

§ 3. ...

(4) Bei Vorhaben, für die in Spalte 3 des Anhanges 1 ein Schwellenwert in bestimmten schutzwürdigen Gebieten festgelegt ist, hat die Behörde bei Zutreffen dieses Tatbestandes im Einzelfall zu entscheiden, ob zu erwarten ist, dass unter Berücksichtigung des Ausmaßes und der Nachhaltigkeit der Umweltauswirkungen der schützenswerte Lebensraum (Kategorie B des Anhanges 2) oder der Schutzzweck, für den das schutzwürdige Gebiet (Kategorien A, C, D und E des Anhanges 2) festgelegt wurde, wesentlich beeinträchtigt wird. Bei dieser Prüfung sind schutzwürdige Gebiete der Kategorien A, C, D oder E des Anhanges 2 nur zu berücksichtigen, wenn sie am Tag der Einleitung des Verfahrens ausgewiesen oder in die Liste der Gebiete mit gemeinschaftlicher Bedeutung (Kategorie A des Anhanges 2) aufgenommen sind. Ist mit einer solchen Beeinträchtigung zu rechnen, ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Abs. 7 (Feststellungsverfahren) ist anzuwenden. Bei der Entscheidung im Einzelfall hat die Behörde folgende Kriterien zu berücksichtigen:

1.   Merkmale des Vorhabens (Größe des Vorhabens, Kumulierung mit anderen Vorhaben, Nutzung der natürlichen Ressourcen, Abfallerzeugung, Umweltverschmutzung und Belästigungen, Unfallrisiko),

2.   Standort des Vorhabens (ökologische Empfindlichkeit unter Berücksichtigung bestehender Landnutzung, Reichtum, Qualität und Regenerationsfähigkeit der natürlichen Ressourcen des Gebietes, Belastbarkeit der Natur, historisch, kulturell oder architektonisch bedeutsame Landschaften),

3.   Merkmale der potentiellen Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt (Ausmaß der Auswirkungen, grenzüberschreitender Charakter der Auswirkungen, Schwere und Komplexität der Auswirkungen, Wahrscheinlichkeit von Auswirkungen, Dauer, Häufigkeit und Reversibilität der Auswirkungen) sowie Veränderung der Auswirkungen auf die Umwelt bei Verwirklichung des Vorhabens im Vergleich zu der Situation ohne Verwirklichung des Vorhabens. Bei Vorhaben der Spalte 3 des Anhanges 1 ist die Veränderung der Auswirkungen im Hinblick auf das schutzwürdige Gebiet maßgeblich.

Die Einzelfallprüfung entfällt, wenn der Projektwerber/die Projektwerberin die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung beantragt.

...

(7) Die Behörde hat auf Antrag des Projektwerbers/der Projektwerberin, einer mitwirkenden Behörde oder des Umweltanwaltes festzustellen, ob für ein Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach diesem Bundesgesetz durchzuführen ist und welcher Tatbestand des Anhanges 1 oder des § 3a Abs. 1 bis 3 durch das Vorhaben verwirklicht wird. Diese Feststellung kann auch von Amts wegen erfolgen. Der Projektwerber/die Projektwerberin hat der Behörde Unterlagen vorzulegen, die zur Identifikation des Vorhabens und zur Abschätzung seiner Umweltauswirkungen ausreichen. Hat die Behörde eine Einzelfallprüfung nach diesem Bundesgesetz durchzuführen, so hat sie sich dabei hinsichtlich Prüftiefe und Prüfumfang auf eine Grobprüfung zu beschränken. Die Entscheidung ist innerhalb von sechs Wochen mit Bescheid zu treffen. Parteistellung und das Recht, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zu erheben, haben der Projektwerber/die Projektwerberin, der Umweltanwalt und die Standortgemeinde. Vor der Entscheidung sind die mitwirkenden Behörden und das wasserwirtschaftliche Planungsorgan zu hören. Die Entscheidung ist von der Behörde in geeigneter Form kundzumachen und der Bescheid jedenfalls zur öffentlichen Einsichtnahme aufzulegen und auf der Internetseite der UVP-Behörde, auf der Kundmachungen gemäß § 9 Abs. 4 erfolgen, zu veröffentlichen; der Bescheid ist als Download für sechs Wochen bereitzustellen. Die Standortgemeinde kann gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Revision an den Verwaltungsgerichtshof erheben. Der Umweltanwalt und die mitwirkenden Behörden sind von der Verpflichtung zum Ersatz von Barauslagen befreit.

(7a) Stellt die Behörde gemäß Abs. 7 fest, dass für ein Vorhaben keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, ist eine gemäß § 19 Abs. 7 anerkannte Umweltorganisation oder ein Nachbar/eine Nachbarin gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 berechtigt, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zu erheben. Ab dem Tag der Veröffentlichung im Internet ist einer solchen Umweltorganisation oder einem solchen Nachbarn/einer solchen Nachbarin Einsicht in den Verwaltungsakt zu gewähren. Für die Beschwerdelegitimation der Umweltorganisation ist der im Anerkennungsbescheid gemäß § 19 Abs. 7 ausgewiesene Zulassungsbereich maßgeblich.

(8) Der Bundesminister/die Bundesministerin für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft kann durch Verordnung jene Gebiete (Kategorie D des Anhanges 2) des jeweiligen Bundeslandes festlegen, in denen die Immissionsgrenzwerte des Immissionsschutzgesetzes-Luft, BGBl. I Nr. 115/1997, in der jeweils geltenden Fassung wiederholt oder auf längere Zeit überschritten werden.“

34       Anhang 1 zum UVP-G 2000 in der Fassung BGBl. I Nr. 58/2017 lautet auszugsweise:

„Anhang 1

Der Anhang enthält die gemäß § 3 UVP-pflichtigen Vorhaben.

...

In Spalte 3 sind jene Vorhaben angeführt, die nur bei Zutreffen besonderer Voraussetzungen der UVP-Pflicht unterliegen. Für diese Vorhaben hat ab den angegebenen Mindestschwellen eine Einzelfallprüfung zu erfolgen. Ergibt diese Einzelfallprüfung eine UVP-Pflicht, so ist nach dem vereinfachten Verfahren vorzugehen.

Die in der Spalte 3 genannten Kategorien schutzwürdiger Gebiete werden in Anhang 2 definiert. Gebiete der Kategorien A, C, D und E sind für die UVP-Pflicht eines Vorhabens jedoch nur dann zu berücksichtigen, wenn sie am Tag der Antragstellung ausgewiesen sind.

 

UVP

UVP im vereinfachten

Verfahren

 

Spalte 1

Spalte 2

Spalte 3

...

 

 

 

 

Infrastrukturprojekte

 

 

Z 9

a)-c) ...

d)-e) ...

g) ...

h) ... Neubau sonstiger Straßen oder ihrer Teilabschnitte mit einer durchgehenden Länge von mindestens 500 m, jeweils wenn ein schutzwürdiges Gebiet der Kategorien B oder D berührt wird und eine durchschnittliche tägliche Verkehrsbelastung (DTV) von mindestens 2 000 Kraftfahrzeugen in einem Prognosezeitraum von fünf Jahren zu erwarten ist;

i) Neubau sonstiger Straßen oder ihrer Teilabschnitte, wenn ein schutzwürdiges Gebiet der Kategorie E berührt wird und eine durchschnittliche tägliche Verkehrsbelastung (DTV) von mindestens 15 000 Kraftfahrzeugen in einem Prognosezeitraum von fünf Jahren zu erwarten ist

...

...

 

 

 

Z 18

 

a) ...

b) Städtebauvorhaben3a) mit einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 15 ha und einer Bruttogeschoßfläche von mehr als 150 000 m2;

c) ...

Bei lit. b ist § 3 Abs. 2 mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Summe der Kapazitäten, die innerhalb der letzten 5 Jahre genehmigt wurden, einschließlich der beantragten Kapazität bzw. Kapazitätsausweitung heranzuziehen ist.

...

 

 

 

...

3a) Städtebauvorhaben sind Erschließungsvorhaben zur gesamthaften multifunktionalen Bebauung, jedenfalls mit Wohn- und Geschäftsbauten einschließlich der hierfür vorgesehenen Erschließungsstraßen und Versorgungseinrichtungen mit einem über das Gebiet des Vorhabens hinaus reichenden Einzugsbereich. Städtebauvorhaben bzw. deren Teile gelten nach deren Ausführung nicht mehr als Städtebauvorhaben im Sinne dieser Fußnote.

...“

35       Anhang 2 des UVP-G 2000 in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2009 lautet auszugsweise:

„Anhang 2

Einteilung der schutzwürdigen Gebiete in folgende Kategorien:

Kategorie

schutzwürdiges Gebiet

Anwendungsbereich

...

 

 

D

belastetes Gebiet (Luft)

gemäß § 3 Abs. 8 festgelegte Gebiete

E

Siedlungsgebiet

in oder nahe Siedlungsgebieten.
Als Nahebereich eines Siedlungsgebietes gilt ein Umkreis von 300 m um das Vorhaben, in dem Grundstücke wie folgt festgelegt oder ausgewiesen sind:

1.  Bauland, in dem Wohnbauten errichtet werden dürfen (ausgenommen reine Gewerbe-, Betriebs- oder Industriegebiete, Einzelgehöfte oder Einzelbauten),

2.  Gebiete für Kinderbetreuungseinrichtungen, Kinderspielplätze, Schulen oder ähnliche Einrichtungen, Krankenhäuser, Kuranstalten, Seniorenheime, Friedhöfe, Kirchen und gleichwertige Einrichtungen anerkannter Religionsgemeinschaften, Parkanlagen, Campingplätze und Freibeckenbäder, Garten- und Kleingartensiedlungen.

...“

Zur Kundmachung des UVP-Feststellungsbescheides:

36       Es ist zulässig, im Spruch eines Bescheides auf außerhalb des Bescheides gelegene Schriftstücke oder Pläne Bezug zu nehmen, deren Aussagen und Darstellungen in den normativen Bescheidinhalt zu integrieren und solcherart zum Inhalt des Bescheides zu machen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG [2005] § 59 AVG Rz 94 mit Nachweisen aus der hg. Rechtsprechung).

37       Gemäß § 3 Abs. 7 achter Satz UVP-G 2000 ist „der Bescheid“ zur öffentlichen Einsichtnahme aufzulegen und auf der Internetseite der UVP-Behörde, auf der Kundmachungen gemäß § 9 Abs. 4 UVP-G 2000 erfolgen, zu veröffentlichen, wobei „der Bescheid“ als Download für sechs Wochen bereitzustellen ist.

38       Da § 3 Abs. 7 achter Satz UVP-G 2000 keine weitere Differenzierung trifft, sondern ausspricht, dass „der Bescheid“ neben der öffentlichen Auflage auch im Internet bereitzustellen ist, wird damit auf den vollständigen Bescheid, das heißt inklusive der zum Bescheidinhalt erklärten Beilagen, abgestellt.

39       In der Revision wird aber nicht vorgebracht, dass nicht im Wege der Akteneinsicht (§ 3 Abs. 7a zweiter Satz UVP-G 2000) der gesamte Bescheid mit den verwiesenen Unterlagen zur Verfügung gestanden wäre. Auch sonst zeigen die Revisionswerber die Relevanz der behaupteten mangelhaften Veröffentlichung im Internet nicht auf. Das diesbezügliche Vorbringen führt die Revision daher nicht zum Erfolg.

Zur Grobprüfung gemäß § 3 Abs. 4 UVP-G 2000:

40       Wenn sich ein Tatbestand des Anhangs 1 UVP-G 2000 in Spalte 3 (für Vorhaben in schutzwürdigen Gebieten) befindet, ist gemäß § 3 Abs. 4 UVP-G 2000 nach einer Einzelfallprüfung zu entscheiden, ob zu erwarten ist, dass unter Berücksichtigung des Ausmaßes und der Nachhaltigkeit der Umweltauswirkungen der Schutzzweck, für den das schutzwürdige Gebiet festgelegt wurde, wesentlich beeinträchtigt wird (vgl. VwGH 11.5.2017, Ra 2017/04/0006, mwN). Nach der expliziten Anordnung des § 3 Abs. 7 vierter Satz UVP-G 2000 hat sich die Behörde bei der Feststellung, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, hinsichtlich Prüftiefe und Prüfumfang auf eine Grobprüfung hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit und Plausibilität negativer Umweltauswirkungen unter Berücksichtigung der konkreten Situation zu beschränken (vgl. auch VwGH 23.2.2011, 2009/06/0107).

41       Das hier zu beurteilende Vorhaben befindet sich in einem schutzwürdigen Gebiet der Kategorie D (belastetes Gebiet - Luft) und überschreitet durch den Neubau von Straßen die in Spalte 3 der Z 9 lit. h des Anhanges 1 des UVP-G 2000 genannten Schwellenwerte. Folglich wurde zutreffend davon ausgegangen, dass das Vorhaben einer Einzelfallprüfung gemäß § 3 Abs. 4 UVP-G 2000 zu unterziehen sei.

42       Wie dargelegt, beschränkt sich die Einzelfallprüfung auf die mögliche Beeinträchtigung des Schutzzweckes, für den das schutzwürdige Gebiet festgelegt wurde. Das bedeutet, dass keine umfassende Prüfung der Umweltauswirkungen des Vorhabens, sondern eine auf den Schutzzweck des schutzwürdigen Gebietes (hier der Kategorie D) bezogene Prüfung zu erfolgen hat. Weitere Ermittlungen im Hinblick auf weitere Schutzgüter sind bei einer solchen Einzelfallprüfung vom Gesetz nicht gedeckt (vgl. hierzu das bereits genannte Erkenntnis vom 11.5.2017).

43       Im vorliegenden Fall ergab das luftreinhaltetechnische Gutachten „relevante“ Veränderungen in Bezug auf NO2 und „1-2 zusätzliche Überschreitungstage“ in Bezug auf PM10. Diese luftreinhaltetechnischen Ergebnisse wurden einem humanmedizinischen Sachverständigen zur Beurteilung der Auswirkungen auf das Leben und die Gesundheit von Menschen vorgelegt, der derartige Auswirkungen verneinte.

44       Das UVP-G 2000 geht erkennbar davon aus, dass es sich bei der Luft um ein eigenständiges Schutzgut handelt (siehe die in § 1 Abs. 1 Z 1 lit. a bis d UVP-G 2000 genannte Aufzählung der Schutzgüter), sodass eine diesbezügliche Einzelfallprüfung darauf abzustellen hat, ob das Vorhaben Einfluss auf die Luftqualität haben kann (siehe auch Ennöckl in Ennöckl/Raschauer/Bergthaler, UVP-G3, § 3 Rz 21). Dies hat die Behörde auf Grundlage der Ausführungen des luftreinhaltetechnischen Sachverständigen offenbar bejaht und daher das Gutachten eines humanmedizinischen Sachverständigen eingeholt. Dieses Gutachten war für die Behörde insofern entscheidungserheblich, als daraus das Nichtvorliegen einer wesentlichen Beeinträchtigung des Schutzzweckes des belasteten Gebietes abgeleitet wurde, was zur Feststellung führte, dass keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Das Verwaltungsgericht ist dieser Auffassung gefolgt.

45       Mit der weitergehenden Prüfung der Auswirkungen auf das Leben und die Gesundheit von Menschen hat die Behörde aber den Rahmen der hier gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 (bloß) durchzuführenden Grobprüfung verlassen. Im Übrigen erscheint es unzutreffend, dass der Schutz der Luft ausschließlich dem Schutz des Menschen vor Auswirkungen von Luftschadstoffen dient (siehe etwa § 2 Abs. 6 Immissionsschutzgesetz - Luft (IG-L), BGBl. I Nr. 115/1997 in der Fassung BGBl. I Nr. 77/2010, wonach Schutzgüter des Immissionsschutzgesetzes - Luft der Mensch, der Tier- und Pflanzenbestand, ihre Lebensgemeinschaften, Lebensräume und deren Wechselbeziehungen sowie Kultur- und Sachgüter darstellen).

46       Die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, dass die Immissionen auf ihre Auswirkungen auf die Bevölkerung in einem Siedlungsgebiet hin zu prüfen seien, ist insofern nicht zielführend, als es sich bei „Siedlungsgebieten“ um eine eigenständige Kategorie von schutzwürdigen Gebieten im Sinne des Anhanges 2 des UVP-G 2000 handelt (Kategorie E). Maßgeblich ist hier aber jedenfalls ein schutzwürdiges Gebiet der Kategorie D.

47       Aus dem Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Dezember 2011, 2006/04/0144, VwSlg 18.298 A/2011, lässt sich für das Verwaltungsgericht ebenfalls nichts gewinnen, weil die fehlende rechtliche Verbindlichkeit des „Leitfadens UVP und IG-L“ des Umweltbundesamtes nichts daran ändert, dass die Frage nach dem Vorliegen einer wesentlichen Beeinträchtigung der Luft eine luftreinhaltetechnische und keine humanmedizinische ist. Auch dieses Erkenntnis rechtfertigt daher die entscheidungsrelevante Beiziehung eines Arztes im hier gegenständlichen Verfahren nicht.

48       Im Ergebnis ist es daher nicht nachvollziehbar, dass das Verwaltungsgericht auf der Grundlage einer auf Grund des Gesetzes durchzuführenden bloßen Grobprüfung (siehe § 3 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 7 UVP-G 2000) zu dem Schluss gelangte, dass keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei.

49       Das angefochtene Erkenntnis war schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, wobei auf das weitere Revisionsvorbringen nicht mehr einzugehen war.

50       Für das weitere Verfahren wird bemerkt, dass die Behörde gemäß § 3 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 7 UVP-G 2000 zu prüfen hat, ob ein „Vorhaben“ der Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt.

51       Der Begriff des Vorhabens wird in § 2 Abs. 2 UVP-G 2000 definiert und ist weit zu verstehen. Er erfordert es, ein oder mehrere Projekte in ihrer Gesamtheit und unter Einbeziehung auch jener Anlagen und Anlagenteile, die für sich nicht UVP-pflichtig wären, zu beurteilen. Es ist auf den räumlichen und sachlichen Zusammenhang der einzubeziehenden Anlagen oder Eingriffe abzustellen. Liegt ein solcher Zusammenhang vor, ist von einem Vorhaben auszugehen. Das Vorhaben beschränkt sich nicht auf die jeweilige technische Anlage, sondern umfasst auch alle mit dieser in ihrem räumlichen und sachlichen Zusammenhang stehenden Maßnahmen. Räumlich zusammenhängende Projekte sind als Einheit und somit als ein Vorhaben dann anzusehen, wenn sie in einem engen funktionellen Zusammenhang stehen. Ein für sich nicht UVP-pflichtiges Vorhaben bildet hingegen dann keine Einheit mit einem anderen Projekt, wenn es (auch) einen anderen, mit jenem nicht zusammenhängenden Zweck verfolgt und keinen engeren Zusammenhang mit jenem aufweist, als er etwa bei bloßen, nicht UVP-pflichtigen Vorarbeiten zu sehen ist (vgl. VwGH 29.3.2017, Ro 2015/05/0022, mwN).

52       Im gegenständlichen Fall wurde ein Projekt in einem eingereicht. Die mitbeteiligte Partei führte in den Antragsunterlagen aus, dass die „verkehrliche Erschließung“ des Vorhabensgebietes durch den Ausbau der beiden näher bezeichneten Straßen erfolgen solle, womit eine „attraktive“ bzw. „bessere Anbindung“ an die bestehenden Straßen ermöglicht werden solle. Bereits dieser augenscheinliche, schon durch die Antragsunterlagen begründete funktionelle Zusammenhang spricht für das Vorliegen eines einheitlichen Vorhabens.

53       Zwar hat die mitbeteiligte Partei in ihrer Stellungnahme vom 30. September 2016 „klargestellt“, dass die Herstellung der Wohnbauten unabhängig von der Errichtung der Aufschließungsstraße möglich und vorgesehen sei; das ändert jedoch nichts daran, dass das (weiterhin als „Aufschließungsstraße“ bezeichnete) Straßenbauvorhaben dem Zweck der Anbindung des Vorhabensgebietes dient. Damit ist eine funktionelle Abhängigkeit gegeben.

54       Im Ergebnis ist daher von einem einheitlichen Vorhaben auszugehen, in dessen Beurteilung auch jene Teile einzubeziehen sind, die allenfalls für sich betrachtet nicht UVP-pflichtig wären bzw. keiner Einzelfallprüfung unterlägen (vgl. VwGH 29.9.2015, 2012/05/0073).

55       Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung, BGBl. II Nr. 518/2013, in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 25. September 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018050061.L00.1

Im RIS seit

14.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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